Wie mißt man Inkompetenz-Inzidenz?

Gut, daß es nur Corona ist. Nicht aus­zu­den­ken, was in die­sem Land geschä­he, wenn es sich um eine wirk­lich sehr gefähr­li­che Pandemie handelte.

Die Exekutive ver­fängt sich in histo­risch bei­spiel­lo­sem Aktionismus, der nur ein Mittel kennt, die mög­lichst dra­sti­sche Einschränkung des Lebens der BürgerInnen. Jede neue Maßnahme schafft dabei Begründungen für wei­te­re Verschärfungen.

Die Zahl der Tests wur­de in die Höhe getrie­ben, wodurch die Gesundheits­ämter bei der Kontakt-Nachverfolgung nicht mehr mit­ka­men. Das kann nicht erstau­nen. Denn erstens wur­den deren Personalkapazitäten oft­mals nach dem Frühjahr wie­der zurück­ge­fah­ren. Und zwei­tens wird ihnen auf­ge­tra­gen, nicht etwa Erkrankte oder Infektiöse nach­zu­ver­fol­gen, son­dern alle posi­tiv Getesteten. Ein sol­ches Vorhaben muß schei­tern. Es ist nach ganz über­wie­gen­der Meinung der Fachleute auch Unfug. Inzwischen neh­men auch "Mainstream-Medien" zur Kenntnis, daß die Strategie der Eindämmung (con­tain­ment) zugun­sten der Folgenminderung (miti­ga­ti­on) geän­dert wer­den muß.

Das hat­te im übri­gen schon im Februar auch Christian Drosten so gese­hen (s. Drosten-Erkenntnisse – in den Wind geschla­gen).

So unsin­nig wie das Starren auf die Fallinzidenz ist ver­mut­lich die Ermittlung eines Wertes für die Inkompetenz der Verantwortlichen. Beide wei­sen jeden­falls rasan­te Steigerungsraten auf.

FAZ greift Leugner-These auf, ist aber egal

Unter dem irre­füh­ren­den Titel "Planvoll durch die zwei­te Welle" (Druckausgabe) schreibt die FAZ am 21.10. über einen inno­va­ti­ven Ansatz des Neuköllner Gesundheitsamts. Ein neu­er Maßstab mißt

»… die Rückstände in der Fallermittlung nach regu­lä­rem Dienstschluss. Wenn inner­halb einer regu­lä­ren Schicht mit dem gesam­ten Team nicht alle Fälle ermit­telt und die Kontaktpersonen nach­ver­folgt wer­den konn­ten, ent­ste­hen Rückstände. Das sind infi­zier­te Personen oder Kontaktpersonen ersten Grades, die… mög­li­cher­wei­se schon auf der näch­sten Hochzeit tan­zen… Weitere Beschränkungen sind in einer sol­chen Lage sinnvoll.«

Dabei ver­weist der Artikel offen­bar zusam­men­hang­los darauf:

»Noch nach sechs Monaten im Pandemiemodus fehlt eine wei­ter­ent­wickel­te Sars-Cov-2-Diagnostik. Bisherige Tests in Mund-Nasen-Rachenabstrichen mit­tels PCR auf Virusmaterial sind im Alltag noch immer kon­kur­renz­los. Das Ergebnis ist binär, ent­we­der posi­tiv oder nega­tiv. Mit erheb­li­chen Folgen… Wenn aber der Indexfall nur infi­ziert und nicht infek­ti­ös ist, so sähe das Szenario anders aus. Viel wich­ti­ger als der Nachweis des Erregers ist, ob ein posi­tiv Getesteter eine Viruslast in sich trägt, die ihn ansteckungs­fä­hig für ande­re macht oder eben nicht. Nur im Falle einer mög­li­chen Ansteckungsfähigkeit ist eine Quaran­tänisierung über­haupt medi­zi­nisch sinnvoll.

Im Grunde liegt der Schwellenwert für die Viruslast, der besagt, ob jemand ansteckend ist oder nicht, bei den PCR-Tests in Form des CT-Wertes schon vor. Das Robert-Koch-Institut hat… den CT-Schwellenwert fest­ge­legt, von dem kei­ne Ansteckungsgefahr mehr aus­geht. Und zwar einen CT-Wert höher oder gleich 30.

Möglicherweise könn­te der Viruslastschwellenwert sogar noch nied­ri­ger sein. Die kon­se­quen­te Beachtung die­ses Parameters wür­de die Fallermittlung erheb­lich entlasten…«

Am 19.10. hat­te faz​.net noch den CDU-Stadtrat für Jugend und Gesundheit in Neukölln so zitiert:

»Liecke hält eine Eindämmung wie im Sommer für sei­nen Bezirk mit 330.000 Einwohnern für unmög­lich. Die Infektion sei in die brei­te Bevölkerung ein­ge­sickert. "Inzwischen ist das Bild so dif­fus, dass wir den Ursprung der Infektion nicht mehr genau loka­li­sie­ren kön­nen", sagt er. Es sei­en über­all Infizierte zu fin­den, ob im Fitness-Studio, im Privaten, am Arbeitsplatz.«

Und im glei­chen Atemzug der Leiter des Gesundheitsamts:

»Bisher konn­te das Gesundheitsamt nicht nur die Infektiosität, son­dern auch das Ausmaß der Viruslast fest­stel­len. "Nicht der Nachweis des Virus ist von Belang, son­dern die Ansteckungsfähigkeit des Einzelnen", war die Maxime, die Quarantänezeit indi­vi­du­ell. Jetzt wird für direk­te Kontaktpersonen grund­sätz­lich eine Isolation für 14 Tage ange­ord­net. Verdachtspersonen müs­sen sich bis zum Ergebnis eben­falls in Isolation bege­ben. In der Regel waren die Ergebnisse einen Tag nach dem Abstrich beim PCR-Test vor­han­den. Inzwischen sind die Laborkapazitäten so knapp, dass das Gesundheitsamt vier Tage war­tet.

Hinzu kommt, dass es vie­le fach­frem­de Kräfte bei der Kontaktverfolgung ein­set­zen muss. Zum Ermitteln brau­che man eine hohe Sensibilität und Erfahrung, weil es oft um inti­me Themen gehe. "In Anbetracht der hohen Fallzahlen kön­nen wir nicht mehr die klein­tei­li­ge Fallermittlung machen wie bis­her", weil es schnell gehen muss. Denn jeder posi­tiv Getestete hat min­de­stens 15 Kontakte.

Zwischen 30 und 70 Fälle pro Tag müss­ten trotz der Verschlankung des Verfahrens [?? AA] aus Kapazitätsgründen auf den näch­sten Tag ver­scho­ben wer­den. In Neukölln las­sen sich die Infektionen schon längst nicht mehr auf die Quellen der Ansteckung zurück­füh­ren. In 90 Prozent der Fälle gelingt das in Berlin nicht mehr.

Die Kooperationsbereitschaft der Infizierten, ihre Kontakte preis­zu­ge­ben, ist merk­lich gesunken…

Was jetzt noch hilft? Das Wirkungsvollste wäre ein Lockdown, doch den will Savaskan nicht. Noch gibt es kei­ne Strategie für alle Bezirke. Savaskan hofft auf Schnelltests, die noch nicht zuge­las­sen sind

Mein aktu­el­ler Spitzenreiter im Inkompetenz-Ranking bleibt aber Berchtesgaden. Den gan­zen Ort für zwei bis drei Wochen einszu­per­ren, aber tau­sen­de Urlauber aus dem "Hotspot" ins Land zurück­fah­ren zu las­sen, die­se Maßnahme wird schwer zu top­pen sein.

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

4 Antworten auf „Wie mißt man Inkompetenz-Inzidenz?“

  1. Danke, sehr treffend.

    Zu Berchtesgaden sehen Sie bit­te auch:
    Was ist los im Berchtesgadener Land? Update 12:25 Uhr

    21. 10. 2020 | Der Landkreis Berchtesgadener Land ist Rekordhalter bei der wöchent­li­chen Corona-Inzidenz. Es wur­den Ausgangssperren und ein Lockdown ver­ord­net. Nur rich­tig krank wer­den die vie­len Infizierten dort sehr viel sel­te­ner als in Deutschland ins­ge­samt. Was ist da los? …

    https://​nor​bert​haer​ing​.de/​u​n​k​a​t​e​g​o​r​i​s​i​e​r​t​/​b​e​r​c​h​t​e​s​g​a​d​e​n​-​t​r​a​u​n​s​t​e​i​n​-​c​o​v​id/

  2. Dieser Satz ist zurecht von Ihnen hervorgehoben

    "Nur im Falle einer mög­li­chen Ansteckungsfähigkeit ist eine Quarantänisierung über­haupt medi­zi­nisch sinnvoll."

    Ob eine Quarantäne jemals medi­zi­nisch sinn­voll sein kann, bezweif­le ich. Denn die Quarantäne nützt ja nicht dem Patient.

    Eine "Ansteckungsfähigkeit" ist wohl der größ­te Unsinn aller Zeiten. Auf was soll die bezo­gen sein? Ist damit gemeint, ob jemand infek­ti­ös ist, oder jemand der anfäl­lig für Infektionen ist? Ich glau­be, den Begriff gibt es ein­fach garnicht.

    Und ob eine Zwangs-"Quarantänisierung" sinn­voll ist, ist gewiss kei­ne medi­zi­ni­sche Frage son­dern in erster Linie eine juri­sti­sche, denn er geht hier um die Wegnahme von Menschen- und Freiheitsrechten ober­ster Priorität.

    1. @Albrecht Storz: Na ja, Infektionsschutz und Quarantäne sind nicht per se Unfug. Bei wirk­lich gefähr­li­chen Krankheiten erge­ben sie schon einen Sinn. Und auch bei einer rich­ti­gen Grippe, mit der nicht zu spa­ßen ist, wäre wün­schens­wert, wenn sich die Leute nicht auf die Arbeit schlep­pen wür­den. Aktuell geht es aber nicht um das Weitertragen von Krankheitserregern, son­dern um Panikmache mit Zahlen aus Tests, die wenig bis nichts über Erkrankungen und Infektionsrisiken aussagen.

  3. Achtung!
    Ich habe gera­de die Eilmeldung des Tages gelesen:
    Jens Spahn posi­tiv getestet !
    Wir sind bei dir !!!

    PS: Ich bin mor­gen auf die Headlines nicht nur der der B‑Zeitung gespannt .

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