Unter dem Titel "Ruhe im Karton" schrieb die taz bereits Anfang April:
"Es sind Szenen, die man nur aus autoritären Polizeistaaten kennt: Eine einzelne Frau mit einem umgehängten Protestschild wird am Sonntag vor dem Brandenburger Tor von Polizisten umringt. Sie muss ihre Daten abgeben und erhält eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Coronaverordnung und das Versammlungsgesetz. Sie bleibt nicht die Einzige. Dasselbe passiert Menschen, die unter Einhaltung der Abstandsregelungen am Hamburger Fischmarkt mit Kreide ihre Botschaften für eine humane Flüchtlingspolitik auf den Boden schreiben wollen.
In Frankfurt/Main wird eine Ansammlung von DemonstrantInnen im Rahmen des #LeaveNoOneBehind-Aktionstages zur Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager aufgelöst, obwohl sie penibel einen Zwei-Meter-Abstand zueinander einhalten. In Berlin unterbinden Polizisten sogar eine Auto-Demonstration.
Landesweit entfernt die Polizei im öffentlichen Raum angebrachte Protestplakate oder abgestellte Schuhe. Was sich die Protestierenden auch haben einfallen lassen, um dem Infektionsschutz gerecht zu werden und dennoch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, sie scheiterten an einer autoritär agierenden Ordnungsmacht.
Weder die OrganisatorInnen der Proteste noch andere vernunftbegabte Menschen haben infrage gestellt, dass Menschenansammlungen aufgrund der sich weiter ausbreitenden Coronapandemie derzeit verboten sind. Nur sind Demonstrationen oder Kundgebungen keine Ansammlungen wie jede andere, keine Grillparty im Park und auch kein Fußballspiel. Sie obliegen dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, Artikel 8."
Zwar wackeln die Demonstrationsverbote gerade, immer mehr Gerichte stellen sie in Frage. Dennoch bleiben absurde Auflagen wie Vermummungsgebote.
Sicher ist: Es wird um den 1. Mai herum öffentliche politische Aktionen geben. Warum sollten dann nicht die Spielräume ausgenutzt werden, die uns allen offen stehen? Autohäuser dürfen aufgesucht werden – wer verbietet, daß die KundInnen ganz individuell politische Transparente mit sich führen? Ebenso wenig wird das Einreihen in Warteschlangen zu Bus oder U‑Bahn dann strafbewehrt sein, wenn die Menschen dort Sprechchöre rufen. Wie will die Polizei das symbolische Befreien von Kinderspielplätzen verhindern?
Es gibt noch zwei Wochen, in denen Kreativität zu manchen Unwägbarkeiten führen wird. Seien wir gespannt!
Wie schreibt der tip so schön?
"Wie verträgt sich eigentlich eine Schutzmaskenempfehlung der Gesundheitssenatorin mit dem Vermummungsverbot? Und wie das 1,50-Meter-Abstandsgebot mit dem polizeilichen Wegtragen von Demonstrant*innen? Begünstigt Tränengas vielleicht Tröpfcheninfektionen? Und ist der beliebte Slogan „A‑Anti-Anticapitalista“ noch eine Parole der Linksradikalen oder schon die Not-Verstaatlichungsdoktrin des Bundeswirtschaftsministeriums?"