"Nicht im Herdentrieb durch die Gegend bewegen"

Prof. Ste­phan Ruß-Mohl ist Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler an der Uni­ver­si­tät Luga­no. Auf deutsch​land​funk​kul​tur​.de ist ein Gespräch vom 2.1. mit dem Titel "Ein Bom­bar­de­ment, das Angst gemacht haben muss" zu hören bzw. lesen.

Der Inter­view­er spricht ihn auf ein von ihm her­aus­ge­ge­be­nes Buch an:

»… Da schrei­ben Sie in einer Zehn­punk­te­lis­te, was nun auf der Tages­ord­nung stün­de, Zitat: „Ach­tens soll­ten wir skep­tisch sein und eigen­stän­dig den­ken, neun­tens soll­ten wir skep­tisch sein und eigen­stän­dig den­ken, und zehn­tens soll­ten wir skep­tisch sein und eigen­stän­dig den­ken.“ Das Wort Skep­sis hat aber die­ser Tage ja gar kein hohes Pres­ti­ge, weil es so ein Syn­onym für Igno­ranz gewor­den ist.

Ruß-Mohl: Da haben Sie schon recht, und genau aus die­sem Grund ist die­se Auf­for­de­rung, skep­tisch zu blei­ben und eigen­stän­dig zu den­ken, eben hier gleich drei­mal zum guten Ende wie­der­holt. Ich sage Ihnen ganz ehr­lich, ursprüng­lich stand da „quer­den­ken“, aber das Wort ist ja nun ver­brannt inzwi­schen durch den poli­ti­schen Diskurs.

Dann haben wir das so modi­fi­ziert, um die eigent­li­che Bot­schaft zu ret­ten, dass wir ein­fach uns nicht im Her­den­trieb durch die Gegend bewe­gen soll­ten und dann mög­li­cher­wei­se auch die Her­de abstürzt, son­dern dass wir mög­li­cher­wei­se auch als schwar­zes Schaf gele­gent­lich aus der Her­de aus­bre­chen und den Mut haben, ratio­nal und eigen­stän­dig uns zum Bei­spiel zwi­schen Covidio­ten und zwi­schen dem COVID-19-Panik­or­ches­ter auf der ande­ren Sei­te zu bewe­gen.«

(Bit­te an Kom­men­ta­to­rIn­nen: Bit­te kei­ne Schnapp­at­mung, erst mal weiterlesen!)

»Weyh: Da haben Sie aber ja am eige­nen Leib erfah­ren, was im Jour­na­lis­mus bis­her eigent­lich nicht so oft der Fall war, wie schnell ein Begriff umge­wer­tet wer­den kann.

Ruß-Mohl: Das hat mich gera­de bei die­sem Begriff auch über­rascht, wobei wir halt lei­der auch sehen müs­sen, dass auch Jour­na­lis­ten sehr oft in der Her­de unter­wegs sind und vor­ei­lig Begrif­fe umprä­gen, ohne viel drü­ber nach­zu­den­ken, ob der ursprüng­li­che Begriff nicht doch sei­ne Exis­tenz­be­rech­ti­gung und sei­nen Sinn hatte…

[Es] ver­engt sich eben auch der Blick­win­kel und es fin­det in der Welt nur noch Coro­na statt. Und das ist auch, den­ke ich, sehr, sehr gefähr­lich, denn Jour­na­lis­mus ist ja eigent­lich dazu da, uns zu infor­mie­ren, was auch sonst noch in der Welt los ist, und nicht uns nur mit Zah­len über Neu­in­fi­zier­te zu bom­bar­die­ren, was der Jour­na­lis­mus lei­der immer noch tut.

„Corona hat den öffentlichen Diskurs dominiert“

Weyh: Nun haben wir ein erstaun­lich kur­zes Gedächt­nis, wenn man näm­lich mal geis­tig Revue pas­sie­ren lässt, wel­che Auf­re­ger­the­men die letz­ten Jah­re dastan­den, wo die­ses Jahr Coro­na stand, dann war das die Flücht­lings­kri­se, dann war es die Kli­ma­kri­se. Sie beschäf­ti­gen sich auch damit und doku­men­tie­ren doch da einen Mei­nungs­kor­ri­dor, der wenig Skep­sis in den Medi­en zeigt.

Ruß-Mohl: Ja, das war sozu­sa­gen eines der Moti­ve, wes­halb wir die­ses Buch gemacht haben. Wir woll­ten in der Rück­schau ein­fach noch mal auch zei­gen, was im öffent­li­chen Dis­kurs mög­li­cher­wei­se schief­läuft. Ich glau­be, an der Stel­le sind wir sehr aktu­ell, wobei man dazu­sa­gen muss, dass es natür­lich bei den ver­schie­de­nen Dis­kur­sen schon Unter­schie­de gibt. Coro­na hat in einer Wei­se den öffent­li­chen Dis­kurs domi­niert, wie das beim Kli­ma­dis­kurs und beim Migra­ti­ons­dis­kurs nie der Fall war.

Die Zah­len von Herrn Eise­n­eg­ger für die Schweiz, die wahr­schein­lich für Deutsch­land auch in etwa so gel­ten: Was den Kli­ma­dis­kurs anlangt, maxi­mal zehn Pro­zent Anteil in den Nach­rich­ten, was den Coro­na­dis­kurs anlangt, 60 bis 70 Pro­zent in den Spit­zen­zei­ten. Wir sind wirk­lich in einer Wei­se bom­bar­diert wor­den, die den Men­schen Angst gemacht haben muss, die­se in Panik ver­setzt haben muss. Und was das wie­der­um für Fol­gen hat für die Poli­tik, das müss­te man viel­leicht doch auch noch mal nach­re­cher­chie­ren, ob da nicht die Medi­en und Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten auch eini­ges falsch gemacht haben…«

3 Antworten auf „"Nicht im Herdentrieb durch die Gegend bewegen"“

  1. Oh, der Pro­fes­sor hat es auch schon bemerkt nach 12 Mona­ten Panik­ma­che! Bra­vo, dass er sich von sei­nem Ses­sel in sei­ner per­sön­li­chen Kom­fort­zo­ne (vllt mit Blick auf den Luga­ner See?) erhebt, um den gele­gent­li­chen klei­nen Aus­bruch aus der Her­de als eine mög­li­che, durch­aus erwäg­ba­re Ver­hal­tens­wei­se zu erörtern.

  2. Das ist ja nett aus­ge­drückt, ein Bom­bar­de­ment, dass Angst gemacht haben muss ( oder muss nicht)
    Rich­tig wäre:
    Ein Bom­bar­de­ment, dass Angst gemacht hat und macht.

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