Gesundheitsminister kennt Corona-Zahlen nicht – kreative Statistik

In der Osnabrücker Zeitung vom 23.7. ist zu lesen:

»Laumann: 2119 Corona-Fälle im Zusammenhang mit Ausbruch bei Tönnies
Laut NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ste­hen mehr als 2000 Corona-Infektionen im Zusammenhang mit dem Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück. Der CDU-Politiker sag­te im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Nach aktu­el­lem Stand ord­nen die zustän­di­gen Behörden dem Ausbruch bei Tönnies bis­lang ins­ge­samt 2119 Fälle zu." Bei wei­te­ren 67 Fällen gel­te ein Zusammenhang als mög­lich. "Von den sicher dem Ausbruch zuzu­ord­nen­den Fällen sind mei­ner Kenntnis nach ins­ge­samt 41 Personen sta­tio­när ver­sorgt wor­den. Verstorben ist bis­her offen­bar zum Glück nie­mand", sag­te Laumann. «

Seiner Kenntnis hät­te gut­ge­tan, sich mit den offi­zi­el­len Zahlen des Kreises Gütersloh ver­traut zu machen. Eine Pressemitteilung eben­falls vom 23.7. teilt mit:

»Im Kreis Gütersloh waren zum Stand 23. Juli, 0 Uhr, 2.599 (22. Juli: 2.593) labor­be­stä­tig­te Coronainfektionen erfasst. Dies sind kumu­lier­te Zahlen seit Anbeginn der Pandemie. Davon gel­ten 2.464 (22. Juli: 2.464) Personen als gene­sen und 115 (22. Juli: 109) als noch infi­ziert… Laut Auskunft der vier Krankenhäuser wer­den der­zeit 5 Patienten (22. Juli: 5) sta­tio­när behan­delt. Davon wird eine Person (22. Juli: 1) inten­siv­pfle­ge­risch ver­sorgt und muss beatmet wer­den. Im Kreis Gütersloh sind seit Beginn der Pandemie 20 Menschen ver­stor­ben, die sich mit dem Coronavirus infi­ziert hatten.«

Am 12.6., vor den Tönnies-Testungen, hat­te der Kreis "751 (10. Juni: 737) labor­be­stä­tig­te Coronainfektionen erfasst". Das ergibt (2.599–751) 1.848 Fälle "nach Tönnies".

Doch auch die Zahlen des Kreises sind wider­sprüch­lich. Danach gal­ten schon am 24.6. 21 Menschen als ver­stor­ben, einer mehr als am 23.7.… Diese Zahl galt auch noch am 27.6.  An die­sem Tag gab es aus­nahms­wei­se eine kor­rek­te Zuordnung in der Überschrift "Zahl der posi­ti­ven Tests in der übri­gen Bevölkerung steigt merk­lich an, Zahl der Erkrankten nicht". Ohne zu erklä­ren, wie es zu der Wiederbelebung kam, erfolg­te am 8.7. die Mitteilung: "Diese Zahl wur­de in Abstimmung mit dem RKI bereits am Dienstag, 7. Juli, von 21 auf 20 kor­ri­giert." Dort ist – im Kleingedruckten – auch zu lesen:

»Kurzbewertung in Abstimmung mit dem RKI: …Die Mehrzahl der Personen mit posi­ti­ven Tests, für die ent­spre­chen­de Informationen vor­lie­gen, ist offen­bar asym­pto­ma­tisch. Bei Infizierten mit Symptomen und bekann­tem Erkrankungsbeginn ist wei­ter kein Anstieg der Erkrankungszahlen über die Zeit erkennbar.«

Diese Information wird in den fol­gen­den Tagen bis heu­te wiederholt.

Die Sache mit der "übrigen Bevölkerung"

Die Differenzierung der Getesteten über die Formulierung "übri­ge Bevölkerung" zieht sich durch die Pressemitteilungen. Dabei geht es nicht um eine viel­leicht nahe­lie­gen­de Unterscheidung zwi­schen Beschäftigten im Schlachtbetrieb und nicht dort Tätigen. In ein und der­sel­ben Mitteilung vom 18.6., ist zu erfahren:

»Der Kreis Gütersloh erhält Unterstützung durch die Bundeswehr: 13 Kräfte mit medi­zi­ni­schen Vorkenntnissen und zwölf Soldaten für die Dokumentation wer­den bei der Testung von rund 5.000 Personen, die bei der Firma Tönnies tätig sind, ab Freitag, 19. Juni, unterstützen.«

und

»Unabhängig von der Reihentestung des Kreises Gütersloh sind heu­te 10 wei­te­re posi­ti­ve Laborbefunde ein­ge­gan­gen, die zwar nicht unmit­tel­bar dem Unternehmensbereich der Firma Tönnies zuge­ord­net wer­den kön­nen, jedoch Personen aus Südost- und Osteuropa betreffen.«

Ist Solches gemeint, wenn von insti­tu­tio­na­li­sier­ten Rassismus gespro­chen wird? Und mein­te der Landrat die "übri­ge Bevölkerung", als er am 8.7. die­ses kundtat:

»In einer E‑Mail an den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Stephan Weil (SPD) und Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU) hat Landrat Sven-Georg Adenauer appel­liert, die Reisebeschränkungen für Menschen aus dem Kreis Gütersloh auf­zu­he­ben. Adenauer wört­lich: "[…] wür­de mich freu­en, wenn Sie in die­sem Sinne segens­reich tätig wer­den. Die Menschen aus dem Kreis Gütersloh sind die Ausgrenzung und Stigmatisierung satt."«

Ein Anhaltspunkt könn­te sein Schreiben vom 10.7. sein. Dort heißt es

»Urlaub in Österreich soll wie­der unbe­schwert mög­lich wer­den, das wünscht Landrat Sven-Georg Adenauer, der heu­te auch den öster­rei­chi­schen Kanzler Sebastian Kurz ange­schrie­ben hat: "[…] Mich errei­chen täg­lich vie­le Mails von Bürgerinnen und Bürgern mei­nes Kreises, die sich sehr ger­ne zum Urlaub in die schö­ne Republik Österreich auf­ma­chen wür­den. Diesen Wunsch haben im Übrigen auch vie­le Geschäftsleute aus dem wirt­schafts­star­ken Kreis Gütersloh (Miele, Claas, Bertelsmann, Storck, Hörmann, Nobilia, Beckhoff und ande­re…). Ich wür­de mich sehr freu­en, wenn Sie in die­sem Sinne ent­schei­den würden."«

Auf die Idee, daß der "wirt­schafts­star­ke Kreis" den Erkrankten und den aus­ge­beu­te­ten Schlachthofarbeitern einen Urlaub spen­die­ren kön­ne, kommt der Landrat nicht.

Sprachlicher Geniestreich

Am 17.7. wird eine Pressemitteilung her­aus­ge­ge­ben, die als Geniesstreich krea­ti­ven Umgangs mit der deut­schen Sprache (der übri­gen Bevölkerung) gel­ten muß und ein Höchstmaß orga­ni­sa­to­ri­schen Talents beschreibt. Hier ist zu lesen:

»Die Bekämpfung der Pandemie kehrt nach Freitag, 17. Juli, wie­der zum Regelgeschäft zurück: In Quarantäne gehen bezie­hungs­wei­se blei­ben die Personen, die es schwarz auf weiß haben (indi­vi­du­el­le Schreiben), also Neuinfizierte und deren enge Kontaktpersonen. Die E‑Mail-Adresse test-​me@​kreis-​guetersloh.​de wird abgeschaltet.

Hintergrund: Es gibt zahl­rei­che Personen, eini­ge sind in Medienberichten the­ma­ti­siert wor­den, die auf­grund der Allgemeinverfügung in Quarantäne sind, von denen der Kreis Gütersloh aber nichts weiß, weil kei­ne Daten vor­lie­gen – kein Name, kei­ne Adresse. Dieser Personenkreis konn­te nicht kon­tak­tiert wer­den, wenn die indi­vi­du­el­le Quarantäne eigent­lich been­det war. Einige von denen bis dahin unbe­kann­ten Personen haben sich aktiv an die Ordnungsbehörden oder den Kreis – unter ande­rem über die E‑Mail test-​me@​kreis-​guetersloh.​de gemel­det – gewandt und konn­ten so nach Prüfung aus der Quarantäne ent­las­sen wer­den. Täglich wer­den neue Fälle gemel­det, aller­dings hat der E‑Mailverkehr auf die­ser Adresse über das ver­gan­ge­ne Wochenende erheb­lich nach­ge­las­sen. Erschwerend für den Datenabgleich kam hin­zu, dass sich etli­che Bürgerinnen und Bürger mit ande­ren Anliegen an die E‑Mailadresse gewandt haben. Am Montag, 13. Juli, sind mobi­le Teams zu etwa 50 Adressen gefah­ren, die über "test-me" gemel­det wur­den. Von ursprüng­lich 2.500 E‑Mails blie­ben 50 übrig, die dem Fall ent­spra­chen, für den die E‑Mail ein­ge­rich­tet wur­de – also Personen, die per Allgemeinverfügung in Quarantäne geschickt wor­den sind aber dem Kreis nicht bekannt waren. Diese Postfach-Auswertung hat enor­me Personalkapazitäten gebunden.

Am Dienstag, 14. Juli, sind die mobi­len Teams zur drit­ten Runde gestar­tet, zum soge­nann­ten Zwischenabstrich. Dieser erfolgt 5 bis 7 Tage nach dem Kontakt zu einer posi­tiv gete­ste­ten Person und kann die Quarantäne für die Kontaktpersonen ver­kür­zen (wenn nega­tiv) und kann hel­fen, die Infektionsketten zu unter­bre­chen (indem man beim Zwischenabstrich posi­tiv gete­ste­te Personen iso­liert).«

Doppelte Buchführung

»Schwankungen in den Daten nach Städten/Gemeinden: Aufgrund von Quarantäne-beding­ten Verlegungen kann es von Tag zu Tag auch zu Anstiegen der Fallzahlen der ein­zel­nen Städte und Gemeinden kom­men, die nicht als Neuinfektionen inter­pre­tiert wer­den dür­fen. Die Zahl der neu-dia­gno­sti­zier­ten Fälle pro Stadt oder Gemeinde gehen aus den nicht-öffent­li­chen Quarantäne-Listen hervor.«

So infor­miert eine Mitteilung vom 17.7.

Wie sich die Neue Westfälische ver­renkt, um die für eine Panikstimmung uner­gie­bi­ge Statistik zu inter­pre­tie­ren, ist lesens­wert. Sie ver­sucht sich an die­ser Grafik und schreibt:

»"Wundersamer" Corona-Genesungssprung im Kreis Gütersloh ein­fach zu erklären
Kreis Gütersloh. So manch einer mag sich ungläu­big die Augen gerie­ben haben beim Anblick der Corona-Statistik für den Kreis Gütersloh Anfang Juli. War die Zahl der als gene­sen Geltenden bis zum 2. Juli lang­sam ste­tig auf 817 geklet­tert, mach­te die Kurve zum näch­sten Tag plötz­lich einen gigan­ti­schen Sprung steil auf­wärts auf 1928 Genesene. Was war gesche­hen? Eine wun­der­sa­me Spontanheilung Coronavirus-Infizierter, hin­ter der eine fin­ste­re Verschwörung zu wit­tern sei, wie ein Internet-Prediger dem Youtube-Publikum weis­ma­chen will?

Die Kreisverwaltung hat dage­gen eine ganz nüch­ter­ne, plau­si­ble Erklärung parat: Es gibt Tage, an denen vie­le Testungen statt­ge­fun­den haben, infol­ge­des­sen vie­le posi­ti­ve Befunde, die an einem Datum in die Datenbank gelau­fen sind. 14 Tage spä­ter gel­ten die­se als gene­sen und wer­den als sol­che auch auf­ge­führt", erläu­tert eine Sprecherin des Kreises Gütersloh auf Anfrage. Sprich: Hintergrund ist also der rei­ne Erfassungszeitpunkt der Daten, denn die Statistik kann nicht in Echtzeit aus­wei­sen, wie die tages­ak­tu­el­le Lage der Corona-Infektionen im Kreis Gütersloh ist. Einen ähn­li­chen, deut­lich klei­ne­ren Sprung gab es vom 11. auf den 12. Juli mit 260 Genesungs-Fällen. Parallel zu den "Genesungssprüngen" sinkt die Zahl der Infizierten in der Statistik entsprechend.«

So ist es.

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

Eine Antwort auf „Gesundheitsminister kennt Corona-Zahlen nicht – kreative Statistik“

  1. Das ver­ste­he ich nicht, ich den­ke das "Virus" tötet und wir müs­sen alle geimpft werden?
    Wie kann denn jemand der "posi­tiv" gete­stet wur­de ein­fach in der Statistik nach 14 Tagen wie­der verschwinden?
    Es ist doch gar­nicht geklärt ob die­se Menschen "Virusfrei" , immu­ni­siert sind oder ob das Virus selbst ein­fach ver­schwun­den ist?
    Zitat:
    "Es gibt Tage, an denen vie­le Testungen statt­ge­fun­den haben, infol­ge­des­sen vie­le posi­ti­ve Befunde, die an einem Datum in die Datenbank gelau­fen sind. 14 Tage spä­ter gel­ten die­se als gene­sen und wer­den als sol­che auch aufgeführt"

    Dann ist ja kei­ne Impfung notwendig!

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