Drosten Podcast 60 – Fortsetzung

Corona ver­hilft dazu, Aspekte des eige­nen Ichs zu ent­decken, die in nor­ma­len Zeiten ver­bor­gen schlum­mern. Bei mir ist das mein Masochismus. Diesen mir bis­lang unbe­kann­ten Zug erken­ne ich immer deut­li­cher beim Lesen der Texte der Drosten-Podcasts. Wovor ich mich noch hüten kann, ist die Frauen­feindlichkeit, die mich anfällt, wenn ich Frau Martini als Drosten-Stichwort­geberin und Anhimmlerin erle­be. So wie hier in Podcast 60:

»[Christian Drosten:] Irgendwann muss die Gesellschaft umschal­ten in einen akti­ven Teilnahmemodus. Dazu gehö­ren sol­che Aufmerksam­keitsübungen wie das Führen eines Cluster-Kontakttagebuchs.

Anja Martini
Und damit könn­te dann jeder sei­nen Beitrag auch leisten.«

Für Oma nicht infektiös, für Party schon – Restvirus quasi

»[Christian Drosten:] [Jetzt kom­men Antigentests in den Markt] , die zum Teil sehr gut funk­tio­nie­ren, die aber anders zu hand­ha­ben sind, die in ihrer Aussage mehr eine Beurteilung der momen­ta­nen Infektiosität des Getesteten erlau­ben, weni­ger eine medi­zi­ni­sche Infektionsdiagnostik. Also infi­ziert oder nicht infi­ziert? Fall oder nicht Fall von Covid-19? Das wird damit nicht so leicht mög­lich sein.

Aber es wird mög­lich sein, zu sagen, dass man zum Beispiel den Patienten für heu­te, für den Tag, an dem der Test gemacht wur­de, als nicht infek­ti­ös betrach­ten kann. Und das ist extrem wich­tig. Zum Beispiel stel­len wir uns vor, an der Eingangspforte eines Seniorenpflegeheimes, wo man dann sagen könn­te: "Aha, das sind Angehörige von einem unse­rer Patienten hier in der Residenz. Da soll also jetzt ein Besuch statt­fin­den. Für heu­te betrach­tet kön­nen wir sagen, auf der Basis von einem Antigentest, die­se Angehörigen sind nicht infek­ti­ös, also kön­nen wir den Besuch zulassen."

Das soll aber dann nicht hei­ßen, dass die­se Angehörigen dann sagen: "Ach ja, ich bin ja gete­stet wor­den. Jetzt kann ich auch mal direkt mor­gen eine klei­ne Party ver­an­stal­ten bei uns zu Hause, denn unser Haushalt ist ja virus­frei", so nach dem Motto, das heißt es eben nicht. 

Diese Antigentests müs­sen ein­fach in unse­rem Alltagsverständnis viel­leicht auch mit einem schnel­len Verfallsdatum ver­se­hen wer­den, um uns allen klar­zu­ma­chen, das ist kein Test auf das Vorliegen der Infektion, son­dern eine momen­ta­ne Abschätzung der Infektiosität. 

Aber damit kön­nen wir echt viel machen. Denn die­se Frage nach der momen­ta­nen Abschätzung der Infektiosität wird auch in vie­len Bereichen an die PCR gestellt. Da ist die PCR eigent­lich über­sen­si­tiv, da sagt die PCR, Virus ist vor­han­den, wäh­rend viel­leicht das nur noch so wenig Virus ist, dass die Infektiosität gar nicht mehr besteht.

Anja Martini
Also Restvirus quasi.

Christian Drosten
Richtig, genau.«

Da erklärt der Meister selbst, sein welt­weit ein­ge­setz­ter PCR-Test sagt nichts aus über die Ansteckungsgefahr. Hört ihm eigent­lich irgend­wer zu in Regierungskreisen?

Studie, die ist gemacht worden an Patienten, die dieses Virus hinter sich haben oder es nicht hinter sich haben.

Womöglich ist das ein Fall für LogopädInnen. Drosten spricht in unver­ständ­li­chen Worten über eine Studie, die er viel­leicht gele­sen, aber nur bruch­stück­haft ver­stan­den haben kann. Es geht um eine Forschungs­reihe aus der Universitätsklinik Tübingen, die erge­ben hat­te, daß "bei 81 Prozent der unter­such­ten Spender ohne Kontakt zu SARS-CoV‑2 klei­ne Mengen an T‑Zellen, die Virusbestandteile erken­nen, nach­weis­bar sind." (Siehe T‑Zellen gegen sai­so­na­le Coronaviren erken­nen auch SARS-CoV‑2).

»[Christian Drosten:] Das ist auch eine Studie über T‑Zell-Immunität, und die ist ein biss­chen ermu­ti­gen­der. Und das macht auch gera­de die­se Diskussion in der Immunologie aus. Da gibt es sol­che Befunde und sol­che Befunde. Man kann im Moment noch nicht genau sagen, weil die Forschung nun mal so schnell nicht ist, wie jetzt der Stand der Dinge ist…

Aber wir haben hier noch mal wie­der eine Studie, die sehr hoch­ran­gig und schon begut­ach­tet publi­ziert ist. Was man hier sagen kann, ist, das ist eine Studie, die ist gemacht wor­den an Patienten, die die­ses Virus hin­ter sich haben oder es nicht hin­ter sich haben. Hier kann man sehen, dass die Erkältungs-Coronavirus-Infektionen, die die­se Patienten vor­her hat­ten, anschei­nend schon ein Gedächtnis ver­mit­teln. Also dass es so etwas gibt wie ein prä­exi­stie­ren­des Memory auf der Ebene der CD4-Zellen, also der Gedächtnishelferzellen, kann man sagen.«

Anders als bei sei­nen eige­nen Verkündigungen gibt es die­se sehr hoch­ran­gi­ge Studie, aber eben auch sone und sone. Das Ärzteblatt erklärt rich­tig und ver­ständ­lich, was bei Drosten ver­schwur­belt wird, so:

»Die Forscher ver­gli­chen dafür Blutproben von 180 Personen, die eine SARS-CoV-2-Infek­tion ohne sta­tio­nä­re Behandlung durch­ge­macht hat­ten, mit 185 Blutproben aus der Zeit vor der Pandemie.«

(Man muß die Augenbraue hoch­zie­hen, wenn bei einer Arbeitsgruppe, die von einer Frau gelei­tet wird und die zur Hälfte aus Wissenschaf­tlerinnen besteht, von "Forschern" gespro­chen wird. Aber das ist ein ande­res Thema.)

Experte ist, wer Fremdworte kennt

Bei Drosten kommt nun Phase zwei der Nebelkerzen-Taktik, das einen ver­meint­li­chen Experten dar­stel­len­de Umsichwerfen mit Fachbegriffen. Er erklärt,

»… dass ent­we­der Antikörper ent­sen­det wer­den von den B‑Zellen, von den Plasmazellen, oder dass Effektorzellen, also zyto­to­xi­sche T‑Zellen, CD8-Zellen, ent­ste­hen. Da sind die­se CD4-Zellen, dieT-Helferzellen, an der Schaltstelle, die bil­den ihr eige­nes Gedächtnis aus nach Ablaufen einer Infektion. 

Und man kann hier schon sagen, dass es durch­aus ein nen­nens­wer­tes Signal gibt in den T‑Gedächtniszellen von Leuten, die noch nie Kontakt hat­ten mit dem SARS-CoV‑2 gegen das SARS-CoV‑2. Also die Ähnlichkeit die­ser Coronaviren unter­ein­an­der, das SARSCoV‑2 mit den vier Erkältungs-Coronaviren, die scheint doch in eini­gen Komponenten des Virus groß genug zu sein, um doch fast so etwas wie ein prä­emp­ti­ves T‑Zell-Gedächtnis vorwegzunehmen.«

Prä­emp­tiv heißt laut Duden "einer sich bereits abzeich­nen­den Entwicklung zuvor­kom­mend, vor­sorg­lich, vor­beu­gend"…

Da muss man schon sagen, es kann schon sein

»[Christian Drosten:] Und da kann man das Ganze wirk­lich so auf­drö­seln, dass man sagt, jetzt neh­men wir mal Proteinfragmente gegen die­se Erkältungs-Coronaviren, die auch eine gewis­se Ähnlichkeit haben gegen
das SARS-2-Virus, und sie­he da, dann ist es tat­säch­lich so, dass es davon abhängt, wie groß die Ähnlichkeit von Proteinfragmenten ist. Also wie ähn­lich ist an bestimm­ten Stellen des Genoms das codier­te Protein zwi­schen den Erkältungsviren und SARS‑2. Und da, wo es beson­ders ähn­lich ist, haben die Patienten wie erwar­tet auch beson­ders hohe Kreuzreaktivität…

Anja Martini
Heißt das oder kann man dar­aus auch ablei­ten irgend­wann, dass man sagt: Okay, wenn es vie­le Erkältungen gege­ben hat, dann ist man viel­leicht ein biss­chen resi­sten­ter bezie­hungs­wei­se die Erkrankung ist nicht ganz so schwer. Kann man so weit gehen?

Christian Drosten
Ja. Es gibt inzwi­schen Autoren, die so weit gehen anhand von ande­ren Datensätzen…

Und man muss schon zuge­ben oder ein­ge­ste­hen, ohne dass man das grund­sätz­lich nicht sehen woll­te, und man wünscht sich das ja eigent­lich, aber man muss als Wissenschaftler immer auch kri­tisch mit den Daten umge­hen. Aber da muss man schon sagen, es kann schon sein, dass das so ist, dass eine vor Kurzem statt­ge­fun­de­ne Infektion mit einem Erkältungs-Coronavirus uns jetzt schützt gegen eine Neuinfektion mit SARS‑2.«

Wieder ein typi­scher Drosten (s. Konjunktivitis der Medien- explo­si­ve Studie aus Italien). Er scheint eine Position zu haben, die aber jeder­zeit wider­ru­fen wer­den kann.

Indien im rückblickenden Zeitraum der Auswertung

»Anja Martini
Wenn wir noch mal genau­er hin­gucken auf eine wei­te­re Geschichte, die uns auch immer wie­der inter­es­siert…
Die Übertragungsmuster. Wir haben ganz oft und ganz viel dar­über gespro­chen: Sind Kinder gefähr­lich für die älte­ren Generationen? Ja oder nein? …

Christian Drosten
… Das ist eine Studie, die des­we­gen inter­es­sant ist, weil sie in Indien durch­ge­führt wur­de. Also in einem Land, in dem es nicht so leicht ist, einen Lockdown zu bewerk­stel­li­gen… Es ist des­we­gen ein­fach wahr­schein­lich, dass wir in dem rück­blicken­den Zeitraum der Auswertung, das ist auch dort die erste Welle gewe­sen, dass wir in sol­chen Ländern wie in Indien viel­mehr einen Einblick in das natür­li­che Verbreitungsverhalten die­ses Virus bekom­men, wie in Ländern der nörd­li­chen Hemisphäre, wo über­all eigent­lich ein Lockdown statt­ge­fun­den hat. Und das ist eine inter­es­san­te Studie…

Man hat sehr vie­le Fälle ange­schaut, zumin­dest mal in den Statistiken. 263.000 Primärfälle waren das in Tamil Nadu und in Andhra Pradesh 172.000 Fälle von pri­mär fest­ge­stell­ten SARS-2-Infektionen. Und die hat­ten ins­ge­samt über drei Millionen Kontakte, die auch jeweils in Listen ein­ge­tra­gen wur­den. Das muss man sich mal vor­stel­len. Das ist ein mas­si­ves Meldesystem in die­sen Ländern mit gro­ßem Personaleinsatz. Man hat die Studie jetzt fokus­siert auf 575.000 Kontakte von ins­ge­samt knapp 85.000 Primärfällen, von denen man eine vol­le epi­de­mio­lo­gi­sche Dokumentation und auch Laborergebnisse hat­te. Eine wirk­li­che Meisterleistung der Feld-Epidemiologie, so gro­ße Zahlen zu haben in einem Umfeld wie in Indien.
Das ist ein­fach inter­es­sant, was dabei her­aus­kommt. Man kann zum Beispiel her­vor­he­ben, die Kontakte pro Indexfall, also Indexfall ist immer der Erstinfizierte, im Mittel sind 7,3. Das ist wirk­lich viel, da sieht man mal, wie die Gesellschaft und die Haushalte dort wirk­lich anders struk­tu­riert sind, im Mittel 7,3 Kontakte. Das ist eine ganz ande­re Haushaltsgröße als bei uns…

Was auch inter­es­sant her­vor­zu­he­ben ist, ist, dass gleich­zei­tig knapp über 70 Prozent aller Indexfälle kei­nen posi­tiv gete­ste­ten Kontaktfall in der Umgebung hat­ten. Also, dass bei sol­chen gro­ßen Kontaktnetzwerken trotz­dem bei 70 Prozent kei­ne Infektion nach­weis­bar war in den Kontakten. Das unter­streicht auch noch mal mehr, wie stark wir bei die­ser Erkrankung einen Überdispersionseffekt haben.

Wie stark auch hier in die­ser Situation, in Indien, die­se Erkrankung sich in Clustern, in Superspreading-Events ver­brei­tet, um noch mal zurück­zu­kom­men auch auf den Anfang unse­res Gesprächs heu­te. Das wird auch in Deutschland wei­ter­hin so sein. Diese Krankheit ver­brei­tet sich nun mal in Clustern, das ist auch in Indien so zu sehen.«

Selbst mit dem Drosten-Test ist bei 70 Prozent kein "Fall" zu gene­rie­ren. Die "Superspreading-Events" tau­chen hier ganz unver­mit­telt auf, müs­sen aber ein­fach mal genannt wer­den, denn das (was?) "wird auch in Deutschland wei­ter­hin so sein".

70 Prozent? 11 Prozent? 5 Prozent?

»Anja Martini
Das heißt, was wir aus die­ser indi­schen Studie ler­nen oder sehen kön­nen für uns, ist die Cluster-Geschichte. Wir müs­sen wirk­lich mehr auf die Cluster achten?

Christian Drosten
Das ist sicher­lich eine ganz wich­ti­ge Botschaft dar­aus. Wir sehen bei die­ser sehr inten­si­ven Beobachtung eines viel­leicht eher natür­li­chen Infektionsgeschehens, eines unge­steu­er­ten Infektionsgeschehens, da bekom­men wir die­sen über­wäl­ti­gen­den Eindruck der Verbreitung in Clustern. 

Und da ist auch eine inter­es­san­te inter­ne Kontrolle in den Daten drin. Wir sehen in die­ser Situation die soge­nann­te secon­da­ry Attack-Rate von elf Prozent, also die sekun­dä­re Rate von Neuinfektionen in den Kontakten, also wie vie­le infi­zie­ren sich an einem bestä­tig­ten Indexfall. Das ist der ganz nor­ma­le Wert, den wir bei uns auch beob­ach­ten bei den Hochrisikokontakten. Also die­je­ni­gen, wo man sagen wür­de, 15 Minuten Gesicht-zu-Gesicht-Kontakt. Und wir sehen bei den nied­rig Risikokontakten fünf Prozent. Und das ist alles sehr, sehr ähn­lich wie bei uns. Darum müs­sen wir auch wei­ter­hin erwar­ten, dass wir auch bei uns ein typi­sches Ausbreitungsverhalten in Clustern sehen.
Das ist sicher­lich eine der wich­tig­sten Botschaften aus die­ser Studie. 

Und die ande­re ganz wich­ti­ge Botschaft ist ganz ein­fach so, dass wir sagen kön­nen, die Verbreitung die­ser Erkrankung fin­det vor allem in der­sel­ben Altersgruppe statt. Also wenn man sich anschaut, wer hat hier wen infi­ziert, in einer etwas unbe­ein­fluss­ten Situation, wo die Infektion viel­leicht mehr ihren natür­li­chen Ausbreitungsverlauf zeigt, da ist es eben so, dass die Altersgruppen sich unter­ein­an­der infi­zie­ren, weil sie unter­ein­an­der viel gesell­schaft­li­chen Kontakt haben.«

An dem Punkt brauch­te ich einen Cognac:

»Anja Martini
Was die Cluster qua­si dann erklä­ren. Das heißt, die Kinder sind mit den Kindern unter­wegs, die Erwachsenen mit den Erwachsenen, also mit­tel­alt, wür­de ich mal sagen, und die Älteren in ihren älte­ren ClusterGruppen.

Christian Drosten
Genau, das sind die Kontakte zwi­schen den Haushalten, nicht inner­halb der Haushalte, son­dern in den Gesellschaftsschichten, in den ein­zel­nen Aktivitätsfeldern der Gesellschaft.«

Gibt es Hoffnung? E‑Mail von heute Morgen

»Anja Martini
Eine Hoffnung hat­ten wir eigent­lich ganz zu Anfang mal bespro­chen, näm­lich, dass sich das Virus ein biss­chen ver­än­dert und wir viel­leicht irgend­wann ein Virus bekom­men, was nicht mehr ganz so gefährlich
für uns ist, son­dern viel­leicht ein­fach nur eine hef­ti­ge Erkältung macht, viel­leicht in die Nase hoch­zieht oder so was…

Christian Drosten
Es ist inter­es­sant. Es gibt da immer mal Beobachtungen von Virusveränderungen. Das ist ja klar, das ist ein RNA-Virus und es macht rela­tiv vie­le Fehler in der Genom-Replikation. Ich hat­te da inter­es­san­ter­wei­se heu­te Morgen in der E‑Mail eine Nachfrage von einem ärzt­li­chen Kollegen, der noch mal zurück­kam auf eine Veröffentlichung in "The Lancet". Also das ist jetzt nicht das Paper, das wir jetzt eigent­lich bespre­chen woll­ten, son­dern etwas, das wir in die­sem Podcast schon vor Monaten bespro­chen haben, näm­lich eine Virus-Variante, in der in einem der Gene, und zwar Gen 8, eine Deletion, also eine Lücke ent­stan­den ist von 382 Nukleotiden und dass das jetzt noch mal kli­nisch nach­ver­folgt wur­de. Und her­aus­kommt: viel­leicht ist die­ses Virus wirk­lich abge­schwächt. Das ist auch in sozia­len Medien hier und da ver­brei­tet wor­den, weil das im August erst publi­ziert wur­de. Aber dar­an sieht man schon mal, wie so was in der Öffentlichkeit häu­fig miss­ver­stan­den wird…«

Virus wird ein bisschen virulenter und macht anscheinend wirklich mildere Krankheitsverläufe

»Das kommt bei sol­chen Coronaviren immer mal wie­der vor, dass so ein Virus mal einen klei­nen Unfall in der Replikation hat und dann ein Gen ver­liert, dass das Virus ein biss­chen viru­len­ter macht, also ein biss­chen krank­heits­ver­ur­sa­chen­der. Und die­se Viren kön­nen sich limi­tiert ver­brei­ten in gewis­sen Grenzen. Und die machen anschei­nend wirk­lich mil­de­re Krankheitsverläufe. Nur lei­der jetzt im Rahmen der Pandemie, wo wirk­lich gro­ße Infektionswellen in der Bevölkerung auf­tre­ten, ver­schwin­den die­se Viren auch immer wieder… 

Man darf sol­che wis­sen­schaft­li­chen Veröffentlichungen nicht immer gleich ver­ste­hen, dass sich das Virus abge­schwächt hat und des­we­gen jetzt viel­leicht unse­re Intensivbetten gar nicht mehr voll wer­den, obwohl wir doch so vie­le Fälle haben. Da muss man wirk­lich unter­schei­den zwi­schen einer wis­sen­schaft­li­chen Ausarbeitung von etwas, das in der Vergangenheit pas­siert ist, aber heu­te nicht mehr gilt, und der aktu­el­len Situation.«

Ausbreitung des Virus kann auch in der Replikationsfähigkeit des Virus liegen

»[Christian Drosten:] …Hier geht es um die bekann­te D614G-Mutante. Vielleicht muss ich das auch noch mal wie­der kurz erklä­ren. Wir haben im April oder so erst­ma­lig bespro­chen, dass sich da ein Virus gera­de ganz schnell in der Welt ver­brei­tet, näm­lich ein Virus, das ein Aminosäure­austausch hat an der Position 614 des Oberflächenproteins des Spikeproteins. Und es ist auf­fäl­lig, dass sich die­se Mutation ver­brei­tet hat. Die ist erst mal in Europa auf­ge­fal­len, viel­leicht in Norditalien ent­stan­den, im dor­ti­gen Ausbruch… Das ist die­se D614G-Variante. Und man hat damals schon anhand die­ser Ausbreitung des Virus ver­mu­tet, dass das viel­leicht über­trag­ba­rer ist, weil es eigent­lich über­all plötz­lich dominiert…

Also man weiß nicht genau, was es bedeu­tet, wenn ein bestimm­ter Gen-Maker, also eine bestimm­te Eigenart in einem Gen, sich plötz­lich geo­gra­fisch ver­brei­tet. Das kann Zufall sein. Da kann aber auch ein Grund dahin­ter­stecken, der in der Replikationsfähigkeit des Virus liegt.

Anja Martini
Das bedeu­tet aber immer noch, dass wir ein und das­sel­be Virus haben.

Christian Drosten
Genau. Es könn­te sein, dass das alles gar nichts zu bedeu­ten hat

Es muß am Cognac lie­gen. Auch bei mehr­fa­chem Lesen ver­ste­he ich die nach­fol­gen­de Stelle so, daß man­gels eines SARS-2-Virus ein HIV-Virus als sol­ches ver­klei­det wird und man guckt, was passiert.

»Und was dann gemacht wur­de, und das ist häu­fig so in der Virologie, es wur­den zunächst mal Experimente gemacht mit einem Surrogatsystem. Da hat man gesagt: Okay, das ist das Oberflächen-Glykoprotein von dem SARS-2-Virus. Jetzt ist es rela­tiv schwie­rig, mit die­sem SARS-2-Virus Laborexperimente zu machen. Das SARS-2-Virus also so zu ver­än­dern, wie wir das gleich bespre­chen wer­den. Und dann neh­men wir doch mal ein ande­res Virus, das wir leicht ver­än­dern kön­nen, in die­sem Fall ein Lentivirus, letzt­end­lich ein HIV-Virus, und geben die­sem HIV-Virus das Oberflächenprotein von dem SARS-2-Virus mit und ohne die­se Veränderung und schau­en, was das mit dem Lentivirus macht. Und man hat dann aller­hand Befunde gehabt, die dafür­spra­chen, dass viel­leicht die­ses Virus stär­ker ver­breit­bar ist und gefähr­li­cher ist. Zum Beispiel hat man gese­hen, dass die Zahl von ein­ge­bau­ten Oberflächenproteinen pro Viruspartikel viel grö­ßer wur­de, wenn die­se Mutation drin war.«

Offenbar war die Idee nicht rich­tig gut:

Das SARS-2-Virus selbst im Preprint

»Jetzt ist das aber natür­lich so, die­ses Oberflächenprotein gehört in ein Lentivirus gar nicht rein. Darum ist der Einbau in die­ses Viruspartikel viel­leicht sowie­so erschwert. Und Lentiviren haben per se nur eine gerin­ge Zahl von Oberflächen-Glykoproteinen, selbst im vol­len HIV-Virus, also HIV hat nur sehr, sehr weni­ge Oberflächenproteine pro Viruspartikel, sodass man da immer noch ein gro­ßes Fragezeichen dran­ma­chen muss­te an den Befund. 

Und wir haben jetzt eigent­lich im Bereich der Preprints das erste Mal einen rich­ti­gen expe­ri­men­tel­len Forschungsweg, so wie man ihn machen muss, auf der Basis des SARS-2-Virus selbst, über eine geziel­te Veränderung im Labor im SARS-2-Virus, wo man sagt: Wir haben hier die­ses Virus unter defi­nier­ten Laborbedingungen. Und jetzt geben wir die­sem Virus die­se Mutation, die da ent­stan­den ist, die D614G-Mutation, künst­lich ins Genom, sodass wir zwei Viren ver­glei­chen können.«

Das "SARS-2-Virus selbst"? Nicht ganz, denn woher neh­men, wenn nicht steh­len? In Wirklichkeit geht es um

»… rever­se Genetik für das SARS-Virus, wo man das Virus im Labor hat, in defi­nier­ter Form, und ein­zel­ne Veränderungen gezielt ein­fü­gen kann. Also nicht der natür­li­che Mutationsprozess in der Natur, den man nun mal beob­ach­ten kann, aber eine Mutation ist da nie allei­ne für sich, son­dern da kön­nen wir sagen: Wir haben hier ein Virus, das Wildtyp-Virus des Ausgangsvirus. Und in das Genom die­ses Virus fügen wir nur eine Mutation, die uns inter­es­siert, wo wir wis­sen wol­len, was hat die für einen Effekt. Diese Mutation fügen wir in das Genom ein. Das ist hier jetzt gemacht wor­den mit der D614G-Mutation. Und man hat jetzt zwei Viren, die man ver­glei­chen kann, die abso­lut iden­tisch sind, bis auf die­se Mutation. Und was man dann macht, ist letzt­end­lich ein stu­fen­wei­ses Vorgehen von der rela­tiv ein­fa­chen Zellkultur über Gewebemodelle bis hin zum limi­tier­ten Tierversuch, der so gemacht wird, wie das not­wen­dig und mög­lich ist

Die Krux der doppelten Verneinung

Wir basteln uns also ein "SARS-Virus in defi­nier­ter Form" und nen­nen es "Wildtyp-Virus". Und dann noch eins mit Mutation und machen damit "limi­tier­te Tierversuche".

»Das kann ich kurz zusam­men­fas­sen. Also was gemacht wur­de, ist zunächst, man hat die­se Viren ver­gli­chen in ein­fa­chen Zellkulturen. Da hat man gese­hen, in eini­gen, aber nicht in allen Zellkulturen, repli­ziert das mutier­te Virus bes­ser. Es repli­ziert vor allem schnel­ler. Das ist aber nicht etwas, das man nicht in jeder Zelllinie sieht. Das ist nor­mal, dass die Zellkulturen nicht mit­ein­an­der über­ein­stim­men. Wir spre­chen da von Zelllinieneffekten. Und um die dann aus­zu­glei­chen oder rauszu­bekommen aus dem Experiment, ist man wei­ter­ge­gan­gen und hat
Gewebe infiziert.«

Was kommt dabei raus?

»Und jetzt sieht man was sehr Interessantes, das der epi­de­mio­lo­gi­schen Beobachtung ganz gut ent­spricht. Nämlich das mutier­te Virus, das wächst etwas bes­ser im Gewebe aus der Nase und im Gewebe aus dem Rachen, nicht aber im Gewebe aus der Lunge. Das ist inter­es­sant des­we­gen, weil die Übertragung die­ses Virus ja über den Rachen und die Nase passiert.
Also wenn wir uns die­se SARS-CoV-2-Infektion holen, infi­zie­ren wir uns an dem Virus aus der Nase oder Rachen eines Patienten und nicht aus dem Virus aus der Lunge. Es kommt dann auch bei uns wie­der aus dem Rachen und aus der Nase. Das ist zumin­dest die Annahme, die wir tref­fen, was wir uns den­ken, weil die­ses Virus so hoch über­trag­bar ist…

Die Autoren sind noch wei­ter­ge­gan­gen, sind zum Tierversuch wei­ter­ge­gan­gen, haben das Tiermodell genom­men, das eigent­lich für die Übertragung und die Pathogenese, also die Krankheit, das ein­fach­ste und doch reprä­sen­ta­tiv­ste Modell ist, und das ist der Hamster. Das war schon beim SARS-1-Virus so, und es hat sich auch für das SARS-2-Virus raus­ge­stellt, dass der Hamster eigent­lich krank wird, also eine Lungeninfektion bekommt, nicht nur eine Infektion in den obe­ren Atemwegen, und sogar auch genom­men wer­den kann zur Messung der Übertragbarkeit.«

Es folgt eine Erörterung über Ethik von Tierversuchen, die hier über­sprun­gen wird.

Nur gesunde Hamster werden dicker, komplett ausgewertet

»Sie haben drei Tiergruppen gebil­det, die eine Gruppe wur­de gar nicht infi­ziert, das ist eine Kontrollgruppe. Und dann zwei Gruppen, eine mit dem Ausgangsvirus und eine mit dem mutier­ten Virus. Man sieht, die Tiere in der Kontrollgruppe wer­den immer schwe­rer über den Verlauf des Experiments. Das liegt ein­fach dar­an, die wer­den im Labor gehal­ten und krie­gen so viel zu fres­sen, wie sie wol­len. Und dann wer­den Tiere immer schwe­rer, die fres­sen sich letzt­end­lich dick. Und das ist bei den infi­zier­ten Tieren nicht so gewe­sen. Die hat­ten eher einen klei­nen Gewichtsverlust, und zwar bei bei­den Viren, bei dem Ausgangsvirus und bei dem WildtypVirus. Das kommt ein­fach daher, dass Tiere, die sich krank füh­len, auch weni­ger fres­sen. Der Gewichtsverlust bei dem mutier­ten Virus ist ganz gering­fü­gig grö­ßer gewe­sen, aber so gering­fü­gig, dass man da fast nichts draus machen wür­de. Also ganz wenig nur. Und gegen Ende des Experiments ist es dann so in sol­chen Tierversuchen, dass die Tiere unter Narkose getö­tet wer­den… Das gehört eben auch zum Prinzip sol­cher Tierversuche dazu, dass man die nicht mal eben kurz macht, um mal zu sehen, was pas­siert und wenn nichts pas­siert ist, dann ist eben nichts bei raus­ge­kom­men, son­dern man wer­tet die­se Tiere durch und durch aus. Also man wer­tet alles aus, was man kann.

Anja Martini
Komplett.

Christian Drosten
… Und was man jetzt sieht, wenn man die Lungen anschaut, das Ziel-Organ der Erkrankung, ist: die Lunge – in bei­den Gruppen, also in der Gruppe mit dem WildtypVirus wie auch mit dem mutier­ten Virus – sehen ganz genau gleich aus… Das ist inter­es­sant. Offenbar hat sich die Gruppe mit dem Wildtyp-Virus ganz mini­mal weni­ger krank gefühlt, hat also ein biss­chen mehr gefres­sen. Aber die eigent­li­che Lungenkrankheit ist genau gleich ausgefallen…«

Der über­ra­schen­de Befund lau­tet also, auch wenn sie sich unter­schied­lich krank fühl­ten, haben alle infi­zier­ten Hamster eine Lungenkrankheit abbekommen.

»Jetzt geht man noch einen Schritt wei­ter und macht noch ein wei­te­res Experiment, näm­lich ein Übertragungsexperiment. Hier ist es jetzt so, man nimmt Paare von Tieren und tut sie in benach­bar­te Käfige. Also ein Tier ist infi­ziert, das ande­re Tier ist nicht infi­ziert. Man hat acht sol­che Paare genom­men und hat die in benach­bar­te Käfige gesperrt und geschaut: Wie infi­zie­ren sich eigent­lich die­se Hamster gegen­sei­tig?«

Wir bekom­men die Antwort nicht, sie läßt sich aber den­ken. Was pas­siert nun?

Sehr wichtiger Befund, wenn man so will, für die Menschheit

»… Ab dem fünf­ten Tag der Beobachtung sind alle Kontakttiere infi­ziert. Also die­je­ni­gen Hamster, die in Nachbarkäfigen geses­sen haben, die haben sich alle an dem Indexfall, also an dem ursprüng­lich infi­zier­ten Tier, infi­ziert und sind eben­falls mit dem SARS-2-Virus jetzt posi­tiv zu testen. Es gibt auch einen inter­es­san­ten Unterschied an Tag zwei, also ganz kurz nach dem Beginn des Experiments. An Tag zwei ist es so, dass mit dem Wildtyp-Virus sich noch kei­ner der Kontakthamster infi­ziert hat, also null von acht Kontakttieren haben sich am zwei­ten Tag infi­ziert, aber fünf von acht Kontakttieren mit der Virusmutante haben sich infi­ziert. Das heißt, anschei­nend ist die Übertragbarkeit mit die­sem mutier­ten Virus zwar nicht höher im Endeffekt, aber frü­her. Das Virus ist frü­her über­trag­bar, das repli­ziert wahr­schein­lich schnel­ler hoch in den obe­ren Atemwegen. Das ent­spricht tat­säch­lich die­ser epi­de­mio­lo­gi­schen Beobachtung, dass die­ses Virus sich schnell ver­brei­tet hat. Also jetzt, nach­dem die­se Studie durch­ge­führt wur­de, kön­nen wir tat­säch­lich erst­ma­lig auf wis­sen­schaft­li­cher Basis sagen, dass die D614G-Mutante eine stär­ke­re Verbreitungsfähigkeit hat. 

Anja Martini
Das heißt, das ist das ein­zi­ge Virus, was im Moment qua­si unter­wegs ist.

Christian Drosten
Das ist das Virus, das sich im Moment über­all am stärk­sten ver­brei­tet. Und das ist dann von sei­ner Bedeutung, von der wis­sen­schaft­li­chen Aussage die­ser Untersuchung schon so, dass man auch von der Ethik
her das recht­fer­ti­gen kann, dass man sol­che Tierversuche durch­führt. Das ist schon ein sehr wich­ti­ger Befund, wenn man so will, für die Menschheit…

Also ein Virus, das opti­mal an sei­nen Wirt ange­passt ist, macht eine opti­ma­le Verbreitung, ohne den Wirt krän­ker zu machen. Das ist genau, was die­ses Virus jetzt tut. Dieses D614G ver­brei­tet sich schnel­ler, macht den Wirt aber nicht krän­ker. Das natür­lich immer mit der Einschränkung, das ist jetzt hier nicht am Menschen aus­pro­biert wor­den. Am Menschen haben wir nur die epi­de­mio­lo­gi­sche Beobachtung, aber an einem geeig­ne­ten Tiermodell ist das der Befund.«

Fertig. Der Text und ich auch.

(Hervorhebungen nicht im Original.)

5 Antworten auf „Drosten Podcast 60 – Fortsetzung“

  1. Möglicherweise aus logo­pä­di­scher Sicht inter­es­sant. Ich stel­le mir aber immer öfter die Frage: Hat der wirk­lich sein vor­geb­li­ches Fach stu­diert? Nur mal so: Könnte es sein, dass er ein­fach nur ein genia­ler Hochstapler ist?

  2. Was für ein Schaumschläger. So, wie der sich arti­ku­liert, kann man wirk­lich nur noch eins sta­tu­ie­ren.. Wir sind verloren…aber wir wer­den überleben…selbst die für so vie­le töd­lich eden­de Impfwelle.. die ja wie­der nur Wirkung zei­gen wird, wenn genug hoch­gif­ti­ge Adjuvanzien ent­hal­ten sind..

  3. Lieber AA, und dann ist da die mode­ra­te Anja mit dem wer­mu­ti­gen Nachnamen, trocken. Da kann Cognac in der Tat ein adäqua­tes Lösungsmittel sein. Angebracht, ein wenig die Ärzte für Professor D. umzudichten:

    Deine Worte vol­ler Weisheit flie­ßen aus den Tiefen dei­nes Seins,
    pau­sen­los in uns­re Ohren – ohne dich wär'n wir verloren.
    Wir wüss­ten nicht aus noch ein,
    drum wer­den wir dir ewig dank­bar sein.
    Und krie­chen vor dir auf dem Gehweg.

    Kein Virus, von dem nicht kannst Gene lesen,
    Wenn du dich mal irrst, fress' ich 'nen Besen.
    Wärst du 'ne Kirchentür, du hingst vol­ler Thesen.
    du bist das per­fek­te Lebewesen.

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