Ich war nicht dabei auf der heutigen Demo auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Mir fehlt noch immer eine klare Abgrenzung der Veranstaltenden von offen rechtsradikalen UnterstützerInnen. Deshalb bin in angewiesen auf die Medien, um mir ein Bild machen zu können. Was da im Angebot ist, kann nur als Meinungsmache der übelsten Art angesehen werden. Dabei schießt wieder einmal der Tagesspiegel den Vogel ab.
Bereits am Vortag hatte das Blatt mit dieser "Information" aufgewartet:
'Seit vier Wochen demonstriert eine Querfront in Mitte gegen die Corona-Restriktionen. Sie nutzen den Namen der Volksbühne dafür. Jetzt regt sich Protest…
Am Freitag haben sich mehr als zehn linksalternative Gruppierungen, Zusammenschlüsse und Studierendengruppen in einem Aufruf zusammengetan, um gegen diese wilde Querfront zu protestieren. Die Studierendenvertretung der Technischen Universität hat unterschrieben, die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V., die Antifaschistische Linke Jugend Berlin, aber auch das Kollektiv der ehemaligen Besetzer der Volksbühne „Staub zu Glitzer“.' Link
Daß hier eine "Querfront", gar eine "wilde" am Werk sei, wird hier gesetzt, nicht etwa belegt. Sucht man im Netz nach jener Erklärung der "linksalternativen Gruppierungen", findet sich nichts.
Weder beim AStA der TU noch bei der VVN oder der Antifaschistischen Linken Jugend Berlin. Sollte es die Erklärung geben, dann hält sie keine der genannten Organisationen für sonderlich veröffentlichungswürdig.
Update 28.4.: Es gibt eine Pressemitteilung des Berliner Bündnisses gegen Rechts “Querfront, Verschwörungstheoretiker*innen und Neue Rechte am Rosa-Luxemburg-Platz” vom 23.04. Darin heißt es:
'“Zu der Veranstaltung kommen viele Menschen, um für ihr Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit zu streiten. Aber unter den Teilnehmenden befinden sich auch viele Verschwörungstheoretikerinnen, Akteure der Neuen Rechten, verurteilte Holocaustleugner*innen und treue Erdogan-Anhänger*innen. Wer mit diesen Menschen demonstriert, macht ihre Inhalte nicht nur salonfähig, sondern trägt sie mit”, so David Kiefer, Pressesprecher des BBgR.' Link
Dabei ist das Kalkül des Tagesspiegels durchsichtig: Potentielle Hauptträger eines Protestes gegen die Einschränkung von Grundrechten sind seit jeher linke Gruppen. Erfahrungsgemäß hilft ein "Querfront"-Verdacht fast so gut wie die Unterstellung von Antisemitismus, eine gemeinsames Vorgehen von Linken zu verhindern. Deshalb zitiert der Tagesspiegel auch eine Analyse des "Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus". In ihr werden zutreffend einige klar rechte Teilnehmer der Demonstration benannt, aber eben auch in einem Atemzug linke Journalisten denunziert, weil sie bei deutlich antifaschistischen Positionen auch für "Russia Today" publizieren. Link
Die heutige "Berichterstattung" des Tagesspiegels setzt den vorgezeichneten Weg fort:
"Auf dem Platz selbst bietet sich eine diffuse Gemengelage: Einige Menschen meditieren, andere spielen Musik. Die meisten gehören offenbar der Querfront-Gruppe an, die zur “Hygiene-Demonstration” aufgerufen hatte. Anwesend sei auch der rechtsextreme und antisemitische “Volkslehrer” Nikolai Nerling sowie die AfD-Youtuberin Carolin Matthie…
In der Linienstraße, die zum Rosa-Luxemburg-Platz führt, meditieren mehrere Menschen. Sie gehören offenbar auch der Querfront-Gruppierung [so im Original]…
Wegen zu großer Menschenansammlungen hat die Berliner Polizei den Zugang zum Rosa-Luxemburg-Platz gesperrt. Das teilte eine Sprecherin dem Tagesspiegel am Samstagnachmittag mit. Derzeit befinden sich gut 300 Personen auf dem Platz vor der Volksbühne. Die Menschen lassen sich nicht klar verschiedenen Gruppen zuteilen, so die Sprecherin…
Eigentlich sollte am Nachmittag vor der Volksbühne wieder eine "Hygiene-Demonstration" stattfinden. Wie in den vergangenen Wochen wollten überwiegend Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker gegen die Corona-Maßnahmen protestierten…
Laut Deutscher Presse-Agentur protestierten insgesamt rund um den Rosa-Luxemburg-Platz 1000 Menschen." Link
Wir erfahren also: Die Polizei möchte die Menschen "nicht klar verschiedenen Gruppen" zuordnen. "Offenbar" gehören für den Tagesspiegel dennoch die meisten "der Querfront-Gruppe" an. Es "seien" auch verschiedene Rechte anwesend. Und auch meditierende Menschen gehören "offenbar" zur "Querfront-Gruppierung". Der vor Ort befindliche Journalist kann offenbar nicht zählen und holt sich die Zahlen von DPA. Die werden es wissen.
Diese Art des Journalismus wird im Beitrag des Tagesspiegels begleitet mit zahlreichen Blockwart-affinen Berichten über das ungehörige Verhalten von Menschen in Berlin:
"Was ein Problem ist: …Begegnen sich dann noch mehrere Fußgänger, kann man das gleich vergessen, solange nicht auch mal bereit sind, hintereinander zu gehen oder am Rande zu warten. Vielen scheint das aber auch schlicht egal zu sein…
Was hinderlich ist: Besonders schwierig wird es immer dann, wenn es Warteschlangen auf dem Gehweg gibt. Hilfreich wäre es bereits, wenn diese sich nicht die Breite des Bürgersteigs einnehmen, sondern direkt vorm Laden abknicken und an der Hauswand verlaufen würden…
Was immer wieder auffällt: Auf eigentlich ungenutzten, zusammengeketteten Stühlen und Bänken vor Lokalen setzen sich zwei oder drei Leute hin – auf eine Zigarette und einen Plausch oder um die Speisen "außer Haus" vom Imbiss nebenan direkt zu verzehren. Das können Rentner genauso sein wie gleichaltrige Mädchen, die allem Anschein nach nicht aus demselben Haushalt kommen. Mindestabstand?…
Was verwundert: An einem Supermarkt, der über Wochen einen Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes am Eingang postiert hatte, damit es in den Gängen nicht zu eng zugeht, regelt schon am zweiten Tag in Folge den Einlass nicht mehr. Keine Schlange mehr draußen, Kunden gehen direkt hinein, und merken erst allmählich, wie voll es doch ist.
Was schon lange unverständlich ist: In der Markthalle am Marheinekeplatz sind zwar vor jedem Verkaufsstand Abstandsmarkierungen angebracht, doch mitten im Gang stehen schon seit Wochen zusätzlich Tische mit Waren. Dadurch ist es an einigen Stellen schon bei normalem Betrieb ausgeschlossen, durch die Halle zu gehen und die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten…
Was überrascht: Seit der Senat am Dienstag erste Lockerungen der Corona-Maßnahmen beschlossen hat, gibt es nicht nur Befürchtungen, sondern auch konkrete Hinweise darauf, dass immer wieder Bürgerinnen und Bürger die Abstandsregeln nun gleich gänzlich außer Acht lassen. Dieser Eindruck hat sich auch am Sonnabend im Bergmannkiez bestätigt. Trotzdem waren bei einem dreistündigen Spaziergang zwischen Viktoriapark (wo die Leute weit auseinander saßen) und Bergmannfriedhöfen keine Fußstreifen von Polizei oder bezirklichem Ordnungsamt zu sehen, die eine Einhaltung der Regeln kontrolliert und vor allem Aufklärungsarbeit geleistet hätten. Warum eigentlich nicht?"
Was beim Tagesspiegel noch erstaunen mag, ist bei der Morgenpost zu erwarten:
'Wer studieren will, wie Verschwörungstheoretiker aus dem Reichsbürger-Spektrum, Antisemiten, Rechtsextremisten und vermeintlich unpolitische Bürger, die womöglich nicht als „besorgt“, sondern eher als „verwirrt“ zu bezeichnen wären, eine groteske, potenziell aber auch gefährliche Melange bilden, sollte sonnabends zur „Hygiene-Demo“ des selbst ausgerufenen „Demokratischen Widerstand“ am Rosa-Luxemburg-Platz kommen…
Die Polizei wies per Lautsprecherdurchsagen auf die Eindämmungsverordnung hin und darauf, dass die Teilnahme an einer illegalen „Ansammlung“ laut Verordnung eine Straftat sei. Immer wieder zogen die Beamten Teilnehmer heraus – wobei die Auswahl willkürlich erschien. Die Menge („Wir sind das Volk!“) ließ sich kaum einschüchtern – und blieb. Wie viele sich mit dem Corona-Virus infizierten, ist nicht überliefert.' Link
Die taz stößt ins gleiche Horn und sieht gar Verschwörer am Werk:
"Schon seit vier Wochen spielen sich jeden Samstagnachmittag auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und in den Seitenstraßen absurde Szene ab. Menschen stehen nah beieinander, halten Grundgesetze in die Höhe, warnen auf Schildern vor der Coronadiktatur. Zu hören sind „Wir sind das Volk“-Rufe und Durchsagen aus einem Lautsprecherwagen der Polizei: „Ihre Versammlung stellt eine Straftat nach der Eindämmungsverordnung dar.“ Nach einer Weile beginnen PolizistInnen damit einzelne DemonstrantInnen herauszugreifen und abzuführen. Die Menge buht – und fühlt sich bestätigt.
Etwa 500 Menschen sind an den vergangenen beiden Wochenenden jeweils dem Aufruf des Vereins Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand gefolgt, gegen die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie und damit einhergehenden Grundrechtseinschränkungen zu demonstrieren. Doch den meisten TeilnehmerInnen und den OrganisatorInnen der sogenannten Hygienedemos geht es um mehr: Sie zweifeln die Grundlage für die Maßnahmen an, also die Gefährlichkeit des Virus." Link
Da die taz seit Anbeginn die Maßnahmen der Bundesregierung propagiert, kann Zweifel an ihnen für die Zeitung nur bedeuten: Hier wird die Gefährlichkeit des Virus geleugnet. Auch dieses Blatt informiert:
"Ein linkes Bündnis von @berlin_vvn_bda bis @astatu stelt sich gegen die Verschwörer #nichtohneuns"
Nun sind aus Verschwörungstheoretikern bereits Verschwörer geworden. Flüchtigkeitsfehler?
Im übrigen findet sich auf den hier genannten Twitter-Accounts alles Mögliche, nur kein Hinweis auf ein linkes Bündnis gegen die Demo.