Wenn die Herrschenden den Stier an den Hörnern packen und die Linke nicht einmal den Stier sieht

Auf nach​den​ken​sei​ten​.de ist heu­te ein Artikel ver­öf­fent­licht, der aus­führ­lich eine lin­ke Kritik an Positionen der Linken for­mu­liert. Hier eini­ge Auszüge:

»„Wenn bis­her unauf­fäl­li­ge, „bra­ve“ Bürger einen Ausnahmezustand bekla­gen und „Linke“ ihn begrü­ßen, wenn die Suche nach poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Bedingungen, in denen Corona wütet, als Verschwörungstheorien ver­ix­xxt und die Gegen-Gegen-Demonstrant*innen als „Söders Truppe“ ver­schrien wer­den. Wenn Querdenker die Polizei dazu auf­ru­fen, sich anzu­schlie­ßen und die GegenGegenDemonstranten mit ihnen koope­rie­ren. Wenn Linke „Solidarität statt Verschwörungstheorien“ rufen und man erste­re so gar nicht erlebt, nicht ein­mal im Umgang mit­ein­an­der, dann darf man ziem­lich fas­sungs­los und ori­en­tie­rungs­los sein.“ So schreibt es Wolf Wetzel in einem lesens­wer­ten zwei­tei­li­gen Debattenbeitrag „Corona Backstage“ für die NachDenkSeiten.…

Dass man mit Angst Politik machen kann, ist nicht furcht­bar neu. Viele wür­den die­sen Satz sofort unter­schrei­ben. Mit der Angst vor der „kom­mu­ni­sti­schen Gefahr“ konn­te man Jahrzehnte fast alles recht­fer­ti­gen, bis hin zu Weltkriegen. Mit der Angst vor Juden, mit der „jüdi­schen Weltverschwörung“ konn­te man sehr vie­le Menschen auf die Seite derer brin­gen, die damit die Shoa begrün­de­ten. Jedes Mal wur­de dies zu „unse­rem“ Schutz gemacht.

Danach kam die Angst vor der RAF, vor dem „roten“ Terrorismus, der nicht viel spä­ter von der Angst vor dem (radi­ka­len) Islamismus abge­löst wurde.

Nicht alle hat­ten Angst vor dem Kommunismus. Nicht alle hat­ten Angst vor Juden. Und nicht alle hat­ten Angst vor der RAF. Es gehör­te immer eine gute Portion Dämonisierung dazu, um aus etwas Normalem, etwas Anderem eine töd­li­che Gefahr zu machen, die man mit „allen“ Mitteln bekämp­fen muss. In all die­sen Fällen pro­du­ziert es so etwas wie ein Mỹ-Lai-Syndrom. Um „die“ Vietnamesen“ vor dem „Kommunismus“ zu schüt­zen, befeh­lig­te ein US-Offizier 1968, ein gan­zes Dorf nie­der­zu­bren­nen, alle Bewohner*innen zu massakrieren.

Mit dem Corona-Virus ist das anders. Vor ihm haben (fast) alle Angst. Auf den ersten und zwei­ten Blick ist die­ses Virus, die Angst vor ihm nicht von Menschenhand gemacht. In einer sol­chen Situation ist man schnell bereit, alles in die Hand derer zu legen, die uns vor die­ser töd­li­chen Gefahr schützen.

Die genau das ver­spre­chen, haben die­se beson­de­re Lage durch­aus erkannt: Es kom­me jetzt dar­auf an, „den Stier an den Hörnern zu packen“, also die Gunst der Stunde zu nutzen.

Woran die „Retter“ dabei den­ken, und war­um die Linke nicht ein­mal den Stier erken­nen will, nicht ein­mal vor ihm weg­rennt, soll die­ser Beitrag beant­wor­ten helfen…

Ich möch­te in die­sem Kontext ganz prag­ma­tisch vor­ge­hen und unter Linke all die zusam­men­fas­sen, die sich in Corona-Zeiten arti­ku­lie­ren bzw. prak­tisch in Erscheinung tre­ten: Recht unum­strit­ten kann man die par­la­men­ta­ri­sche LINKE dazu­zäh­len, die den Corona-Maßnahmen weit­ge­hend zustimmt, die sich bei der Selbstentmächtigung des Parlaments „ent­hal­ten“ hat, nur die Kosten die­ses Krisenmanagements „gerecht“ ver­teilt sehen möch­te. Und dann ist da das schwer zu fas­sen­de Feld der außer­par­la­men­ta­ri­schen Linken – in Corona-Zeiten. Auffällig, auch dank media­ler Reflektoren, sind jene, die sich gegen die „Corona-Leugner“ und „Covidioten“ wen­den und unter dem Motto: „Mit Abstand gegen rechts“ zu Gegendemonstrationen auf­ru­fen. Sie qua­li­fi­zie­ren die­sen Protest der „Querdenker“ für aus­ge­macht rechts. Die mei­sten Statements hal­ten als Entgegnung die Parole: „Solidarität statt Verschwörungstheorien“ hoch, wobei Solidarität zwi­schen regie­rungs­treu­em „Wir müs­sen zusam­men die Krise mei­stern“ und Betonung der Krisenopfer char­giert. Im Wesentlichen sind es anti­ras­si­sti­sche und anti­fa­schi­sti­sche Gruppierungen und Milieus, die sich in die­ser Weise posi­tio­nie­ren, ohne genau zu for­mu­lie­ren, wor­in ihre Opposition zur Großen Koalition besteht und wie sich die­se in einer lin­ken Praxis manifestiert.

Neben die­sen zwei medi­al aus­ge­leuch­te­ten lin­ken Fraktionen gibt es jedoch auch Zusammenschlüssen (wie „Nichtaufunseremrücken“), die sich mit dem Ruf nach Solidarität nicht an Regierungsappelle anschmie­gen, son­dern sich tat­säch­lich als Opposition begreifen:

„Wir sit­zen alle in einem Boot – Kapitalisten, Bosse und Manager in einem anderen“.

Wenn der (media­le) Eindruck nicht trügt, erfah­ren die­se Gruppen und Zusammenschlüsse zwar schnell ein freund­li­ches Kopfnicken, aber ziem­lich wenig Unterstützung…

Wenn man die Demonstrationen im Namen des Grundgesetzes und/oder als Querdenker gegen die Corona-Maßnahmen auf­ruft, dann beto­nen die dar­an Teilnehmenden die Vielfalt und die Verschiedenheit der Anliegen, wäh­rend die am Rand Stehenden vor allem die Neonazis, Reichsbürger und Identitären zäh­len … und den gro­ßen Rest als „Corona-Leugner“ und „Covidioten“ abstem­peln, umge­ben von frei­lau­fen­den, ver­strahl­ten Spinnern.

Wer in Bewegungen aktiv war und die­se nicht vom Straßenrand aus beäug­te, der weiß, dass man für vie­le Bewegungen der letz­ten 40 Jahre sehr ähn­li­che Charakterisierungen vor­neh­men könn­te: Nehmen wir die Anti-Atombewegung und Friedensbewegung in den 1980er Jahren oder die Startbahnbewegung, gera­de in der Anfangszeit. Wer hämisch sein woll­te, der sah nur „Peaceniks“, „Körnerfresser“ und „Becquerel-Inis“ (als Antwort auf den Super-GAU in Tschernobyl 1987), die dem weit­ver­brei­te­ten Glauben nach­hän­gen, dass man „die Politiker“ nur mit bes­se­ren Argumenten über­zeu­gen müsse.

Bewegungen sind immer hete­ro­gen, ver­rückt und dis­so­nant, müs­sen mit die­sen Unterschieden und Widersprüchen aus­kom­men und sich mit ihnen ver­än­dern. In aller Regel haben sie sich radi­ka­li­siert, wenn die Linke nicht zuschaut, son­dern sich einmischt.

Und wenn sie dazu mal kei­nen Bock hat: Was hin­dert die Linke dar­an, es ganz arg bes­ser zu machen, anstatt die Zeit damit zu ver­brin­gen, den „Falschen“ zu erklä­ren, was sie alles falsch machen?

Der Kampf um die neue/alte Realität

Gehen wir ein­mal von dem klein­sten gemein­sa­men Nenner aus:

Die Demonstrant*innen gegen zahl­rei­che Corona-Maßnahmen wol­len den Kapitalismus zurück, den sie vor dem Lockdown hat­ten, mit dem sie sich arran­giert haben. Möglicherweise drückt sich das in ganz vie­len Slogans aus, die um das Wort „Freiheit“ krei­sen, die man zurück­ha­ben möch­te, die man mit den Corona-Maßnahmen ver­lo­ren hat.

Das mag man für einen recht beschei­de­nen Protest hal­ten – aber man muss ihn des­halb nicht mit einer neo­na­zi­sti­schen Demonstration gleich­set­zen. Wenn man fair und hoff­nungs­voll ist, dann kann man die „Querdenker*innen“ sowohl rechts- wie links-offen ver­or­ten. Und wer sich die Geschichte von Bewegungen anschaut, der weiß, dass dies in den aller­mei­sten Bewegungen so der Fall war. Es sei nur dar­an erin­nert, dass sehr vie­le „links-wil­li­ge“ Kommentator*innen die „Gelbwesten“bewegung in Frankreich als eine rech­te Gefahr bezeich­net haben und nun … ganz still gewor­den sind (erst recht, was ihre fal­sche Einschätzung angeht).

Wenn man also von die­ser vor­läu­fi­gen Hypothese aus­geht, dass vie­le nur eine Rückkehr zu einem Kapitalismus wol­len, der denen Spaß ver­spricht, die es sich „ver­dient“ haben, dann gibt es doch erst recht kei­nen Grund zur Überheblichkeit! Denn dann wäre doch die Frage an die Gegen-Gegendemonstrant*innen zu rich­ten: Verharrt ihr nicht auch in einem Status Quo, der die Entscheidungen der Großen Koalition gegen die „QuerdenkerInnen“ verteidigt?

Wem der (ver­lo­re­ne) Spaß am Kapitalismus zu wenig ist – und dafür gibt es aller­hand Gründe – der müss­te sich und ande­ren sagen, wor­um es dann gehen muss!

Was wäre also eine tat­säch­li­che Kapitalismus-Kritik, die die Corona-Zeiten berück­sich­tigt? Hat die par­la­men­ta­ri­sche, die außer­par­la­men­ta­ri­sche Linke so etwas wie eine anti­ka­pi­ta­li­sti­sche Kritik, die man – in der Tat – auf den Querdenker*innen-Demos meist nur in sehr homöo­pa­thi­scher Dosis wahr­neh­men kann?…

Ökonomische und poli­ti­sche Herrschaftsstrukturen sicht­bar zu machen, ist kei­ne Verschwörungstheorie, son­dern eine Grundbedingung für ein lin­kes Selbstverständnis

Zweifellos fin­det man weni­ge Ansätze und Versuche, die Corona-Zeiten staats­theo­re­tisch ein­zu­ord­nen. Wer ver­dient an einer Krise? Wem nützt eine Krise? Wer wird die Krise bezah­len? Schützt ein Notstand die Menschen oder das System?

Im Großen und Ganzen macht die Linke auch dazu kei­ne Anstrengungen. Umso mehr stürzt man sich auf das Wenige, was aus Querdenkerkreisen kommt. Dort wird sehr oft Bill Gates im Munde geführt. Ein über 100 Milliarden US-Dollar schwe­rer Unternehmer, der erst mit Microsoft stein­reich gewor­den ist und nun mit sei­nem Kapital und sei­ner Macht auch im Pharmasektor „inve­stiert“ ist. Ein Großunternehmer, der wie der Bundespräsident in der Tagesschau sei­ne Rede an die Nation hal­ten kann, um uns auf die neue Realität einzustimmen.

Dass man das Geschäft mit Corona, also Kapitalinteressen, mit zur Sprache bringt, löste die übli­chen Reaktionen in den staats­na­hen Medien aus. Das ist nicht neu. Was aber doch beson­ders ist, dass vie­le Linke auf die­ser Denunziationswelle mit­groo­ven und sie gele­gent­lich noch top­pen müs­sen. Da ist dann von Aluhutphantasien die Rede und wer es ganz ulti­ma­tiv machen will, der löscht die poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Zusammenhänge mit Antisemitismus aus.

Dass eine Kapitalismuskritik auch rechts sein kann, steht außer Zweifel. Dass sie jedoch drin­gend not­wen­dig ist, dass sie zum Grundwerkzeug einer Linken gehö­ren muss, wird gar nicht mehr sicht­bar und noch weni­ger geübt. Das mit dem Üben mei­ne ich wört­lich, denn eine Kapitalismusanalyse schüt­telt man nicht aus dem Ärmel und sie kann auch flach und däm­lich sein, wenn es Linke versuchen.

Man muss also zu aller­erst eine Kapitalismusanalyse wagen, sie gemein­sam dis­ku­tie­ren, anstatt die Tür dort­hin mit der Aufschrift „Zutritt ver­bo­ten. Achtung Antisemitismus“ zu versiegeln.

Dass „Bill Gates“ in einer auto­ri­tä­ren, reak­tio­nä­ren Kritik für das Böse steht, der das Gute im Kapitalismus in Verruf bringt, ist ein deut­li­ches Merkmal für die­se Art der Kritik. In die­sem Denken ist Bill Gates ein Exzess, ein schlim­mer Auswuchs und nicht das glän­zen­de Ergebnis eines Unternehmens, das die Regeln nicht gebro­chen, son­dern exzel­lent ange­wandt hat. Dazu muss man kein Antisemit sein, denn die Vorstellung von einem „ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten“ Kapitalismus ist weit ver­brei­tet – und hat auch in der Linken Platz. Dazu spä­ter mehr.

Zu einer dezi­diert rech­ten Kritik gehört auch, dass man die Macht, den Einfluss, den Wenige über ganz Viele haben, hin­ter der Wand von etwas ganz Geheimen sich­tet. So wird dann ein „Bill Gates“ zu einem (Allein-)Herrscher, der alle ande­ren für sich tan­zen lässt. Dass dies in ziem­lich wir­ren Zeiten ein­zig­ar­ti­ge Klarheit bie­tet, ist ver­lockend, und noch mehr die dar­in ange­leg­te Lösung: Man muss nur einen „Bill Gates“ besei­ti­gen und alles ist (wie­der) gut.

Das nennt man dann auch – zu Recht – eine „ver­kürz­te“ Kapitalismuskritik. Aber wie ver­kürzt ist es, wenn man die Corona-Maßnahmen und alles, was damit ein­her­geht, ohne Kapitalismuskritik unter­stützt und mitträgt?

All das mehr als schlag­wort­ar­tig zu bele­gen, an dem, was „Querdenker“ tat­säch­lich den­ken und sagen, ist das eine. Aber was wür­de eine lin­ke Kapitalismuskritik aus­zeich­nen? Sie wür­de die rea­len Herrschaftsverhältnisse nicht ver­schlei­ern (wie in einer rech­ten Kritik), son­dern sicht­bar und (an-)greifbar machen… 

Zum ande­ren geht es dar­um, zu erklä­ren, war­um das Geraune von einer im ver­bor­ge­nen agie­ren­den Macht die Herrschaftsverhältnisse nicht auf­deckt, son­dern ver­schlei­ert. Die „Bill Gates“ die­ser Erde brau­chen kei­ne Unterwelt, sie sit­zen in den Beraterstäben von Regierungen, sie inve­stie­ren in Think Tanks und NGO’s (Nichtregierungsorganisationen), hal­ten sich Stiftungen, um so auf viel­stim­mi­ge Weise Meinungshoheit zu schaf­fen und Entscheidungen in ihrem Sinne zu beein­flus­sen. Und … um etwas Schwung in unse­re Köpfe zu bekom­men: Die „Bill Gates“, die mit der ganz gro­ßen Agenda unter­wegs sind, die Welt bes­ser machen wol­len, sit­zen nicht im Untergrund, son­dern in unse­ren Köpfen. Das ist der sicher­ste Ort für den Kapitalismus…

Wozu die­ser gan­ze Corona-Wahnsinn?

Wenn man die Corona-Zeiten nicht als medi­zi­ni­sches Phänomen begreift, son­dern als ein gesell­schaft­li­ches, herr­schafts­po­li­ti­sches, dann stel­len sich Fragen: Wozu die­ser gan­ze Aufwand? Wozu der Lockdown, der bis­lang über 1.400 Milliarden Euro kosten wird? Stürzt der Staat die Wirtschaft in eine star­ke Rezession, um Menschenleben zu ret­ten? Wozu all die­se Einschränkungen, die gera­de auch jene empört, die bis­her noch nicht „auf der Straße“ waren? Wozu eine Angst, die gera­de­zu pan­de­misch alles – Menschen, Wissen und Erfahrungen – mit- und von­ein­an­der isoliert?

Das Besondere an die­ser Krise ist, und das wird schnell ver­ges­sen: Diese Krise hat nicht die Finanzwirtschaft ver­ur­sacht (wie 2007ff.), son­dern der Staat selbst, der durch den staat­lich ver­ord­ne­ten Lockdown auch mas­siv die Wirtschaft geschä­digt hat.

Um die zen­tra­le Rolle des Staates in die­ser Krise zu begrei­fen, ist es hilf­reich und ganz schlau, den Staat als „ideel­len Gesamtkapitalisten“ zu begrei­fen, wie dies in der mar­xi­sti­schen Wirtschaftstheorie gemacht wird. Denn man wird sehen, dass der Staat – im besten Fall – mehr ist als blo­ßer Gehilfe des Kapitals, aber eben auch mehr als die Summe aller Einzelkapitale.

Was macht einen in die­sem Sinne ver­stan­de­nen Staat aus?

Jeder Einzelkapitalist ist des ande­ren Feind. Wie kön­nen und müs­sen sie aber den­noch ihre gemein­sa­men Interessen for­mu­lie­ren und zur Geltung brin­gen? Hier kommt der Staat ins Spiel. Wenn er sei­ne Rolle gekonnt aus­übt, dann ist er eben nicht nur Promoter eines Großkonzernes (sei es Siemens, VW oder RWE). Er muss es schaf­fen, sozu­sa­gen die Quersumme aller Kapitalinteressen zu ver­kör­pern. Das geht gele­gent­lich auch auf (über­schau­ba­re) Kosten von Big Players, wie beim Atomausstieg.

Der Staat als „ideel­ler Gesamtkapitalist“ ist des­halb ein ideel­ler, weil es für die „Quersumme“ kei­ne objek­ti­ve Bestimmung gibt. Denn es geht eben nicht nur um eine Addition von Kapitalinteressen, son­dern auch um eine Vision, die über das Einzelinteresse hinausweist.

Was gelingt dem Staat als „ideel­lem Gesamtkapitalisten“ in und mit der Corona-Krise?

Dass die Corona-Krise bis­lang über 1.400 Milliarden Euro ver­schlun­gen hat, die der Staat selbst zu ver­ant­wor­ten hat, ver­langt mehr als Schuldenmachen. Er muss sich recht­fer­ti­gen, gegen­über der Wirtschaft, aber eben auch gegen­über den Bürger*innen. Bei all den vie­len Ungewissheiten. Eines ist ganz sicher: Die Schulden wer­den von ihnen getra­gen. Das ver­langt nach einem Szenario, das noch bedroh­li­cher ist als Lohneinbußen, das wei­te­re Lebensverschlechterung in Kauf nimmt, wenn man nur mit dem Leben davonkommt…

Das Corona-Regime mit­hil­fe des Notstandes übt dies ein, mit einer her­zens­gu­ten Zustimmung, die bis in die Linke hin­ein­reicht, die schon oft und lan­ge die Rückkehr des keyne­sia­ni­sti­schen Staates her­bei­ge­sehnt hat. Die Corona-Krise hilft zugleich dabei, den Föderalismus als über­holt und irre zu brand­mar­ken, um noch mehr Befugnisse zu zen­tra­li­sie­ren. Und wäh­rend wir uns in die Begründetheit der Corona-Maßnahmen ver­bei­ßen, wer­fen ande­re einen weit­aus grö­ße­ren Blick auf die „Gunst der Stunde“. Zu den Think Tanks, deren Aufgabe es ist, rea­le (Verwertungs-)Schwierigkeiten in neue „Visionen“ zu trans­for­mie­ren, gehört sicher­lich auch das jähr­lich statt­fin­den­de Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, zu dem Konzernchefs, Politiker und Wirtschaftsstrategen ein­ge­la­den wer­den. Auch wenn es zum Image des Weltwirtschaftsforums gehört, kri­tisch zu sein, for­mu­liert ihr Chef Klaus Schwab die nicht ver­han­del­ba­re Basis sehr klar:

„Nein, der Kapitalismus ist nicht das Problem. Ich bin davon über­zeugt, dass die unter­neh­me­ri­sche Kraft jedes Einzelnen die Triebfeder für ech­ten Fortschritt ist – und nicht der Staat. Aber die­se indi­vi­du­el­le Kraft muss in ein System von Regeln ein­ge­bet­tet wer­den, das ein Überborden in die eine oder ande­re Richtung ver­hin­dert. Diese Funktion muss ein star­ker Staat erfül­len. Der Markt löst allein kei­ne Probleme. Ich plä­die­re nicht für eine Systemänderung. Ich plä­die­re für eine Systemverbesserung.“ (Der Neoliberalismus hat aus­ge­dient, zeit​.de vom 21. September 2020)

Ausnahmezustände zeich­nen sich nie durch den Anlass aus, son­dern durch das, was man mit­hil­fe des Anlasses alles durch­set­zen kann

Warum über­lässt es die Linke weit­ge­hend den „Querdenkern“, dem nach­zu­ge­hen? Warum tut sie – völ­lig unge­prüft und fak­ten­frei – so, als sei das alles Alarmismus, und wenn gar nichts mehr hilft, eine Verschwörungstheorie mehr? Auf Seiten der Querdenker mag eini­ges quer­lie­gen, aber wenn eine Linke nicht mehr dazu sagen kann, dann macht sie sich selbst überflüssig.

Spürbar ver­bit­tert muss man fragen:

Hat die Linke schon ein­mal davon gehört, dass im Kapitalismus bestimm­te Prioritäten (also Menschenwohl, Lebensglück usw.) wenig zäh­len, ande­re viel mehr – und das mit und ohne Corona?

Warum ver­sucht sich die Linke nicht dar­an, die­se gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen und staats­theo­re­ti­schen Verschiebungen selbst ein­zu­ord­nen, ohne „Verschwörungstheorie“?

Gibt es öko­no­mi­sche, staats­theo­re­ti­sche und poli­ti­sche Gründe für die Suspendierung von Grundrechten, die wenig bis nichts mit der Bekämpfung der Pandemie zu tun haben?

Gibt es berech­tig­te und beleg­ba­re Gründe dafür, dass das Wohl und die Gesundheit der Menschen nicht an ober­ster Stelle ste­hen – weder vor, noch in, noch nach der Pandemie?

Wurden „Notstände“ nicht immer für ganz ande­re Zwecke genutzt?

Anstatt die­se Frage zu stel­len und mit Antworten zu über­zeu­gen oder gar zu glän­zen, über­lässt man all dies den „Querdenker*innen“.

Was von viel zu vie­len Linken als Verschwörungstheorie abge­tan wird, ist kei­ne abge­dreh­te Ansicht von irr­lich­tern­den Querdenkern…

Was tun? (mit und ohne Maske)

Erstens: Mischen wir uns ein. Lassen wir uns nicht iso­lie­ren und ausspielen.

Zweitens: In Erinnerung an Max Horkheimer: Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, soll­te auch zu Corona schweigen.

Drittens: Gehen wir zusam­men für zwei Jahren auf Entzug und ver­zich­ten auf drei Schlagwerkzeuge: Verschwörungstheorie, Querfront, Antisemitismus.

Viertens: Ersetzen wir die­se durch eine Theorie, eine Praxis, durch eine Form der Kollektivität, die nicht sepa­riert, denun­ziert, son­dern fasziniert.

Viertens. Der WEF-Chef Klaus Schwab bewirbt einen „ver­ant­wor­tungs­vol­len Kapitalismus“, um Unruhen zu ver­mei­den, um einer Revolution zuvor­zu­kom­men. Da Ersteres nur mit dem Adjektiv schmei­chelt, um mit dem Hauptwort zuzu­schla­gen, wür­de mir Letzteres näher­lie­gen und ich wür­de vor­schla­gen, uns dort­hin auf den Weg zu machen.«

5 Antworten auf „Wenn die Herrschenden den Stier an den Hörnern packen und die Linke nicht einmal den Stier sieht“

  1. Na end­lich, dar­auf hat­te ich bis­her ver­zwei­felt gewar­tet, dass einer der Linken auf­wacht und so etwas schreibt!
    Das macht es lei­der aber nicht bes­ser, was die Linke als Opposition ver­säumt hat, zu tun; da kann man nur hof­fen, dass der Weckruf wirkt und bald deut­li­che rote Signale aus den Lagern der Linken aufsteigen!!!!
    Eine Entschuldigung an die mit fal­schen Unterstellungen dif­fa­mier­ten und ver­prell­ten eige­nen Wähler wäre dann auch mal ange­bracht, wird aber lei­der wohl nie­mals kommen.…

  2. Für die Allgemeinheit inter­es­san­ter und leich­ter zu ver­ste­hen ist der danach auf den NachDenkSeiten erschie­ne­ne Artikel
    "Der Laptop lehrt nichts" mit der Besprechung des Buches: 

    "Ingo Leipner: Die Katastrophe der digi­ta­len Bildung, Oktober 2020" 

    Dort heißt es:

    "Heißt es doch oft, arme Kinder wür­den durch die Digitalisierung abge­hängt, weil sie kei­ne Geräte haben: Das ist einer­seits rich­tig, weil in der Realität der ver­fehl­ten Bildungspolitik der Besitz tech­ni­scher Geräte über den Bildungserfolg ent­schei­den kann. Andererseits sind es, wie Leipner anhand soli­der Quellen genüss­lich aus­führt, aber gera­de die Kinder der mil­li­ar­den­schwe­ren Computergurus, die Kinder von Bill Gates, Steve Jobs oder Tim Cook, die kei­ne Smartphones haben – weil ihre Eltern sie ihnen nicht geben. Dieselben Menschen, die Milliarden von Konsumenten nach ihren Produkten süch­tig machen wol­len, schüt­zen die eige­nen Kinder davor."

  3. Was ist denn das für ein Quatsch, wir die Corona-Kritiker wol­len den Kapitalismus zurück???
    Das Gegenteil, wir sehen, daß hier der Kapitalismus auf eine neue, noch kran­ke­re Stufe geho­ben wer­den soll, die Pharmaindustrie sich an öffent­li­chen Geldern berei­chert und uns einen Impfstoff ver­kau­fen will, den kei­ner braucht. NEIN, Corona-Kritik IST Kapitalismus-Kritik!

  4. die Linke in mei­ner Heimat, hat es geschafft jeg­li­che Corona Kritik auf radi­ka­le Nazis und AFD Anhänger zu redu­zie­ren. Der ein­zi­ge Linke im Landratsamt, schwur­belt von Gefahr von rechts und das kann nicht sein das Holocaustleugner die Straßen der Stadt mit Demos …bla­bla­bla …ich erspa­re den Rest.
    Selbst beim Niedergang der Wirtschaft, beson­ders der klei­nen Firmen kam nur ein der Staat tut schon was und man sol­le sich nicht so anstel­len. Ich hab mich für den Mann nur geschämt.
    Die Linken haben für mich voll­kom­men an Glaubwürdigkeit ver­lo­ren, ledig­lich Sahra Wagenknecht kann noch punkten.

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