Aufregung um Party-Jugend: Wenn die Lust am Leben eskaliert

Unter dem schö­nen Link par­ty-trotz-coro­na-sie-seh­nen-sich-nach-nor­ma­li­taet ist am 30.6. auf schwae​bi​sche​.de zu lesen:

»Bässe wum­mern, Flaschen klir­ren und Gesprächsfetzen flie­gen durch die Luft. Es hat etwas von Festivalatmosphäre – fän­de die­se Party nicht auf einem schlecht aus­ge­leuch­te­ten Firmenparkplatz in Biberach statt. Über 500 Menschen haben sich Freitagnacht dort ver­sam­melt. Die Polizei lässt sie gewäh­ren, fährt nur immer wie­der mit dem Streifenwagen vorbei.

Es ist das zwei­te Wochenende in Folge, an dem jun­ge Leute in der Stadt an der Riß fei­ern. Viele von ihnen sind einem Aufruf in den sozia­len Medien gefolgt. Sie kom­men aus Biberach, Laupheim, Ochsenhausen, Uttenweiler oder Bad Waldsee. Sie wol­len end­lich wie­der raus und Party machen, auch wenn sie damit gegen die Corona-Auflagen ver­sto­ßen. „Wir haben so lan­ge Rücksicht genom­men, jetzt sind wir dran“ lau­tet bei vie­len der Tenor…

Nicht nur in Biberach, auch in Ravensburg, Konstanz oder Augsburg sam­mel­ten sich Menschen an lau­en Sommerabenden auf öffent­li­chen Plätzen…

Über ein Jahr lang hat man keine Fantasien entwickelt.

Albert Scherr, Professor für Soziologie

Albert Scherr ist Professor für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, wo er unter ande­rem zu Jugend und Migration forscht. „Man darf nicht alle in einen Topf wer­fen“, betont er und unter­schei­det zwi­schen Feiernden und Randalierenden. Für erste­re zeigt er Verständnis. „Dass Jugendliche fei­ern und dabei laut sind, ist erst­mal nicht so verwunderlich.“

Die Gesellschaft habe den Jugendlichen zuge­mu­tet mona­te­lang nicht zur Schule zu gehen und sich haupt­säch­lich zuhau­se auf­zu­hal­ten. Scherr for­dert ange­sichts der Pandemie dezen­tra­le Feiermöglichkeiten und lastet der Politik an, das bis­her ver­säumt zu haben. „Über ein Jahr lang hat man kei­ne Fantasien entwickelt.“

Ähnliche Worte fin­det Jugendforscher Simon Schnetzer aus Kempten. „Die Polizei muss das Versagen der Politik aus­ba­den, dass wir es nach einem Jahr Pandemie nicht geschafft haben, den jun­gen Leuten einen Raum zu bie­ten.“ Damit wol­le er jedoch auf kei­nen Fall Randalen verteidigen…

Leugnende Jugendliche sind eine Minderheit

… „Ich fin­de Maske tra­gen und testen las­sen nicht schlimm, aber das Soziale weg­neh­men, das ist schlimm“, sagt eine 19-jährige.

Manche hal­ten die Pandemie aber auch für einen Schwindel und zei­gen kein Verständnis für Corona-Maßnahmen. Damit gehö­ren sie aller­dings einer Minderheit an, folgt man der Studie „Jugend und Corona in Deutschland“, die Simon Schnetzer gemein­sam mit Klaus Hurrelmann, Professor für Public Health and Education an der Hertie School in Berlin, im Juni ver­öf­fent­licht hat…

Noch sei der Leidensdruck jun­ger Menschen nicht so hoch, sagt Schnetzer. Hinter den Feiern ste­he pri­mär der Wunsch, wie­der zu leben und nicht, zu randalieren.

Trotzdem sind für ihn sind die Partys ein Schrei: „Hört uns end­lich zu.“ Bei Alexander, 19, aus Tettnang klingt das ähn­lich als er sagt „Wir woll­ten ein Zeichen set­zen.“ An zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Wochenenden im Juni sam­mel­ten sich unter­halb der Veitsburg, einem belieb­ten Treffpunkt in Ravensburg, zwi­schen 400 und 450 Menschen. Sie fei­er­ten laut, tran­ken Alkohol und als die Polizei den Platz räum­te, reagier­te ein Teil der Menge offen­bar aggressiv…

Verfolgt man die Nachrichten aus den ver­schie­de­nen Städten ent­steht der Eindruck, dass sol­che Situationen schnel­ler eska­lie­ren als vor Corona. Die Ereignisse in Ravensburg beschreibt ein Sprecher der Stadt in ihrer Intensität als neu. Auch aus Biberach heißt es über das erste Wochenendende, an dem rund 500 jun­ge Leute am Wieland-Park zusam­men­ka­men, dass die Situation ein stück­weit über­ra­schend gewe­sen sei…

Wenn immer wie­der Konflikte mit der Polizei eska­lie­ren, müs­se erlaubt sein, kri­tisch zu fra­gen, ob die Polizei immer das rich­ti­ge Mittel sei, um dees­ka­lie­rend zu wir­ken. Laut Scherr gibt es kei­ne Belege in der Jugendforschung, dass jun­ge Menschen ver­ro­hen oder feind­li­cher gestimmt sind. „Wir wis­sen seri­ös nicht viel dar­über, ob bei ein­zel­nen Jugendlichen das Misstrauen gegen­über der Polizei zuge­nom­men hat.“

Er wol­le nicht ganz aus­schlie­ßen, dass die Bilder von Polizeigewalt, die aus den USA her­über­schwap­pen, auch die Wahrnehmung in Deutschland beein­flus­sen. Bei der Frage, wel­cher Institution Jugendliche am mei­sten ver­trau­en, lau­te die Antwort aber nach wie vor „Polizei“, auch die Zahl der Jugenddelikte sei rück­läu­fig. Das bele­gen Daten des Bundeskriminalamts. Ob Jugendliche wirk­lich aggres­si­ver auf­tre­ten, las­se sich noch nicht ver­läss­lich sagen, meint auch Simon Schnetzer…

Maßnahmen werden unterschiedlich bewertet

Diejenigen, die ran­da­lie­ren, sei­en dem ver­öf­fent­lich­ten Bildmaterial nach zu schlie­ßen meist jun­ge Männer, die nicht der Eventszene zuzu­rech­nen sei­en. Deshalb hält Preis [Mitglied im Geschäftsführenden Landesvorstand der Deutschen Polizeigewerkschaft, AA] wenig von Sperrzeitverlängerungen in der Gastronomie, weil sie auf die­se Menschen kaum Einfluss hät­ten. Er plä­diert für bes­se­re Beleuchtung der ent­spre­chen­den Plätze und mehr Überwachung…

Die Stadt Ravensburg hat inzwi­schen mit einem tem­po­rä­ren Verweilverbot den Hang unter­halb der Veitsburg in den Nächten am Wochenende gesperrt. Die Corona-Verordnung ver­ein­facht sol­che Maßnahmen. Gelten die Corona-Beschränkungen nicht mehr und woll­te eine Stadt ein dau­er­haf­tes Verweilverbot aus­spre­chen, lie­gen die Hürden hoch. Sie müss­te nach­wei­sen, dass der Ort ein kri­mi­nel­ler Brennpunkt ist.

Preis von der Deutschen Polizeigewerkschaft spricht sich deut­lich für Alkohol-Verbotszonen aus. „Wir müs­sen die­sen Katalysator für Gewalt neh­men.“ Doch auch hier gilt: Zunächst müs­sen die Städte nach­wei­sen, dass an die­sen Stellen ver­mehrt Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol began­gen werden.

Jugendforscher Schnetzer hält sol­che Verbotszonen an man­chen Stellen für rich­tig, gibt aber zu beden­ken, dass Jugendliche Orte brau­chen, an denen sie mit Alkohol expe­ri­men­tie­ren kön­nen. Scherr bedau­ert, dass die Lösung häu­fig in mehr Überwachung und höhe­rer Polizeipräsenz gesucht wer­de. In Verweilverboten sieht er eher eine hilf­lo­se Reaktion«

6 Antworten auf „Aufregung um Party-Jugend: Wenn die Lust am Leben eskaliert“

  1. Als die Beatles auf­ka­men, murr­ten die Älteren über die Pilzköpfe. Als Elvis bekannt wur­de, murr­ten die Älteren über das sexu­ell anrü­chi­ge Rumgezappel. Als die Hippies für den Frieden san­gen, murr­ten die Älteren über die lang­haa­ri­gen Kriegsverweigerer. Als die Jugendlichen sich Lederjacken anzo­gen und mit dem Headbangen began­nen, murr­ten die Älteren etwas von Teufelszeug. Als der Beat auf 160bpm gestei­gert wur­de, murr­ten die Älteren über den Krach.
    Ähnliche Analogien lie­ßen sich auch bezo­gen auf Mode oder poli­ti­sche Ausrichtungen zie­hen. Fragt mal die Grünen, nach deren Gründerzeit. Inzwischen gehö­ren aber auch sie nur noch zu den mur­ren­den Älteren.
    Die Berichterstattung über die Jugendlichen heut­zu­ta­ge ähnelt in die­ser Hinsicht sehr den Berichten aus dama­li­gen Zeiten.
    Statt zu bemer­ken, dass die, izwi­schen seit mehr als einem Monat, statt­fin­den Partys, mit teils mehr als tau­send Gästen, kei­ner­lei Auswirkung auf den Gesundheitszustand hat­ten, wird wei­ter am gel­ten­den Narrativ fest­ge­hal­ten. Statt die gel­ten­den Maßahmen in Frage zu stel­len, was inzwi­schen, dank den Studien und Aussagen von Ärzten, Doktoren und Professoren, ein Kinderspiel ist, wird den Jugendlichen unter­stellt, sie wären gewalt­be­rei­te Randalierer.
    Ob die Jugendlichen bemer­ken, dass sie alle zusam­men in sip­pen­haft genom­men und per Qualitätsmedien in eine Ecke gestellt wer­den? Bleibt zu hof­fen, dass sie sich genau­so wenig drum sche­ren, wie auch ihre Eltern und deren Eltern.
    Willkommen im Leben.
    Erste Lektion: Einiges ist nicht das, was anfangs erzählt wor­den ist, man­ches ist doch ein wenig kom­ple­xer. Und nicht alles, was in einer Zeitung geschrie­ben steht, ist wahr. Aber nur kei­ne Panik, die­se Lektion haben wir alle gelernt. Schon Reinhard Mey wuss­te davon zu singen.
    https://​www​.rein​hard​-mey​.de/​d​o​w​n​l​o​a​d​/​R​M​_​D​i​e​_​Z​w​o​e​l​f​t​e​/​W​a​s​_​i​n​_​d​e​r​_​Z​e​i​t​u​n​g​_​s​t​e​h​t​_​1​9​8​3​.​pdf

  2. Die Stadtverwaltung Koblenz erlässt auf­grund der §§ 1, 2, 3 und 9 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) in der Fassung vom 23.09.2020 (GVBl. S. 516) i. V. m.
    den §§ 35 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.01.2003 sowie § 14 i. V. m. § 4 Abs. 1 Landesimmissionsschutzgesetz (LImSchG) vom 20.12.2000 (GVBl. S. 578) in ihren jeweils gel­ten­den Fassungen folgende

    Allgemeinverfügung:

    1. Auf den nach­fol­gend genann­ten öffent­li­chen Straßen, Wegen und Plätzen ist das Verweilen untersagt:
    Münzstraße, Burgstraße, Auf der Danne, Florinsmarkt
    (ein­schließ­lich der Parkflächen und des Vorplatzes der Florinskirche).
    Dieses Verweilverbot gilt an allen Tagen vor Feiertagen, an Feiertagen sowie
    an Freitagen und Samstagen jeweils von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr des Folgetages.
    2. Ausnahmen von die­sem Verweilverbot gel­ten nur bei Vorliegen eines trif­ti­gen Grundes.
    Triftige Gründe sind insbesondere
    a) die Ausübung beruf­li­cher Tätigkeiten,
    b) Handlungen, die zur Abwendung einer unmit­tel­ba­ren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erfor­der­lich sind,
    c) die Inanspruchnahme akut not­wen­di­ger medi­zi­ni­scher und vete­ri­när­me­di­zi­ni­scher Versorgungsleistungen sowie
    d) das Anstehen in Warteschlangen vor Einzelhandelsgeschäften, Gastronomie-
    betrie­ben und son­sti­gen geöff­ne­ten Einrichtungen.

    3. Die sofor­ti­ge Vollziehung die­ser Allgemeinverfügung wird auf­grund von § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung
    vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686),
    zuletzt geän­dert durch Artikel 2 des Gesetzes
    vom 14. Juni 2021 (BGBl. I S. 1760), angeordnet.
    4. Diese Allgemeinverfügung tritt am Tage nach der Bekanntmachung in Kraft.
    Sie tritt mit Ablauf des 18.07.2021 außer Kraft.

    Rechtsbehelfsbelehrung:
    Gegen die­se Allgemeinverfügung kann inner­halb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erho­ben werden.
    Der Widerspruch ist bei der Stadtverwaltung Koblenz,
    Ludwig-Erhard-Straße 2, 56073 Koblenz, schrift­lich oder zur Niederschrift einzulegen.
    Die Schriftform kann durch die elek­tro­ni­sche Form ersetzt wer­den. In die­sem Fall ist das elek­tro­ni­sche Dokument mit einer qua­li­fi­zier­ten elek­tro­ni­schen Signatur zu versehen.
    Bei der Verwendung der elek­tro­ni­schen Form sind besondere
    tech­ni­sche Rahmenbedingungen zu beach­ten, die im Internetauftritt der Stadt Koblenz
    http://​www​.koblenz​.de unter
    „Kontakt“ (dort: Grundsätze der elek­tro­ni­schen Kommunikation mit der Stadtverwaltung Koblenz) auf­ge­führt sind. Bei schrift­li­cher oder elek­tro­ni­scher Einlegung des Widerspruchs ist die Widerspruchsfrist nur gewahrt, wenn der Widerspruch
    noch vor Ablauf die­ser Frist bei der Stadtverwaltung Koblenz ein­ge­gan­gen ist.
    Die Widerspruchsfrist ist auch gewahrt, wenn der Widerspruch bei der Geschäftsstelle des Stadtrechtsausschusses, Willi-Hörter-Platz 1, 56068 Koblenz, ein­ge­legt wird.
    Koblenz, den 23.06.2021
    Gez.
    David Langner
    Oberbürgermeister
    https://​www​.koblenz​.de/​p​r​e​s​s​e​z​e​n​t​r​a​l​e​/​b​e​k​a​n​n​t​m​a​c​h​u​n​g​e​n​/​a​l​l​g​e​m​e​i​n​v​e​r​f​u​e​g​u​n​g​-​v​e​r​w​e​i​l​v​e​r​b​o​t​-​d​i​v​-​a​l​t​s​t​a​d​t​s​t​r​a​s​s​e​n​/​a​l​l​g​e​m​e​i​n​v​e​r​f​u​e​g​u​n​g​-​a​l​t​s​t​a​d​t​-​v​e​r​w​e​i​l​v​e​r​b​o​t​.​pdf

  3. Was ist das harm­los im Vergleich zu den 68 ern. Wie brav ist unse­re Jugend und wie zwang­haft und kon­trol­lie­rend sind die Alt Hippis gewor­den. Gebt der Jugend ihren Raum, sonst neh­men sie sich ihn.

  4. Es ist ein­fach nur dumm zu glau­ben, dass wenn man einen Bereich, wo sich Jugendliche tref­fen, sperrt, dass dann alle nach Hause gehen. Nee die gehen ein­fach woan­ders hin.

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