"Dies ist eine Masken-Demo"

Während in ganz Europa Massendemonstrationen ohne jeg­li­chen "Hygiene"-Klimbim statt­fin­den, muß­te der rot-rot-grü­ne Senat in Berlin heu­te noch ein­mal ver­meint­li­che Stärke zei­gen. Dabei waren die Durchsagen sei­ner Polizei an die meh­re­ren hun­dert DemonstrantInnen gera­de­zu lächerlich.

"Dies ist eine Masken-Demo", hieß es, "Vor allem die Demonstranten in den ersten Reihen müs­sen MNS tra­gen", um leicht ver­peilt nach­zu­set­zen: "Die ande­ren aber auch". Kaum jemand scher­te sich um die wie­der­hol­ten Drohungen, anson­sten die Demo zu beenden.

Ausgerechnet am Walter-Benjamin-Platz mach­te man dann nach einer hal­ben Stunde Ernst und stopp­te den Zug. (Walter Benjamin war ein Philosoph im Umfeld der Frankfurter Schule, der als Jude von den Nazis ins Exil getrie­ben wur­de.) Es gab eini­ge Diskussionen unter den TeilnehmerInnen, ob man aus tak­ti­schen Gründen sich die Masken auf­set­zen oder prin­zi­pi­en­fest blei­ben soll­te. Die mei­sten ent­schie­den sich für die erste Variante, und die Demo konn­te weiterziehen.

Als ich anschlie­ßend durch den Flohmarkt in unse­rem Kiez streif­te, hat­te so gut wie nie­mand einen Lappen im Gesicht.

Reitschuster kann mit sei­nen Livestreams natür­lich nicht über­all sein. Hier hät­te er zahl­rei­che rote Fahnen und lin­ke Transparente fil­men können.

12 Antworten auf „"Dies ist eine Masken-Demo"“

  1. Die Verwendung des Begriffs "Coronaleugner" oder in den Mainstream-Medien erin­nert an die Verwendung des Begriffs "Heiden" durch Andreas Pum in Joseph Roths Erzählung "Die Rebellion":

    "Nur Andreas Pum war mit dem Lauf der Dinge zufrie­den. Er hat­te ein Bein ver­lo­ren und eine Auszeichnung bekom­men. Viele besa­ßen kei­ne Auszeichnung, obwohl sie mehr als nur ein Bein ver­lo­ren hat­ten. Sie waren arm- und bein­los. Oder sie muß­ten immer im Bett lie­gen, weil ihr Rückenmark kaputt war. Andreas Pum freu­te sich, wenn er die ande­ren lei­den sah.
    Er glaub­te an einen gerech­ten Gott. Dieser ver­teil­te Rückenmarkschüsse, Amputationen, aber auch Auszeichnungen nach Verdienst. Bedachte man es recht, so war der Verlust eines Beines nicht sehr schlimm und das Glück, eine Auszeichnung erhal­ten zu haben, ein gro­ßes. Ein Invalider durf­te auf die Achtung der Welt rech­nen. Ein aus­ge­zeich­ne­ter Invalider auf die der Regierung.
    Die Regierung ist etwas, das über den Menschen liegt, wie der Himmel über der Erde. Was von ihr kommt, kann gut oder böse sein, aber immer ist es groß und über­mäch­tig, uner­forscht und uner­forsch­bar, wenn auch manch­mal für gewöhn­li­che Menschen verständlich.
    Es gibt Kameraden, die auf die Regierung schimp­fen. Ihrer Meinung nach geschieht ihnen immer Unrecht. Als ob der Krieg nicht eine Notwendigkeit wäre! Als ob sei­ne Folgen nicht selbst­ver­ständ­lich Schmerzen, Amputationen, Hunger und Not sein müß­ten! Was woll­ten sie? Sie hat­ten kei­nen Gott, kei­nen Kaiser, kein Vaterland. Sie waren wohl Heiden. »Heiden« ist der beste Ausdruck für Leute, die sich gegen alles weh­ren, was von der Regierung kommt.
    Es war ein war­mer Sonntag im April, Andreas Pum saß auf einer der roh­ge­zim­mer­ten wei­ßen Holzbänke, die mit­ten im Rasen vor den Baracken des Spitals auf­ge­stellt waren. Fast auf jeder Bank saßen zwei und drei Rekonvaleszente zusam­men und spra­chen. Nur Andreas saß allein und freu­te sich über die Bezeichnung, die er für sei­ne Kameraden gefun­den hatte.
    Sie waren Heiden, wie zum Beispiel Leute, die wegen fal­scher Eide und wegen Diebstahls, Totschlags, Mordes oder gar Raubmordes im Zuchthaus saßen. Warum stah­len die Leute, töte­ten, raub­ten, deser­tier­ten sie? Weil sie Heiden waren.
    Wenn jemand in die­sem Augenblick Andreas gefragt hät­te, was die Heiden sind, so hät­te er geant­wor­tet: zum Beispiel Menschen, die im Gefängnis sit­zen, oder auch jene, die man zufäl­lig noch nicht erwischt hat. Andreas Pum war sehr froh, daß ihm die »Heiden« ein­ge­fal­len waren. Das Wort genüg­te ihm, es befrie­dig­te sei­ne krei­sen­den Fragen und gab Antwort auf vie­le Rätsel. Es ent­hob ihn der Verpflichtung, wei­ter nach­den­ken und sich mit der Erforschung der ande­ren abquä­len zu müs­sen. Andreas freu­te sich über das Wort. Zugleich ver­lieh es ihm das Gefühl der Überlegenheit über die Kameraden, die auf den Bänken saßen und schwatz­ten. Sie hat­ten zum Teil schwe­re­re Wunden und kei­ne Auszeichnungen. Geschah ihnen nicht recht? Weshalb schimpf­ten sie? Warum waren sie unzu­frie­den? Fürchteten sie um ihre Zukunft? Wenn sie wei­ter in ihrem Trotz ver­harr­ten, dann hat­ten sie wohl recht, um ihre Zukunft bang zu sein. Sie schau­fel­ten sich ja selbst ihre Gräber! Wie soll­te sich die Regierung ihrer Feinde anneh­men? Ihn, Andreas Pum dage­gen, wird sie schon versorgen."
    (Entschuldigung, das passt nicht so recht hier, aber ich weiß nicht, wie man was schicken kann, was sich nicht direkt auf einen Beitrag bezieht.)

  2. Der Herr Reitschuster hät­te die Demo sicher gou­tiert. Ich auch. 

    But let's say: SchwarzRotGold-Fahnen sind der roten Fahne der­je­ni­gen, die das "Narrativ" vom bösen Kapitalismus vor sich her­be­ten (und dabei geflis­sent­lich über­ge­hen, dass es nicht der böse Kapitalismus war, der zum Beispiel Länder Afrikas rui­nier­te, son­dern die Sowjetideologie in der Nachfolge, ja, guter Kolonialzeiten) und den Sowjetstaat, wie er pan­de­misch vor unser Augen qua­si wie­der­ersteht, bei wei­tem über­le­gen. Es lebe die deut­sche Demokratie, es lebe Deutschland! (inmit­ten der ande­ren Demokratien, das muss man für Sowjetideologen noch dazusagen)

    1. @sv: Ihnen ist bestimmt das Gedicht "Kinderhymne" des Sowjetideologen Bertolt Brecht bekannt:

      1. Anmut spa­ret nicht noch Mühe
      Leidenschaft nicht noch Verstand
      Daß ein gutes Deutschland blühe
      Wie ein and­res gutes Land.

      2. Daß die Völker nicht erbleichen
      Wie vor einer Räuberin
      Sondern ihre Hände reichen
      Uns wie andern Völkern hin.

      3. Und nicht über und nicht unter
      Andern Völkern woll'n wir sein
      Von der See bis zu den Alpen
      Von der Oder bis zum Rhein.

      4. Und weil wir dies Land verbessern
      Lieben und beschir­men wir's
      Und das Liebste mag's uns scheinen
      So wie andern Völkern ihrs.

      Wäre nach der "Wiedervereinigung" aka "Anschluß" eine gute Alternative zum zu Recht ver­stüm­mel­ten Text der aktu­el­len Nationalhymne gewesen.

    2. @sv, die Sowjetunion und nicht der Kapitalismus hat Afrika ruiniert?

      Ich wuss­te gar nicht, das Afrika je sozia­li­stisch war, wuss­te auch nicht das die Sowjetunion in Afrika regier­te und für Hunger sorg­te. Selbst in irgend einer Nachfolge nicht.

      Man lernt nie aus.…ähm…

      Schwarz, rot, gol­de­nen Fahnen sind der Roten Fahne weit über­le­gen? ("Wir haben viel mehr Fahne dabei, als ihr!")
      Nun, die schwarz, rot, gol­de­nen Fahnen stam­men aus der Demokratiebewegung, aus einer Linken Bewegung zu Zeiten Napoleons.

  3. Und wie­der eine abge­schlos­se­ne Demo.
    Man kommt sich wie­der jung vor. Wenn der Beamte hin­schaut, schnell den Tarn-Lappen weit genug hoch­ge­zo­gen und sobald er wie­der weg ist, gehts nor­mal weiter. 🙂

    Qualtätsfictionscheggig lie­ße sich die Demo auch so ignorieren:
    Siebentagesinzidierte 2,4176 Menschen leg­ten ganz Berlin lahm.
    Die scharf­kan­ti­gen Seifenblasen eini­ger Eltern und ihrer Kinder, mit der Brise davon­ge­tra­gen, waren eine furcht­ba­re Bedrohung. Das Kichern und Lachen dabei unter­grub aufs rech­te­ste die Autorität des Lappens.
    Der nicht enden wol­len­de, sor­gen­vol­le Kommunikationsdrang und die durch­dach­ten Argumente lie­fer­ten den end­gül­ti­gen Beweis für die aggres­si­ven Spaltungsversuche.

  4. Lieber Artur Aschmoneit,

    schön, Sie vor­hin gese­hen zu haben!
    (Dass unser Freie Linke-Transparent in die 1. Reihe geriet, war übri­gens im wahr­sten Sinne des Wortes eine zufäl­li­ge Fügung – mei­ne Mitträger und ich jeden­falls waren auf die­ser Position noch auf kei­ner Demo, doch wir haben es als Aufgabe und Ehre begriffen.)

    Das Kiez-Flohmarkt-Treiben habe ich vor mei­nem Aufbruch zur Demo auch mit gro­ßem Wohlgefallen vom Fenster aus betrach­tet: Tatsächlich sah ich eben­falls kaum Masken in all dem Trubel.

    Einen herz­li­chen Gruß (auch an Bea und Mann!)
    Corinna Laude

    PS @ alle CorodokianerInnen: Herr Aschmoneit hat auf der Demo stand­haft kei­ne Maske getra­gen, soweit ich sah (wäh­rend ich das Transparent der Freien Linken mit Maske trug und mei­ne bei­den Mitstreiter eben­falls – wir woll­ten, dass unser Protest gese­hen und nicht von der Polizei ver­hin­dert wird; aber das Thema ist ein schwie­ri­ger Balance-Akt mit garan­tier­tem Bauchschmerz-Faktor).

  5. Ich war heu­te bei der C‑Demo in Hamburg. Obwohl wir nur ein recht über­schau­ba­rer Haufen waren, haben wir den Verkehr in einem der teu­er­sten Viertel recht gut lahm­ge­legt mit unse­rem gemüt­li­chen Spaziergang.
    Wir waren mas­ken­los und die uns beglei­ten­den Polizisten auch; bis sie gegen Ende die Order beka­men, ihre Masken auf­zu­zie­hen. Da muss­ten sie ganz schön schwit­zen… (vol­le Montur, Helm und Schlagstock am Gürtel und auf dem Rücken ein Fässchen mit Tränengas…).
    Highlight der Demo: die mit­lau­fen­de Antifa bepö­bel­te uns ‑bevor sie sich vom Acker mach­te – laut­stark, dass rech­te Meinung kein Forum braucht. Wir applau­dier­ten und ant­wor­te­ten im stimm­ge­wal­ti­gen Chor: „Nazis raus! Nazis raus!“

  6. "Reitschuster kann mit sei­nen Livestreams natür­lich nicht über­all sein. Hier hät­te er zahl­rei­che rote Fahnen und lin­ke Transparente fil­men können.".…dann müss­te die freie Linke eben Reitschuster zur Demo ein­la­den oder vor­her so einen Pressetext an ihn senden.
    Kenfm oder Eingeschenkt TV waren sicher­lich auch nicht dort.
    Ich den­ke mal, das nie­mand, kein Journalist von den alter­na­ti­ven Medien vor Ort war ?

Schreibe einen Kommentar zu Anne Helga Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert