So überschreibt der langjährige Frankreichkorrespondent von n‑tv.de einen Kommentar am 11.4. Darin ist zu lesen:
»Nun also der nächste Streich: Eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr, wenn Bundesländer die Inzidenzgrenze von 100 reißen. In Frankreich gibt es auch eine Ausgangssperre, allerdings eine viel strengere. Und funktioniert sie? Ein Abend in Bordeaux gibt Aufschluss..
Tatsächlich ist Bordeaux wie ausgestorben. Besonders all die Plätze, die sonst voller Menschen sind, erst recht an einem warmen Wochenendabend. Auf dem Place de Parlement, wo sie sonst sitzen, bei Champagner und baskischen Tapas, ist es menschenleer. Am Wasserspiegel am Flussufer der Garonne, durch den sonst die Kinder tollen, ist das Wasser abgelassen, niemand hier, wirklich: niemand. Die einzigen, die mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf der Rue Sainte-Catherine unterwegs sind, sind die Fahrer der Lieferdienste auf Rädern und Elektrorollern. Die für UberEats oder Deliveroo für einen Hungerlohn das Essen der Anderen ausfahren.
Feiernde an den Fenstern
Erst denke ich, es ist ein Einzelfall, aber nach zwanzig Minuten Fußweg wird mir langsam klar: Diese Stadt ist nicht ausgestorben, sie wirkt nur so. Denn erst höre ich es nur von einem Balkon, dann von noch einem, dann gehe ich um eine Straßenecke und wieder: Musik. Laute Musik. Viele Stimmen, fröhlich, schwatzend, rufend, jubelnd. So, wie es sonst beim Apéro auf der Place du Parlement klingt.
Bald sehe ich sie auch, die Feiernden: Sie stehen an den Fenstern und rauchen, es sind junge Menschen und nicht mehr ganz so junge. Sie halten Gläser in den Händen, Zigaretten, Joints, es riecht nach Essen, nach Cannabis, es ist ein Duftteppich in den Straßen. Das Wochenende wird gefeiert, egal, ob nun Confinement ist oder nicht. Es ist Geselligkeit, es ist Frankreich. Nur irgendwie müssen sie ja auch nach Hause kommen, nachher, in der Ausgangssperre. Ich kann einer Frau auf dem Balkon zurufen, wie sie das anstellt.
"Ach, wir machen einfach durch bis Morgen früh", ruft sie und lacht. Andere werden es einfach so versuchen, nach Hause zu kommen. Man kann ja auf seinem Zettel irgendwas ankreuzen. Außerdem kann die Polizei ja nicht überall gleichzeitig sein.
Und das ist das Problem mit der Ausgangssperre – es ist wieder so ein Instrument, das nach irrsinniger Verschärfung aussieht – aber es funktioniert eben nicht…
Meine Beobachtung an diesem Abend bezog sich dabei natürlich nur auf die herrliche Altstadt von Bordeaux, mit ihren herrschaftlichen Wohnungen, groß und reich. Wie es in den weniger wohlsituierten Vororten zugeht, kann ich nur ahnen – weniger Partys, weniger Treffen, weniger Ansteckungen wird es dort sicher nicht geben.
Das Confinement dauert nun schon eine gute Woche, doch die Neuinfektionen sinken nicht, im Gegenteil: Es waren wieder über 41.000 am Freitag. Die Inzidenz in Bordeaux liegt bei 228, rund um Paris deutlich über 400, mancherorts bei 660. Allein das wäre also ein gutes Argument gegen eine Ausgangssperre.
Massen von Menschen – glücklichen Menschen
Aber einen Tag später bin ich noch weitergereist. Nach Spanien. Genauer nach San Sebastián, das sind von der Grenze 15, vielleicht 20 Minuten Fahrtzeit. Ich muss ehrlich zugeben: Ich war kurz erschrocken, habe mich auf den engen Gehwegen der Altstadt ganz klein gemacht. Von der schieren Masse der Menschen war ich überwältigt. Von vollen Außenbereichen der Cafés. Von den Terrassen, Stuhl an Stuhl, Menschen mit Gläsern und Flaschen und Masken vor den Gesichtern. Ich muss sagen: glücklichen Menschen. Lange habe ich in Deutschland nicht mehr so viel Lachen gesehen, so viele Gespräche, die nicht die Worte Lockdown, Inzidenz und Intensivbetten beinhalteten.
Bis 20 Uhr darf jede Bar, jedes Café, jedes Restaurant geöffnet haben, innen und außen. Darf Geld verdienen, in diesen schweren Zeiten. Es gibt Regeln: Nur wer sitzt, wird bedient, es gibt genügend Abstände, wenn man nicht isst oder trinkt, setzt man die Maske auf. Es ist gesittet und lustig…
Das ist nicht etwa ein neuer Versuch: In den meisten Regionen Spaniens ist das nun schon seit langem so. In der ersten Welle hatte das Land einen der härtesten Lockdowns: Wochenlang saßen die Spanier daheim in ihren Wohnungen, sogar Spaziergänge waren verboten. Das soll nie wieder passieren…
Keine Explosion der Zahlen
Und nun kommts: Es gibt keine Explosion der Zahlen. Trotz dieser Zustände.«
Von Feiernden an Fenstern vernimmt man in der hiesigen Stadt der langen Ausgangssperrennächte nichts. Nun gut, ist vielleicht noch ein bißchen kalt, alle Fenster bleiben zu. Owei! Zu den Franzosen fällt mir dazu dann nur eines ein: Savoir vivre. Obwohl ich das unter den aktuellen Bedingungen nur mit Bauchkneifen erwähnen kann. Wochend spät abends wäre es stiller als auf dem Land, hörte man nicht zwischendurch vom Hafen her mal den einen oder anderen Container knallen.
In dieser irren Lage darf auf keinen Fall Karl Lauert-auch fehlen.
"Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Treffen draußen beginnt und dann drinnen endet."
https://www.rtl.de/cms/coronavirus-liveticker-zoff-um-kontakte-im-freien-ist-draussen-wirklich-so-gefaehrlich-herr-lauterbach-4496453.html
"Wie es in den weniger wohlsituierten Vororten zugeht, kann ich nur ahnen", weil ich mich als gut ausgebildeter Reporter da ja nicht hintrauen darf und deswegen lieber ein bißchen munkle.
Daß man sich Erkältungskrankheiten traditionell auch auf Parties in vollen Wohnungen holt, ist ja eigentlich recht gut bekannt. Drum um so sinnvoller, wenn "das Treffen" gleich drinnen beginnt, statt dort nur zu enden, und die Fenster zum Schutz vor Denunzianten geschlossen bleiben, nicht wahr, Herr Lauterbach?