Schock-Papier – verfaßt von Lobbyisten und verstörendem Sprachlehrer

Wer hat eigent­lich das Papier des Innenministeriums geschrie­ben, das die Blaupause für die Einschränkungen der Grundrechte im Zusammenhang mit Corona dar­stellt? Darin war im März – aus­ge­hend von einem Worst Case mit über 1 Million Toten in Deutschland – eine Empfehlung aus­ge­spro­chen wor­den, die bis­lang peni­bel abge­ar­bei­tet wur­de (s.a. Wie war das noch… mit dem Schock-Papier des Innenministeriums?)

Zentraler Bezugspunkt waren dabei weni­ger gesund­heit­li­che Schäden, son­dern jene für die Wirtschaft. Kein Wunder bei den Autoren.

Die FAZ weiß dazu:

»Nachdem am 10. März das Papier von sie­ben Ökonomen über die wirt­schaft­li­chen Implikationen der Krise auf dem Tisch lag, bat Seehofer sei­nen Staatssekretär Markus Kerber, selbst Ökonom und frü­her Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, ein Strategiepapier zu erar­bei­ten – und zwar eins, das ein Worst-Case-Szenario aus­leuch­tet. Kerber stell­te eine Gruppe von rund zehn Fachleuten zusam­men. Michael Hüther und Hubertus Bardt vom Institut der deut­schen Wirtschaft, außer­dem Christoph M. Schmidt und Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Drei Tage arbei­te­ten die Wissenschaftler rund um die Uhr, am 22. März war das Papier fer­tig. Das war der Sonntag, an dem die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin die Ausgangsbeschränkungen beschlos­sen. Am kom­men­den Tag hat­te der Chef des Kanzleramts das Papier auf dem Tisch.«

Wirtschaftslobbyisten und ein Fremdsprachenlehrer?

Nicht für das Wirtschaftsministerium, erst recht nicht für das Gesundheitsressort, stell­ten Wirtschaftslobbyisten das Papier zusam­men, das unmit­tel­ba­re Auswirkungen auf uns alle haben soll­te, son­dern für den Chef des Innenministeriums. Horst Seehofer wird von der Zeitung so dargestellt:

»Er war zwi­schen 1992 und 1998 Bundesgesundheitsminister und hat­te mit dem Bluttransfusionsskandal zu kämp­fen. Er traf die Entscheidung, das Bundesgesundheitsamt auf­zu­lö­sen und das Robert-Koch-Institut ins Leben zu rufen. Seine Lehre aus die­sen Zeiten: Wer die Gefahr unter­schätzt, kann poli­tisch nicht über­le­ben. Das heißt: Ein Worst-Case-Szenario muss als rea­li­stisch betrach­tet wer­den.«

Nun sind bis­lang nur fünf von zehn ""Fachleuten" benannt. Das Ministerium schweigt sich ganz über die Autorenschaft aus.

Doch da gibt es noch einen Otto Kolbl, der sich auf Twitter als "mem­ber of German Interior Min. COVID-19 task force" bezeich­net. Noch am 4. August rühmt er sich dort:

»I think that in the COVID-19 task force of the German Interior Ministry, we explai­ned that well in our March 22 paper, and mana­ged to silence advo­ca­tes of herd immu­ni­ty for some time (C. Drosten, Jens. Spahn, Helge Braun, etc.). 

Then all this was for­got­ten again, and com­mu­ni­ca­ti­on beca­me a dis­astrous fail­ure.«

Am 13.8 trägt er nach:

»Die Initiative ging vom BMI (Seehofer und Markus Kerber) aus…
Es waren sehr vie­le Personen dar­in invol­viert, die deut­sche COVID-Politik in gesun­de Bahnen zu len­ken.«

Es gibt zwei Möglichkeiten. Der Mann ist grö­ßen­wahn­sin­nig und lügt oder das Ministerium hat in das zehn­köp­fi­ge Expertenteam zur ver­meint­li­chen Jahrhundert-Epidemie einen Menschen geholt, der sich selbst so darstellt:

rain​bow​buil​ders​.org

Was befä­higt ihn, grund­sätz­li­che Entscheidungen in der Coronafrage zu beein­flus­sen? Etwa eine Veröffentlichung, die er mit Dr. Maximilian Mayer, Assistant Professor in International Studies an der University of Nottingham Ningbo China ver­faß­te? Dieses Werk vom 4.3.2020 macht bereits im Titel die Absicht deut­lich: "Learning from Wuhan—there is no Alternative to the Containment of COVID-19".

Hier wird eine Verschwörungstheorie auf­ge­baut, wonach WHO-Funktionäre und Virologen wie zu die­ser Zeit noch Christian Drosten, aber auch ita­lie­ni­sche WissenschaftlerInnen die Sterblichkeitsrate ignorierten:

»Entscheidende Informationen feh­len im west­li­chen Experten- und Mediendiskurs prak­tisch
Die mei­sten Experten geben Schätzungen zwi­schen etwa 2% und etwas mehr als 0,1% an; Letzteres wür­de in etwa der Todesrate einer schlech­ten Grippesaison ent­spre­chen.«

Während in der gesam­ten Medienwelt ein erbar­mungs­lo­ses Bashing gegen die Positionen statt­fin­det, die die Autoren den "mei­sten Experten" zuschrei­ben, machen die Verfasser sich auf, einen Worst Case zur Grundlage jeg­li­chen Handelns zu kon­stru­ie­ren. Dabei haben wir es hier wohl­ge­merkt weder mit Virologen noch Epidemiologen zu tun.

Im April legt Kölbl (in wel­cher Funktion?) nach und schlägt ein Modell vor, über das er sagt:

»Es basiert auf gegen­wär­tig nur sehr lücken­haf­ten Datenreihen und stellt ledig­lich ein mög­li­ches Modell von vie­len dar. Es soll­te daher kei­nes­falls zur Festlegung des kon­kre­ten Datums einer Aufhebung von Lockdown-Maßnahmen genutzt wer­den.«

Im Juni folgt eine Publikation, in der er eine über­ra­schen­de These for­mu­liert. Danach erle­ben wir eine "Stärkung ver­schie­de­ner wei­ßer Vorherrschaftsbewegungen".

»COVID-19 wird anschei­nend von Mitgliedern die­ser Bewegungen gese­hen als ein will­kom­me­nes Instrument zur Erhöhung der Sterblichkeit unter Nicht-Weißen, und lei­der las­sen auch bestimm­te Eigenschaften die­ses Virus es für die­sen Zweck ange­mes­sen erschei­nen. Darüber hin­aus schei­nen nicht-wei­ße Körper dafür anfäl­li­ger zu sein, es hat wahr­schein­lich noch nie einen ande­ren Virus in der Geschichte gege­ben des­sen Sterblichkeit so sehr von kost­spie­li­gen Krankenhaus­behandlungen abhängt.«

Die letz­te Beobachtung mag nicht falsch sein. Sie sagt etwas aus über den Zugang zu Gesundheitssystemen und damit über das Verhältnis von Arm und Reich, über Klassenfragen. Wenn wie von ihm rich­tig ange­führt in Großbritannien mehr Nicht-Weiße an Covid-19 ster­ben als Weiße, dann ist dies kei­ne Frage ihres Körpers, son­dern eine der Verfaßtheit der Gesellschaft. Denn schon vor Corona galt: Wer arm ist, stirbt frü­her. Und in den west­li­chen kapi­ta­li­sti­schen Gesellschaften ist der Anteil Nicht-Weißer an den Armen deut­lich höher.

Ähnlich ver­stö­rend ist ein ein­stün­di­ges Interview, das Kölbl auf you­tube zeigt. Update: Das Video gibt es dort nicht mehr.

Es spricht eini­ges für die Vermutung, daß Kölbl in der Tat als "Experte" für die Corona-Maßnahmen fun­gier­te. Eine gru­se­li­ge Vorstellung, die ins Bild paßt.

Vielen Dank für die Anregung zu die­ser Recherche an einen auf­merk­sa­men Mitleser!

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

7 Antworten auf „Schock-Papier – verfaßt von Lobbyisten und verstörendem Sprachlehrer“

  1. Ich hal­te die­sen Fund für einen Hammer. Auch mei­nen Dank für die Bekanntmachung.

    Die dar­aus ableit­ba­ren Schlußfolgerungen sind auf den ersten Blick gar­nicht zu übersehen.

  2. Nehmen wir nur ein­mal das Paper von Kölbl, in dem angeb­lich "der Einfluss der ver­schie­de­nen Massnahmen auf R geschätzt/berechnet und vali­diert" wird.

    Wie wur­de das gemacht? Indem für Länder und Phasen, in denen ent­spre­chen­de Maßnahmen umge­setzt wur­den, die R‑Werte beob­ach­tet wurden.

    Nun ist es auf der einen Seite schon ein­mal völ­lig unsi­cher, wie R‑Werte berech­net wer­den. Darin gehen unzäh­li­ge "poli­ti­sche Zahlen" ein, zB über die Definition von "Fällen", Methoden wie "Newcast" etc. Also R‑Wert ist nicht gleich R‑Wert. Die Definitionen haben sich bei uns schon zig­mal geän­dert. Ganz zu schwei­gen bei ver­schie­de­nen Ländern …

    Also wird mit einer völ­lig unsi­che­ren Zahlenbasis gear­bei­tet. Aber noch viel dramti­scher ist: aus einer Korrelation wird eine Kausalität abge­lei­tet: die zugrun­de Hypothese: wenn eine Maßnahme ein­ge­führt wird, so geht die Veränderung des R‑Wertes AUSCHLIEßLICH auf das Einführen die­ser Maßnahme zurück.

    Das ist wis­sen­schaft­li­che Armseligkeit aller erster Güte.

    Kurz gesagt: die Tabelle über den Einfluß von Maßnahmen auf R‑Werte ist blan­ker Unsinn, pure Behauptung ohne Grundlage, frei­schwe­ben­de Phantastik.

    Und auf sol­che Münchausenmärchen und ‑gestal­ten wird in der Politik gehört?

  3. Ich habe zu dem Papier auch schon in mei­ner Petition für einen Untersuchungsausschuss geschrie­ben: http://​chng​.it/​L​N​d​v​N​TpD

    Wichtig ist in die­sem Zusammenhang, dass die 1, 15 Millionen Tote ein­fach erfun­den wur­den. Wenn man die Berechnung nach­voll­zieht kommt man nur auf 150.000!
    Das heisst, die Verfasser waren stroh­dumm oder sie woll­ten die Politiker bewußt täu­schen und in Panik bringen.
    Bitte lest die ent­spre­chen­den Passagen aus der Petition. Der Link zu mei­ner Kontrollrechnung fin­det sich im der Anmerkung 30 unten.

    - Welche Rolle spiel­te das Worst-Case Szenario eines Strategiepapieres des Bundesinnenministeriums, das mehr als eine Million Tote vor­aus­sag­te? Am 18. März 2020 hat das Bundesinnenministerium hat ein 17-sei­ti­ges Strategiepapier mit dem Titel „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekom­men“ an wei­te­re Ministerien sowie das Bundeskanzleramt ver­teilt, also vor den Shutdown-Beschlüssen vom 23. März. Dieses Papier wur­de gele­akt und ist ver­öf­fent­licht (28). Dieses könn­te unse­re Politiker geschockt und zu den dra­sti­schen Maßnahmen bewo­gen haben, denn es wer­den 1,15 Millionen Tote bis zum 23. Mai 2020 vor­aus­ge­sagt, wenn der Shutdown nicht ver­schärft wür­de. Diese Zahl wur­de anschei­nend ernst­ge­nom­men, Bundesinnenminister Horst Seehofer ver­tei­dig­te gegen­über der Presse das Papier aus sei­nem Ministerium. (29)
    – Das Worst-Case Szenario ist rech­ne­risch falsch. Wenn man die im Papier gemach­ten Annahmen nach­rech­net kommt man bis 23. Mai 2020 auf ca. 150.000 Verstorbene. (30) Das wird aber nie­man­dem auf­ge­fal­len sein, der das Papier gele­sen hat, denn wer rech­net nach?
    Das Papier geht wei­ter von Sterberate von 1,2% bzw. 2% aus, ver­mut­lich ist die Sterberate aber um den Faktor 10 gerin­ger, damit wären es schon 15.000 Verstorbene in dem Szenario.
    Weiter geht das Papier davon aus, dass sich jede und jeder anstecken kann. Das ist aber nicht der Fall, wie die Erfahrungen der Infektionsketten zum Beispiel auf Kreuzfahrschiffen oder Flugzeugträgern zei­gen, wo immer ein grö­ße­rer Teil der Menschen nicht infi­ziert ist, obwohl sie sicher aus­rei­chend Möglichkeiten gehabt hät­ten, sich anzu­stecken. Dazu passt auch die „Hintergrundimmunität“ bei etwa einem Drittel der Bevölkerung durch ver­mut­lich frü­he­re Coronainfektionen, die im Institut des Virologen Christian Drosten ent­deckt wur­de. (31) Berechnete Angstszenarien kön­nen schnell in sich zusammenfallen.

    (28) https://​frag​den​staat​.de/​b​l​o​g​/​2​0​2​0​/​0​4​/​0​1​/​s​t​r​a​t​e​g​i​e​p​a​p​i​e​r​-​d​e​s​-​i​n​n​e​n​m​i​n​i​s​t​e​r​i​u​m​s​-​c​o​r​o​n​a​-​s​z​e​n​a​r​i​en/
    (29) https://​www​.bild​.de/​p​o​l​i​t​i​k​/​i​n​l​a​n​d​/​p​o​l​i​t​i​k​-​i​n​l​a​n​d​/​s​e​e​h​o​f​e​r​-​z​u​m​-​m​a​s​k​e​n​-​m​a​n​g​e​l​-​w​i​r​-​m​u​e​s​s​e​n​-​a​u​f​-​t​e​u​f​e​l​-​k​o​m​m​-​r​a​u​s​-​p​r​o​d​u​z​i​e​r​e​n​-​6​9​7​4​3​0​5​0​.​b​i​l​d​.​h​tml
    (30) In die­ser Exceldatei wird der Rechenfehler gezeigt: https://​www​.tho​mas​may​er​.org/​f​i​l​e​a​d​m​i​n​/​m​e​d​i​a​/​C​o​r​o​n​a​k​r​i​s​e​/​B​e​r​e​c​h​n​u​n​g​_​W​o​r​s​t​_​C​a​s​e​_​I​n​n​e​n​m​i​n​i​s​t​e​r​i​u​m​.​x​lsx
    (31) https://​www​.welt​.de/​v​e​r​m​i​s​c​h​t​e​s​/​a​r​t​i​c​l​e​2​0​7​4​9​6​5​8​3​/​C​o​r​o​n​a​v​i​r​u​s​-​H​i​n​w​e​i​s​e​-​a​u​f​-​I​m​m​u​n​i​t​a​e​t​-​d​u​r​c​h​-​V​o​r​e​r​k​r​a​n​k​u​n​g​.​h​tml

    1. Wurden die Regierungen durch sol­che völ­lig halt­lo­se Horrorszenarien in eine Einbahnstraße getrie­ben, aus der es kei­nen Rückweg ohne den tota­len Gesichtsverlust gibt?

      Das könn­te Einiges der heu­ti­gen Vorgänge erklä­ren vor denen man sonst völ­lig rat­los steht.

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