Im Gespräch mit FOCUS Online erklärt die Leiterin eines Heinsberger Pflegeheims, warum die Gesellschaft gerade eine ganze Generation vergisst. Sie sagt dort u.a.:
»Auch Monate nach der Akutphase wird in deutschen Pflegeheimen großes seelisches Leid produziert. Es bekommt nur keiner mit, weil Politik und Gesellschaft keine Denkkapazitäten für uns frei haben…
Je nach Bundesland herrschen immer noch mehr oder weniger strenge Besuchsregelungen. Es gibt Heime, in denen können Bewohner immer noch keinen oder nur sehr eingeschränkten Besuch empfangen, zum Beispiel nur nach vorheriger Terminvereinbarung in einem speziellen Besucherraum und unter Anwesenheit von Pflegepersonal. Weil das oft fehlt und die Wochenende-Besetzungen in der Regel schlechter sind, erlauben manche Heime an Wochenenden gar keine Besuche mehr.
Schon für nicht dementiell veränderte Menschen ist die aktuelle Situation brutal. Wenn Bewohner ihre Angehörigen nicht sehen können, bricht ihre gesamte emotionale Unterstützung weg. Wir haben in den vergangenen Monaten bemerkt, dass das zu starken psychischen Veränderungen bei den Menschen geführt hat. Sie saßen teilnahmslos in ihren Zimmern oder auf den Fluren. Besonders schlimm: Viele haben ihre Angehörigen nach Lockerung des absoluten Besuchsverbots gar nicht mehr erkannt.
Bewohnerin: "Ich bin 95 geworden, jetzt sperrt ihr mich ein – was soll das?"
Inzwischen hat sich die Situation in vielen Heimen gebessert, in vielen aber auch nicht. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel dürfen Bewohner die Pflegeeinrichtungen für maximal sechs Stunden verlassen. Ein Wochenend-Besuch bei der Familie? Das ist immer noch nicht möglich. Eine Seniorin in meinem Haus hat mich deshalb zu Recht gefragt "Jetzt bin ich gerade 95 geworden und ihr sperrt mich wieder ein. Was soll das?"…
Natürlich fragt man sich ab und an: Warum dürfen Millionen Deutsche trotz offensichtlich steigender Fallzahlen für zwei Wochen in die Toskana oder nach Mallorca reisen und meine Bewohner nicht einmal einen Tagesausflug an den Rhein machen? Doch es wäre falsch, zu denken, dass die Jungen jetzt auf Kosten der Alten auf alles verzichten müssten. Was mich wütend macht, ist, dass der Kasernierungs-Zustand der Alten andauert und von der Politik so hingenommen wird. Ich frage mich, warum nicht jetzt nach Lösungen gesucht wird, die einer ganzen Generation das Leben mit Corona halbwegs erträglich machen könnten…
In unserem Haus müssen Bewohner, die von zuhause oder aus dem Krankenhaus aufgenommen werden, ein negatives Testergebnis vorweisen. Liegt das vor, passiert erst einmal lange gar nichts mehr. Getestet wird in den Heimen immer noch nur im Bedarfsfall, das heißt, wenn ein Bewohner zum Beispiel Covid-19-Symptome hat. Wir behelfen uns, indem wir zwei Mal täglich die Temperatur der Menschen messen.
Grundsätzliche Testverfahren mit festgelegten Zyklen oder Reihentests für unsere Mitarbeiter gibt es aber nicht. Dabei sind gerade symptomfreie Pfleger mitunter die größte Gefahr für ein Altenheim. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Sechs meiner Mitarbeiter wurden im Frühjahr positiv getestet. Glücklicherweise konnten wir schnell reagieren. Trotzdem sind zwei meiner Bewohner an Corona erkrankt, einer ist leider verstorben…
Wir sollten jetzt die Ruhe vor dem Sturm unbedingt nutzen, um zu verhindern, was im Frühjahr eine ganze Branche traumatisiert hat. Dazu gehören mehr Tests. Aber auch politische Verordnungen, die nicht nur den medizinischen Infektionsschutz, sondern auch den ethischen Aspekt, die Menschenwürde der Bewohner berücksichtigen. Nicht nur Abstand und Mundschutz sind in der stationären Pflege wichtig, sondern auch ein Recht auf Besuch und Beistand für die Betroffenen. Die Politik sollte die Wünsche und Bedürfnisse der alten Menschen, den Einzelfall im Blick haben – und nicht wie die Virus-Feuerwehr nur von Hotspot zu Hotspot rauschen.«
(Hervorhebungen nicht im Original.)
Sehr geehrter Herr Aschmoneit,
ich möchte mich einfach mal bei Ihnen für Ihre wertvolle Arbeit bedanken. Ich lese täglich Ihre Beiträge.
Gruß
Christian Schrod
Dann soll sie's halt so organisieren, dass die Leute nicht kaserniert sind. Bei meiner Mutter geht's ja auch.
Im hochgelobten Schweden sind Besuche in Altenheimen übrigens gänzlich verboten.