Wer nicht A sagt, dem bleibt nur B

  • Die IG Metall will Arbeitskräfte in der Autobranche um jeden Preis erhalten.
  • Die Partei Die Linke will Menschen nicht gefähr­den und stützt wei­test­ge­hend die Regierungsmaßnahmen.
  • Die GEW will das Lehrpersonal schüt­zen und rät von Schulöffnungen ab.

Alle drei Beispiele haben ihre inne­re Logik.

  • In unse­rer Wirtschaft, bei der die Arbeitenden nicht ent­schei­den, wel­ches Produkt oder wel­che Dienstleistung sie her­stel­len, ist ein Arbeitsplatz lebens­wich­tig, und es ist zunächst gleich­gül­tig, was dort pro­du­ziert wird. Moralische Probleme ent­ste­hen dabei nicht nur in der Automobil‑, der Rüstungs- oder der Atomwirtschaft. An jeden Job in einer Werbeagentur, bei einem Lebensmittelriesen, ja selbst bei Bio- und Wohlfahrtskonzernen läßt sich die Frage rich­ten: Wie sinn­voll ist er gesellschaftlich?
  • Menschen, die sich nahe bei­ein­an­der befin­den, kön­nen sich jeder­zeit anstecken. Das ist im Betrieb so, in der U‑Bahn, im Kaufhaus, über­all. Wer dies als die höch­ste Gefahr ansieht, muß dafür ein­tre­ten, daß Menschen sich mög­lichst wenig begeg­nen, also auch mög­lichst nicht arbei­ten gehen.
  • Wenn älte­re Menschen per se als Risikogruppe gel­ten und LehrerInnen oft alt sind, wenn dar­über hin­aus Mindestabstände in Schulklassen und hygie­ni­sche Standards gel­ten sol­len, dann ist die­ser Berufsgruppe eine Öffnung von Schulen nicht zumutbar.

Alle drei Positionen haben ihre Berechtigung. Sie kran­ken dar­an, daß sie bei "B" begin­nen und das "A" nicht berück­sich­ti­gen. Sie gehen von Voraussetzungen aus, die nicht hin­ter­fragt werden.

Die IG Metall stellt nicht die Frage, ob denn not­wen­di­ger­wei­se allein "Investoren" ent­schei­den soll­ten, wofür Menschen ihre Arbeitskraft ver­kau­fen. Dabei wäre eine Konversion der Produktion bereits unter kapi­ta­li­sti­schen Bedingung ansatz­wei­se mög­lich. Warum soll­ten mit­tel­fri­stig VW-Arbeiter nicht Straßenbahnen statt Individual-Pkws bau­en kön­nen? Dafür wäre "nur" eine poli­ti­sche Weichenstellung nötig. Jahrzehntelang ist so die Atomindustrie sub­ven­tio­niert wor­den. Automobilkonzerne wur­den von pro­fit­schmä­lern­den Regulierungen ver­schont . Die Rüstungsindustrie beruht fast völ­lig auf staat­li­chen Aufträgen. Der Ausstieg aus Stein- und Braunkohle spült(e) den Energieunternehmen Milliarden in die Kassen. Im Großen fin­det sehr wohl Planwirtschaft statt, aller­dings nicht im gesell­schaft­li­chen Interesse.

Bei der Linkspartei wirkt ein ähn­li­ches Hemmnis wie bei den Gewerkschaften. Wie die­se ("unser Wirtschaftsstandort") geht sie von einem inter­es­se­über­grei­fen­den Ziel ("unse­re Gesundheit") aus. Beide wis­sen aus ihrer all­täg­li­chen Praxis, daß die­se Schlagworte ver­lo­gen sind und die Interessen der Kapitaleigner ver­schlei­ern. In der Krise aber gerät das in Vergessenheit. Da hilft man sich mit der These, hier gehe es nicht um Interessen, son­dern um Wissenschaft, um Virologie. Als ob nicht jede Rentensenkung, jedes Abblocken von Klimazielen, jede "Antiterrormaßnahme" oder Hatz IV sorg­fäl­tigst von WissenschaftlerInnen begrün­det wur­de. Oder mag es die Sinns, die Dudenhöffers, die Rürups im Gesundheitssystem nicht geben? Die in der Wirklichkeit "vor Corona" selbst­ver­ständ­li­che Frage "Wer bezahlt den Drosten und Co. ihre Studie mit wel­chem Interesse?" wird bis heu­te kom­plett ausgeblendet.

Am ehe­sten nach­voll­zieh­bar ist noch die Position der GEW. Denn ent­we­der wütet das Virus von uns allen unge­se­hen noch schlimm her­um in der BRD – dann ist völ­lig unver­ant­wort­lich, Schulen und Kitas zu öff­nen. Oder es stellt nicht (mehr) die pro­phe­zei­te Gefahr dar – dann müs­sen nicht aus­ge­rech­net Kinder und LehrerInnen Abstände hal­ten, die in der rest­li­chen Gesellschaft ziem­lich obso­let gewor­den sind. Auch hier aber wer­den die amt­li­chen Maßnahmen im Sinne von TINA nicht hin­ter­fragt. Es wird nicht offen­siv argu­men­tiert, war­um Kinder auf Spielplätzen tol­len, mit den Eltern auf die Demo gehen und dem­nächst nach Mallorca fah­ren dür­fen, sie in der Schule aber brav Abstände respek­tie­ren sol­len, mög­lichst noch mit Mundschutz.


In allen Fällen sind die Bilder von Bergamo noch wirk­mäch­ti­ger als die der ein­stür­zen­den Twin Towers. Doch wäh­rend 2001 recht bald Fragen ein­setz­ten zu den offi­zi­el­len Maßnahmen, sitzt heu­te die Angst so tief, daß kei­ne mehr gestellt wer­den. Darin liegt das Versagen: Alternativen wer­den nicht erör­tert, Interessen nicht ana­ly­siert, Schlußfolgerungen blei­ben des­halb aus. In die­sem, nicht in jedem, Sinne ist die Situation immer noch ver­gleich­bar mit der von 1914, als die Arbeiterbewegung vier ver­häng­nis­vol­le Jahre mit dem Kaiser in den Krieg zog. Die dar­aus gezo­ge­nen Lehren muß­ten bit­ter bezahlt wer­den. Ähnliches wird mor­gen auf uns zukommen.

Hoffnung geben die vor allem jun­gen Menschen, die in die­sen Tagen auf den Straßen deut­lich machen: Es gibt ver­dammt vie­le Bedrohungen für die Menschheit, Corona ist eine davon. Wir müs­sen uns zu allen ver­hal­ten. Auffällig dabei ist, daß die Mutigen heu­te abseits der tra­di­tio­nel­len lin­ken Organisationen han­deln. Es sind bis­lang kaum zur Kenntnis genom­me­ne AktivistInnen der peo­p­le of color, es sind die Kids von fri­day for future, es sind die­je­ni­gen, denen Solidarität mit Flüchtlingen mehr bedeu­tet als Klicks auf Onlinepetitionen oder war­me Worte aus dem Home Office. Sie wer­den mehr, sie blei­ben rege, und hof­fent­lich wer­den sie die TradionalistInnen bald aus ihrem Koma befreien.

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