"Die Doktorarbeit ist nie publiziert worden, daher ist das gefundene Exemplar eine echte Rarität"

Auf rhoen​ka​nal​.de wird am 21.8.24 über eine als ver­schol­len gel­ten­de Dissertation berich­tet, die 1909 ver­faßt wur­de und unlängst im Nachlaß des Verfassers gefun­den wur­de. Der Ausschnitt aus dem Titelblatt legt aller­dings nahe, daß das Werk, anders als das nur fast zwei Jahrzehnte ver­schol­le­ne von Christian Drosten, durch­aus gedruckt wurde:

insued​thue​rin​gen​.de spricht am 22.8.24 wohl zutref­fen­der von einem "weit­ge­hend unbe­kann­ten Exemplar".

Interessant ist ein Vergleich der Einträge der bei­den Arbeiten im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek. Die Daten zur Arbeit von Simoneit wir­ken nachvollziehbar:

Erschienen 1909, zugleich als Dissertation gewer­tet, seit 1922 im Bestand der DNB. Ob es damals eine Verpflichtung zur Einreichung der Arbeit bei der DNB gab, habe ich nicht recher­chiert. Es gab sie aller­dings zu der Zeit, als Drosten eine Dissertation ver­faßt haben soll (s. hier und hier). Hier lau­tet der Eintrag:

Hier gibt es gleich drei Daten. Die Schrift sei 2001 erschie­nen, 2003 sei sie zur Dissertation geron­nen, erst ab 2020 war sie in den bei­den Standorten der DNB ver­füg­bar. Über die recht merk­wür­di­ge Änderungshistorie die­ser Angaben wird aus­führ­lich berich­tet in Manipuliert die Nationalbibliothek Eintrag zu Drosten-Dissertation? Dort war u.a. auf­ge­fal­len, daß der Scan, wel­cher 2020 der DNB vor­ge­legt wur­de, ein modern wir­ken­des Titelblatt auf­wies, des­sen Aufmachung und Schriftarten mit dem fol­gen­den Inhaltsverzeichnis in einem ver­blüf­fen­den Kontrast steht:

Es hat den Anschein, als sei eine soli­de Laborveröffentlichung Drostens nach­träg­lich zu einer Dissertation erklärt wor­den. Die Goethe-Universität hat­te, nach­dem von coro­dok und Markus Kühbacher umfang­rei­che Recherchen fast 20 Jahre nicht auf­find­ba­ren Werk unter­nom­men hat­ten, am 15.10.20 erklärt:

»Seit Ende Juni 2020 wer­den ins­be­son­de­re im Internet gezielt Falschbehauptungen gestreut, die Ende 2001 fer­tig­ge­stell­te und am 6. Februar 2002 am Fachbereich Medizin der Goethe-Universität ein­ge­reich­te Dissertation „Etablierung von Hochdurchsatz-PCR-Testsystemen für HIV‑1 und HBV zur Blutspendertestung“ von Prof. Dr. Drosten wäre nicht auf­find­bar, bzw. die­se sei vor 2020 nicht zugäng­lich gewe­sen und dem­entspre­chend nicht ord­nungs­ge­mäß ver­öf­fent­licht worden…

Die Einreichung von „Pflichtexemplaren“ beim Fachbereich Medizin war als Verfahrensbestandteil erfor­der­lich, um über­haupt die Promotionsurkunde aus­ge­hän­digt zu bekommen.

Zusätzliche Exemplare der Originaldissertation von Prof. Drosten sind des­halb seit 2020 in der Frankfurter Universitätsbibliothek sowie in Kopien in der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) ver­füg­bar, da es im Verlauf des Jahres 2020 auf­grund der stark gestie­ge­nen Prominenz von Herrn Drosten in der Universitätsbibliothek ver­mehrt zu Anfragen nach sei­ner Dissertation kam…

Zur Klarstellung: Nach der damals gel­ten­den Promotionsordnung war kei­ne Abgabe von Pflichtexemplaren an die Universitätsbibliothek sowie die DNB erfor­der­lich

Die Arbeit basiert auf drei zuvor (2000 sowie 2001) in Fachmagazinen ver­öf­fent­lich­ten Zeitschriftenartikeln, in denen Herr Drosten zwei­mal Erstautor ist und ein­mal in mitt­le­rer Position

Nach Abschluss der münd­li­chen Prüfung (22. März 2003) gab Herr Drosten am 30. Juni 2003 sei­ne Pflichtexemplare im Fachbereich Medizin ab und kam damit auch sei­ner Veröffentlichungspflicht nach. Am 4. September 2003 hat der Fachbereichsrat Medizin in sei­ner tur­nus­mä­ßi­gen Sitzung Herrn Drosten die Bewertung sei­ner Promotion mit “aus­ge­zeich­net“ (sum­ma cum lau­de) zuer­kannt und Herrn Drosten wur­de die Verleihungsurkunde aus­ge­stellt. Seitdem ist er berech­tigt, den Titel Dr. med. zu füh­ren«
aktu​el​les​.uni​-frank​furt​.de (15.10.20, ergänzt am 6.3.23)

Zu den zahl­lo­sen Widersprüchen und Absonderlichkeiten wie einem erfun­de­nen Wasserschaden, einer omi­nö­sen "Ehrenwörtlichen Erklärung", dem fal­schen Begriff "Inaugural-Dissertation" oder dem Umstand, daß alle drei genann­ten Aufsätze Drostens mit sei­nen Prüfern ver­faßt wur­den, sie­he hier und all­ge­mein hier. Daß Drosten mehr­fach bereits vor jenem 4.9.2003 als Dr. fir­mier­te, wird als Schmankerl am Rande hier the­ma­ti­siert. Drosten selbst und ver­schie­de­ne Medien haben ganz unter­schied­li­che Daten und Titel sei­ner angeb­li­chen Doktorarbeit im Umlauf gebracht, s. hier.

Heerscharen von "Faktencheckern" wur­den auf­ge­bo­ten, um die frap­pie­ren­den Unregelmäßigkeiten als Verschwörung auf­zu­decken. Neben dpa (s. hier) waren ganz vor­ne die Profis von cor­rec­tiv und Volkspetzern dabei:

Dank an Herrn Kühbacher für die­ses Fundstück!

(Hervorhebungen in blau nicht in den Originalen.)

6 Antworten auf „"Die Doktorarbeit ist nie publiziert worden, daher ist das gefundene Exemplar eine echte Rarität"“

  1. Wäre alles ord­nungs­ge­mäß abge­lau­fen, bräuch­te es die Faktenchecker nicht. Dr. Osten wür­de sei­ne famo­se Dissertation ein­fach ins Internet stel­len oder man könn­te sie irgend­wo bestel­len bzw. ausleihen.

  2. Ein Schurkenstück bereits zu Beginn einer gro­ßen Karriere? Da hel­fen auch kei­ne zig Preisverleihungen. Der Makel bleibt kle­ben, und zwar lebens­läng­lich. Solcherart Figuren haben nicht nur das Leben vie­ler Menschen bru­tal ver­wirkt, son­dern auch ihr eige­nes. Dank an Artur Aschmoneit, dass Sie immer wie­der an die­se arm­se­li­ge Geschichte rühren!

  3. Seit 20 Jahren wer­den Doktoranden ermun­tert, ihre Dissertation digi­tal zu publi­zie­ren. Das funk­tio­niert so: Wenn man ana­log ver­öf­fent­li­chen will, dann muss man 20 Exemplare oder so bei der Uni-Bibliothek ablie­fern und wenn man digi­tal ver­öf­fent­licht, braucht man nur 5 auf Papier abzu­ge­ben. Da die Arbeiten heu­te sowie­so fast immer auf dem Computer druck­reif ver­fasst wer­den, muss man schon mit dem Klammerbeutel gepu­dert sein, wenn man nicht digi­tal ver­öf­fent­licht. Und digi­tal ver­öf­fent­lich­te Dissertationen bekom­men eine ewi­ge Internet-Adresse, eine URN, sodass sie auch stets abruf­bar blei­ben. Von über­all, ohne Wartezeit und Zusatzkosten. Und weil Zitate die Währung der Uni-Wissenschaftler sind (Impact!), wol­len es Wissenschaftler ihren Kollegen eigent­lich beson­ders ein­fach machen, die Arbeiten auch lesen zu können.
    Wer also wei­ter­hin die rein ana­lo­ge Veröffentlichung wählt, macht sich schon sehr ver­däch­tig, es den Lesern schwer machen zu wollen.

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