Verlorene Lebenszeit durch Corona – eine weitere Säule wankt

Der pro­mo­vier­te Mathematiker Günter Eder hat sich für die NachDenkSeiten die Zahlen des RKI genau­er ange­schaut und kommt am 6.7. dort zu ande­ren Ergebnissen:

»Im März letz­ten Jahres tra­ten in Deutschland die ersten Coronafälle auf und etli­che Infizierte ver­star­ben. Die Ungewissheit, wie ansteckend und gefähr­lich das neu­ar­ti­ge Virus sei, war all­ge­mein groß und nie­mand wuss­te, was auf das Land zukam. In den Medien wur­de viel über dra­ma­ti­sche Ereignisse in ande­ren Ländern und auf den Intensivstationen der Krankenhäuser berich­tet und Virologen hiel­ten 280.000 Corona-Todesopfer für mög­lich oder rech­ne­ten gar mit bis zu 500.000 Toten. Vor dem Hintergrund, dass Grippewellen in den vor­an­ge­gan­ge­nen Jahren „nur“ zwan­zig- bis fünf­und­zwan­zig­tau­send Tote zur Folge hat­ten, war das eine erschrecken­de Perspektive, die vie­len Menschen Angst machte…

Anmerkungen zur RKI-Studie über ver­lo­re­ne Lebensjahre

Seit Beginn der Pandemie sind in Deutschland 90.270 Menschen an oder mit Corona ver­stor­ben (RKI vom 18. Juni 2021). In einer wis­sen­schaft­li­chen Studie hat das Robert Koch-Institut (RKI) das Sterbegeschehen genau­er unter­sucht. Dabei ist man ins­be­son­de­re der Frage nach­ge­gan­gen, wie vie­le Lebensjahre Verstorbene auf­grund von Coronainfektionen ver­lo­ren haben. Oder anders aus­ge­drückt: Wie lan­ge Verstorbene vor­aus­sicht­lich noch gelebt hät­ten, wenn sie sich nicht mit dem Virus infi­ziert hätten.

Die Studie wur­de im Februar 2021 im Ärzteblatt ver­öf­fent­licht und kam zu dem Ergebnis, dass Covidverstorbene im Mittel 9,6 Jahre län­ger gelebt hät­ten, wenn sie sich nicht infi­ziert hät­ten. Das Ergebnis über­rascht hin­sicht­lich der Höhe der ver­meint­lich ver­lo­re­nen Lebenszeit. Es über­rascht vor allem des­halb, weil die Verstorbenen im Durchschnitt bereits 83 Jahre alt waren und fast aus­nahms­los unter einer oder meh­re­ren Vorerkrankungen lit­ten. Letzteres haben die am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) durch­ge­führ­ten Obduktionen von 735 Coronatoten ergeben…

Man muss sich im Klaren dar­über sein, dass es kei­nen streng kau­sa­len Nachweis für deren Höhe geben kann. Denn letzt­lich weiß nie­mand, wann jemand gestor­ben wäre, wenn er sich nicht mit dem Coronavirus infi­ziert hät­te. Man kann ledig­lich auf Basis wahr­schein­lich­keits­theo­re­ti­scher Überlegungen mehr oder weni­ger fun­dier­te Schätzwerte für die Zeitspanne ange­ben. Hier macht sich das Fehlen aus­sa­ge­kräf­ti­ger und belast­ba­rer Daten zum Krankheitsgeschehen und zu den Krankheitsverläufen schmerz­haft bemerkbar

Im Jahr 2020 ver­star­ben ins­ge­samt 985.996 Personen. Das sind 15.034 Verstorbene mehr, als nach den Sterbezahlen der vor­an­ge­gan­ge­nen Jahre zu erwar­ten gewe­sen wären. Die Übersterblichkeit ent­spricht einer Quote von 1,55% (2020). Detaillierte Erläuterungen dazu, wie die Quote ermit­telt wor­den ist, fin­den sich in dem im Februar 2021 auf den NachDenkSeiten ver­öf­fent­lich­ten Artikel „Ein sta­ti­sti­scher Blick auf die Übersterblichkeit in Zeiten von Corona“.«

Es fol­gen eine Reihe von aus­führ­lich dar­ge­stell­ten Berechnungen, die zu dem Fazit führen:

»Die Berechnung der Obergrenze der durch­schnitt­lich ver­lo­re­nen Lebensjahre beruht damit auf der Annahme, dass

        • 85% der Verstorbenen eine Lebensperspektive von zehn Wochen gehabt hät­ten und
        • 15% der Coronaverstorbenen im Mittel noch 9,6 Jahre gelebt hätten.

Damit erhält man als Schätzwert einen mitt­le­ren Wert von 1,6 ver­lo­re­nen Lebensjahren…

Doch unab­hän­gig davon, ob die ins­ge­samt ver­lo­re­ne Lebenszeit bei maxi­mal 66.318 oder bei 303.608 Lebensjahren [wie vom RKI ange­ge­ben, AA] liegt, letzt­lich sagt der abso­lu­te Wert als sol­cher wenig aus über die gesell­schaft­li­che Dimension bzw. Relevanz des Sterbegeschehens. Die nimmt erst Gestalt an, wenn man den Wert in Relation zu Sterbedaten betrach­tet, die auf ande­re Sterbeursachen zurück­zu­füh­ren sind. Hier bie­tet sich der Verkehrssektor zum Vergleich an. Dieser ist nicht nur daten­mä­ßig gut doku­men­tiert, son­dern hier lässt sich auch der YLL-Wert ein­fach und ver­läss­lich ermitteln.

Natürlich sind der­ar­ti­ge Vergleiche immer pro­ble­ma­tisch, da man Vorgänge mit­ein­an­der in Beziehung setzt, die sich in ihren Abläufen und Konsequenzen stark bis sehr stark von­ein­an­der unter­schei­den. In gewis­ser Weise ist es, als wür­den Äpfel und Birnen mit­ein­an­der ver­gli­chen. Trotzdem kann und soll­te man auf sol­che Betrachtungen nicht grund­sätz­lich ver­zich­ten, da sie viel­fach inter­es­san­te und wert­vol­le Erkenntnisse liefern…

Maximal 66.000 ver­lo­re­ne Lebensjahre durch Corona und min­de­stens 80.000 ver­lo­re­ne Lebensjahre durch Verkehrsunfälle: Die Relation über­rascht und macht sprach­los. Natürlich muss man berück­sich­ti­gen, dass hier Schätzwerte mit­ein­an­der ver­gli­chen wer­den, die mit Unsicherheiten behaf­tet sind, und zudem wird nur ein aus­ge­wähl­ter Aspekt des Gesamtgeschehens betrach­tet, näm­lich die ver­lo­re­nen Lebensjahre der Verstorbenen. Aber gera­de die­ser Aspekt ist ange­sichts des Leids, das damit ein­her­geht, von her­aus­ra­gen­der Bedeutung. Man kann ihn nicht allein des­halb für irrele­vant erklä­ren, weil er das Resultat voll­kom­men unter­schied­li­cher Ursachen ist…

Neue Erkenntnisse soll­ten grund­sätz­lich zum Anlass genom­men wer­den, bis­he­ri­ges Handeln kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Und viel­leicht kann man hier von Schweden ler­nen. Gemessen an der Zahl der Verstorbenen ist man dort, auch ohne har­te Lockdown-Maßnahmen und ohne jeg­li­chen Maskenzwang, genau­so gut (oder schlecht) durch die zwei­te Coronawelle gekom­men wie in Deutschland. Aber dadurch, dass man stär­ker auf Eigenverantwortung statt Reglementierung gesetzt hat, ist das Land heu­te nicht so tief in zwei, sich unver­söhn­lich gegen­über­ste­hen­de Lager gespal­ten. Diese Coronawunde wird in Deutschland erst noch hei­len müssen.«


Im Originaltext vor­han­de­ne Fußnoten wur­den hier fortgelassen.

3 Antworten auf „Verlorene Lebenszeit durch Corona – eine weitere Säule wankt“

  1. Alleine die Lebensjahre die durch Angst, psy­chi­schen Druck,
    gegen­sei­ti­ge Anfeindungen, auf­ge­scho­be­ne Operationen, Vermeidung von Artztbesuchen und lei­der auch sehr wegen des Masketragens ver­ur­sacht wer­den ganz zu schweigen.

    Es gibt auch Leute wie mich, die sich ein Wundnähset kau­fen und sich beim Auftreten einer Fleischwunde lie­ber sel­ber zusam­men­frie­meln wür­den, als wie frü­her in die Notaufnahme
    zu gehen, weil sie sich als Gesunder kein nichts­sa­gen­des "Test"stäbchen in Arsch oder Hirn ram­men las­sen wollen.

    Wenn ich nicht 3 enge Vertraute hät­te, die ähn­lich über den gan­zen Cololores den­ken wür­den, wür­de ich ent­we­der inner­lich ver­ge­hen, oder über mich hinauswachsen.
    Das kann in Krisen näm­lich auch passieren.

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