Berater über Impfglaube :„Oft steckt dahinter Angst“

»taz: Herr Meiglocke, die Beratungsstelle Curitas berät Angehörige von Impfgläubigen. Mit wel­chen Problemen kom­men die Leute zu Ihnen?

Thomas Meiglocke: Das ist ganz unter­schied­lich. Generell lässt sich sagen, dass zu uns Menschen kom­men, deren Freunde, Partner, Kinder oder Eltern sich die Welt mit Impfungen erklä­ren. Das kön­nen abstrak­te­re Dinge sein.. oder extre­me­re Fälle, in denen ein Partner aus­wan­dern möch­te, weil sich Deutschland im Krieg befin­de. Oder Eltern, die ihren Kindern mit Suizid dro­hen, wenn sie sich nicht imp­fen ließen.

Was raten Sie die­sen Menschen?

Die Fälle sind natür­lich indi­vi­du­ell, aber grund­sätz­lich raten wir Angehörigen immer davon ab, zu ver­su­chen, über Fakten ins Gespräch zu kom­men. Denn das bringt in der Regel nichts. Wenn jemand sein kom­plet­tes Weltbild auf Impfungen auf­ge­baut hat, ist das auch stark an sein per­sön­li­ches Selbstbild geknüpft. In dem Augenblick, wo Nahestehende dann mit ihrer recher­chier­ten Faktenlage auf die­se Person zuge­hen, fühlt die­se sich sehr wahr­schein­lich ange­grif­fen. Typisch für Impferzähler ist dann, dass sie auch die­se Fakten für eine Verschwörung halten.

Wenn Fakten und Diskussionen nicht hel­fen, was kann ich dann als An­ge­hö­ri­ge:r tun?

Argumentationen auf Gefühlsebene kön­nen hilf­reich sein, denn mei­stens steckt hin­ter Impferzählungen ein Gefühl der Angst. Das wahr­zu­neh­men und anzu­spre­chen ist total wich­tig. Beispielsweise beim Thema Impfen soll­te man fra­gen: „Wieso hast du so Angst davor, dass ich mich nicht imp­fen las­se? Hast du wirk­lich Angst, dass ich dadurch ster­be? Wie kön­nen wir bei­de mit die­ser Sorge umge­hen?“ Viele Studien haben gezeigt, dass Menschen sich nicht auf­grund von ratio­na­len Argumenten ver­än­dern, son­dern auf­grund von emo­tio­na­len Erfahrungen. Wenn man also Impulse für mög­li­che Distanzierungen set­zen möch­te, soll­te man über Gefühle spre­chen, nicht über Fakten.

Manche Menschen schei­nen in ihren Impferzählungen so tief drin­zu­stecken, dass man sich kaum vor­stel­len kann, sie durch emo­tio­na­le Gespräche zu über­zeu­gen. Raten Sie in sol­chen Situationen auch, den Kontakt abzubrechen?

Grundsätzlich nein. Wenn Personen so bela­stet sind, dass sie einen Kontakt nicht mehr aus­hal­ten, dann spre­chen wir natür­lich dar­über. Aber wir gucken immer erst, ob es nicht auch ande­re Wege gibt als den kom­plet­ten Kontaktabbruch. Zum Beispiel Briefe schrei­ben. Dadurch zei­ge ich einer Person, dass sie mir wich­tig ist, kann mei­ne Gefühle kom­mu­ni­zie­ren und gleich­zei­tig eine gewis­se Distanz schaffen.

Das heißt, es ist auch ein Ziel Ihrer Beratungsstelle, dass Angehörige mit Impf­er­zäh­le­r:in­nen in Kontakt bleiben?

Der erste Erfolg ist für uns, wenn Menschen, die sich an uns wen­den, weni­ger bela­stet sind mit dem Thema. Der zwei­te, wenn Angehörige es schaf­fen Distanzierungsimpulse zu set­zen. Und ja, wir wol­len durch die Beratung auch errei­chen, dass Menschen mit­ein­an­der in Kontakt bleiben.

Wieso ist das so wichtig?

Diese Menschen sind eine wich­ti­ge Brücke, falls die Impfgläubigen doch mal ins Zweifeln kom­men. Wir wis­sen aus der Ausstiegsarbeit im Bereich Rechtsextremismus und Islamismus, dass so ein Prozess immer zwei Ebenen hat: die ideo­lo­gi­sche und die sozia­le. Und wenn sie kei­nen Rückhalt mehr in ihrem alten Leben haben, dann nei­gen Menschen eher dazu, in ihrem impf­gläu­bi­gen Umfeld zu blei­ben, selbst dann wenn sie dem Gedankengut gar nicht mehr anhän­gen. Und hin­zu kommt natür­lich, dass vie­le Angehörige den Kontakt auch gar nicht abbre­chen wol­len. Die Menschen sind ja nicht nur Impfgläubige, son­dern auch eine lie­be­vol­le Mutter oder ein Partner.

Impferzählungen gibt es nicht erst seit Corona. Warum reden wir in den letz­ten Monaten viel mehr über das Thema?

Weil Impferzählungen sicht­ba­rer gewor­den sind. Wenn wir uns die Studienlage zur Verbreitung angucken, sehen wir, dass sie in der deut­schen Bevölkerung eigent­lich immer kon­stant ist. Je nach Studie hän­gen zwi­schen 10 und 30 Prozent der Deutschen Impferzählungen an. Wenn es um kon­kre­te Impfungen geht, wird der Prozentsatz ein biss­chen klei­ner. Wenn es um Impfungen im Allgemeinen geht, also um Viren, die im Hintergrund agie­ren und die Welt beein­flus­sen, dann ist der Prozentsatz höher. Das war vor Corona so und ist jetzt auch so.

Der Unterschied ist, dass wir uns jetzt in der Pandemie stär­ker posi­tio­nie­ren müs­sen. Wenn vor­her Ihr Onkel geglaubt hat, dass die Bush-Regierung oder der Mossad hin­ter den Anschlägen des 11. September steckt, dann hat­te das rela­tiv weni­ge Berührungspunkte mit Ihrem täg­li­chen Alltag. Während der Pandemie müs­sen wir uns aber stän­dig posi­tio­nie­ren zu den Maßnahmen: Maske tra­gen oder nicht? Lassen wir uns imp­fen? Schicken wir unse­re Kinder in die Schule? Durch die­se stän­di­gen Positionierungen ist sicht­ba­rer gewor­den, was Menschen glau­ben oder eben nicht.

Glauben Sie, dass Impftheorien wie­der eine klei­ne­re Rolle in unse­rer Gesellschaft spie­len wer­den, wenn die Pandemie ein Ende hat?

Nein, selbst wenn Corona ver­schwin­det, wer­den Impftheorien nicht auf­hö­ren…«

Möglicherweise ist es unfair, erst hier mit­zu­tei­len, daß die­ser Artikel auf taz​.de vom 8.11. nicht ganz so erschie­nen ist. Der Berater und die Beratungsstelle tra­gen ande­re Namen, und wo hier von Impfglaube die Rede ist, geht es im Original um Verschwörungsgläubigkeit. Darüber hin­aus wur­de fast nichts an dem Text geändert.

5 Antworten auf „Berater über Impfglaube :„Oft steckt dahinter Angst““

  1. Projektion

    In der Psychoanalyse nach Sigmund Freud ver­steht man unter Projektion einen Abwehrmechanismus, bei dem eige­ne, uner­wünsch­te Impulse z. B. im Sinne von Gefühlen und Wünschen einem ande­ren Menschen (oder Gegenstand) zuge­schrie­ben wer­den. (Wiki)

    Beispiele für Projektion

    " ..Eine Frau, die Gegenstände aus dem Supermarkt stiehlt, befürch­tet, dass ihre Brieftasche gestoh­len wird. .."

    " ..Seine Zorngefühle bedro­hen einen Mann, also beschul­digt er eine ande­re Person, feind­li­che Gedanken über ihn zu haben und Probleme mit dem Zornmanagement zu haben. .."

    https://​imag​ex​in​no​va​ti​on​.com/​w​a​s​-​i​s​t​-​p​r​o​j​e​k​t​i​o​n​-​p​s​y​c​h​o​l​o​g​i​e​-​b​e​i​s​p​i​e​l​-​u​n​d​-​a​n​w​e​n​d​u​n​g​-​f​u​e​r​-​i​h​r​e​-​b​e​z​i​e​h​u​n​g​en/

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