Die autoritäre Versuchung

In der Blase von Bundes- und Landesregierungen ent­ste­hen immer neue Lockdown-Phantasien. Während die mei­sten Medien ange­sichts sin­ken­der "Fallzahlen" und weni­ger bela­ste­ter Intensivstationen die Berichterstattung zum "Infektionsgeschehen" über­wie­gend ein­stel­len, wächst dort aber auch der Unmut über die aktio­ni­sti­sche und immer weni­ger begründ­ba­re Politik. Auf welt​.de schreibt der Historiker René Schlott unter obi­ger Überschrift heute:

»Kaum tra­ten die Beschlüsse der letz­ten Bund-Länder-Runde in Kraft, wuss­ten die ersten Ministerpräsidenten schon, dass der Lockdown ver­län­gert und „ver­tieft“ wer­den müs­se. Glauben die Herren schon nicht mehr an ihre eige­nen Maßnahmen? Oder war­um war­ten sie deren Wirksamkeit nicht ein­mal ab, bevor deren Verschärfung und Fortsetzung ange­kün­digt wird?

Denn noch ken­nen wir die Zahlen nicht, auf deren Grundlage Ende Januar die vom Grundgesetz nicht vor­ge­se­he­ne Runde von Kanzlerin und Länderchefs erneut berät und ein vor­ab bereits in der Öffentlichkeit lan­cier­tes Papier ver­ab­schie­det – sehr wahr­schein­lich wie­der ohne Beteiligung der Parlamente, die besten­falls im Nachhinein noch dazu ange­hört werden.

Die Anzahl der Covid 19-Patienten auf den Intensivstationen sinkt, der R‑Wert liegt unter 1, die pro­phe­zei­te „Weihnachtskatastrophe“ bleibt aus, aber der SPD-Chefapokalyptiker for­dert bereits einen „Lockdown ohne Ende“, sekun­diert von ein­zel­nen Medienvertretern, die vom hei­mi­schen Rechner im Homeoffice aus den Stopp der Industrieproduktion in Deutschland vor­schla­gen, um das Infektionsgeschehen ein­zu­däm­men. Unterdessen wird Hunderttausenden von Menschen, die ger­ne arbei­ten wür­den, bei Strafe ver­bo­ten, für ihren eige­nen Lebensunterhalt zu sor­gen und Steuern zu zahlen.

Von der Polizei liest man, dass sie damit beschäf­tigt ist, Menschen, die an der fri­schen Luft und bei Wintersonne ihr Immunsystem stär­ken möch­ten, im Namen der „Volksgesundheit“ eben davon abzu­hal­ten. Natürlich auch unter Verhängung von Bußgeldern, die in eilig zusam­men­ge­schrie­be­nen Verordnungen beschlos­sen wur­den, um Touristen vom Besuch eines Tourismusgebietes im Harz, im Sauerland oder im Bayerischen Wald abzuschrecken…

Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr das Gebot der Stunde

Wenn die­ses Vorgehen dann noch auf eine Zustimmung bei einer Mehrheit in der Bevölkerung stößt, und man den weni­gen Kritikern ein­fach das Label „Ouerdenker“ oder „Rechter“ anhängt, um sich mit deren Argumenten nicht aus­ein­an­der­set­zen zu müs­sen, liegt es nicht fern, mit dem säch­si­schen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer auf „ganz kla­re, auto­ri­tä­re Maßnahmen des Staates“ zu setzen…

Der Satz, der für Kretschmer kei­ner­lei Konsequenzen hat­te, zeigt, es geht eine Versuchung im Land um: die auto­ri­tä­re Versuchung. Es wird durch­re­giert. Im Namen des Guten. Fehler ein­zu­ge­ste­hen, etwas das Scheitern der mit Pomp und Exportweltmeister-Stolz ein­ge­führ­ten Corona-Warn-App, Fehlanzeige…

Ob es um das Rollenbild der Frau, den star­ken Staat, das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit, den Rückzug in die gute Stube oder die staats­tra­gen­de Rolle vie­ler Medien geht, über­all heißt es der­zeit: zurück in die Bundesrepublik der 1950er-Jahre.

Nach Jahren, ja mehr als einem Jahrzehnt, des poli­ti­schen Primats der Alternativlosigkeit ist die­se Entwicklung nicht über­ra­schend. Der Historiker Andreas Rödder (selbst CDU-Mitglied und zuge­ge­ben schon lan­ge Merkel-Kritiker) atte­stier­te der Kanzlerin am Wochenende in einem Berliner Lokalblatt kurz und knapp: „Sie ist unprä­ten­ti­ös und zugleich autoritär.“…

Dass sich die Physikerin Angela Merkel ger­ne von der Physikerin Viola Priesemann und ande­ren Naturwissenschaftlern bera­ten lässt, liegt nahe, doch sind Menschen weder mathe­ma­ti­sche Modelliermasse oder sta­ti­sti­sche Größen noch aus­schließ­lich poten­zi­el­le Träger unter­schied­li­chen Virenlasten. Auch die Politik soll­te wie­der aner­ken­nen, dass Menschen über den kol­lek­ti­ven Schutz vor Covid-19 hin­aus indi­vi­du­el­le Bedürfnisse haben, dass Menschen in einer offe­nen Gesellschaft auch wider­sprüch­lich, ja sogar unver­nünf­tig han­deln dürfen.

Die Erosion der Demokratie

Einer der bekann­ten und abrup­ten Merkel’schen Kurswechsel wäre drin­gend ange­zeigt, weil die Verheerungen des sozia­len Beziehungsfundaments die­ser Gesellschaft inzwi­schen irrever­si­bel sind. Man muss es so deut­lich sagen: Die Lockdown-Politik hat (selbst)zerstörerische Ausmaße angenommen…

Warum trifft sich die Kanzlerin nicht ein­mal mit ernst zu neh­men­den Kritikern des aktu­el­len Coronakurses, die alle­samt und jen­seits von Parteipolitik eine hohe Reputation genie­ßen, etwa mit Klaus Stöhr, des­sen WHO-Team 2003 das SARS-CoV1-Virus ent­deck­te, oder mit dem Gesundheitsforscher Jürgen Windeler, mit dem Soziologen Wolfgang Streeck, der Schriftstellerin Juli Zeh oder dem Kieler Arzt Stefan Schreiber, der im Dezember in der FAZ vor der „Illusion“ warn­te, „dass allein das Fehlverhalten der Menschen die Infektion treibt.“

Die Politik hat tau­sen­de von Menschen in Dumpfheit und Verzweiflung gestürzt. Nur weil sie nicht oder nur par­ti­ell im Fokus der Berichterstattung ste­hen, ver­schwin­den die von den Maßnahmen aus­ge­lö­sten, mög­li­cher­wei­se nicht beab­sich­tig­ten, aber auch in Kauf genom­me­nen mensch­li­chen Schäden nicht. Als viel gefähr­li­cher aber könn­te sich auf lan­ge Sicht der Entfremdungsprozess erwei­sen, den vie­le über­zeug­te Demokratinnen und Bundesrepublikaner im Verhältnis zu ihrem Staat und sei­nen Organen in den letz­ten Monaten durch­lau­fen und durch­lit­ten haben…«


Zu Schlott sie­he auch Seltenheit im Deutschlandfunk: Kritik der "Maßnahmen-Spirale"

13 Antworten auf „Die autoritäre Versuchung“

  1. Sind die PolitikberaterInnen opti­mal ausgewählt?
    Auszug aus einem kri­ti­schem Priesemann-Porträt, wel­ches hilft, deren Motive bes­ser einzuschätzen:

    „Ich fas­se kurz zusam­men: Priesemann weiß, daß sie wisen­schaft­li­chen Müll pro­du­ziert, der einer Professur im Wege steht. Hat aber poli­ti­sche Ambitionen, weiß aller­dings nicht, wie sie sie durch­set­zen kann. Dann kommt die ZEIT mit einer Homestory zuhil­fe und ver­mit­telt den Kontakt zu Lauterbach, womit sie in die geneig­te Presse gelangt. Und mit die­ser Prominenz kriegt sie auch mit welt­frem­den Modellen genug Mitunterzeichner zusam­men. Es bedarf kei­nes Computermodells, um das Setzen von Narrativen in Politik, Wissenschaft und Medien zu ver­ste­hen. Die ZEIT hat das Zusammenwirken sehr trans­pa­rent beschrieben.
    Bleibt nur die Frage, wie eine der­ar­tig unter­kom­ple­xe Wissenschaftlerin in einem Max Planck-Institut Vorgesetzte wer­den konn­te. Auch die wird geklärt: es war ein alter wei­ßer Mann, der sie förderte:“

    https://​gabrie​le​wolff​.word​press​.com/​2​0​2​0​/​1​0​/​1​9​/​w​a​r​u​m​-​d​i​e​-​p​r​e​s​s​e​-​v​e​r​s​a​g​t​/​c​o​m​m​e​n​t​-​p​a​g​e​-​1​1​/​#​c​o​m​m​e​n​t​-​9​1​039

  2. Warum läuft das aktu­ell alles so wie es läuft? Die Antwort ist doch recht sim­pel: Weil – wenn man den Umfrageergebnissen eini­ger­ma­ßen glau­ben darf – die Mehrheit des Volkes es so rich­tig fin­det! Das die­se Mehrheit genau wie die Politik durch die Medien mas­siv beein­flusst wird, ist eine ande­re Sache. Aber: Wenn in einer Demokratie eine Diktatur gewählt wird, ist das solan­ge noch eine Demokratie, solan­ge sie nicht als Diktatur erkannt und vom Volk tole­riert wird.
    Und war­um soll­te sich die Kanzlerin die Mühe machen, sich mit kon­tro­ver­sen Meinungen aus­ein­an­der zu set­zen, wenn die Umfragewerte ihre Linie bestä­ti­gen? Der radi­kal­ste und im Verhältnis zu den "Zahlen" mit erfolg­lo­se­ste "Pandemiebekämpfer" wird sogar mehr­heit­lich als ihr Nachfolger gewünscht.
    In mei­ner Jugend hieß es immer "geh doch rüber, wenn's dir hier nicht passt". Momentan kann man lei­der nir­gends hingehen…

    1. @Rasso
      das Schrecklichste ist, dass das new-normal-"geh doch rüber"-Äquivalent in einer Kombination aus "will­ste-etwa-Bergamo???!!!" und "will­ste-uns-alle-mit-dei­ner-Verantwortungslosigkeit-umbrin­gen?!" auf­tritt und haupt­säch­lich aus der jün­ge­ren Generation kommt. Ein Rätsel.

      1. @Kassandro
        Eigentlich ist es gut, wenn das von den Jüngeren kommt. Die beschwe­ren sich dann auch nicht, wenn sie die Folgen und die Kosten des gan­zen Wahnsinns tra­gen müssen.
        Gute Propaganda ist halt auch vorausschauend…

    2. Es gibt eine Bedrohung, das Volk for­dert Konsequenzen, und der Polizeistaat nimmt sei­nen Lauf. Auch Hitler war ange­tre­ten, Deutschland zu schüt­zen (Link unten). Ich weiß, wir haben ande­re Zeiten, aber der Vergleich muss erlaubt sein. Jede Woche zählt jetzt, um die Not nicht noch grö­ßer zu machen und Recht wie­der ein­zu­set­zen, da es die behaup­te­te Notlage nicht gibt. 

      Sie auch:
      https://​www​.you​tube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​J​H​E​3​O​e​r​D​KEY

    1. Das Lied hat­te ich auch "ver­ges­sen", aber ich weiß noch, wie es mir damals kalt den Rücken run­ter­lief, als ich es das erste Mal hörte…Land der Henker. Nie wieder!

  3. Warum trifft sich die Kanzlerin nicht ein­mal mit ernst zu neh­men­den Kritikern des aktu­el­len Coronakurses, die alle­samt und jen­seits von Parteipolitik eine hohe Reputation genie­ßen, etwa mit Klaus Stöhr, […] Jürgen Windeler, […] Wolfgang Streeck, […] Juli Zeh oder […]Stefan Schreiber?

    Das sind aber nur halb­ga­re Kritiker, bzw. umge­fal­le­ne oder sol­che, denen nicht wirk­lich zu trau­en ist.
    Wirkliche (und not­wen­di­ge!) Konfrontation bzw. Diskussion sähe anders aus und bräuch­te ande­re Kritiker!

  4. Der Politik (Bund-Länder-Runde/MPK) sind doch die gewür­fel­ten RKI-Zahlen und irgend­wel­che kri­ti­schen Stimmen voll­kom­men egal. Die zie­hen knall­hart die Lockdown-Politik durch, koste was es wol­le, auch Leben und Existenzen. Aus der Nummer kom­men sie ja auch nicht mehr her­aus. Die Medien spie­len mit, schü­ren wei­ter Angst und Panik und stem­peln kri­ti­sche Stimmen sofort als "Leugner" und "Rechte" ab.
    Wenn die Gesellschaft und die Wirtschaft ein­mal in Schutt und Asche lie­gen, kann man sich eigent­lich die Wahlen auch spa­ren, weil das dann kei­ner mehr auf die Beine bringt.

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