Tagesschau-"Beweisfoto": Aufnahmezeitpunkt entfernt

Patrick Gensing hat­te am 2.8. als "ARD-fak­ten­fin­der" bewei­sen dür­fen, daß kei­nes­falls mehr als 20.000 Menschen an der Demonstration vom 1.8. teil­ge­nom­men haben (s. Muß Polizei jetzt wah­re Demo-Zahlen nen­nen? Tagesschau mit kaf­ka­es­kem "Faktencheck"). Die absur­de Geschichte rief einen Sturm der Empörung hervor.

Gensing sieht sich des­halb genö­tigt, auf sei­nem pri­va­ten Twitter-Account ("Ein Thread über Verifikation und Misstrauen") Stellung zu neh­men. Es gelingt ihm, die Wirrnis noch zu steigern.

Dabei star­tet er mit einem klei­nen Rückzieher:

»Für den Beitrag habe ich mit Reporterinnen und Reportern gespro­chen, die vor Ort waren und unab­hän­gig sowie über­ein­stim­mend die Zahl der Teilnehmenden auf gut 20.000 geschätzt haben. Vielleicht 25.000, als Maximum.«

Es folgt ein schla­gen­der Beweis:

»Die gezielt ver­brei­te­te Behauptung von 1,3 Mio. ist gro­tesk, man bräuch­te eine voll­kom­men ande­re Infrastruktur für eine sol­che Massenveranstaltung (Bühnen, Toiletten, Versorgung, Ordnungskräfte, Platz). «

Diese tol­le Argumentation wei­tet sein SPD-Follower Dirk Bachhausen noch aus: Da wäre ja auch viel mehr Polizei nötig gewesen!

Behauptung von Menschen am Samstag widerlegt

»Die Behauptung von Hunderttausenden oder sogar Menschen am Samstag war damit wider­legt. Aber es geht natür­lich wei­ter. Nun tau­chen Vorwürfe auf, das Bild rechts sei VOR der Veranstaltung auf­ge­nom­men worden.«

Hier bezieht er sich auf das Foto in sei­nem "Faktencheck", von dem im übri­gen natür­lich nie­mand behaup­tet, es sei vor der Veranstaltung ent­stan­den. Das war ja ein­fach zu klären:

»Wir hat­ten am Sonntag den Fotografen kon­tak­tiert, der uns mit­teil­te: Das Bild wur­de um 15:39 Uhr auf­ge­nom­men. Ich habe nach Anfragen von Medien noch ein­mal nach­ge­fragt und mir die Daten der Bilddatei schicken las­sen. Es bleibt dabei: 15:39:20 Uhr, um ganz genau zu sein.«

Aufnahmezeitpunkt aus Bilddatei entfernt

Er hat sich also die Daten der Bilddatei schicken las­sen. Besser wäre es gewe­sen, sich die Bilddatei selbst geben zu las­sen. Darin las­sen sich ins­be­son­de­re bei Fotos von Berufsfotografen u.a. detail­lier­te Informationen zur Aufnahmezeit able­sen – wenn sie nicht gelöscht wurden.

Man kann das Bild bei der Agentur ima­go kaufen:

Man erhält dann tat­säch­lich das hoch auf­lö­sen­de Bild. Allerdings sind die Daten gelöscht, die Auskunft über den Zeitpunkt der Entstehung geben könn­ten. Aus den Metadaten ist ledig­lich zu erfahren:

» <photoshop:Credit>imago images/Christian Spicker</photoshop:Credit>
<photoshop:DateCreated>2020–08-01</photoshop:DateCreated>«

Es han­delt sich also nicht um das Originalfoto, son­dern um eine von der Agentur ver­ar­bei­te­te Version. Das Originalbild dage­gen wird Daten ent­hal­ten wie

»<exif:DateTimeOriginal>2014–09-09T17:05:40</exif:DateTimeOriginal>«

Und nur die wären auf­schluß­reich. Statt des beleg­ba­ren Zeitpunkts erfah­ren wir von Gensing:

»Der Fotograf hat sogar noch den Bon für den Zugang zur Siegessäule, von der ober­sten Plattform hat er das Foto geschossen.«

Vielleicht hat er sogar 2 Bons? Einen von mit­tags und einen vom Nachmittag? Gezeigt wird kei­ner. Immerhin ist dem Checker jetzt auch auf­ge­fal­len, daß es sich hier nicht um ein Luftbild han­delt, wie zuvor behauptet.

Sonnenstand-Recherche bestätigt, aber…

Doch auch die­sem Argument traut er nicht so recht. Deshalb wen­det er sich dem Problem des fal­schen Schattens (sie­he Demo-Zahlen: Sonne bringt Licht ins Dunkel der Tagesschau-Fakes) zu:

»Die Schlussfolgerung aus dem Video ist mMn aller­dings falsch. Es unter­sucht ledig­lich den Sonnenverlauf, aber nicht den Schattenstand…

Der Sonnenverlauf allein sagt aber noch nichts über den Schatten aus. Dafür emp­feh­le ich das Tool Shadowcalculator, das auch die Höhe von Gebäuden/Bäumen sowie den Verlauf der Straße leicht nach Norden berücksichtigt.«

Er prä­sen­tiert zwei kryp­ti­sche Bilder, die unter­schied­li­che Schatten um 12:59 Uhr und 15:26 Uhr (?) zei­gen sol­len, das aber nicht tun. Deshalb fügt er vor­sichts­hal­ber zu:

»Das sind aller­dings ledig­lich tech­ni­sche Tools, die Indizien lie­fern kön­nen. Allein sind sie kein Beweis. Klar ist, dass ver­schie­de­ne Fotografen und die Bilddaten bewei­sen, dass die Bilder wäh­rend der Kundgebung auf­ge­nom­men wurden.«

Alles klar: Es bleibt bei 20.000

Klar, wegen der Bons, die wir nicht sehen, und der Bilddaten, die ent­fernt wur­den. Und wie ein ertapp­tes Kind schließt er:

»Zudem passt das alles zu den Berichten der Reporterinnen und Reporter. Für eine deut­lich höhe­re Teilmehmerzahl lie­gen hin­ge­gen kei­ne belast­ba­ren Indizien vor.

Dennoch wird das Thema über Tage auf Social Media gespielt. In Mails und Messenger wer­de ich bepö­belt, weil ich angeb­lich mani­pu­liert hät­te; dazu kom­men Anfragen von Kollegen, die wis­sen wol­len, von wann das Foto sei, weil das Video so über­zeu­gend sei. So läuft das heutzutage.

Erst wird irgend­was behaup­tet, dann wird das wider­legt – und die­je­ni­gen, die es wider­le­gen, wer­den dann der Lüge oder Manipulation bezich­tigt. Und schon geht es nicht mehr um die #FakeNews an sich, son­dern um die bösen Medien. Zack, Bumm, Bongjour. 😉

PS: In einem Tweet wei­ter oben fehlt ein­mal "1,3 Mio" vor Menschen, sor­ry. Man kann aber auch wahl­wei­se "ganz vie­le" oder "50 Milliarden" einsetzen.«


Weiter geht es mit Auch aus dpa-"Beweisfoto" Aufnahmedaten ent­fernt.

7 Antworten auf „Tagesschau-"Beweisfoto": Aufnahmezeitpunkt entfernt“

  1. »Die gezielt ver­brei­te­te Behauptung von 1,3 Mio. ist gro­tesk, man bräuch­te eine voll­kom­men ande­re Infrastruktur für eine sol­che Massenveranstaltung (Bühnen, Toiletten, Versorgung, Ordnungskräfte, Platz). «

    Stimmt. Die DDR-Demos vor der Wende konn­ten auch alle nicht pas­siert sein – man­gels Toiletten, Versorgung, und vor allem Ordnungskräften .…

  2. Auf dem gezeig­ten Bild sieht man doch ganz ein­deu­tig die Polizei-Absperrung. Und dahin­ter noch vie­le Menschen. Allein dar­aus lässt sich doch ablei­ten, dass der Demo-Zug noch nicht voll­stän­dig ein­ge­lau­fen ist.
    Aber Leuten wie Gensing geht es ja nicht um Tatsachen son­dern um Staatsmacht erhal­ten­de Narrative. Schon klar. Das Wahrheitsministerium lässt grü­ßen. Ergebnisoffene Recherche wird nicht ein­mal mehr simuliert.

  3. Wenn man das Bild in Hochauflösung von ima­go hat, kann man dann nicht die Uhrzeit der Uhr vom Roten Rathaus hin­ter dem Brandenburger Tor ablesen?

      1. Schwachsinn. Es gibt ein Foto von Getty, bei dem die Zeit am Kirchtturm ables­bar ist. Schattenlänge und Richtung sind bei bei­den Fotos fast iden­tisch, daher auch der Aufnahmezeitpunkt. Der Aufnahmezeitpunkt 15:39 Uhr ist plau­si­bel, ein frü­he­rer nicht.

        Die gan­zen Schattenwurfscharlatanerieberechnungsbemühungen kann man sich sparen.

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