Ärztekammer für Oberösterreich warnt vor Corona-Panik

tips​.at berich­tet am 18.9.:

»Die Ärztekammer für OÖ for­dert einen fak­ten­ba­sier­ten, sach­li­chen und kon­struk­ti­ven Diskurs über die Corona-Maßnahmen ein. Auf gar kei­nen Fall bestehe ange­sichts stei­gen­der Zahlen Grund zur Panik – im Gegenteil: Es gäbe kei­ne zwei­te Welle, son­dern einen "tech­ni­schen Labor-Tsunami". Gefordert wird unter ande­rem, das Covid-19-Testungen von Hausärzten ange­ord­net wer­den sol­len und beson­ders dring­lich: Es dür­fe ange­sichts des gene­rel­len Viren-Herbstes nicht auf ande­re Krankheiten ver­ges­sen werden.

"Viren gibt es schon immer und wir leben damit. Das soll kei­ne Bagatellisierung sein, wir wol­len aber die Angst her­aus­neh­men und aus der Schockstarre holen", so Ärztekammer für OÖ-Präsident Peter Niedermoser. Er for­dert Verhältnismäßigkeit ein: "Ja, Covid-19 ist eine Krankheit, an der man ster­ben kann, aber es geht uns um den prag­ma­ti­schen Zugang. Es braucht eine brei­te­re Diskussion und mehr Meinungen in der Öffentlichkeit, wir wis­sen jetzt wesent­lich mehr als noch vor Beginn der Corona-Pandemie. Wir haben den Eindruck, dass in ande­ren Ländern wesent­lich offe­ner dis­ku­tiert wird mit Medizinern." Vor allem ange­sichts der bevor­ste­hen­den Grippe-Saison sei Panik der völ­lig fal­sche Weg.

"Covid wird bleiben"

"Wir wis­sen, dass Covid-19 schwe­rer ver­läuft als die Grippe. Für sai­so­na­le Influenza schätzt man eine Sterberate von 1 bis 2 Verstorbenen auf 1.000 Infizierte, das sind 0,1 bis 0,2 Prozent", so Franz Allerberger, Facharzt für Klinische Mikrobiologie und Hygiene sowie Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der AGES.

Aktuelle Studien zu Covid-19 zei­gen eine Sterberate um die 0,25 Prozent bis 0,36 Prozent. "Somit ist die Sterblichkeit von Covid-19 zwar höher (cir­ca dop­pelt so hoch) als die der sai­so­na­len Influenza-Infektionen, aber weit ent­fernt von der Gefährlichkeit, wie wir sie für die spa­ni­sche Grippe, SARS oder MERS ken­nen", erläu­tert Allerberger. "Covid wird blei­ben und sich zu den bekann­ten Krankheiten dazugesellen."

Sinnvolle Hygienemaßnahmen

Einfache Maßnahmen schüt­zen vor Ansteckung – ober­ster Baustein ist die Händehygiene, dazu die rich­ti­ge Nies- und Husten-Ettikete und ein Mindestabstand von einem Meter sei­en ein effek­ti­ves Bündel, unter­streicht Rainer Gattringer, Leiter des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie am Klinikum Wels-Grieskirchen.

Auch sei das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in geschlos­se­nen Räumen ohne Mindestabstände eine gute Maßnahme. Im Freien sei das Tragen eines Mundschutzes nur äußerst sel­ten not­wen­dig. "Die Maßnahmen sol­len jedoch immer der Infektionsgefahr ange­mes­sen sein."

"Wir haben keine zweite Welle, sondern einen technischen Labor-Tsunami"

Klare Worte fin­det Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz. Es wer­de zu viel gete­stet. "Der Test allei­ne macht noch kei­ne Diagnose, wir brau­chen dafür die Einschätzung eines Arztes. Ich appel­lie­re, die Diagnostik wie­der der Medizin zu über­ge­ben. Ich appel­lie­re, auf­zu­hö­ren mit dem kreuz und quer durch die Branchen zu testen!" Tests wür­den hel­fen, Gesunde von Kranken zu unter­schei­den, eine Diagnose aber brau­che immer eine Zusammenschau von Testergebnis und dem kli­ni­schen Kontext.

"So wich­tig wie die Technik bei der Suche nach den ursäch­li­chen Erregern ist in der Medizin aber auch die Einschätzung des Patienten, auf den ein Erreger trifft: nicht jeder nach­ge­wie­se­ne Erreger macht alle Menschen krank oder gleich krank", führt die Medizinerin wei­ter aus. Wichtig für Sie auch: Das Testergebnis ist eine Momentaufnahme. Es bedeu­tet per se nicht, dass ein Patient ansteckend ist oder dass jemand krank ist.

In Richtung Politik rich­tet Apfalter aus: Nur die Fallzahl als Kennzahl her­zu­neh­men grei­fe zu kurz, und die Fallzahl sei auch die unge­eig­net­ste Kennzahl – "die zwei­te Welle ist der Teststrategie geschul­det, aber nicht den Erkrankungszahlen." "Wir behan­deln nicht Laborwerte, son­dern Patienten", so auch Niedermoser.

Hausärzte sollen Tests übernehmen

In die glei­che Kerbe schlägt Wolfgang Ziegler, Arzt für Allgemeinmedizin und Kurienobmann-Stellvertreter der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte der Ärztekammer für OÖ: Es sei nicht sinn­voll, jeden ein­zel­nen Corona-Fall zu detek­tie­ren: "Circa 95 Prozent der Infektionen ver­lau­fen asym­pto­ma­tisch – also ohne Symptome – oder maxi­mal mit Schnupfen, Husten und nur gele­gent­lich mit Fieber", erklärt Ziegler.

"Hausärzte kön­nen am ehe­sten beur­tei­len, wel­che Infektion vor­liegt. Wir müs­sen zurück­keh­ren zur Behandlung von Patienten. Wünschenswert wäre, zuerst zum Hausarzt zu gehen. Die Patienten müs­sen wie­der in die Ordinationen kom­men. Bei Symptomen, die auf ande­re Viren als das Coronavirus hin­deu­ten, ist es nur sinn­voll, nicht zu testen. Bereits jetzt, weit vor Beginn der Grippesaison, sind in Österreich von 1.000 durch­ge­führ­ten Tests etwa 977 nega­tiv. Ist der Hausarzt oder Kinderarzt in Zusammenschau aller Fakten und in Kenntnis sei­nes Patienten der Meinung, dass ein Test not­wen­dig ist, wird die­ser auch veranlasst."

Andere Krankheiten nicht vernachlässigen

Zu Beginn sei­en auch die Hausärzte über­rascht gewe­sen, zudem habe es kaum Schutzausrüstung gege­ben. Viele sei­en nicht mehr gekom­men, vor allem mit chro­ni­schen Krankheiten. Aber die Hausärzte sei­en vor­be­rei­tet. "Ich war­ne davor, dass Patienten mit ande­ren Erkrankungen die­se ver­nach­läs­si­gen, aber auch die Vorsorge ver­nach­läs­si­gen – wir müs­sen hier wie­der zur Normalität zurück­keh­ren. Mit dem Sicherheitsmanagement in Ordinationen ist eine Ansteckungsgefahr auch weit­ge­hend mini­miert", so Ziegler.

Auch die Spitäler sei­en bes­ser denn je gerü­stet. "Trauen sie sich in die Krankenhäuser, wir sind gut auf­ge­stellt, nie­mand muss sich fürch­ten", so Rainer Gattringer. Und: Auch bei der Behandlung schwe­re­rer Fälle im Krankenhaus auch ohne Medikament habe man gelernt, so Günter Weiss von der Medizinischen Universität Innsbruck. So habe etwa eine nicht-inten­siv­me­di­zi­ni­sche Versorgung mit Sauerstoff gute Erfolge erziehlt.

Verhältnismäßigkeit wird eingemahnt

Bei den Maßnahmen müs­se immer die Verhältnismäßigkeit im Mittelpunkt ste­hen, wo sei der Nutzen grö­ßer als der Schaden? "Das muss gewähr­lei­stet sein", so auch der Grazer Martin Sprenger, Arzt für Allgemeinmedizin und Public Health Experte.

Das ober­ste Ziel für die kom­men­de Virensaison sei, den ent­ste­hen­den gesund­heit­li­chen, psy­chi­schen, sozia­len und wirt­schaft­li­chen Schaden mög­lichst klein­zu­hal­ten: "Es kann nicht sein, dass durch die Minimierung eines Risikos alle ande­ren Krankheiten unter- und fehl­ver­sorgt wer­den." Zudem habe es im Frühjahr mas­si­ve ethi­sche Verletzungen gegeben[e] – spricht er etwa die Isolierung von Bewohnern in Alten- und Pflegeheimen an.

Sprenger: "Wir brau­chen einen Paradigmenwechsel – wir müs­sen das Virus und Covid als Erkrankung ernst neh­men, aber den Scheinwerfer weg­neh­men und alle Krankheiten wie­der gleich beleuchten."

Keine Stigmatisierung

Niedermoser warnt auch ein­mal mehr vor Covid-Stigmatisierung: Auch wenn ich alle Maßnahmen befol­ge, kann ich mich anstecken. Das ist kei­ne Sünde und kann jeden treffen!«

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