Würde die Politik tatsächlich auf wissenschaftlichen Rat hören, wäre von den "Maßnahmen" nur noch recht wenig übrig. Eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“, wie sie am 25. März zur Begründung für ein Notstandsrecht angenommen wurde, wäre nicht mehr existent.
Neben Prof. Schmidt-Chanasit, der nicht müde wird, die "Fallzahlen" als einziges Kriterium für staatliches Vorgehen zu kritisieren, meldet sich vermehrt Prof. Streeck mit ähnlichen Positionen zu Wort.
In einem Interview mit der Fuldaer Zeitung gibt er zu bedenken:
»Mir geht es um pragmatische Lösungsansätze. Ich möchte helfen, eine neue Normalität zu erreichen, indem wir weg von einer Verbots- hin zu einer Gebotskultur kommen.
[FZ:] Aber wir hören täglich von steigenden Infektionszahlen. Auch wenn die Zahl der Krankenhaus- und Sterbefälle zurückgeht, ist die Politik alarmiert.
Es gab verschiedene Phasen. Anfangs kannten wir das Virus nicht. Es war eine Gefahr da, und in meinen Augen hat die Bundesregierung in dieser Situation gut und folgerichtig gehandelt. Aus einer Gefahr ist aber nun ein Risiko geworden. Ein ernstzunehmendes Risiko, aber eines, das statistisch gesehen für den Einzelnen recht gering ist. Wenn wir nicht mehr nur auf die Infektionszahlen schauen, sondern auch stationäre und intensivmedizinische Belegungen in unsere Betrachtung mit einbeziehen, können wir das Risiko sehr viel besser einschätzen.
[FZ:] Ist der Kurs der Politik, sich auf die Infektionszahlen zu fokussieren, also falsch?
Symptomlose Infektionen haben im Allgemeinen für den Einzelnen keine negativen Folgen. Worum es in dieser Pandemie vor allem geht, sind Menschen, die schwer erkrankt sind und entweder stationär oder sogar intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Ich plädiere für eine Ampel, die sich nicht nur an den Infektionszahlen, sondern auch an den mit Coronapatienten belegten stationären Betten orientiert…
[FZ:] IWas halten Sie von der Teststrategie der Bundes- und Landesregierungen? Wird zu viel getestet?
Ein anlassbezogenes Testen halte ich für sinnvoller. Wir sind inzwischen bei einer Auslastung von 75 Prozent der Testkapazitäten und gefährden damit die Möglichkeiten auch gegen andere Viren weiterhin testen zu können – zum Beispiel gegen die Grippe…
Wir haben auf der einen Seite ein Präventionsparadoxon durch Hygieneregeln, andererseits ist die Überbelastung des Gesundheitssystems vor der Hygieneregelung, die im Frühjahr befürchtet wurde, ausgeblieben.
[FZ:] Sie sagen, dass wir am Ende des Jahres vielleicht gar nicht mehr Todesfälle haben als in anderen Jahren. Das müssen Sie erklären.
Jeder Tod ist eine Tragödie. Zu unserer Wahrheit gehört aber, dass in Deutschland durchschnittlich täglich 2500 Menschen sterben. Dabei sterben im Frühjahr und im Herbst mehr, und im Sommer weniger Menschen. Zur Zeit ist nicht erkennbar, dass wir eine höhere Sterberate dieses Jahr haben werden.
[FZ:] Ein Indikator für die Gefährlichkeit des Virus ist die Sterberate. Das RKI gibt diese mit 4,5 Prozent an, andere sprechen von 0,1 bis 0,2 Prozent. Sie gehen von 0,37 Prozent aus. Können Sie uns diese Abweichungen erklären?
Das RKI bezieht sich auf die gemeldeten Infektionsfälle und die gemeldeten Todesfälle. Das schließt die Dunkelziffer aus. Wenn man die Dunkelziffer mit berücksichtigt, wird die Zahl der Sterberate natürlich kleiner…
[FZ:] Häufig ist von einer zweiten Welle die Rede. Sie halten es für möglich, dass sich die Infektionszahlen im Herbst sogar verzehnfachen könnten. Klingt nach einem apokalyptischen Szenario…
Die Welle ist kein wissenschaftlicher Begriff. Die WHO spricht immer noch von der ersten Welle. Die Wellenthematik ist für Coronaviren müßig. Anders als Grippeviren, die oft verschwinden, tun das die meisten Coronaviren nicht. Daher müssen wir lernen, SARS-CoV2 in unser Leben zu integrieren…
[FZ:] Vor allem für ältere Menschen ist eine Ansteckung gefährlich, für Nicht-Risikopatienten eher nicht. Sollte man vor diesem Hintergrund nicht eher die Risikogruppe besser schützen anstatt ein ganzes Land in den Lockdown zu fahren?
Eine solche inverse Isolation muss man kritisch sehen, da es wie das Wegsperren einer Generation aussieht. Schutz soll sein, aber die Frage, ob es nicht die Entscheidung zum Beispiel eines 90-Jährigen selbst ist, seine Enkelkinder zu sehen, muss erlaubt sein…
[FZ:] Teil unserer neuen Normalität ist der Mund-Nasen-Schutz. Helfen diese Masken überhaupt?
Ja. Es gibt mittlerweile gute Daten, die zeigen, dass ein Mundschutz vor einer Ansteckung schützen kann. Sie halten Tröpfchen ab – auch wenn ein Virus theoretisch durch so einen Mundschutz passt. Es gibt zwar immer noch die Wahrscheinlichkeit der Infektion. Aber es setzt die Infektionsdosis herunter. Dadurch fördert man eine asymptomatische Infektion, also eine Infektion, die keine Symptome hervorruft.«
(Hervorhebungen nicht im Original.)
Schön, dass Herr Streeck in der Maskenfrage inzwischen kooperiert. Vor einigen Wochen hörte sich das noch anders an.
Wenn stoffmasken was nutzen wuerden, woher kommt dann der aktuelle peak bei den Rhinocviren, der unwiederlegbar da ist? Siehe RKI