Drosten-Dissertation: Zusammenfassung des Standes

Es soll hier nicht um die fach­li­che Bewertung des­sen gehen, was als Dissertation von Christian Drosten ange­se­hen wird. Thema soll sein, was unter die­ser Dissertation zu ver­ste­hen ist, und vor allem, wann sie ver­öf­fent­licht wurde.

In zwei Lebensläufen Drostens wer­den die Jahre 2000 und 2003 für die Promotion genannt (vgl. Drosten-Dissertation unter Verschluß?). In den Medien wird über­wie­gend das Jahr 2003 verwendet.

Gesicherte Erkenntnis scheint zu sein: Christian Drosten leg­te 2001 an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main eine Dissertation "Aus dem Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie des DRK Hessen" vor. Sie trägt den Titel "Etablierung von Hochdurchsatz-PCR-Testsystemen für HIV‑1 und HBV zur Blutspendertestung". Zu die­sem Zeitpunkt arbei­te­te Drosten bereits am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg. Welche Verbindung er zum DRK Hessen hat­te, wird nicht deutlich.

Seit 2020 in Katalogen

Erst als Reaktion auf Nachfragen aus der Öffentlichkeit wur­de die­se Schrift im Jahr 2020 in den Katalog der Goethe-Universität auf­ge­nom­men. Zunächst gab es ledig­lich ein Exemplar "nur für den Lesesaal", spä­ter ein zwei­tes auch zur Ausleihe. Beide Exemplare gal­ten über Wochen als aus­ge­lie­hen und konn­ten auch nicht vor­ge­merkt werden.

Die Deutsche Nationalbibliothek als Pflichtstelle für Dissertationen ver­fügt seit dem Juli 2020 über Exemplare der Schrift. Diese Umstände mögen Gründe dafür sein, daß bis dahin auch eine Google-Suche nach dem Titel erfolg­los blieb.

Dem "Forschungsbericht 2001/2002 des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg – Hessen gGmbH" ist zu entnehmen:

»Der vor­lie­gen­de Forschungsbericht des DRK-Blutspendedienstes Baden-Württemberg –Hessen umfasst die Kalenderjahre 2001 und 2002. Er ist Teil des wis­sen­schaft­li­chen Berichtswesens.«

Offenbar umfaßt er alle wis­sen­schaft­li­chen Veröffentlichungen die­ser Jahre. Es wer­den 3 Arbeiten unter Mitwirkung von Drosten auf­ge­li­stet, eine aus dem Jahr 2001, zwei für 2002. Auch hier wird die Doktorarbeit nicht erwähnt.

Was schreibt die Promotionsordnung vor?

Die bei der Abfassung der Arbeit gül­ti­ge Promotionsordnung des Fachbereichs Humanmedizin der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt am Main vom 3. April 1997 sah für die Veröffentlichung vor:

»2.3 Vollzug der Promotion
§ 12
Veröffentlichung

(1) Nach erfolg­rei­chem Abschluß des Prüfungsverfahrens hat der/die Doktorand/in unent­gelt­lich abzuliefern:
entweder
a) min­de­stens 30 Exemplare, jeweils in Buch- oder Photodruck zum Zwecke der Verbreitung oder
b) drei Exemplare, wenn die Veröffentlichung in einer Zeitschrift erfolgt ist
oder
c) drei Exemplare, wenn ein gewerb­li­cher Verleger die Verbreitung über den Buchhandel über­nimmt und eine Mindestauflage von 150 Exemplaren nach­ge­wie­sen wird und auf der Rückseite des Titelblatts die Veröffentlichung als Dissertation unter Angabe des Dissertationsorts aus­ge­wie­sen ist
oder
d) drei Exemplare in kopier­fä­hi­ger Maschinenschrift zusam­men mit der Mutterkopie und 30 wei­te­ren Kopien in Form von Mikrofiches.

(2) In den Fällen a) und d) über­trägt der/die Doktorand/in der Hochschule das Recht, wei­te­re Kopien von der Dissertation her­zu­stel­len und zu ver­brei­ten

Das in den ver­schie­de­nen Bibliotheken inzwi­schen vor­lie­gen­de Werk fällt zwei­fel­los unter den Punkt a). Damit wäre es nach Punkt (2) der Goethe-Universität mög­lich gewe­sen, Kopien (online) zu ver­brei­ten. Das aber hat sie mehr­fach unter Verweis auf den Urheberschutz ("Hier müss­ten Sie war­ten bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers bzw. der Urheberin") abge­lehnt (s. Drosten-Diss. erst im Jahr 2130 ver­füg­bar?).

Der Wasserschaden

Auch der Pressesprecher der Goethe-Universität Frankfurt bestä­tig­te am 10.7., daß die vor­lie­gen­de Monographie die Dissertation dar­stellt. Allerdings habe 17 Jahre lang ein Wasserschaden eine Ausleihe verhindert:

»Die Aufnahme in den Katalog der Universitätsbibliothek erfolg­te kürz­lich aus­schließ­lich vor dem Hintergrund der wach­sen­den Prominenz von Herrn Prof. Drosten, die in der Folge zu immer mehr Nachfragen nach der Dissertation von Herrn Drosten aus­lö­ste [so im Original, AA]. Aufgrund eines Wasserschadens in wei­ten Teilen des Universitäts­klinikums vor weni­gen Jahren, von dem auch das Archiv des Promotionsbüros betrof­fen war, konn­te kei­nes der damals von Herrn Drosten im Dekanat ein­ge­reich­ten Pflichtexemplare dafür noch her­an­ge­zo­gen wer­den. Diese waren beschä­digt und für den Leihverkehr nicht mehr geeig­net. Mittlerweile lie­gen Exemplare sei­ner Dissertation in der Universitätsbibliothek für den Fernleihverkehr sowie für das Studium im Lesesaal vor.« (sie­he "Wasserschaden" ver­hin­der­te Zugang zu Drosten-Dissertation).

Damit stellt sich die Frage: Woher stam­men die "mitt­ler­wei­le" vor­han­de­nen Exemplare? Das glei­che gilt für die Titel, die inzwi­schen die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) anbie­tet. Hat Herr Drosten sie freund­li­cher­wei­se zur Verfügung gestellt? Wir ori­gi­nal sind die­se Originale?

Was wurde wann veröffentlicht?

Die Frage ist von erheb­li­cher Bedeutung. Denn die Promotionsordnung bestimmt auch:

»[§ 12]
(4) Der/die Doktorand/in ist ver­pflich­tet, späte­stens ein Jahr nach der Disputation (münd­li­che Prüfung) die Veröffentlichung gemäß Abs. 1 vor­zu­neh­men. Wird die Frist schuld­haft ver­säumt, so erlö­schen alle durch die Prüfung erwor­be­nen Rechte und die Gebühren verfallen.
§ 13
Verleihung des Doktorgrades
(1) Nach Erfüllung der Promotionsleistungen und nach Veröffentlichung der Dissertation gemäß § 12 wird unter dem Datum der Disputation die mit Siegel und den Unterschriften der Dekanin/ des Dekans und des/r Vorsitzenden des Promotionsausschusses ver­se­he­ne Promotions­urkunde ausgehändigt.«

Zweifelsfrei wur­de die Monographie im Jahr 2020 ver­öf­fent­licht. Damit wäre "die Frist schuld­haft ver­säumt" und Herrn Drosten hät­te die Promotions­urkunde nicht aus­ge­hän­digt wer­den dür­fen. Deshalb hat der Pressesprecher der Goethe-Universität in sei­nem Schreiben noch die­se Lesart angeführt:

Herr Drosten habe nachgewiesen,

»… dass die Ergebnisse sei­ner Dissertation in drei Teilaufsätzen publi­ziert wor­den sind… Da die Titel in eng­li­scher Sprache und in englisch­sprachigen Fachorganen publi­ziert wur­den, fal­len sie nicht unter den Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek und sind folg­lich dort auch nicht verzeichnet.«

Über die letz­te Aussage läßt sich strei­ten. Wie steht es aber um den Kern der Behauptung? Es wird der Anschein einer "kumu­la­ti­ven Dissertation" erweckt. Eine sol­che Art der Veröffentlichung war durch­aus in spä­te­ren Jahren mög­lich, aller­dings nicht zum Zeitpunkt der Promotion von Herrn Drosten. § 12 (1) b) der Promotionsordnung sieht die Veröffentlichung der Schrift in einer (!) Zeitschrift vor, nicht in "Teilaufsätzen".

Doch blei­ben wir zunächst bei der Lesart der Goethe-Universität. Die Dissertation sei in drei Teilen in ver­schie­de­nen Zeitschriften vor­ab ver­öf­fent­licht wor­den. Die Publikationen, bei denen Drosten zwei­mal als Erstautor und ein­mal als Mitautor genannt ist, sind hier ver­linkt: Drosten-Diss.: Entlastungsmaterial für Uni Frankfurt?. In der als Dissertation ver­öf­fent­lich­ten Monographie kommt aller­dings kei­ner davon vor.* (Übrigens auch nicht im Online-Katalog der Hochschule zum Zeitpunkt der Erklärung des Pressesprechers.) Weder im Literaturverzeichnis noch in der "Ehrenwörtlichen Erklärung", die in der Promotionsordnung "Schriftliche Erklärung" heißt und fol­gen­de Formulierung vorsieht:

»Ich erklä­re, daß ich … bei der Abfassung der Arbeit kei­ne ande­ren als die in der Dissertation ange­führ­ten Hilfsmittel benutzt habe…

Die vor­lie­gen­de Arbeit wur­de (wird) in fol­gen­dem Publikationsorgan ver­öf­fent­licht: «

Der letz­te Passus fehlt bei Drosten. Auch ande­re Formalia der Erklärung wur­den nicht ein­ge­hal­ten. Die Angabe "Hamburg, im April 2003" irri­tiert bei einer Schrift, die 2001 ein­ge­reicht sein soll. Zu guter Letzt fehlt hier auch die Unterschrift. (s. Drosten-Dissertation aus Leipzig ein Fake?).

Fazit

Es ist nicht erkenn­bar, daß die 1997 von der Kultusministerkonferenz ver­öf­fent­lich­ten "Grundsätze für die Veröffentlichung von Dissertationen" ein­ge­hal­ten wur­den, die vorschreiben:

»Der Doktorand ist ver­pflich­tet, eine wis­sen­schaft­li­che Arbeit (Dissertation) schrift­lich anzu­fer­ti­gen und das Ergebnis in ange­mes­se­ner Weise der wis­sen­schaft­li­chen Öffentlichkeit durch Vervielfältigung und Verbreitung zugäng­lich zu machen.«

Wie das im ein­zel­nen zu gesche­hen hat, wird detail­liert auf­ge­führt. Bei kei­ner der von der Goethe-Universität behaup­te­ten Versionen kann von einer ange­mes­se­nen Veröffentlichung die Rede sein.

Update 23:13 Uhr: Der Pressesprecher der Deutschen Nationalbibliothek bestä­tigt, daß es sich der dort vor­lie­gen­den Dissertation nicht um eine Veröffentlichung in Form von "drei Aufsätzen" han­delt (s. DNB-Sprecher: Drosten-Dissertation kei­ne drei Aufsätze).

Update 17.10. Korrektur: Auf Seite 3 wer­den die Aufsätze erwähnt unter "Auszüge aus der vor­lie­gen­den Arbeit wur­den in fol­gen­den Zeitschriften ver­öf­fent­licht:". Auch das stützt nicht die Lesart der Goethe-Universität.


Zu wei­te­ren Ungereimtheiten sie­he Wer sitzt war­um auf der Doktorarbeit von Christian Drosten?Drosten und die Übersetzungen – Doktorvater profitiert

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

6 Antworten auf „Drosten-Dissertation: Zusammenfassung des Standes“

  1. Treffer, ver­senkt, wür­de ich ger­ne sagen. Doch, lie­ber AA, glaub ich, dass das Netzwerk D noch ein wenig mehr Pulver zum Verschiessen hat, damit auch die­se Argumente im Dampf, na ja, eben ver­damp­fen. Drum, wie steht's um den Inhalt jenes Werkes. Das ja ver­mut­lich druck­jung­fi­schig sein könn­te? "Die Drosten Papers" wäre ein wun­der­schö­ner Aufmacher für ehe­ma­li­ge Nachrichtenmagazine, falls es unwi­der­leg­ba­re Zweifel gäbe.

  2. Da das gesam­te Establishment auf so einen Kaspar (Melchior, Balthasar) wie den Drosten her­ein­fällt, ihn mit Ehrungen zuschmeist, Geld und Würde über­häuft – fehlt nur noch der Adelstitel – wird sich die Frage, ob der hl. Sankt Drosten recht­mä­ßig pro­mo­viert hat, sich in Luft auflösen.

    1. Möglich. Andererseits möge man doch bitt­schön D. wöchent­lich, ach was, täg­lich, mit wei­te­ren mehr oder weni­ger sinn­rei­chen Ehrungen über­schüt­ten. Am Ende des Tages nützt's nix. Und sein Fall wird ein umso tie­fe­rer wer­den. Und unser aller Kater ein umso schmerzhafter.

  3. Und ich blei­be dabei:
    Hr. Drosten hat in dem Paper mit dem Inhaltsverzeichnis
    http://​scans​.hebis​.de/​4​6​/​5​0​/​7​8​/​4​6​5​0​7​8​6​4​_​t​o​c​.​pdf
    nichts wei­ter gemacht, als bekann­te Methoden in bekann­ter Weise anzuwenden.

    Ich bin sehr sicher: der größ­te Teil des Textes ist direkt in der damals bekann­ten ein­schlä­gi­gen Fachliteratur sowie in den Bedienungsanleitungen ent­spre­chen­der Thermocycler ent­hal­ten, bzw. wird in den Anleitungen zu Software wie "Primer Express" oder zu bekann­ten, geschütz­ten Technologien wie "Armored RNA" beschrieben.

    Folgende Techniken wer­den im Inhaltsverzeichnis direkt benannt und sind zum Zeitpunkt der angeb­li­chen Veröffentlichung der Dissertation ein­ge­führ­te Techniken, Verfahren und Methoden:

    - Nukleinsäureamplifikationstechnik (NAT)
    – PCR
    – TMA (Transcription-Mediated Amplification)
    – Cycle Sequenzierung
    – "Armored RNA"

    Es wäre übri­gens inter­es­sant, ob und wo das von Hr. Drosten beschrie­be­ne Verfahren rou­ti­ne­mä­ßig ein­ge­setzt wird. Denn es führt sicher­lich zu einer deut­li­chen Verteuerung von Blut- oder Plasma-Konserven bei einem mini­ma­len Sicherheitsgewinn. Aber da damit ja Geld auf Kosten des DRK bzw. dem all­ge­mei­nen Gesundheitssystems ver­dient wer­den kann (was dann an ande­rer Stelle fehlt), wird das höchst­wahr­schein­lich sogar gemacht.

  4. Also ich fin­de, da soll­te der pla­gi­ats­gut­ach­ter mal end­lich sei­ne Arbeit auf­neh­men und der Sache auf den Grund gehen… oder nicht?

    Was ich aber auch ganz selt­sam fin­de: man sagt, es gab die­sen Wasserschaden. Dabei sei­en Teile der Arbeit unbrauch­bar gewor­den… nur…wo ist der Rest? Hat irgend­je­mand die Originalreste mal irgend­wo gese­hen? Meinem Wissen nach, trock­net Papier ja auch irgend­wann und dann kann man doch noch sehr viel erken­nen? Wo ist das Zeug? Oder hat es die Feuerwehr mit in den Luftentfeuchter gezogen?

    Es wäre doch ein leich­tes für die Uni, die­se Restfetzen zu zei­gen und somit zu bewei­sen, dass halt doch was da war – damals… und ein gro­ßer Teil des Spukes wäre vor­über, die Peinlichkeit und all die Lügen bald vor­bei… Also war­um macht man das nicht? Eigentlich liegt die Antwort auf der Hand

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