Am 9.5. war hier zu lesen: Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste lobt #allesdichtmachen-Videos. In der FAZ war darüber nichts zu erfahren. Heute allerdings gibt es dort (hinter der Bezahlschranke) einen "WIDERSPRUCH AUS DER AKADEMIE – In welcher Gesellschaft lebt Herr Nerdinger?.
Zwanzig Akademiemitglieder wenden sich gegen Nerdinger. Das ist ihr gutes Recht. Wenn die FAZ dafür fast eine halbe Druckseite zur Verfügung stellt, das Objekt der Kritik aber nicht veröffentlicht, wirkt das fast wie eine Bestätigung dessen, was Nerdinger befürchtet. Wenn – anders als in der Druckausgabe (für die seriöseren LeserInnen?) – in der Webversion, der folgende Vorspann geschaltet wird, ahnt man, Nerdinger hat ins Schwarze getroffen:
»Mit abenteuerlichen Thesen diskreditiert der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ausgerechnet jenes elementare Recht, auf das wir gerade jetzt den allergrößten Wert legen. Ein Gastbeitrag.«
Was kritisieren die AutorInnen?
»… Herr Nerdinger stellt fest: „Ich weiß jetzt leider definitiv, welcher Stellenwert der Kultur in unserer Gesellschaft von vielen politisch Verantwortlichen zugemessen wird. Der einer reinen Zugabe, ein ‚Genuss‘, auf den man eben bei Bedarf oder im Notfall auch leicht verzichten kann.“ Wer hat hier „leicht“ auf irgendetwas verzichtet? Eine so pathetische wie platte Äußerung, die nach diesem furchtbaren Jahr einer für Zehntausende tödlichen Pandemie nicht mehr zu bieten hat als eine pseudomoralische Erregung über die Corona-Maßnahmen, ist gedankenlos und billig. Wir alle sind von der Krise betroffen, so wie die ganze Welt von ihr betroffen ist…
Mehr als nur weltfremde Nörgelei
… In welcher Gesellschaft lebt Herr Nerdinger? „Das ist eine der schlimmen Erfahrungen der Pandemie. Kritische Stimmen verschwinden schnell aus der Öffentlichkeit.“ In Anbetracht all der kontroversen Diskussionen, Polemiken, Auseinandersetzungen seit über einem Jahr, auf sämtlichen Kanälen, in Parlamenten und politischen Organisationen, könnte man das als weltfremde Nörgelei abtun. Nicht aber, wenn ein Akademiepräsident in seiner Funktion spricht…
Von welchem Staat redet er? Mit derart abenteuerlichen Thesen diskreditiert Herr Nerdinger ausgerechnet jenes elementare Recht, auf das wir gerade jetzt unter den Bedingungen der Einschränkung von Grundrechten den allergrößten Wert legen: das Recht auf Kritik.«
Jetzt wird es abenteuerlich
»Dieses Recht werden wir weiter in Anspruch nehmen, auch gegenüber dem von Herrn Nerdinger angekündigten Plan: „Ich habe jetzt alle 300 Mitglieder gebeten, Stellungnahmen aus ihrer spezifischen Sicht zu verfassen, damit wir als Akademie Anstöße zu weiteren, sicher auch unter den Mitgliedern kontroversen Diskussionen geben können.“ Dieses Projekt ist ohne jede Abstimmung innerhalb der Akademie entstanden…
Die Publikation seines Buchs ist in einem freien Land jederzeit möglich; als verantwortungsvolle Publikation im Namen der Akademie sollte sie in dieser Form unterbleiben.«
Der Akademiepräsident plant eine Publikation, in der alle Mitglieder zu Wort kommen können. Die Kleingeister verlangen, daß dies so zu unterbleiben habe.
Immer wieder Antisemitismus-Vorwurf
Was entsetzt die KritikerInnen an dem Buchprojekt?
»Indem Herr Nerdinger es mit einem Lob der zumindest extrem problematischen Aktion „Allesdichtmachen“ verbindet, illustriert Herr Nerdinger zugleich, wie er an diese Publikation herangehen will.
Ein denkbar schlechter Dienst
Diese fehlende Sensibilität zeigt sich in schockierender Weise bei dem geplanten Titel für das Lesebuch: „Es ist Zeit, dass es Zeit wird“. Das damit zitierte Gedicht von Paul Celan wird nur wegen seines Titels „Corona“ (= Krone) gegen seinen eigenen Sinn instrumentalisiert. Hat Herr Nerdinger vergessen, welche Erfahrungen Celan geprägt haben? Oder will er ernsthaft die Corona-Politik damit in Verbindung bringen? Sollen wir glauben, dass er jeden sprachlichen Maßstab für Kritik verloren hat?«
Das Gedicht des jüdischen Dichters Celan findet man nicht, wenn man dem Link der FAZ folgt, aber hier. Anders als die 20 AkademikerInnen behaupten, war einem Artikel auf welt.de vom 11.4. zu entnehmen, daß die Parallele zur "Corona-Politik" nicht gar so abwegig sein könnte:
»Wer Celans Verse heute liest, ist aufgerufen, den eigenen Assoziationen zu folgen, und es spricht für die Vielschichtigkeit des eingangs zitierten Gedichts, dass nicht nur sein Titel, sondern auch die Schlusszeilen: „Es ist Zeit, dass es Zeit wird./ Es ist Zeit“ sich bruchlos auf die gegenwärtige Corona-Krise übertragen lassen.«
Die Dreistigkeit der Unterstellung wird sichtbar, wenn man weiß, daß Winfried_Nerdinger von 2012 bis 2018 Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München war. (https://de.wikipedia.org/wiki/Winfried_Nerdinger)
Vier Tagesspiegel-Mitarbeiter (MA) gegen Einen! Gast.
MA liest vom Papier ab, kann sich (wohl) einfache Sachverhalte nicht merken,
unterbricht den Gast entgegen jeglicher Gesprächskultur, entwickelt langatmig banalste Argumentationslinien u.a.
Der Gast gewinnt.
4 Arbeitsplätze wären in einem Hochleistungs
unternehmen in Gefahr?
https://www.youtube.com/watch?v=Iu8JxpV1E2I
Ich habe nicht alles gesehen – es war zum Fremdschämen für die Jorunalisten.
Allerdings kann man wohl Martenstein nicht mit den anderen gleichsetzen, was er gesagt haben soll (ich haabe es nicht gesehen) würde ich durchaus unterschreiben.
"Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein verteidigte im Tagesspiegel-Live-Talk Kritik an der Corona-Politik und auch #allesdichtmachen. Es dürfe keine Tabuzonen geben, über die nicht gestritten werden dürfte. Wer wie die Schauspieler in Opposition zu den Corona-Maßnahmen der Regierung trete, dürfte auch nicht gleich in die rechte Ecke gestellt und stigmatisiert werden. Es sei legitim, gegen die Corona-Maßnahmen zu sein. Wenn bei Bewegungen – auch linken – dubiose Randfiguren ebenfalls mitliefen, dürfe nicht gleich die Legitimation abgesprochen werden. Es handle sich um die härtesten Eingriffe in die Bürgerrechte seit Bestehen der Bundesrepublik. „Wenn es keine Opposition gibt, dann wären alle Umerziehungsmaßnahmen der Alliierten vergeblich gewesen“, sagte Martenstein. Und: „Wir sind Dienstleister, keine Volkserzieher und Richter.“
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/berichterstattung-ueber-kontroverse-videoaktion-tagesspiegel-live-zu-allesdichtmachen-so-verlief-die-debatte/27182248.html
Tag für Tag werden weltweit Menschen ermordet.
Hauptsache, Ihr REDET.
Hauptsache, Ihr habt euren SPASS.
MImimi
Alleine die Diskussion um die Diskussion zeigt doch hervorragend den Erfolg der Aktion #allesdichtmachen.
Was soll Kunst nochmal machen, insbesondere Satire?
Zum Denken animieren. Check. Aufrütteln. Check. Auf etwas Hinweisen. Check. Zur Diskussion verführen. Check. Was denn noch alles Check. Wenn jemanden einen Preis, dann hier. Am Ende Ursprung von mehr. Zum Beispiel mehr Diskussion.
Sehen Sie, genau so funktioniert ja die Propaganda. Allein der absurde Begriff "Antisemitismus" genügt schon, um vom Klassencharakter der BRD-Gesellschaftsordnung abzulenken und natürlich von denen die das ganze Elend dieser Welt verursachen.
.… wenn man weiß, daß Winfried_Nerdinger von 2012 bis 2018 Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München war.
Ja, genau. Je dreister die Lügen desto glaubwürdiger!
Giorgio Agamben: An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik, Verlag Turia + Kant, Wien 2021
"Die Epidemie hat deutlich gezeigt, dass der Ausnahmezustand, auf den uns die Regierungen seit geraumer Zeit vorbereiten, zu unserem Normalzustand geworden ist. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, unter Bedingungen einer ständigen Krise zu leben. Dabei scheinen sie nicht zu bemerken, dass sich ihr Leben auf eine rein biologische Funktion reduziert hat und nicht nur jeder politischen, sondern auch menschlichen Dimension verlustig gegangen ist. Eine Gesellschaft, die im ständigen Ausnahmezustand lebt, kann keine freie Gesellschaft sein. Wir leben in der Tat in einer Gesellschaft, die die Freiheit zugunsten der sogenannten Sicherheitsgründe geopfert und sich selber dazu verurteilt hat, in einem ständigen Angst- und Unsicherheitszustand zu leben.….Die moderne Politik ist ausnahmslos eine Biopolitik, bei der letztlich das reine biologische Leben auf dem Spiel steht. Das neue besteht darin, dass die Gesundheit zu einer Pflicht geworden ist, die alle um jeden Preis zu erfüllen haben.(…) Die Angst macht viele Dinge sichtbar, die man sich für gewöhnlich zu sehen weigert.……(S.42/43)…"
"An der Tatsache, dass viele im Zuge der Epidemie totalitäre Staaten als Vorbild betrachten konnten, lässt sich sehr gut das Ausmaß der heutigen politischen Verantwortungslosigkeit ablesen. Der Fehler besteht nicht darin, die Frage nach der möglichen Unzulänglichkeit des demokratischen Systems zu stellen.…Der Irrtum besteht vielmehr in der falschen Alternative zwischen Demokratie und Despotismus. Wir müssen an eine andere Art der Politik denken, eine Politik, die sich dem Oszillieren zu entziehen vermöchte, das wir seit Jahrzehnten erleben: zwischen einer Demokratie, die in Despotismus ausartet, einerseits und einem Totalitarismus, der scheinbar demokratische Formen annimmt, andererseits.(…) Ein aufmerksamer Beobachter kann heute nur schwer feststellen, ob wir in Europa in einer Demokratie leben, die zu immer despotischeren Formen der Überwachung greift, oder in einem totalitären Staat, der sich als Demokratie verkleidet. Eine zukünftige Politik kann nur jenseits dieser beiden Modelle entstehen. (S. 110/111)
"Eine so pathetische wie platte Äußerung, die nach diesem furchtbaren Jahr einer für Zehntausende tödlichen Pandemie nicht mehr zu bieten hat als eine pseudomoralische Erregung …"
Genau das, war eine pathetische und platte Äußerung, die nicht mehr ist, als eine pseudomoralische Erregung.
Oder um es mit den Worten der Verfasser zu sagen:
"… gedankenlos und billig"