Diese Frage wird am 5.5. auf zeit.de gestellt. Die Antworten bleiben vage. Sie beginnen und enden mit einer Phrase.
»Sie war ein rebellischer Geist… "Der Sinn von Politik ist Freiheit, und ohne sie wäre das politische Leben sinnlos."
Hierzulande sagt sich das leicht, doch es gibt Staaten, in denen, wie Arendt schrieb, "Menschen unweigerlich ihre Freiheit verlieren, sobald sie anfangen, von ihr Gebrauch zu machen". In Myanmar zum Beispiel, in Belarus und Russland, in der Türkei, im Iran, in Ägypten, Hongkong, China. Nicht zu vergessen in Kuba, der Endmoräne des Kommunismus.«
Damit ist der Rahmen gesetzt, in dem Arendt zu lesen ist. Bevor sie in Vergessenheit geriet, sollten wir in unserer Schulzeit sie auch schon so verstehen. Dabei mag der Autor Arendt gelesen haben, Rosa Luxemburg aber gewiß nicht verstanden haben:
»Mit großer Zustimmung, nein: glühender Verehrung folgt Arendt der Imperialismustheorie Rosa Luxemburgs, der "missverstandendsten Gestalt der deutschen Linken". Deren Theorie ging so: Weil das "überflüssige Kapital" nach neuen Verwertungsmöglichkeiten Ausschau hält, bildet sich ein Bündnis aus Mob und Elite und fällt mit apokalyptischer Grausamkeit über fremde Kontinente her. Bibelfeste Familienväter ("Liebe Deinen Nächsten"), völkische Rassisten sowie die Underdogs der zerfallenden Klassengesellschaften glauben, ihnen gehöre die ganze Welt und alle anderen Völker seien minderwertig und ausrottbar.«
Kurz schimmert so etwas wie Kritik am "freien Westen" auf:
»Die Gültigkeit der Menschenrechte ist an die Existenz des Nationalstaates gebunden, und sobald dieser ethnisch umdefiniert wird oder zerfällt, kann es geschehen, dass Minderheiten "als Auswurf der Menschheit aus dem Land gejagt" und überall als solcher empfangen werden. "Die Welt hat an der abstrakten Nacktheit des reinen Menschseins an sich nichts Ehrfurchtgebietendes finden können."
Die Lage ist heute eine andere; strikt hat sich die Europäische Union der Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Doch ihre Grenzschutzagentur Frontex steht im Verdacht, Geflüchtete zurück aufs offene Meer gestoßen zu haben; in Ungarn scheinen sich Asylsuchende schon durch die Tatsache ihrer bloßen Existenz strafbar zu machen. Und auf die griechischen EU-Camps trifft Arendts sarkastischer Satz zu, dass die Insassen erst kriminell werden müssten, bevor sie der vollen Aufmerksamkeit des Staates sicher sein können. Dann bekommen sie einen Prozess und sogar eine trockene Gefängniszelle.«
Zu ihrer Zeit in den USA weiß der Autor:
»Hinzu kam der Konformismus einer Massengesellschaft, die "völlige Einstimmigkeit in voller Freiwilligkeit" verlangt und deren Bürger einer Phantomfreiheit nachjagten. Was motiviert diese Nutzenmaximierer überhaupt noch? Nein, nicht die Idee von Freiheit und Gemeinsamkeit. Einzig und allein ihr privates "Interesse".
Während des Vietnam-Krieges, nach der Watergate-Affäre und der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere, fällt Hannah Arendt "im Arsenal der menschlichen Torheiten" etwas Neues auf. Nervös beobachtet sie, dass die US-Regierung Methoden aus der Werbung einsetzt, sie spricht von imaging, von Bildermachen, von "Totalfiktionen". Der Begriff Fake-News fehlt ihr zwar, aber genau das meint Arendt, wenn sie Politikern vorwirft, sei würden Tatsachenwahrheiten zu Meinungen umlügen. Nicht nur, dass sie damit Orientierungssinn und Urteilsfähigkeit der Bevölkerung "vernichten"; sie schafften Scheinwelten, in die die Bürger hineingelockt und in denen sie über die Wahrheit getäuscht würden. Das Wort für diese Machttechnik kennen wir schon: "Praxisentzug"…
Keiner löst die drängendsten Probleme, die Zersplitterung der Gesellschaft wächst. In der Folge davon beginnen die durch Praxisentzug ruhiggestellten Bürger, an Gespenster oder – wie man heute sagt – an Verschwörungsideologien zu glauben: "Ein merkliches Abnehmen des gesunden Menschenverstandes und ein merkliches Zunehmen von Aberglauben deuten darauf hin, dass die Gemeinsamkeit der Welt abbröckelt."…
Vergessen wir nicht, Hannah Arendt beschreibt das Amerika der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Doch ihre Diagnose vom Praxisentzug und vom Absterben des Politischen hat nichts von ihrer Aktualität verloren, erst recht nicht angesichts eines globalisierten, gegen demokratische Kontrolle weitgehend abgeschirmten Kapitalismus.«
Hier, wo es spannend werden könnte, fällt dem Autor allerdings nur Trump ein. Entsprechend schwafelig endet der Aufsatz:
»Arendts Freiheitsverständnis war grenzenlos, doch die Radikaldemokratin wusste, was der Freiheit unverfügbar war. "Der irdische Raumvorrat ist aufgebraucht", die Natur bedarf der Schonung. Und geht etwas zu Ende, müssen die Bürger einen neuen Anfang machen. "Von der Freiheit der Menschen, von ihrer Fähigkeit, Unheil zu wenden, mag diesmal mehr abhängen als je zuvor, nämlich die Fortexistenz der Menschheit auf Erden."«
Dieses Plakat zu einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum verschwand im Laufe der "Corona-Krise" aus dem öffentlichen Raum in Berlin. Der Spruch war offenbar zu heikel.
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=NADSe6ywymc (18.10.20)
Hierzulande sagt sich das leicht, doch es gibt Staaten, in denen, wie Arendt schrieb, "Menschen unweigerlich ihre Freiheit verlieren, sobald sie anfangen, von ihr Gebrauch zu machen". I
Ach ja!? In EU Deutschland nicht oder was !?
Was würde Hannah Arendt dazu sagen?
Niemand hat das Recht zu gehorchen.
Es bringt nichts, ein unverstandenes Ereignis mit einem anderen unverstandenen Ereignis zu vergleichen und die zu zitieren, die es auch nicht verstanden haben.
Eine Scheinkorrelation ist eine, die irrtümlich für eine Kausalitätsbeziehung gehalten wird, obgleich sie auf einer gemeinsamen Ursache beruht. Das ist hier der Fall.
Wer dem m.E. bislang am nächsten kam, ist Alain Badiou und seine Ereignistreue mit anschließender Untersuchung, wie Paulus einst seine Sekte gegründet hat – basierend auf dem Urchristentum, ABER es umkehrend. Wer sich dafür interessiert, dem empfehle ich das Bändchen "Paulus" von Badiou. Aber Vorsicht: Badiou ist kein Leichtgewicht, nicht leicht zu verstehen und zu lesen.
„Totalitäre Herrschaft beraubt die Menschen nicht nur ihrer Fähigkeit zu handeln, sondern macht sie im Gegenteil, gleichsam als seien sie alle wirklich nur ein einziger Mensch, mit unerbittlicher Konsequenz zu Komplizen aller von dem totalitären Regime
unternommenen Aktionen. “
Hannah Arendt, „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“
"Weil das "überflüssige Kapital" nach neuen Verwertungsmöglichkeiten Ausschau hält, bildet sich ein Bündnis aus Mob und Elite und fällt mit apokalyptischer Grausamkeit über fremde Kontinente her."
Besser kann man das hier und jetzt nicht beschreiben.
Ich habe oft über Hannah Arendts Thesen diskutiert und bin nicht in jedem Punkt mit ihr einer Meinung, aber einen derart dummen oder dreisten oder dummdreisten Quatsch wie das oben Zitierte habe ich tatsächlich noch nie gelesen. Ich halte mich wirklich zurück, aber J. G. wäre stolz auf Thomas Assheuer.