Freiheit ist immer wert, verteidigt zu werden

Unter diesem Titel ist auf cicero.de am 1.1.23 ein Artikel der Anwältin Jessica Hamed zu lesen, in dem es u.a. heißt:

»...Das Hauptziel der Epoche der Vernunft war es, Menschen zu befähigen, sich ihres Verstandes zu bedienen, zu hinterfragen. Die Aufklärung ist die Voraussetzung für ein freiheitliches und menschenwürdiges Miteinander und ist als Gegenentwurf zur Willkürherrschaft beziehungsweise Aberglauben und Vorurteilen zu verstehen.

Wie fragil das Wertegefüge unserer vermeintlich aufgeklärten westlichen Gesellschaft ist, hat sich noch nie so drastisch wie in dieser Krise offenbart. Existent war jene Brüchigkeit jedoch schon zuvor.

Zeit der Paradoxe

Sie entwickelte sich allmählich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte. Wir haben uns immer weiter voneinander entfernt, was paradox anmutet, schließlich sind wir oberflächlich betrachtet eine viel offenere Gesellschaft geworden. Reisen ist in den vergangenen Jahrzehnten erschwinglich geworden, Toleranz für unterschiedliche Formen des Zusammenlebens und der sexuellen Identität gestiegen, Sprache sensibler geworden.

Gleichzeitig haben nur noch 45 Prozent der deutschen Bevölkerung das Gefühl, man könne frei seine politische Meinung äußern. Das sollte uns ernsthaft Sorge bereiten...

Im Brennglas der Corona-Krise bündelten sich nun die individuellen Ängste zu einer kollektiven Angst vor dem Virus. Die ohnehin schon latent vorhandene Lebensangst eines Großteils der Wähler wurde zum Leitmotiv der Politik. Politisch und medial wurde die Angst vor dem Virus verstärkt und abweichende Ansichten überwiegend herabgewürdigt.

Wie ist eine Gesellschaft zu charakterisieren, die ernsthaft einem Virus den Krieg erklärt? Plötzlich war jeder zu beklagende tote Mensch einer zu viel. Das galt indes nicht für die europäischen Außengrenzen, und vermeidbare Verkehrstote werden und wurden auch stets akzeptiert. Zumindest an (und auch nicht mit!) Corona, das beschloss der Staat, durfte aber nicht mehr gestorben werden. Mit Abstandshölzern, 15-km-Grenzen, Verweilverboten und Stoffbedeckungen jeglicher Art auf dem Weg zur Toilette im Restaurant versuchte der Staat, mit überraschend brutaler Durchsetzungskraft ein völlig unmögliches Ziel zu erreichen: die Ausrottung eines respiratorischen Virus. Verhältnismäßige Maßnahmen einzufordern, wie sie etwa Schweden vornahm, um das Virus vorübergehend einzudämmen, bis alle in die Lage versetzt wurden, bei Bedarf eigene Schutzmaßnahmen zu ergreifen, war lange verpönt.

Angst und Entfremdung

Kollektive Ängste wurden schon in der Vergangenheit getriggert. Vom RAF-Terrorismus über die Angst davor, dass das Boot vermeintlich voll sei, weshalb 1993 mit der Einführung des Art. 16a GG das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde. Gefolgt von der globalen Angst vor islamistischem Terror, die ihren Ausgang am 11. September 2001 fand und im „Krieg gegen den Terror“ gipfelte, der weltweit unzählige (unschuldige) Menschenleben kostete.

Die kollektiven Sorgen der Vergangenheit und Gegenwart eint eines: Sie werden subjektiv als erheblich gravierender empfunden, als sie objektiv Anlass dazu geben. Weder ist das Boot voll gewesen, noch ist die Wahrscheinlichkeit, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, der Rede wert. Politik reagiert aber stets auf die subjektiven Ängste der Bevölkerung, die sie nicht selten maßgeblich auch gleichzeitig schürt. Ein Teufelskreis...

Sichtbarmachung der „Bedrohung“

Corona markiert den Höhepunkt des Voreinander-Angst-Habens und des Einander-Misstrauens. Denn waren es zuvor „lediglich“ bestimmte Personengruppen, die Ängste hervorriefen, wurde nunmehr jeder Mensch ein potenzieller Gefährder. Sichtbar gemacht wurde diese „Gefahr“ frühzeitig durch die Einführung der Maskenpflicht am 27. April 2020. Das Bewusstsein für die unsichtbare „Bedrohung“ einer Ansteckung zu wecken, war erkennbar der Hauptgrund für die Einführung einer Maskenpflicht zu einem Zeitpunkt, als es so gut wie keine medizinischen Masken gab, und es von Gesetz wegen jede stoffliche Barriere vor Mund und Nase tat...

Die Akzeptanz der Maskenpflicht befindet sich – nicht zuletzt durch die Aufhebung der Maskenpflicht im Nahverkehr in Bayern und Sachsen-Anhalt – im Sturzflug. Es stellt sich nur noch die Frage, ob die politisch Verantwortlichen die Maskenpflicht, die sie selbst mit maskenfreien Regierungsflügen, ausgelassenem maskenlosem Wiesn-Feiern und einem Bundesgesundheitsminister, der es mit Fakten und Wahrheit nicht so genau nimmt, endgültig desavouiert haben, beenden oder ob es die Bevölkerung durch die Nichtbeachtung der Pflicht tut...

Grundrechtseingriffe im Namen der Bekämpfung von Krisen

Rückblickend wird man den Herbst 2022 als Zäsur betrachten. Während sich die ganze Welt den wahren Krisen zuwendet, hält Deutschland an seiner Lieblingskrise fest, indem es evidenzlos den Ausnahmezustand verstetigt und die Maske als „neue Normalität“ preist, die auch für alle anderen Infektionskrankheiten angeblich nützlich sein soll. Wenn sich die Gesellschaft dieser gravierenden Verschiebung vom freiheitlichen zum offen paternalistischen Staat nicht versperrt, werden weitere tiefgreifende Grundrechtseingriffe im Namen der Bekämpfung anderer Krisen folgen. Gravierende Ge- und Verbote werden immer alltäglicher werden, so wie sie es in den vergangenen drei Jahren auch bei Corona geworden sind. Das unausgesprochene allmähliche Verschieben unserer Referenzpunkte führte beispielsweise zur weitestgehenden – postfaktischen – Akzeptanz des rechtswidrigen Ausschlusses von Menschen, die sich gegen eine Covid-Impfung entschieden haben...

Jeglicher (technische) Fortschritt sollte dem Menschen dienen und ihm mehr Freiheit verschaffen. Das Gegenteil scheint vielfach der Fall zu sein. Nehmen wir unser Leben wieder in die Hand, blicken wir uns ins Gesicht und gehen wir immer davon aus, dass auch wir daneben liegen können.

Mit diesem Appell schließe ich, denn ich befürchte, die auch von mir erhoffte gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung der Corona-Krise wird zumindest auf absehbare Zeit ausbleiben. Weder wird es – obwohl es nötig wäre – umfassende und zahlreiche Entschuldigungen von Verantwortlichen geben, noch werden alle angerufenen Gerichte die schwerwiegenden Rechtsverletzungen vollumfänglich aufarbeiten....«

11 Antworten auf „Freiheit ist immer wert, verteidigt zu werden“

  1. Ein men­schen­wür­di­ges Miteinander wird es in einer Gesellschaft in der Menschen Menschen aus­beu­ten und unter­drücken nie­mals geben!

  2. Der Spiegel schreibt zu Freiheit:
    https://​www​.spie​gel​.de/​k​u​l​t​u​r​/​n​e​g​a​t​i​v​-​a​u​s​z​e​i​c​h​n​u​n​g​-​s​p​r​a​c​h​k​r​i​t​i​k​e​r​-​w​a​e​h​l​e​n​-​f​r​e​i​h​e​i​t​-​z​u​r​-​f​l​o​s​k​e​l​-​d​e​s​-​j​a​h​r​e​s​-​a​-​7​0​6​e​5​d​f​f​-​8​8​b​9​-​4​b​a​6​-​8​8​a​a​-​b​b​6​e​7​7​0​7​d​cab
    "Auf dem ersten Platz steht bei dem Negativpreis dies­mal das Wort »Freiheit«. Die Sprachkritiker beto­nen, dass sie mit die­ser Wahl nicht das Wort an sich auf­spie­ßen – son­dern das Schindluder, das damit getrie­ben wird.

    Die Begründung: »Wir beob­ach­ten, wie sich ein zuneh­mend aggres­si­ver Umgang mit­ein­an­der in der Gesellschaft in der Sprache wider­spie­gelt.« Differenzierte Diskussionen wür­den durch Lautstärke und Schlagwörter über­tönt. »Das macht auch nicht Halt vor der Umdeutung eines hoch ange­se­he­nen Guts wie Freiheit, in deren Namen inzwi­schen ego­isti­sche Forderungen gestellt wer­den oder absur­de Preisungen von zum Beispiel Atomkraft als ›Freiheitsenergie‹ ent­ste­hen«, so die Sprachkritiker. »Leider über­traf der ver­ba­le Missbrauch des Freiheitsbegriffs alle Erwartungen und er ist ein ver­dien­ter Sieger die­ses Negativpreises.«"

    Die Spiegler soll­ten sich mal Gedanken dar­über machen, war­um das so ist.
    Jede Wette, sie kom­men nicht drauf.

  3. Eigentlich sehr trau­rig, dass eine so ver­nünf­ti­ge Frau mit so einer Stellungnahme in D eine Minderheitenposition ver­tritt. Macht aber auch Mut, weil ja doch immer mehr ähn­lich denken.

    Das wäre doch mal ne Neujahrsansprache für den ober­sten Grüßonkel gewe­sen. Ach…

    Gutes neu­es Jahr!

  4. Ein fro­hes Neues allen hier!

    Aufarbeitung der Coronakrise. – Abgesehen von der Müdigkeit der «Opfer» ist das Problem, dass die wei­ter­hin sehr umtrie­bi­gen «Täter» auf einer Ebene arbei­ten, die von der Allgemeinheit nicht gese­hen wird. Nicht so sehr, weil sie im Verborgenen arbei­ten, son­dern weil die­se Ebene sozu­sa­gen abstrakt ist. Siehe das CEPI-Projekt der 100-Tage«Impfstoffe».

    «Desweiteren scheint es höchst bedenk­lich, dass die Hauptakteure der geplan­ten Pandemiepolitik den mei­sten Bürgern unbe­kannt sind und eine demo­kra­ti­sche Kontrolle über deren Arbeit aktu­ell nicht statt­fin­det. Treffend beschrie­ben hat die­sen Verschleierungsprozess der Professor für Allgemeine Psychologie, Rainer Mausfeld, in sei­nem Buch Angst und Macht: „Die tat­säch­li­che Macht ist heu­te in neu­ar­ti­gen glo­ba­len Organisationsformen ver­or­tet, die voll­kom­men einer gesell­schaft­li­chen Kontrolle ent­zo­gen sind, die für die Bevölkerung weit­ge­hend unsicht­bar sind…“»

    https://​blog​.basti​an​-barucker​.de/​c​e​p​i​-​1​0​0​-​t​a​g​e​-​m​i​s​s​i​on/

  5. Eine gute Frage, wie man eine Gesellschaft cha­rak­te­ri­sie­ren soll, wel­che einem Virus den Krieg erklärt.
    Ich fin­de kei­ne Antwort, aber ich zweif­le stark an der Zurechnungsfähigkeit gro­ßer Teile einer sol­chen Gesellschaft.

  6. "Jahresrückblick 2022 ‑Wir kön­nen Krise 

    Wir wer­den die­ses Krisengefühl wohl trotz freund­li­che­rer Perspektiven mit ins näch­ste Jahr neh­men. Vielleicht beglei­tet es uns auch noch dar­über hin­aus. Denn Krise ist ja längst kein Ausnahmezustand mehr, son­dern viel­mehr zu einer Art neu­em, stän­di­gem Begleiter gewor­den. So muss sich Epochenwandel anfüh­len. Die Sicherheiten ver­schwin­den zwar, man­chen mag dabei Panik über­kom­men, aber die neu­en Realitäten ermu­ti­gen auch zu neu­em Handeln. Nach der Krise ist also vor der Krise. Diese Einsicht hat die Politik ver­än­dert, sie trat beson­ne­ner und vor­aus­schau­en­der auf.(…)
    Und so muss im Rückblick auch ein­mal die Frage gestat­tet sein, ob all die Untergangsszenarien und Katastrophenwarnungen tat­säch­lich sein mussten?
    Ob die Politiker in ihren Ansprachen nicht doch zu ängst­lich und zu defen­siv waren? Ob es wirk­lich so ist, dass Menschen ihr Verhalten nur dann ändern, wenn sie sich mit dem Schlimmsten kon­fron­tiert sehen?"
    https://www.zeit.de/gesellschaft/2022–12/jahresrueckblick-2022-ukraine-inflation-krisen-ampelkoaltion

  7. "Weder wird es – obwohl es nötig wäre – umfas­sen­de und zahl­rei­che Entschuldigungen von Verantwortlichen geben, noch wer­den alle ange­ru­fe­nen Gerichte die schwer­wie­gen­den Rechtsverletzungen voll­um­fäng­lich aufarbeiten.…«

    Heisst also:
    Der Historiker Aschmoneit wird dran bleiben?

    Gutes Neues Jahr.

  8. Intelligenz und Wissenschaft zeich­net sich doch durch Skepsis, Hinterfragen, das Aufstellen von Hypothesen usw. aus, statt einem blin­den Vertrauen oder gar stum­men Gehorsam und Folgsamkeit‼️
    Die "Kriminalisierung" des dia­lek­ti­schen Denkprinzips (von These und Antithese)
    wider­spricht jedem wah­ren Demokratie-Verständnis und gleicht einer Vergewaltigung des Geistes. Es ist eine Beleidigung der Vernunft, rei­ne Propaganda und Gehirnwäsche ‼️
    Es stellt eine Versündigung an der Erziehung und Bildung jun­ger Menschen bei ihrer Entwicklung eines logi­schen Denkens und Verständnisses dar. Als ehe­ma­li­ge Pädagogin kann ich da nur schlim­me Konsequenzen für die Zukunft ablei­ten‼️

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