"Eine spektakuläre Krankheit bringt Gelder für die Forschung, in die sonst vielleicht kein Geld fließen würde"

Diese Einsicht des Christian Drosten, die er 2004 der Financial Times Deutschland anver­trau­te, bestimmt seit­dem sein Handeln. Man glaubt dem Mann sogar, daß er die Gelder ord­nungs­ge­mäß abrechnet.

Damit unter­schei­det er sich nur wenig von einem her­kömm­li­chen Wirtschaftsmanager. Der braucht auch nicht unbe­dingt die drit­te Jacht oder einen Privatjet. Beiden geht es dar­um, für den eige­nen Laden mög­lichst gro­ße Stücke vom Kuchen zu bekom­men, dabei zu wach­sen und Einfluß zu mehren.

Wer es als WissenschaftlerIn nicht an eine "Exzellenz-Uni" schafft oder wenig­stens ein "Leuchtturmprojekt" lei­tet, wer eher gemes­sen wird an der Zahl seiner/ihrer Publikationen als an deren Qualität (die immer schlech­ter geprüft wer­den kann ange­sichts der Unmengen wis­sen­schaft­li­cher Veröffentlichungen), gilt als "loser". Das Gebalge um die Töpfe der öffent­li­chen wie der zuneh­men­den pri­va­ten Finanzierung wird immer brutaler.

Insofern sind die Inszenierungen Drostens fol­ge­rich­tig. Die Krux dabei: Neben den Gewinninteressen von Gesundheitskonzernen und den Profilierungskämpfen wis­sen­schaft­li­cher Institute blei­ben die eigent­li­chen gesell­schaft­li­chen Probleme auf der Strecke.

Drostens Zitat zeigt deut­lich, die Bekämpfung einer Krankheit ist ein Vehikel, mit dem für die einen Prestige, für die ande­ren Profit zu erlan­gen ist. Mitunter gibt es bei­des. In die­ser Logik ist nicht der Ehrliche, aber der Ethische der Dumme.

Das Bedrohliche ist, daß das Prinzip, alle Lebensbereiche in auf dem Markt ver­wert­ba­re Waren zu ver­wan­deln, sich in staat­li­chen und über­staat­li­chen Organisationen fest­ge­setzt hat. Gesundheits‑, Alters‑, Energie- und Wasserversorgung beu­gen sich der Profitlogik. Das nicht etwa, weil sich böse Verschwörer dar­auf ver­stän­digt hät­ten. Sondern sehr ein­fach, weil wir uns einer kapi­ta­li­sti­schen Wachstumsgesellschaft aus­lie­fern. Und da in einer sol­chen wegen beschränk­ter Ressourcen und (durch das Wirtschaftsprinzip beding­ter) beschränk­ter Kaufkraft Investitionsmöglichkeiten für das immens ange­häuf­te Kapital feh­len, müs­sen neue Märkte erschlos­sen werden.

Doch auch die sind natur­ge­mäß beschränkt. Denn Kapital wächst unent­wegt – das ist sein Daseinszweck -, Märkte kön­nen da nicht Schritt hal­ten. Da hilft letz­ten Endes nur ein rei­ni­gen­der Crash. Es wer­den Wirtschaftsbereiche ver­nich­tet, um bei einem Wiederaufbau erneut Gewinne machen zu kön­nen. Manchmal nimmt der Crash die Form eines gro­ßen Krieges an, manch­mal "nur" die einer gewal­ti­gen Wirtschaftskrise, gegen­wär­tig die eines Lockdowns ange­sichts einer Pandemie.

Wie stets gibt es dabei GewinnerInnen und VerliererInnen. Zu den erste­ren haben bis­lang immer die Verursacher der Krisen gezählt. VerliererInnen des heu­ti­gen Lockdowns sind zual­ler­erst die Menschen in den Regionen der Welt, die uns gera­de wenig küm­mern, weil wir mit unse­rer eige­nen Gesunderhaltung so sehr beschäf­tigt sind. (Auch in Hinblick dar­auf hat die tra­di­tio­nel­le Linke bis­lang ver­sagt, indem sie die sie kon­sti­tu­ie­ren­de inter­na­tio­na­le Solidarität sus­pen­diert hat.)

Menschen in weni­ger wohl­ha­ben­den Ländern lei­den weit­aus mehr unter dem vom Westen und den von ihm kon­trol­lier­ten inter­na­tio­na­len Gremien auf­er­leg­ten Lockdown als unter der Pandemie selbst. Textilbetriebe in Südostasien wer­den nicht zuerst wegen Corona still­ge­legt, son­dern weil die Konzerne ihre Aufträge ein­fach stor­nie­ren. Hilfslieferungen in Katastrophengebiete blei­ben eben­so aus wie die über­le­bens­wich­ti­gen Überweisungen von Millionen jetzt mit­tel­lo­ser ArbeitsmigrantInnen, die damit sonst gan­ze Familien über Wasser hal­ten müs­sen. Märkte für ärme­re Länder ent­fal­len, ihre Schulden blei­ben, wenn sie auch "groß­zü­gig" gestun­det werden.

Und auch in unse­rem so rei­chen Land sind die VerliererInnen die, die noch in jeder Krise gelit­ten haben. Für den Augenblick wird da Einiges gemil­dert, vor allem für Beschäftigte in "Normalarbeitsverhältnissen". Aber selbst das gilt nicht für alle. Die ver­spro­che­nen Hilfen für Studierende ste­hen immer noch nicht zur Verfügung, klei­ne (Schein-)Selbständige sind ziem­lich am Ende, zahl­lo­se Jobs, mit denen sich bis­lang pre­kä­re Verhältnisse halb­wegs erträg­lich gestal­ten lie­ßen, dürf­ten auf Sicht ver­schwun­den sein. Diese Aufzählung ist höchst unvollständig.

Die gro­ße Rechnung kommt ohne­hin noch auf uns zu. Wir durf­ten die Bankenrettung 2008 bezah­len und wir wer­den zur Kasse gebe­ten wer­den für den "Wiederaufbau" der Wirtschaft.

Eine Rechnung wird aber bekannt­lich mit Wirten gemacht. Und die sind nicht so dumm, wie das Sprichwort glau­ben machen will. Viele Menschen haben die Zeit der Entschleunigung genutzt, sich mit der Frage zu beschäf­ti­gen: Wollen wir wirk­lich so wei­ter leben wie bisher?

Gleich die ersten Aktionen einer wie­der­be­leb­ten demo­kra­ti­schen Öffentlichkeit waren in den letz­ten Wochen gekenn­zeich­net von einem Zusammengehen ganz unter­schied­li­cher Kräfte. Vielleicht ist ja der Aktionstag von #unteil­bar am 14. Juni ein wei­te­rer Schritt dahin. In dem Aufruf dafür heißt es:

»Die Pandemie trifft uns alle, doch bei Weitem nicht alle gleich. Was vor­her unge­recht war, wird in der Krise noch unge­rech­ter: Weltweit sind immer mehr Menschen in ihrer Existenz bedroht und haben kei­nen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Milliarden aus den ersten Konjunkturprogrammen kom­men vor allem Unternehmen zugu­te. Jetzt muss drin­gend in den Klimaschutz, ins Gesundheitssystem und den Kultur- und Bildungsbereich inve­stiert werden…

Für eine soli­da­ri­sche Gesellschaft
Jetzt wird ent­schie­den, wer die Kosten der glo­ba­len Krise trägt, wer danach stär­ker wird und wer schwä­cher. Jetzt wird ent­schie­den, ob wir es schaf­fen, uns gemein­sam auf den Weg in eine anti­ras­si­sti­sche, sozia­le und kli­ma­ge­rech­te Gesellschaft zu machen – für ein bes­se­res Leben für alle. Auch in der Krise zei­gen wir, dass es soli­da­risch geht – wir las­sen uns nicht gegen­ein­an­der ausspielen.«

Zu den AufruferInnen zäh­len neben vie­len Anderen:

  • Aktion Freiheit statt Angst e.V.
  • Attac Deutschland
  • Aufstehen gegen Rassismus
  • BDKJ – Bund der Deutschen Katholischen Jugend
  • Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus
  • Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V.
  • Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe // Frauen gegen Gewalt e.V.
  • DBJR – Deutscher Bundesjugendring
  • Deutsche Muslimische Zentrum Berlin – DMZ Berlin
  • Deutscher Mieterbund e. V.
  • Deutsches Kinderhilfswerk
  • DIDF – Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V.
  • Ende Gelände
  • Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  • Humanistische Union
  • Interventionistische Linke [iL]
  • IPPNW Deutschland – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozia­ler Verantwortung e.V.
  • med­ico international
  • NaturFreunde Deutschlands e.V.
  • PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
  • Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein – RAV
  • Sea Watch
  • Seebrücke – Schafft siche­re Häfen!
  • Türkischer Bund Berlin-Brandenburg – TBB
  • VENRO – Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deut­scher Nichtregierungsorganisationen e.V.
  • Verband der Beratungsstellen für Betroffene rech­ter, ras­si­sti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt – VBRG e.V.
  • Verein demo­kra­ti­scher Ärztinnen und Ärzte
  • Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V.
  • Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen e.V. | VVN-BdA Bundesvereinigung

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