Da erleben wir gerade die größte Krise unseres Gesundheitssystems – die gesamte Wirtschaft wird heruntergefahren, um seinen Kollaps zu verhindern. Man sollte denken, in dieser Situation halten sich die Neoliberalen mal einen Moment zurück. Fehlanzeige!
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bricht am 19.4. eine Lanze für das Schließen von Krankenhäusern und ihre Privatisierung. Unter dem Titel "Von wegen kaputtgespart" lesen wir dort:
"Während einige wenige Länder (dramatisch Griechenland, aber auch Italien) ihre Ausgaben für Gesundheit zurückgefahren haben (ob es am Austeritätszwang der EU lag, ist fraglich), gibt Deutschland kontinuierlich mehr Geld aus: Je Einwohner stiegen die Ausgaben, gemessen in Preisen von 2010, zwischen 1993 und 2017 von 2400 auf 4000 Euro."
"Fraglich" ist also, ob es nicht doch die Faulheit von Griechen und Italienern ist, die dafür jetzt büßen müssen.
"Damit ist – wohlgemerkt – die Frage noch nicht beantwortet, ob wir auch gute Medizin für unser Geld bekommen. In den Vereinigten Staaten, die derzeit schon 18 Prozent des Sozialprodukts auf die Gesundheit verwenden, spricht einiges dafür, dass zwar viele Gesundheitslobbyisten, aber nicht die Kranken und schon gar nicht die Ärmsten der Armen von dem internationalen Gesundheits-Spitzenplatz profitieren. Dazu gleich mehr."
Gleich kommt dann nicht mehr. Dabei ist die entscheidende Frage angesprochen: Was sagen die steigenden Ausgaben aus über die Qualität eines Gesundheitssystems, das in wesentlichen Teilen profitorientiert arbeitet? In wessen Taschen landen die Gelder, wenn sie nicht bei den PatientInnen ankommen?
Perfide geht es weiter:
"Dabei werden die Krankenhausleistungen natürlich auch von Privaten angeboten. Grob gesagt, sind es jeweils ein Drittel private, ein Drittel staatliche und ein Drittel kirchliche oder andere gemeinnützige Träger. Ob es besser wäre, alle Leistungen würde der Staat anbieten? Wer das gut findet, soll sich das zu hundert Prozent staatliche, „kostenlose“ National-Health-System Großbritanniens anschauen, eine Ikone des britischen Wohlfahrtsstaats, dessen Performance in der Corona-Krise viel schlechter ausfällt als das deutsche System."
"Natürlich" ist ein Drittel privatwirtschaftlich organisiert – meint der Autor vielleicht "gottgewollt"? Die Tagesschau weiß zu Großbritannien:
"Die konservativen Regierungen haben das staatliche Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren so kurz gehalten, das auch die Notfallversorgung immer schlechter wurde…
Der NHS wird in Großbritannien aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die Leistungen sind gratis für die Patienten. Die Briten müssen deshalb in keine gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Damit ist das System aber auch direkt von der Haushaltspolitik der Regierung abhängig. Und die Konservativen haben in den vergangenen Jahren vor allem gespart, auf Austerität und einen schlanken Staat gesetzt…
Die Folge: Der NHS ist in den letzten Jahren immer wieder schon unter normalen Grippewellen zusammen gebrochen. Zum Beispiel mussten Notfallpatienten sterben, weil keine Rettungswagen mehr frei waren: Sie standen auf den Parkplätzen der Krankenhäuser, weil die Stationen und auch die Flure so überfüllt waren, dass die Sanitäter ihre Patienten nicht mehr in den Notfallambulanzen abliefern konnten. Wenn jetzt die Coronavirus-Pandemie voll zuschlägt, wird es noch viel schlimmer werden." Link
Und weiter in der FAZ:
'Nachfrage bei Lars Feld, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats, der das Gesundheitskapitel des Jahresberichts 2018/19 mitverantwortet, ob er sich heute für den damaligen Vorschlag schäme, „Überkapazitäten“ der Krankenhäuser drastisch zurückzufahren. „Nein“, sagt Feld. Die Pandemie zeige doch einerseits, wie gut es gelinge umzusteuern und mehr Intensivbetten zu bekommen…
Hätte man für einen Zeitpunkt, den keiner kennt, in ganz Deutschland 40.000 leere Intensivbetten vorhalten sollen? Es kommt doch viel eher darauf an, im Fall der Pandemie rasch umzusteuern. Das scheint das deutsche System zwar nicht perfekt, aber offenbar besser als andere zu schaffen. Es wäre womöglich noch besser gerüstet gewesen, hätte man den Prozess der Konzentration, Spezialisierung und Modernisierung der Krankenhäuser früher in Angriff genommen.'