Prof. Hinnerk Wißmann lehrt öffentliches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Am 9.2. ist auf welt.de* von ihm u.a. zu lesen:
»1. Vorsorge: So-oder-so-Lockdown
Niemand erwartet ernsthaft, dass in absehbarer Zeit eine spürbare, allgemein wirksame Lockerung von Pandemiemaßnahmen ansteht. Neben einer allgemeinen Zermürbung liegt das auch daran, wie als Teil des „Erwartungsmanagements“ auf vielen Kanälen kommuniziert wird, dass man bei Verboten bleiben müsste, egal wie die Lage sich konkret entwickelt: Hohe Zahlen seien schlimm, niedrige aber letztlich auch nicht gut, weil sie angesichts „britischer Mutanten“ falsche Sicherheit mit sich brächten – auch Städte und Kreise, die seit Wochen unter der gesetzlichen 50er-Inzidenz sind, können nicht auf Erleichterungen hoffen.
Der Ort, an dem diese Sicht auf die Dinge sich zu Entscheidungen verdichtet, ist seit zehn Monaten bekanntlich die „BKMPK“, also die faktisch durch das Bundeskanzleramt geleitete Ministerpräsidentenkonferenz: Hier werden die großen Linien der Corona-Strategie abgestimmt, bevor sie dann vor Ort politisch durchzusetzen sind. Nahegelegt wird diese Praxis letztlich durch den Bundesstaat selbst mit seiner eigentümlichen Mischung aus Zuständigkeiten, die „vertikal“ zwischen Bund und Ländern und „horizontal“ zwischen Regierungen und Parlamenten aufgeteilt sind. Das hat zunächst einmal seine gute Ordnung – von tiefem Staat oder Corona-Diktatur keine Spur.
Allerdings wird so der eigentlich vorgesehene Gang der politischen und gesellschaftlichen Diskussion eben doch von den Füßen auf den Kopf gestellt, mit zunehmenden Wagenburg-Effekten. Schon die Zulieferung und Auswahl von Informationen folgt erkennbar deutlich engeren Pfaden, als das etwa im regulären parlamentarischen Betrieb der Fall wäre. Rechtfertigen muss sich, wer von der Marschroute der Absprachen abweicht, längst bevor daraus verbindliche Rechtsnormen gemacht sind, und im Gegensatz zu der Idee des Grundgesetzes, die Ausführung der Bundesgesetze in Art. 83 GG zur „eigenen Angelegenheit“ der Länder zu machen.
Nun ist der dramatische Ausgangspunkt für diese Entwicklung ja mit Händen zu greifen: Die dynamische Verbreitung des Coronavirus mit immer neuen Erkenntnissen und Umständen legt das möglichst eng abgestimmte und zugleich bewegliche „Fahren auf Sicht“ sachlich nahe. Die Frage nach Maßstäben ist damit aber nicht obsolet. Hier wirkt nun das frische Wort von der „Vorsorge“ wie ein Relaxans – entdeckt auf der BKMPK im Januar und sofort flächendeckend eingesetzt. Wie bei den meisten Entscheidungen der letzten zehn Monate hat dieses Vorsorge-Argument eine rationale, leicht zu erfassende Logik, die hier auf besonders infektiöse Virusmutationen reagiert.
Wenn aber der Eindruck entsteht, dass „Vorsorge“ als eine Art verfassungsrechtliche Breitband-Begründung funktioniert, verlässt das die Basis rationaler Politik in einem ganz fundamentalen Sinn: Denn die offenen Demokratien haben Politik seit jeher vor allem auf ihre praktischen Ergebnisse in der Wirklichkeit überprüft, statt an Programme und Vorhersagen zu glauben. Daraus schöpfen sie historisch ihre Überlegenheit.
Für diesen Blick auf die Wirklichkeit ist Wissenschaft, verstanden in einem umfassenden Sinn, äußerst nützlich. Deswegen kann sich auch die Infektionsschutzpolitik mit dem Begriff der Vorsorge nicht von einem verbindlichen Tatsachenbezug verabschieden, um in den Bereich der dauernden Modellierung von Wirklichkeit zu wechseln. Und entsprechend reicht es auch nicht hin, die Frage nach der Geeignetheit der brachialen Maßnahmen über Wochen und Monate angesichts bescheidener Erfolge mit der Feststellung abzuwehren, ohne genau diese Maßnahmen stünde man jedenfalls schlechter da. Das ist in einem ganz schlichten Sinn nicht zu widerlegen, verwechselt letztlich die Welt aber mit einem Labor…
Nur in unübersichtlichen, zeitlich und sachlich begrenzten Sondersituationen wurde dem Staat zugebilligt, „auf Verdacht“ zu handeln. So konnte es auch zu Beginn der Corona-Epidemie im letzten Frühjahr vertreten werden.
Aber statt die Anforderungen etwa an den Nachweis von Tatsachen und Begründungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen zu erhöhen, wird ganz im Gegenteil derzeit erwartet, dass sich das Publikum an eine „Im-Zweifel-für-die-Sicherheit-Begründung“ gewöhnen soll. Der Begriff der Vorsorge kehrt die Beweislast um. Man sollte ehrlich sein: Freiheit, die ihre Ungefährlichkeit beweisen muss, ist abgeschafft.
2. Das Leben der Anderen
… Inzwischen beobachtet man zwar mit Unbehagen, dass Anspannung und Not zunehmen, und die Bundesregierung reagiert darauf mit einer erneuten Verständnisoffensive. Aber eine echte Einsicht, dass sich tatsächlich die Grundrechtseingriffe mit jedem Tag vertiefen, also dynamisch und nicht statisch zu betrachten sind, ist damit nicht verbunden. Es fehlt an Tabellen und Sprachbildern für die sich auftürmenden Grundrechtsschäden. Dieses Feld wird epidemiologischen Podcasts überlassen.
Auch hier scheint ein fundamentales staatstheoretisches Problem auf: Die Lebenswelten von Entscheidern und Meinungsmachern auf der einen Seite und „den Menschen im Lande“ auf der anderen fallen unter Corona-Regeln per staatlichem Befehl auseinander. Zwar kann und muss Politik nicht durch Betroffene gemacht werden. Wer aber jeden Abend in einem neuen Fernsehstudio sitzt, durch Deutschland und Europa jettet und Ansprache von beliebig vielen Mitarbeitern hat, dem fehlt in einem prinzipiellen Sinn die solidarische Anschauung, was Schulkinder, Studenten, Arbeitslose, psychisch Kranke, nein: eigentlich fast jedermann, zurzeit durchmachen…
3. Leben und Sterben mit Corona
Das Dilemma, das durch die Unerreichbarkeit staatlicher Vorsorgeversprechen erzeugt wird, führt letztlich zum Verhältnis von Leben und Tod als Grundkategorien des Verfassungsstaates: Wenn jeder Todesfall „an, mit und wegen Corona“ als Versagen der Politik, als ethisches Versagen einer solidarischen Gesellschaft betrachtet wird, darf die Verbotspolitik prinzipiell niemals enden.
Selbst bei höchster Impfstoffwirkung und selbst bei Impfpflicht und selbst bei Therapien wird es auf unabsehbare Zeit weiter Todesfälle „im Zusammenhang mit Corona“ geben – eben weil der Tod die eine große Sache ist, die die ganze Menschheit noch immer verbindet. Menschen sterben, oft mit einem schweren Tod, fast immer unverschuldet, mit unerfüllten Träumen, Ängsten, alleingelassen, oder auch in Ruhe und gelöster Stimmung, manchmal jung, oft alt, oft auch an Infekten, wenn das Leben sich erschöpft hat. Die Medizin lässt sich in der Tat auf den Tod nicht ein. Das mag man als ihren Auftrag sehen – als Gesellschaft dürfen wir es freilich besser wissen.
Die Politik hat sich aber vollkommen an eine einseitige (intensiv-)medizinische Perspektive gebunden und sie in der ihr eigenen Art zu einem totalen Anspruch umformuliert. Eine solche Politik muss aber scheitern, wenn sie ihre Formeln („Jeder Tote ist zu viel!“) wirklich ernst nimmt, oder sie führt in die totale Entgrenzung des Maßnahmenstaates. Das sind Alternativen, die mit unserer Verfassungsordnung nicht viel gemein haben.
Das Grundgesetz ist in der Tat eine Verfassung, die dem Leben verpflichtet ist. Jedes leichtfertige Reden über die Grenzen von Leben und Gesundheit würde die historischen Einsichten hintergehen, auf die unser Staat gegründet ist. Es besteht aber ein kategorialer Unterschied zwischen den verfassungsrechtlichen Geboten, menschliches Leben nicht zu schädigen und miteinander im Schutz solidarisch zu sein – und der Hybris, einen bestimmten Tod aus dem Feld schlagen zu wollen und dafür notfalls die offene Gesellschaft zu opfern. Darüber kann gestritten, aber nicht geschwiegen werden.«
* Ein Kommentar weist darauf hin, daß der Beitrag ohne Bezahlschranke hier gelesen werden kann.
Wie beschämend ist es, dass solche noch funktionierenden Köpfe jetzt in der Springerpresse so etwas wie Opposition machen.
Komplettes Irrenhaus.
Hier die Originalveröffentlichung von Wißmann ohne Bezahlschranke:
https://verfassungsblog.de/verfassungsbruch-schlimmer-ein-fehler/
Die Politik hat einen Tunnelblick entwickelt, der einseitig und technokratisch auf ein Virus gerichtet ist und sieht rechts und links von ihrer strikten Lockdown-Politik schon lange nichts mehr, schon gar nicht die Lebensrealität der Menschen, für die sie vorgibt, vorzusorgen.
Mit der machtvollen und undemokratischen Durchsetzung von Anordnungen, einem großen Mangel an Empathie und mit der Erzeugung von Angst und Perspektivlosigkeit nimmt man auch die Verschlechterung der psychischen Situation vieler Kinder und Jugendlichen wissentlich in Kauf.
https://www.derstandard.de/story/2000123673409/die-jugend-gleitet-in-die-depression
Dr. Silvia Behrendt über die internationalen Verträge der WHO – sehr interessant und aufschlussreich
Die Juristin Dr. Silvia Behrendt berichtet über die internationalen Verträge der WHO mit den Mitgliedsstaaten, deren Inhalte und ihre Rechtsverbindlichkeit. Die Empfehlungen der WHO haben Gesetzesstatus und müßten von den Mitgliedsstaaten eingehalten werden. Das ist nur so gut wie nicht bekannt. Frau Dr. Behrendt klärt darüber auf.
https://www.facebook.com/105647681224126/posts/230980035357556/
https://respekt.plus
https://veezee.tv/tv/senderfm
https://t.me/sender_fm
https://www.sender.fm
Hier passend (falls nicht schon berichtet):
https://www.rubikon.news/artikel/ein-putsch-von-oben
"Ein Putsch von oben
Die Corona-Maßnahmen bedeuten keine Verschiebung innerhalb der bestehenden demokratischen Ordnung—sie bedeuten deren Ende. Exklusivabdruck aus: „Die Corona-Lüge demaskiert“.
von Hermann von Bering"