Einspruch in der "FAZ": »Der Gesetzgeber muss die einrichtungsbezogene Impfpflicht abschaffen«

Die Rechtsanwältin Dr. Sylvia Kaufhold schreibt auf faz​.net (Bezahlschranke) am 24.10.:

»Obwohl sich die Pandemielage längst ver­än­dert hat, hält der Gesetzgeber an der ein­rich­tungs­be­zo­ge­nen Corona-Impfpflicht fest. Es dro­hen sogar Verschärfungen. Dabei ist der Gesetzgeber ver­fas­sungs­recht­lich längst zur Nachbesserung verpflichtet.

Am 1. Oktober 2022 sind Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Kraft getre­ten, mit denen − zunächst befri­stet bis zum 7. April 2023 − die in Bund und Ländern gel­ten­den Coronamaßnahmen auf neue Grundlagen gestellt wer­den. Trotz eini­ger Entschärfungen am Ende des Gesetzgebungsverfahrens las­sen die Neuerungen die zahl­rei­chen im Vorfeld, auch sei­tens des Corona-Expertenrats sowie der soge­nann­ten Evaluierungskommission, geäu­ßer­ten Einwände weit­ge­hend unberücksichtigt…

Eine die­ser Maßnahmen ist nicht nur beson­ders umstrit­ten und ein­schnei­dend, son­dern dürf­te − gera­de im Zusammenspiel mit der ver­fas­sungs­recht­lich ihrer­seits frag­wür­di­gen Absonderung von Infizierten und Kontaktpersonen (vgl. Evaluationsbericht S. 114) − genau jene Personalknappheit in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen ver­schär­fen, die dann als „kon­kre­te Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens“ wei­te­re Maßnahmen der Länder gegen die Allgemeinbevölkerung zu begrün­den geeig­net ist: Es geht um die ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne Impfpflicht, auch Pflegeimpfpflicht genannt (§ 20a IfSG)…

Personalnotstand, Bürokratie und ungleiche Handhabung

Schon wegen des büro­kra­ti­schen Aufwands und der ohne­hin ange­spann­ten Personalsituation haben vie­le Bundesländer zwar erklärt, (wei­ter­hin) kei­ne Vorlageaufforderungen und Sanktionen gegen gemel­de­te Mitarbeiter ver­hän­gen zu wol­len. Die Begründungen für die­se Praxis sind aber zwei­fel­haft und las­sen die Nachweis- und Meldepflichten als sol­che unbe­rührt; jeden­falls fußen sie bis­lang nicht auf ver­fas­sungs­recht­li­chen Erwägungen…

Überholte Annahmen zum Fremdschutz

… Um den Kern der Kritik zu ver­ste­hen, muss man sich das Ziel der ein­rich­tungs­be­zo­ge­nen Impfpflicht vor Augen hal­ten: Anders als die auf einer Sonderrechtsbeziehung (Art. 33 Abs. 4 GG) beru­hen­de Soldatenimpfplicht dient die ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne Impfpflicht nicht dem Erhalt der eige­nen Gesundheit (wozu Soldaten seit 2019 gesetz­lich ver­pflich­tet sind), also dem Eigenschutz, son­dern − und dies beto­nen die Karlsruher Richter mehr­fach − aus­schließ­lich dem Schutz vul­nerabler Personen (etwa Patienten, Pflegebedürftige) vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus, also dem Fremdschutz.

Inzwischen ist jedoch unstrit­tig, dass der Sinn und Zweck der Coronaimpfung vor allem in der Verhinderung schwe­rer Krankheitsverläufe liegt, wäh­rend sie jeden­falls nach weni­gen Wochen (der Gesetzgeber geht inzwi­schen von maxi­mal drei Monaten aus) nicht mehr geeig­net ist, eine sym­ptom­lo­se Infektion oder eine Erkrankung mit eher mil­den Symptomen zu ver­hin­dern. Damit ist sie denk­lo­gisch auch nicht geeig­net, die Ansteckung ande­rer Personen (Übertragung/Transmission, Verbreitung) zuver­läs­sig zu ver­hin­dern oder auch nur über län­ge­re Zeiträume zu erschweren…

Im Grunde wird der man­geln­de Fremdschutz der Impfung nun auch vom Gesetzgeber bestä­tigt. Denn seit dem 1. Oktober 2022 kön­nen die Bundesländer bei Einführung einer Maskenpflicht in Innenräumen Ausnahmen für gete­ste­te Personen vor­se­hen, denen aller­dings Geimpfte nur dann gleich­ge­stellt wer­den dür­fen, wenn ihre letz­te Einzelimpfung höch­stens drei Monate zurück­liegt (§ 28b Abs. 2 S. 4 IfSG). Der Gesetzgeber hält also den tages­ak­tu­el­len Schnelltest prin­zi­pi­ell selbst für siche­rer als (fast) jede noch so „fri­sche“ Impfung…

Blankoschecks an den paternalistischen Staat

… Im Extremfall [kön­nen ]zukünf­tig selbst schwer­ste Grundrechtseingriffe durch die (ver­meint­lich) guten Absichten des Gesetzgebers gerecht­fer­tigt wer­den, wenn die­se nicht auf offen­sicht­lich unzu­tref­fen­den Annahmen beru­hen. Der Gesetzgeber braucht nur eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Einzelne dar­zu­le­gen, wozu es ange­sichts der viel­fäl­ti­gen Krisen (Klimawandel, Ukrainekrieg, Energieversorgung, Inflation) allen Grund geben kann, um das Verfassungsgericht als sei­ne ein­zi­ge Kontrollinstanz von einer eige­nen Bewertung der Verfassungsmäßigkeit der­je­ni­gen Maßnahmen aus­zu­schlie­ßen, die der Gesetzgeber selbst im Kampf gegen die betref­fen­de Gefahr für rich­tig befun­den hat.

Diese äußerst bedenk­li­che Ausweitung der ohne­hin umstrit­te­nen Figur der gesetz­ge­be­ri­schen Einschätzungsprärogative ist nichts weni­ger als ein Blankoscheck an den pater­na­li­sti­schen und ten­den­zi­ell über­grif­fi­gen Staat…

„Der Gesetzgeber muss ein Gesetz nach­bes­sern, sofern die Änderung einer zunächst ver­fas­sungs­kon­form getrof­fe­nen Regelung erfor­der­lich ist, um die­se unter ver­än­der­ten tat­säch­li­chen Bedingungen oder ange­sichts ver­än­der­ter Erkenntnislage mit der Verfassung in Einklang zu hal­ten. Eine zunächst ver­fas­sungs­kon­for­me Regelung kann danach ver­fas­sungs­wid­rig wer­den, sofern der Gesetzgeber dem nicht durch Nachbesserung ent­ge­gen­wirkt (vgl. BVerfGE 132, 334 <358 Rn. 67> m.w.N.; stRspr).“

Das glei­che gilt, wenn die Erkenntnislage über die Wirkungsweise und die Wirksamkeit gesetz­li­cher Maßnahmen unsi­cher bleibt, weil es der Gesetzgeber ver­säumt, für einen hin­rei­chen­den Erkenntnisfortschritt zu sorgen…

Bedenken rechtfertigen Kontrollverzicht

Zusammenfassend ist fest­zu­hal­ten: Der Gesetzgeber soll­te die ver­fas­sungs­wid­rig gewor­de­ne Pflegeimpfpflicht schnell­stens auf­he­ben und somit Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaf­fen. Jedenfalls darf sie kei­nes­falls ver­län­gert werden.

Solange die Impfpflicht for­mal besteht, sind die Bundesländer durch ent­spre­chen­de Anweisung ihrer Gesundheitsämter berech­tigt und wohl auch ver­pflich­tet, im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht nur kei­ne Betretungs- und Tätigkeitsverbote zu ver­hän­gen, son­dern − vor­ge­la­gert – bereits kei­ne Aufforderungen zur Vorlage von (aktua­li­sier­ten) Impfnachweisen zu adres­sie­ren. Zu begrün­den ist dies nicht nur mit der Personalsituation in den Einrichtungen, son­dern gera­de auch mit den (inzwi­schen) erheb­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Bedenken gegen­über der Nachweispflicht…

Angesichts der inzwi­schen schwer­wie­gen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Bedenken gegen­über der Regelung des § 20a IfSG ins­ge­samt und der Weigerung des Gesetzgebers, sie auf­zu­he­ben, ist die­ser Verzicht gebo­ten. Das haben auch die Gerichte bei der ihnen gem. § 114 VwGO oblie­gen­den Nachprüfung von gleich­wohl noch aus­ge­spro­che­nen Betretungs- oder Tätigkeitsverboten zu berück­sich­ti­gen.«

14 Antworten auf „Einspruch in der "FAZ": »Der Gesetzgeber muss die einrichtungsbezogene Impfpflicht abschaffen«“

  1. Wieso soll­te er das tun?
    Die Agenda der Transhumanisten lau­tet, das alle Menschen geimpft wer­den sol­len, also wird das nicht passieren.

    1. @Publicviewer: Mal ange­nom­men, irgend­wel­che Transhumanisten hät­ten a) das Ziel, alle Menschen zu "imp­fen" (war­um?) und b) sie hät­ten den deut­schen Staat geka­pert (wen kon­kret da?), dann könn­ten auch sie erken­nen: Das wird nichts mehr. Jedenfalls nicht bei die­sem ersten Anlauf.

  2. Achja der Gesetzgeber. Wer macht denn hier die Gesetze?

    Falls Sie es immer noch nicht wis­sen, die Gesetze machen die Besitzer die­ser Einrichtungen!

    1. @Moskau: Wenn es denn so sche­ren­schnitt­ar­tig wäre, könn­te man ja sagen: Die renom­mier­te Wirtschaftsanwältin macht im Leitmedium der Bourgeoisie dar­auf auf­merk­sam, daß die Maßnahmen den kapi­ta­li­sti­schen Betrieb beein­träch­ti­gen, und for­dert Änderungen.

      1. Lieber @aa, glau­be Sie denn wirk­lich daß Wirtschaftsbosse und Börsenspekulanten auf irgend­wel­che Entscheidungen von Politikern warten!? 

        Sie haben vom Kapitalismus über­haupt kei­ne Ahnung!

    1. @Marek Wojcik: Ihre Hoffnungen Mr. Trump betref­fend, "die Davoser Kriminellen zu stop­pen", erin­nern mich an Hoffnungen Anfang der Dreißiger-Jahre, Adolf Hitler kön­ne das System stop­pen, "ob Sie ihn mögen oder nicht". Und so war es ja auch…

  3. Wenn es nach der soge­nann­ten Verfassung gin­ge, wären alle C.-Maßnahmen null und nichtig.

    Leider hat sich seit Fritz Willi 4 ver­fas­sungs­po­li­tisch nichts in die­sem Land getan. Immer noch wird die Verfassung als Blatt Papier betrach­tet, auf das man sich bei Bedarf beruft und das man im Übrigen igno­riert. Will sagen: Zwischen Verfassungsideal und Verfassungsrealität klafft ein unüber­wind­ba­rer Abgrund.

    Was das bedeu­tet, hat Ferdinand Lassalle ein­mal tref­fend zusammengefasst.

  4. Jetzt wird flei­ßig gemeckert. Dass der Fremdschutz nicht exi­stiert, war eigent­lich bereits "unstrit­tig", als die ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne "Impfpflicht" beschlos­sen wur­de. Aber jetzt, wo sich alle eigent­lich einig sind, dass sie kei­nen Sinn (mehr?) hat und das Auslaufen schon beschlos­se­ne Sache ist, trau­en sich ganz Mutige end­lich mal den Mund auf­zu­ma­chen. Jetzt, wo man den Gesetzgeber nur dazu auf­for­dern muss, ein­fach untä­tig zu blei­ben. In der Politik geht es ganz oft auch im Gesichtswahrung. Und wer glaubt, dass Karl Lauterbach jetzt noch dafür zu haben ist, die "Impfpflicht" noch vor Jahresende abzu­schaf­fen, der glaubt wohl auch an den Weihnachtsmann.

  5. Also Mimikama fin­det, dass der nicht gege­be­ne Fremdschutz schon lan­ge all­ge­mein bekannt war und es des­we­gen auch kei­ne gro­ße Enthüllung sei, dass die­se Pfizer-Vertreterin im EU-Parlament in reich­lich ver­wor­re­nen Worten ein­ge­räumt hat, dass Fremdschutz nicht in den Zulassungsstudien unter­sucht wurde:
    https://​www​.mimi​ka​ma​.at/​p​f​i​z​e​r​-​t​r​i​a​l​s​-​u​e​b​e​r​t​r​a​g​u​n​g​-​g​e​i​m​p​f​te/

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