Mutter Courage in Zeiten von Corona

Über das berühm­te Stück von Bertolt Brecht schrieb ein fran­zö­si­scher Kritiker 1954 Worte, in denen das Wort "Krieg" durch das Wort "Corona-Maßnahmen" ersetzt wer­den kann, um das Verhalten vie­ler Menschen heu­te zu erklären:

»Mutter Courage ist in der Fatalität ver­haf­tet, sie glaubt, der Krieg sei unver­meid­lich, für ihr Geschäft, für ihr Leben not­wen­dig, sie stellt ihn nicht ein­mal in Frage. Doch das wird vor und hin­ge­stellt und geschieht außer­halb von uns. Und in dem Moment, in dem uns die­ser Abstand geschenkt wird, sehen wir, wis­sen wir, daß der Krieg kein Verhängnis ist: Wir wis­sen es nicht durch eine Wahrsagerei oder eine Demonstration, son­dern durch eine tie­fe, kör­per­li­che Evidenz, die aus der Konfrontation des Schauenden mit dem Angeschauten ent­steht und in der die kon­sti­tu­ti­ve Funktion des Theaters liegt.«
Roland Barthes, zitiert nach de​.wiki​pe​dia​.org

Lied der Mutter Courage – Helene Weigel, Ernst Busch, Berliner Ensemble
you​tube​.com

Aufführungsverbote in Westdeutschland und Österreich

Die fol­gen­den Angaben von Wikipedia habe ich nicht über­prüft, sie klin­gen glaubwürdig:

Während auch in der SBZ/DDR das Stück nicht unum­strit­ten war, wur­de es dort allei­ne von 1951–1961 405-mal vom Berliner Ensemble auf­ge­führt. Ganz anders im Westen. Dabei erin­nern man­che Techniken an die heu­ti­ger Tage, mit denen KritkerInnen der Corona-Politik zum Schweigen gebracht wer­den sollen:

»Im Kalten Krieg wur­den Brechts Stücke zwi­schen 1953 und 1963 in Wien auf Initiative der Theaterkritiker Hans Weigel und Friedrich Torberg sowie des Burgtheaterdirektors Ernst Haeussermann als kom­mu­ni­sti­sche Propaganda boy­kot­tiert. Eine Aufführung von Brechts Mutter Courage im Opernhaus Graz am 30. Mai 1958 wur­de zum Anlass für eine Publikation von drei­zehn Brecht-Kritikern unter dem Titel „Soll man Brecht im Westen spielen?“

Am Ende des über zehn­jäh­ri­gen Brecht-Boykotts in Wien führ­te das Wiener Volkstheater das Stück in einer „Blockadebrecher“-Premiere am 23. Februar 1963 unter der Regie von Gustav Manker mit Dorothea Neff (die für ihre Darstellung mit der Kainz-Medaille aus­ge­zeich­net wur­de) in der Titelrolle, Fritz Muliar als Koch, Ulrich Wildgruber als Schweizerkas, Ernst Meister als Feldprediger, Hilde Sochor als Yvette und Kurt Sowinetz als Werber auf. Die Aufführung war zuvor mehr­fach ver­scho­ben wor­den, zuletzt wegen des Mauerbaus in Berlin.

Auch in der Bundesrepublik kam es im Kalten Krieg mehr­fach zum Boykott von Brechtstücken an Theatern. Stephan Buchloh nennt drei poli­ti­sche Anlässe, die dazu führ­ten, dass Theater ohne staat­li­chen Zwang Brechtstücke absetz­ten oder vom Spielplan nah­men: „nach dem vom Militär nie­der­ge­wor­fe­nen Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, nach der Niederschlagung des unga­ri­schen Aufstands durch sowje­ti­sche Truppen im Herbst 1956 und nach dem Mauerbau am 13. August 1961.“ Von den weni­gen Maßnahmen staat­li­cher Stellen gegen Brechtaufführungen war in einem Fall die Mutter Courage betrof­fen. „Am 10. Januar 1962 ver­bot der Oberbürgermeister von Baden-Baden, Ernst Schlapper (CDU), eine Aufführung die­ses Werkes von Bertolt Brecht. Das Baden-Badener Theater hat­te das Stück unter der Regie von Eberhard Johows ursprüng­lich am 28. Januar des Jahres her­aus­brin­gen wollen.“

Dabei ging die Dienstanweisung for­mell nicht vom Amt des Oberbürgermeister aus, son­dern von der Bäder- und Kurverwaltung, die das Theater betrieb, und der der Oberbürgermeister vor­stand. Für die CDU begrün­de­te Stadträtin von Glasenapp im Gemeinderat das Verbot mit der Solidaritätsadresse Brechts an die SED und Walter Ulbricht nach dem 17. Juni 1953. Dabei wur­de aus­drück­lich bestrit­ten, dass es um die künst­le­ri­sche Qualität des Dramas gehe. Ein Bundesverfassungsrichter und meh­re­re in Baden-Baden leben­de Schriftsteller pro­te­stier­ten gegen das Verbot. Das Städtische Theater Straßburg sowie die Theater in Colmar und Mülhausen luden dar­auf­hin die Baden-Badener ein, die Courage als Gastspiel dort zu insze­nie­ren, wor­auf Schlapper sein Verbot am 1. Februar 1962 ent­spre­chend erwei­ter­te. Am 5. Februar nahm Schlapper das Verbot für Gastspiele im Ausland zurück, sodass am 20. März die Premiere in Straßburg statt­fin­den konn­te. Später durf­te die Courage auch in Baden-Baden gezeigt wer­den, nach­dem der Suhrkampverlag mit Regressforderungen wegen Vertragsbruch für die ver­ein­bar­te Aufführung gedroht hat­te.«

Auch das klingt interessant:

»Bis zum Oktober 1949 erteilt Brecht kei­ne Aufführungsgenehmigung, wie Werner Hecht anmerkt, aus Misstrauen gegen­über den Regisseuren Hitlerdeutschlands, eine Aufführung in Dortmund, die sich nicht an das Modell hält, lässt er im Herbst 1949 kurz vor der Premiere verbieten.[80] Brechts Skepsis wird ver­ständ­li­cher, wenn man berück­sich­tigt, dass der Dortmunder Schauspieldirektor Peter Hoenselelaers war, frü­her stram­mer Nationalsozialist und „Generalintendant“ des Dortmunder Theaters 1937–1944.…

Vor der öffent­li­chen Premiere stell­te Brecht das Stück in einer geschlos­se­nen Vorstellung für Gewerkschaften vor. Manfred Wekwerth, damals noch ein Neuling im Umfeld Brechts, kom­men­tiert Brechts Bemühungen um das pro­le­ta­ri­sche Publikum so: Noch vor der Premiere „bestand er dar­auf, eine Vor-Aufführung vor Fabrikarbeitern zu machen. Die fand, was die wenig­sten wis­sen, tat­säch­lich statt. Brecht lag an der Meinung die­ser Leute. Er sprach nach der Aufführung mit ihnen. Die Arbeiter hat­ten bei der für sie unge­wohn­ten Aufführung vie­le Fragen, Kritiken, es gab auch schrof­fe Ablehnung und Unverständnis. Brecht beant­wor­te­te alles mit gro­ßer Geduld. Darüber gibt es Notizen von ihm („Gespräch mit einem jun­gen Zuschauer 1948“). Das war ja das Publikum für das Brecht mit Vorliebe schrieb oder schrei­ben wollte.«

Fußnoten und Links der Quelle wur­den hier weggelassen.

13 Antworten auf „Mutter Courage in Zeiten von Corona“

  1. Mir fällt bei Mutter Courage immer der fol­gen­de Spruch eines Feldwebels ein:
    „Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung. Die Menschheit schießt ins Kraut im Frieden.“
    Auch hier lässt sich "Frieden" gut mit "Freiheit, Individualität, Menschenrechtle usw " über­set­zen, und "Krieg" nicht nur mit "Coronapolitik", son­dern eigent­lich gleich mit "Great Reset".

      1. @aa
        Da die Reduzierung der Bevölkerung wohl ein Bestandteil des Great Reset wie auch des Krieges ist, habe ich mich dar­auf bezogen.

        1. @Rasso: Seit dem Erscheinen des Buches von Schwab fra­ge ich danach, wo dort etwas über "die Reduzierung der Bevölkerung" steht. Mir hat noch nie­mand geant­wor­tet. Ich habe ein Ahnung, warum…

          1. @aa
            Vielleicht weil Geschriebenes und tat­säch­li­che Absichten oft­mals unter­schied­lich sind?
            Oder wie soll man sonst die Bemühungen sämt­li­cher Regierungen zur Rettung des Volkes durch die Coronapolitik beurteilen?

            1. Eine neue Weltordnung, in der die Menschen glück­lich sein sol­len, lässt sich natür­lich schlecht mit einem Genozid verkaufen.
              Angesichts immer knap­per wer­den­den Ressourcen wird die­ser aber wohl Bestandteil sol­cher Planung sein müssen.

              1. @Rasso: Welche Ressourcen soll­ten zu knapp sein und wer schließt dar­aus einen Genozid? Ich glau­be, bei­des trifft nicht zu. Die Ressourcen sind unge­recht ver­teilt und sie wer­den unglaub­lich ver­schwen­det für unnüt­ze Waren, die aber Gewinne brin­gen. Gerade jetzt sehen wir, daß ja nicht etwa Gas und Öl knapp sind, son­dern aus poli­ti­schen Gründen Vorwände für Rationierung auf der einen und Riesenprofite auf der ande­ren Seite geschaf­fen werden

                1. @aa
                  Eine der wich­tig­sten Ressourcen, näm­lich bewohn­ba­rer bzw nutz­ba­rer Grund und Boden, wird auf­grund von Naturkatastrophen bzw schlicht Wasserknappheit immer weni­ger wer­den. Es wird zu Wanderungen aus Dürregebieten in gemä­ßig­te Zonen kom­men. Wo sol­len die­se Klimaflüchtlinge denn unter­ge­bracht wer­den? Wie die Versorgung rein logi­stisch ermög­licht werden ?
                  Dabei sind die Folgeschäden von Kriegen oder auch mal wie­der eines GAUs noch nicht berücksichtigt.
                  Daß die son­sti­gen Ressourcen ungleich ver­teilt sind, ist unbe­strit­ten. Kann und wird das fried­lich aus­ge­gli­chen wer­den, wenn bereits bis­her schon "Energiekriege" wegen Ölquellen, Rohstoffabbau oder schlicht einem Zugang zum Meer geführt wurden?
                  Ob man das jetzt Great Reset, Genozid etc nennt, ist natür­lich eine Frage der Nomenklatur, aber das Problem der Übervolkerung ist drän­gend. In mei­ner Jugend gab's 3 Milliarden, und da hat der Club of Rome bereits gewarnt, und jetzt?
                  Aber das führt etwas vom Thema weg.
                  Die Corona- und Impfpolitik dürf­te ein Teil des Plans sein, die Bevölkerung zu mini­mie­ren. Und sie ist schließ­lich noch lan­ge nicht beendet.

                    1. @aa
                      Natürlich. Die Zukunft wird zei­gen, wes­sen Meinung wahr wird. Und ich hof­fe sehr, dass es nicht mei­ne ist!

  2. "Bertold Brecht im Gespräch mit einem jun­gen Zuschauer

    Einige haben gesagt, das Stück ist am End nicht ganz rich­tig, weil es damit auf­hört, daß die Marketenderin trotz des Unglücks, das sie getrof­fen hat, nichts gelernt hat. 

    Schau um dich, da sind genug Leute, denen der Krieg Unglück gebracht hat. Wie vie­le von ihnen haben etwas gelernt – ich mei­ne: sel­ber gelernt, ohne Hilfe, wie das die Courage müßte.

    Du meinst, du willst ein­fach die Wahrheit zeigen? 

    Ja, der Dreißigjährige Krieg ist einer der ersten Riesenkriege, die der Kapitalismus über Europa gebracht hat. Und im Kapitalismus ist es unge­heu­er schwie­rig für den ein­zel­nen, dass der Krieg nicht nötig ist, denn im Kapitalismus ist er nötig, näm­lich für den Kapitalismus.
    Dieses Wirtschaftssystem beruht auf dem Kampf aller gegen alle, der Großen gegen die Großen, der Großen gegen die Kleinen, der Kleinen gegen die Kleinen. Man müß­te also schon erken­nen, daß der Kapitalismus ein Unglück ist, um zu erken­nen, daß der unglück­brin­gen­de Krieg schlecht, das heißt unnö­tig ist.“

    aus: Begleitmaterial zu Mutter Courage und ihre Kinder, S. 21
    https://​www​.yum​pu​.com/​d​e​/​d​o​c​u​m​e​n​t​/​v​i​e​w​/​2​2​3​3​7​2​2​3​/​b​e​g​l​e​i​t​m​a​t​e​r​i​a​l​-​z​u​-​m​u​t​t​e​r​-​c​o​u​r​a​g​e​-​u​n​d​-​i​h​r​e​-​k​i​n​d​e​r​-​1​0​-​m​b​yte

    "ERICH FRIED
    Spruch

    Ich bin der Sieg
    mein Vater war der Krieg
    der Friede ist mein lie­ber Sohn
    der gleicht mei­nem Vater schon
    1945/46

    aus: Erich Fried: Gesammelte Werke Bd. II, Wagenbach Verlag, Berlin 1993"
    http://​www​.pla​net​ly​rik​.de/​l​y​r​i​k​k​a​l​e​n​d​e​r​/​e​r​i​c​h​-​f​r​i​e​d​s​-​g​e​d​i​c​h​t​-​s​p​r​u​ch/

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