Impfstoff: Profit vor Sicherheit?

Mitte der Woche erhielt das Mainzer Unternehmen Biontech vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Genehmigung, einen Anti-Corona-Wirkstoff zu testen. Nach Informationen des SWR soll das Verfahren so laufen:

"In der ersten Phase wer­de ein mög­li­cher Covid-19-Impfstoff an 200 gesun­den Personen gete­stet, sag­te der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek… Nach Angaben von Biontech-Chef Uğur Şahin [stel­le] ein Impfstoff die ein­zi­ge dau­er­haf­te Lösung gegen die Covid-19-Pandemie dar…

In Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Pfizer wol­le man einen Impfstoff fin­den, der idea­ler­wei­se welt­weit ein­ge­setzt wer­den kön­ne. Es sei theo­re­tisch mög­lich, schon bis Ende 2020 Millionen von Impfstoffdosen zur Verfügung zu stel­len. Dass bereits in die­sem Jahr ein erster zuge­las­se­ner Impfstoff für die all­ge­mei­ne Bevölkerung bereit steht, hält der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Cichutek aller­dings für unwahr­schein­lich." Link

Es ist nicht ver­wun­der­lich, daß ein Unternehmen sein Produkt als "ein­zig dau­er­haf­te Lösung" dar­stellt – so läuft PR. Daß es sei­nen Absatzmarkt "idea­ler­wei­se welt­weit" sieht, ist kapi­ta­li­stisch gese­hen völ­lig logisch.

Einiges aber irritiert.

Die Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V., nicht gera­de irgend­ei­ne NGO, beschreibt den übli­chen Verlauf der Entwicklung so:

"Die Forschung lässt sich mit Aufwand und Geld nur wenig beschleu­ni­gen. Denn einen Impfstoff zu ent­wickeln, braucht nun ein­mal Zeit. Das hat ver­schie­de­ne Gründe, die ersicht­lich wer­den, wenn man die Schritte der Entwicklung ein­mal durchgeht.

Es beginnt nor­ma­ler­wei­se im Labor. Hier wird der Impfstoff ent­wickelt: Es geht dar­um, sei­ne Wirkung, sei­nen Aufbau, sei­ne Herstellbarkeit zu prü­fen, zu modi­fi­zie­ren, zu opti­mie­ren. Das kann Wochen bis Monate dau­ern. Liegt ein viel­ver­spre­chen­der Impfstoff vor, wird er an Tieren – meist an Mäusen – erprobt. Hier geht es vor allem um zwei Dinge: Um die Wirkung, den Impfschutz – und um even­tu­el­le Nebenwirkungen.

Schließlich wird der Virus in den soge­nann­ten kli­ni­schen Phasen an Menschen gete­stet. Auch hier geht es wie­der um den Impfschutz und die Nebenwirkungen. Über bei­des – den Impfschutz und vor allem die Nebenwirkungen – las­sen sich nur durch eine Beobachtung der Probanden von min­de­stens meh­re­ren Monaten aus­rei­chend Erkenntnisse gewinnen.

Um das Risiko gering zu hal­ten, gehen Forscher hier in meh­re­ren Schritten vor. In einer soge­nann­ten Phase-1-Studie soll zunächst anhand von höch­stens 100 gesun­den Probanden vor­sich­tig abge­schätzt wer­den, ob der Impfstoff wir­ken könn­te und ver­träg­lich ist. Anschließend folgt eine Phase-2-Studie mit meh­re­ren Hundert Probanden, wo es dar­um geht, die rich­ti­ge Dosis zu fin­den und die Verträglichkeit und Wirksamkeit zu testen. Schließlich wird der Impfstoff in einer Phase-3-Studie an meh­re­ren Tausend bis meh­re­ren Zehntausend Menschen in soge­nann­ten Doppelblindstudien gete­stet. Die Wirkung der Arznei wird dar­in mit der Wirkung von Placebos oder ande­re Medikamenten verglichen.

Liegen die Ergebnisse aller Studien vor, prü­fen die Zulassungsbehörden – in der EU etwa die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA, in den USA die U.S. Food and Drug Administration FDA – alle Resultate und ertei­len im Idealfall die Zulassung. Die Massenproduktion des Impfstoffes kann beginnen.

In der Summe dau­ern die kli­ni­schen Studien meh­re­re Monate bis meh­re­re Jahre. Hier abzu­kür­zen, kann extrem gefähr­lich sein; etwa wenn eine gefähr­li­che Nebenwirkung über­se­hen wird, weil sie erst nach Monaten auf­tritt oder sehr sel­ten ist und daher erst bei tau­send­fa­cher Anwendung beob­ach­tet wird." Link

(Hervorhebungen nicht im Original)

Gehen wir davon aus, daß die Phase Entdeckung des Wirkstoffs und Test an Mäusen tat­säch­lich abge­schlos­sen ist. Dann stün­de nach Auffassung der Helmholtz-Gemeinschaft eine mehr­mo­na­ti­ge Testphase mit 100 gesun­den Probanden an. Biontech kün­digt 200 Probanden an. Die vor­ge­se­he­ne 2. Testphase wird offen­bar über­sprun­gen, dann beginnt eine Phase mit tau­sen­den Tests "auch an Risikopatienten und Menschen bis 80 Jahre". Link
Wenn alles gut läuft, prü­fen die Zulassungsbehörden, danach kann die Produktion beginnen.

Unter die­sen Voraussetzung ist die Ankündigung von Biontech, "bis Ende 2020 Millionen von Impfstoffdosen zur Verfügung zu stel­len" ent­we­der eine Lüge – oder es wer­den die Regeln für die Firma außer Kraft gesetzt. Letzteres scheint der Fall zu sein, auch wenn das Handelsblatt der Meinung ist,

"Firmen wie… Biontech… betre­ten durch­weg Neuland, was die indu­stri­el­le Produktion sol­cher Impfstoffe betrifft." Link

"Ugur Sahin von BioNTech ist sich aller­dings sicher, dass es zu einem beschleu­nig­ten Zulassungsverfahren kom­men wird." Link

Nicht gera­de ver­trau­ens­er­weckend hört sich da die Information des Chefs des Paul-Ehrlich-Instituts, Prof. Dr. Klaus Cichutek, an, der (in einem ande­ren Zusammenhang) mitteilte:

"Wir gestal­ten die­se Entwicklung als for­schen­des Institut und zulas­sen­de Behörde aktiv mit! " Link

Und nach allem, was über den Einfluß pri­va­ter Stiftungen auf die WHO bekannt ist (s. Wer finan­ziert die WHO?), bleibt ein zwie­späl­ti­ges Gefühl bei der Nachricht, daß Cichutek u.a. Mitglied des Product Development for Vaccines Advisory Committee besag­ter Organisation ist. Link

Eine wei­te­re Frage stellt sich. Laut Prof. Cichutek lau­fen die Gespräche mit der Firma Biontech bereits seit Januar die­sen Jahres. Link

Allerdings erst am 26. Februar sieht Gesundheitsminister Spahn den "Beginn einer Epidemie" (vgl. Spahn: Was küm­mert mich mein Geschwätz…). Es bie­ten sich Erklärungen an, die glei­cher­ma­ßen beun­ru­hi­gend sind. (A) Der Gesundheitsminister wur­de von den wis­sen­schaft­li­chen Instituten im Unklaren über die Gefährlichkeit des Virus gehal­ten. (B) Der Minister hat­te Recht mit sei­ner eher zurück­hal­ten­den Einschätzung der Gefahr und wur­de mit der Zeit auf Kurs gebracht. Variante © ist die der Verschwörungstheoretiker: Hersteller von Impfstoffen schaf­fen sich ein media­les Umfeld zur Vermarktung ihrer Produkte. Gibt es wei­te­re Deutungsmuster? Es wäre zu hoffen.

Eine Antwort auf „Impfstoff: Profit vor Sicherheit?“

  1. ROADMAP FOR THE IMPLEMENTATION OF ACTIONS BY THE EUROPEAN COMMISSION BASED ON THE COMMISSION COMMUNICATION AND THE COUNCIL RECOMMENDATION ON STRENGTHENING COOPERATION AGAINST VACCINE PREVENTABLE DISEASES 

    https://ec.europa.eu/health/system/files/2019–09/2019–2022_roadmap_en_0.pdf

    In December 2018, the Council adopted a Recommendation to streng­then EU coope­ra­ti­on on vac­ci­ne-pre­ven­ta­ble diseases. 

    https://​www​.euro​pe​an​files​.eu/​h​e​a​l​t​h​/​e​u​r​o​p​e​a​n​-​c​o​m​m​i​s​s​i​o​n​-​r​o​a​d​m​a​p​-​o​n​-​v​a​c​c​i​n​a​t​ion

    07.12.2018

    COUNCIL RECOMMENDATION of 7 December 2018 on streng­the­ned coope­ra­ti­on against vac­ci­ne-pre­ven­ta­ble diseases
    (2018/C 466/01)

    THE COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION, (…) 

    (…) vac­ci­ne-hesi­tant attitudes (…) 

    The European Parliament reso­lu­ti­on of 19 April 2018 on vac­ci­ne hesi­tan­cy and the drop in vac­ci­na­ti­on rates in Europe (7) calls on Member States to ensu­re suf­fi­ci­ent vac­ci­na­ti­on of heal­th­ca­re workers, take effec­ti­ve steps against mis­in­for­ma­ti­on, and imple­ment mea­su­res for impro­ving access to medi­ci­nes. It also calls on the Commission to faci­li­ta­te a more har­mo­ni­s­ed sche­du­le for vac­ci­na­ti­on across the EU. 

    https://​eur​-lex​.euro​pa​.eu/​l​e​g​a​l​-​c​o​n​t​e​n​t​/​E​N​/​T​X​T​/​P​D​F​/​?​u​r​i​=​C​E​L​E​X​:​3​2​0​1​8​H​1​2​2​8​(01)

    19.04.2018

    https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA‑8–2018-0188_EN.html

    https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52018IP0188

    Impfskepsis und Rückgang der Durchimpfungsraten in Europa 

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. April 2018 zu der Impfskepsis und dem Rückgang der Durchimpfungsraten in Europa (2017/2951(RSP))

    (2019/C 390/20)

    (…) zu der Zögerlichkeit bei Impfungen und dem Rückgang der Impfquoten in Europa (…) 

    ver­ur­teilt die Verbreitung unzu­ver­läs­si­ger, irre­füh­ren­der und unwis­sen­schaft­li­cher Informationen über Impfungen, die durch kon­tro­ver­se Diskussionen in den Medien, die Sensationsgier der Medien und schlech­ten Journalismus noch ver­schärft wer­den; for­dert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, wirk­sa­me Schritte gegen die Verbreitung der­ar­ti­ger Fehlinformationen ein­zu­lei­ten, Sensibilisierungs- und Informationskampagnen zur Wiederherstellung des Vertrauens in Impfstoffe aus­zu­bau­en und ins­be­son­de­re Eltern bes­ser auf­zu­klä­ren und ver­stärkt in einen Dialog ein­zu­bin­den, und zwar auch durch die Schaffung einer euro­päi­schen Plattform für eine höhe­re Durchimpfung, mit der Fehlinformationen ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den soll; 

    betont, dass den Bürgern umfas­sen­de, tat­sa­chen­ge­stütz­te und wis­sen­schafts­ba­sier­te Informationen bereit­ge­stellt wer­den müs­sen; for­dert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den Dialog mit Akteuren der Zivilgesellschaft, der Basisbewegungen, der Wissenschaft, der Medien und der natio­na­len Gesundheitsbehörden zu för­dern, um gegen unzu­ver­läs­si­ge, irre­füh­ren­de und unwis­sen­schaft­li­che Informationen über Impfungen vor­zu­ge­hen;

    https://​eur​-lex​.euro​pa​.eu/​l​e​g​a​l​-​c​o​n​t​e​n​t​/​D​E​/​T​X​T​/​H​T​M​L​/​?​u​r​i​=​C​E​L​E​X​:​5​2​0​1​8​I​P​0​1​8​8​&​f​r​o​m​=EN

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