Oberlandesgericht Linz: CT-Wert über 30 – keine Ansteckungsgefahr

»URTEIL MIT FOLGEN
Die Viruslast wird zum straf­recht­li­chen Faktor
Ein Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz könn­te die Strafverfolgung von Corona- und Quarantäne-Sündern auf den Kopf stel­len. Darin heißt es, eine Missachtung des Absonderungsbescheides bedeu­te nicht zwin­gend eine Verurteilung. Es geht um die Viruslast im Körper. Also: Wie ansteckend jemand zur Tatzeit ist.

Der Anlassfall ist einer wie vie­le ande­re: Ein 24-Jähriger ist zwei Tage vor Ende sei­ner Quarantäne zur Bezirkshauptmannschaft gegan­gen. Weil sich da im Amt neun Personen auf­hiel­ten, sieht die Staatsanwaltschaft Wels eine Gefährdung ande­rer Personen durch über­trag­ba­re Krankheiten – nach §178 StGB. Noch bevor es zum Prozess kommt, hat das Landesgericht Wels aber den Strafantrag abgewiesen.

Oberstaatsanwaltschaft widerspricht der Staatsanwaltschaft

Weil es unklar ist, ob der Mann noch ansteckend war. Das Gericht will dies mit einem Gutachten klä­ren. Dagegen spricht sich die Staatsanwaltschaft aus. Doch selbst die Oberstaatsanwaltschaft macht klar, dass „nicht jede Infektion einer Person an SARS-CoV‑2 eine poten­zi­el­le Ansteckungsgefahr für ande­re bedeutet“.

CT-Wert entscheidet über Infektion

Im Detail geht es um die Handhabe mit dem Corona-Strafparagrafen, der ein „abstrak­tes Gefährdungspotenzial“ erfor­dert. Heißt: Es muss nicht kon­kret eine Person ange­steckt wer­den, die Möglichkeit reicht aus. Nur, wie das OLG tref­fend fest­stellt: „An einer Übertragbarkeit der Krankheit man­gelt es, wenn kei­ne Ansteckungsgefahr besteht.“ Vielmehr ent­schei­det die Viruslast – also der CT-Wert – über eine Gefährdung. Ist die­ser Wert über 30, kann kei­ne Person infi­ziert wer­den. Diesen Wert müss­te ein Gutachter zur Tatzeit fest­stel­len. Und das könn­te auch für ande­re Fälle gelten.«
kro​ne​.at (15.5.)

Update. Aus einem Kommentar:

»Ich habe das Urteil gefunden.¹ Was ich ganz inter­es­sant fin­de an der öster­rei­chi­schen Justiz, dass Rechtssätze eigen­hän­dig aus­ge­wie­sen wer­den. Der betref­fen­de zum Urteil lau­tet: ²

»Nicht jede COVID-19-Infektion einer Person geht mit einer poten­ti­el­len Ansteckungsgefahr für ande­re Personen ein­her. Die Frage der Ansteckungsgefahr ist letzt­lich auf­grund der Virenlast anhand des Laborbefundes zu klären.«

Sicherlich medi­zi­nisch immer noch frag­wür­dig und ein Schlag ins Gesicht für die Diagnostik, aber in der Schlussfolgerung doch ein Bruch im Narrativ.

¹ https://​www​.ris​.bka​.gv​.at/​D​o​k​u​m​e​n​t​.​w​x​e​?​A​b​f​r​a​g​e​=​J​u​s​t​i​z​&​D​o​k​u​m​e​n​t​n​u​m​m​e​r​=​J​J​T​_​2​0​2​1​0​4​2​2​_​O​L​G​0​4​5​9​_​0​0​7​0​B​S​0​0​0​4​8​_​2​1​I​0​0​0​0​_​000

² https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=25e9feee-5085–442f-aa71-a1dd2b39bf7e&Position=1&SkipToDocumentPage=True&Abfrage=Justiz&Gericht=Linz&Rechtssatznummer=&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=&VonDatum=&BisDatum=18.05.2021&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_20210422_OLG0459_0070BS00048_21I0000_001«

9 Antworten auf „Oberlandesgericht Linz: CT-Wert über 30 – keine Ansteckungsgefahr“

  1. Ich habe das Urteil gefunden.¹ Was ich ganz inter­es­sant fin­de an der öster­rei­chi­schen Justiz, dass Rechtssätze eigen­hän­dig aus­ge­wie­sen wer­den. Der betref­fen­de zum Urteil lau­tet: ²

    »Nicht jede COVID-19-Infektion einer Person geht mit einer poten­ti­el­len Ansteckungsgefahr für ande­re Personen ein­her. Die Frage der Ansteckungsgefahr ist letzt­lich auf­grund der Virenlast anhand des Laborbefundes zu klären.«

    Sicherlich medi­zi­nisch immer noch frag­wür­dig und ein Schlag ins Gesicht für die Diagnostik, aber in der Schlussfolgerung doch ein Bruch im Narrativ.

    ¹ https://​www​.ris​.bka​.gv​.at/​D​o​k​u​m​e​n​t​.​w​x​e​?​A​b​f​r​a​g​e​=​J​u​s​t​i​z​&​D​o​k​u​m​e​n​t​n​u​m​m​e​r​=​J​J​T​_​2​0​2​1​0​4​2​2​_​O​L​G​0​4​5​9​_​0​0​7​0​B​S​0​0​0​4​8​_​2​1​I​0​0​0​0​_​000

    ² https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=25e9feee-5085–442f-aa71-a1dd2b39bf7e&Position=1&SkipToDocumentPage=True&Abfrage=Justiz&Gericht=Linz&Rechtssatznummer=&Rechtssatz=&Fundstelle=&AenderungenSeit=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=&VonDatum=&BisDatum=18.05.2021&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Dokumentnummer=JJR_20210422_OLG0459_0070BS00048_21I0000_001

  2. „Vielmehr ent­schei­det die Viruslast – also der CT-Wert – über eine Gefährdung. Ist die­ser Wert über 30, kann kei­ne Person infi­ziert werden.“

    Logischerweise müss­te dann der CT-Wert bereits ange­ge­ben wer­den bevor eine Person über­haupt in Quarantäne geschickt wer­den darf, d.h. er müss­te eigent­lich bei allen PCR-Tests ange­ge­ben wer­den. Wenn alle Werte über 30 ohne Relevanz sind ist die Pandemie vorbei.

  3. Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Gföllner als Vorsitzende, Dr. Ganglberger-Roitinger sowie Mag. Fischer, LL.B. in der Strafsache gegen P***** K***** wegen des Vergehens der vor­sätz­li­chen Gefährdung von Menschen durch über­trag­ba­re Krankheiten nach § 178 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wels gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Wels vom 16. März 2021, 11 Hv 20/21m‑5, in nicht­öf­fent­li­cher Sitzung entschieden: 

    OLG Linz 7 Bs 48/21i

    Rechtssatz

    Nicht jede COVID-19-Infektion einer Person geht mit einer poten­ti­el­len Ansteckungsgefahr für ande­re Personen ein­her. Die Frage der Ansteckungsgefahr ist letzt­lich auf­grund der Virenlast anhand des Laborbefundes zu klä­ren.

    Entscheidungstexte

    TE OLG Linz 2021-04-22 7 Bs 48/21i

    https://​rdb​.manz​.at/​d​o​c​u​m​e​n​t​/​r​i​s​.​j​u​s​r​.​J​J​R​_​2​0​2​1​0​4​2​2​_​O​L​G​0​4​5​9​_​0​0​7​0​B​S​0​0​0​4​8​_​2​1​I​0​0​0​0​_​0​0​1​?​e​x​e​c​u​t​i​o​n​=​e​1s4

    3. Aus dem Abschlussbericht der PI V***** vom 16. Jänner 2021 geht her­vor, dass der Angeklagte zunächst als Kontaktperson einen Absonderungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft V***** erhielt und in der Folge trotz Symptomfreiheit am 30. August 2020 posi­tiv auf COVID-19 gete­stet wur­de. Den Ermittlungsergebnissen ließ sich zum Zeitpunkt der erst­ge­richt­li­chen Entscheidung das genaue Ergebnis der Labortestung des Angeklagten, ins­be­son­de­re der fest­ge­stell­te CT-Wert, nicht ent­neh­men. Am 2. April 2021 wur­de der zwi­schen­zei­tig von der Staatsanwaltschaft ange­for­der­te mole­ku­lar­pa­tho­lo­gi­sche Befund des posi­ti­ven COVID-Tests des Angeklagten über­mit­telt. Dieser weist zum Zeitpunkt der Testung am 30. August 2020 einen CT-Wert von 23,78 auf. Ob vom (nach eige­nen Angaben völ­lig sym­ptom­lo­sen) Angeklagten am 7. September 2020 – acht Tage nach posi­ti­ver Testung – (noch) eine poten­zi­el­le Ansteckungsgefahr aus­ging, kann ohne ent­spre­chen­des Sachverständigengutachten nicht abschlie­ßend beur­teilt werden. 

    https://​rdb​.manz​.at/​d​o​c​u​m​e​n​t​/​r​i​s​.​j​u​s​t​.​J​J​T​_​2​0​2​1​0​4​2​2​_​O​L​G​0​4​5​9​_​0​0​7​0​B​S​0​0​0​4​8​_​2​1​I​0​0​0​0​_​000

  4. was soll an die­sem Urteil medi­zi­nisch frag­wür­dig sein? natür­lich kommt es auf die vor­han­de­ne Virenlast drauf an, ob jemand ansteckend ist oder nicht. schließ­lich braucht es für eine Erkrankung eine bestimm­te Virenlast, und wenn man selbst nur weni­ge Viren im Körper hat, dann kann man die für eine Erkrankung erfor­der­li­che Anzahl an Viren (bei Corona ca 500) auch nicht an jemand ande­ren übertragen…

    1. »was soll an die­sem Urteil medi­zi­nisch frag­wür­dig sein? natür­lich kommt es auf die vor­han­de­ne Virenlast drauf an, ob jemand ansteckend ist oder nicht.«

      Der Rechtssatz ist inso­fern pro­ble­ma­tisch, dadurch dass die Viruslast sich »letzt­lich« auf den Laborbefund stüt­zen soll. 

      Und wenn die Labore schlecht arbei­ten oder die Testprotokolle dürf­tig sind (PCR-Desaster)? Der Rechtssatz lässt fer­ner außer acht, dass eine Ansteckung auch durch das Immunsystem abge­wehrt wor­den sein kann, wenn der Test durch­ge­führt wur­de (tote Virenfragmente vs. repli­ka­ti­ons­fä­hi­ge Viren). Die Ansteckungsgefahr hängt auch davon ab, ob das Immunsystem der ande­ren Personen geschwächt ist. 

      Trotzdem ein hilf­rei­ches Urteil, wie ich finde.

      1. naja, Rechtssätze sind immer etwas mit Vorsicht zu genie­ßen, weil sie die Entscheidung nur schlag­wort­ar­tig und aus­zugs­wei­se wiedergeben. 

        trotz­dem ist die Entscheidung mei­ner Meinung nach rich­tig: beim CT-Wert geht's ja dar­um, wie oft das vira­le Erbgut im Rahmen des PCR-Tests ver­viel­fäl­tigt wer­den muss­te, um ein (posi­ti­ves) Messsignal zu bekom­men. also je höher der CT-Wert, desto gerin­ger war die Menge an Virusmaterial in der Ausgangsprobe (und desto unwahr­schein­li­cher ist es folg­lich, dass die betref­fen­de Person jeman­den infi­zie­ren kann).

        soweit ich infor­miert bin, wer­den CT-Werte von über 30 von Experten schon seit Monaten als Hinweis auf eine gerin­ge Virenlast und somit eine nied­ri­ge Infektiosität ange­se­hen. abge­se­hen mal davon, hat der öster­rei­chi­sche Gesetzgeber in der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (eben­so wie in der neu­en COVID-19-Öffnungsverordnung) auch selbst fest­ge­legt, dass bei einem CT-Wert von über 30 "davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass kei­ne Ansteckungsgefahr mehr besteht." also inso­fern ent­spricht die Entscheidung genau der Rechtslage und konn­te eigent­lich gar nicht anders ausgehen…

  5. Auch ein nied­ri­ger ct-Wert ist nicht hin­rei­chend, um Ansteckungsgefahr zu begrün­den. Jede PCR ist anders, und hat unter­schied­li­che ct-Werte. Man müss­te also sämt­li­che durch­ge­führ­ten Tests stan­dar­di­sie­ren. Außerdem hängt der ct-Wert von der Probenentnahme ab. Wie will man die standardisieren?
    Weiterhin müs­sen die PCR-Produkte auf mole­ku­la­rer Ebene veri­fi­ziert, d.h. sequen­ziert wer­den. Nur eine Sequenzierung kann zwei­fes­lfrei aus­schlie­ßen, dass es sich nicht um unz­pe­zi­fi­sche Produkte, oder Sequenzen aus dem huma­nen Genom handelt.
    Bei so schwer­wie­gen­den Maßnahmen wie Freiheitsenzug (Quarantäne), stellt sich außer­dem die Frage, ob nicht durch Anzucht der Probe in Zellkultur nach­ge­wie­sen wer­den muss, ob tat­säch­lich repli­ka­ti­ons­fä­hi­ge Viren vor­lie­gen. Die RT-PCR gibt dar­über kei­ne Auskunft.

    Summa suma­rum: Die PCR ist ein schlech­tes, unge­eig­ne­tes Instrument, um Infektion und Ansteckungsfähigkeit nach­zu­wei­sen, und höch­stens sinn­voll als ergän­zen­de Diagnostik bei kli­ni­schen Symptomen.

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