WHO: Mehr als die Hälfte der Eltern und schwangeren Frauen sind der aggressiven Vermarktung von Folgemilch ausgesetzt

Am 22.2. ist auf who​.int zu lesen (über­setzt aus dem Englischen), daß es offen­bar einen Industriezweig gibt, an dem Bill Gates nicht betei­ligt ist. Woher ken­nen wir die beschrie­be­ne Praxis?

»Ein neu­er Bericht beschreibt aus­beu­te­ri­sche Praktiken der 55-Milliarden-Dollar-Nahrungsergänzungsmittelindustrie, die die Ernährung von Kindern gefähr­den und gegen inter­na­tio­na­le Verpflichtungen verstoßen

Mehr als die Hälfte der für einen neu­en WHO/UNICEF-Bericht befrag­ten Eltern und schwan­ge­ren Frauen (51 Prozent) geben an, dass sie von der Werbung der Hersteller von Säuglingsmilchnahrung ange­spro­chen wur­den, die zu einem gro­ßen Teil gegen die inter­na­tio­na­len Standards für Säuglingsernährung verstößt.

Der Bericht "How mar­ke­ting of for­mu­la milk influen­ces our decis­i­ons on infant fee­ding" stützt sich auf Interviews mit Eltern, schwan­ge­ren Frauen und Gesundheitsfachkräften in acht Ländern. Er deckt syste­ma­ti­sche und unethi­sche Marketingstrategien auf, mit denen die Folgemilchindustrie – die heu­te einen Wert von 55 Milliarden US-Dollar hat – die Entscheidungen der Eltern über die Ernährung von Säuglingen beeinflusst.

Der Bericht stellt fest, dass zu den Marketingtechniken der Industrie unre­gu­lier­te und inva­si­ve Online-Zielgruppenwerbung, gespon­ser­te Beratungsnetzwerke und Helplines, Werbeaktionen und kosten­lo­se Geschenke sowie Praktiken zur Beeinflussung der Ausbildung und der Empfehlungen des Gesundheitspersonals gehö­ren. Die Botschaften, die Eltern und Gesundheitspersonal erhal­ten, sind oft irre­füh­rend, wis­sen­schaft­lich nicht fun­diert und ver­sto­ßen gegen den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten (der Kodex) – ein bahn­bre­chen­des Abkommen im Bereich der öffent­li­chen Gesundheit, das 1981 von der Weltgesundheitsversammlung ver­ab­schie­det wur­de, um Mütter vor aggres­si­ven Marketingpraktiken der Babynahrungsindustrie zu schützen.

"Dieser Bericht zeigt sehr deut­lich, dass die Vermarktung von Folgemilch nach wie vor unan­nehm­bar weit ver­brei­tet, irre­füh­rend und aggres­siv ist", sag­te Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO. "Um die Gesundheit der Kinder zu schüt­zen, müs­sen drin­gend Vorschriften zur aus­beu­te­ri­schen Vermarktung erlas­sen und durch­ge­setzt werden."

Laut dem Bericht, für den 8.500 Eltern und schwan­ge­re Frauen sowie 300 Gesundheitsfachkräfte in Städten in Bangladesch, China, Mexiko, Marokko, Nigeria, Südafrika, dem Vereinigten Königreich und Vietnam befragt wur­den, sind 84 Prozent aller befrag­ten Frauen im Vereinigten Königreich, 92 Prozent der befrag­ten Frauen in Vietnam und 97 Prozent der befrag­ten Frauen in China der Vermarktung von Folgemilch aus­ge­setzt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie sich für Folgemilch entscheiden.

"Falsche und irre­füh­ren­de Botschaften über die Ernährung mit Säuglingsnahrung sind ein wesent­li­ches Hindernis für das Stillen, von dem wir wis­sen, dass es das Beste für Babys und Mütter ist", sag­te UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. "Wir brau­chen eine soli­de Politik, Gesetzgebung und Investitionen in das Stillen, um sicher­zu­stel­len, dass Frauen vor unethi­schen Marketingpraktiken geschützt wer­den – und Zugang zu den Informationen und der Unterstützung haben, die sie brau­chen, um ihre Familien großzuziehen."

In allen unter­such­ten Ländern äußer­ten die Frauen den star­ken Wunsch, aus­schließ­lich zu stil­len, wobei die Spanne von 49 Prozent der Frauen in Marokko bis 98 Prozent in Bangladesch reicht. Der Bericht zeigt jedoch auf, wie ein anhal­ten­der Strom irre­füh­ren­der Marketingbotschaften Mythen über das Stillen und die Folgemilch ver­stärkt und das Vertrauen der Frauen in ihre Fähigkeit, erfolg­reich zu stil­len, unter­gräbt. Zu die­sen Mythen gehö­ren die Notwendigkeit von Säuglingsnahrung in den ersten Tagen nach der Geburt, die Unzulänglichkeit der Muttermilch für die Ernährung von Säuglingen, die Behauptung, dass bestimm­te Inhaltsstoffe von Säuglingsnahrung nach­weis­lich die Entwicklung oder das Immunsystem des Kindes ver­bes­sern, die Annahme, dass Säuglinge durch die Nahrung län­ger satt blei­ben und dass die Qualität der Muttermilch mit der Zeit abnimmt.

Das Stillen inner­halb der ersten Stunde nach der Geburt, gefolgt vom aus­schließ­li­chen Stillen über sechs Monate und fort­ge­setz­tem Stillen bis zu zwei Jahren oder dar­über hin­aus, bie­tet einen wirk­sa­men Schutz gegen alle Formen der Unterernährung von Kindern, ein­schließ­lich Auszehrung und Fettleibigkeit. Stillen ist auch die erste Impfung für Babys und schützt sie vor vie­len häu­fi­gen Kinderkrankheiten. Außerdem senkt es das zukünf­ti­ge Risiko von Frauen für Diabetes, Fettleibigkeit und eini­ge Krebsarten. Dennoch wer­den welt­weit nur 44 Prozent der Säuglinge unter 6 Monaten aus­schließ­lich gestillt. Die Stillraten sind in den letz­ten zwei Jahrzehnten welt­weit nur gering­fü­gig gestie­gen, wäh­rend sich der Absatz von Säuglingsnahrung in etwa der glei­chen Zeit mehr als ver­dop­pelt hat.

Alarmierenderweise stellt der Bericht fest, dass eine gro­ße Anzahl von Gesundheitsfachkräften in allen Ländern von der Säuglingsnahrungsindustrie ange­spro­chen wur­de, um ihre Empfehlungen an neue Mütter durch Werbegeschenke, kosten­lo­se Proben, Forschungsgelder, bezahl­te Treffen, Veranstaltungen und Konferenzen und sogar Provisionen aus Verkäufen zu beein­flus­sen, was sich direkt auf die Ernährungsentscheidungen der Eltern aus­wirkt. Mehr als ein Drittel der befrag­ten Frauen gab an, dass ihnen eine Gesundheitsfachkraft eine bestimm­te Marke emp­foh­len habe.

Um die­sen Herausforderungen zu begeg­nen, for­dern WHO, UNICEF und ihre Partner Regierungen, Gesundheitspersonal und die Babynahrungsindustrie auf, die aus­beu­te­ri­sche Vermarktung von Säuglingsnahrung zu been­den und die Anforderungen des Kodex voll­stän­dig umzu­set­zen und ein­zu­hal­ten. Dies beinhaltet:

        • Verabschiedung, Überwachung und Durchsetzung von Gesetzen zur Verhinderung der Werbung für Folgemilch im Einklang mit dem Internationalen Kodex, ein­schließ­lich des Verbots von nähr­wert- und gesund­heits­be­zo­ge­nen Angaben der Folgemilchindustrie.
        • Investitionen in Maßnahmen und Programme zur Unterstützung des Stillens, ein­schließ­lich eines ange­mes­se­nen bezahl­ten Elternurlaubs gemäß den inter­na­tio­na­len Standards, und Gewährleistung einer qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Stillunterstützung.
        • Aufforderung an die Industrie, sich öffent­lich und welt­weit zur voll­stän­di­gen Einhaltung des Kodex und der nach­fol­gen­den Resolutionen der Weltgesundheitsversammlung zu verpflichten.
        • Verbot für Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Sponsoring von Unternehmen, die Nahrungsmittel für Säuglinge und Kleinkinder ver­mark­ten, für Stipendien, Auszeichnungen, Zuschüsse, Tagungen oder Veranstaltungen anzunehmen.

Über die Studie

Diese erste syste­ma­ti­sche und regio­nen­über­grei­fen­de Studie ihrer Art wur­de von der WHO in Bangladesch, Mexiko, Marokko, Nigeria, Südafrika, dem Vereinigten Königreich und Vietnam sowie von UNICEF in China in Auftrag gege­ben und von einer spe­zi­el­len Forschungsabteilung von M&C Saatchi kon­zi­piert und durchgeführt.

In jedem Land wur­de eine umfas­sen­de Analyse durch­ge­führt, um den Umfang und die Dynamik der Vermarktung von Folgemilch zu bewer­ten und die ver­schie­de­nen Arten von Werbung, Botschaftern, Inhalten und Verbreitungsformen zu erfas­sen. Die zustän­di­gen Ethikkommissionen in den ein­zel­nen Ländern erteil­ten die Genehmigung für die Forschung. Neben Befragungen von Eltern und Gesundheitspersonal sowie Fokusgruppen umfass­te die Untersuchung eine Teilmenge von aus­führ­li­chen Interviews mit Marketingverantwortlichen in China, die einen Einblick in die sich ent­wickeln­den Taktiken der Hersteller von Säuglingsnahrung in einem wich­ti­gen auf­stre­ben­den Markt gaben.

Folgemilch und Tabak sind die ein­zi­gen bei­den Produkte, für die es inter­na­tio­na­le Empfehlungen für ein Vermarktungsverbot gibt, in die­sem Fall durch den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten (International Code of Marketing of Breast-milk Substitutes).

Die Bill & Melinda Gates Foundation hat die Forschung finan­zi­ell unterstützt.

Über UNICEF

UNICEF arbei­tet an eini­gen der schwie­rig­sten Orte der Welt, um die am mei­sten benach­tei­lig­ten Kinder der Welt zu errei­chen. In mehr als 190 Ländern und Gebieten arbei­ten wir für jedes Kind, über­all, um eine bes­se­re Welt für alle zu schaffen.

Über die WHO

Die Weltgesundheitsorganisation ist inner­halb des Systems der Vereinten Nationen welt­weit füh­rend im Bereich der öffent­li­chen Gesundheit. Die 1948 gegrün­de­te WHO arbei­tet mit 194 Mitgliedstaaten in sechs Regionen und 149 Büros zusam­men, um die Gesundheit zu för­dern, die Welt zu schüt­zen und den Schwachen zu hel­fen. Unser Ziel für den Zeitraum 2019–2023 ist es, dafür zu sor­gen, dass eine Milliarde mehr Menschen eine all­ge­mei­ne Gesundheitsversorgung haben, eine Milliarde mehr Menschen vor gesund­heit­li­chen Notlagen zu schüt­zen und einer wei­te­ren Milliarde Menschen eine bes­se­re Gesundheit und ein bes­se­res Wohlbefinden zu ermög­li­chen.«

(Hervorhebungen nicht im Original.)

Update: Ich habe nach ent­spre­chen­den Hinweisen als Übersetzung des Begriffs "for­mu­la milk" "Folgemilch" ver­wen­det. "Muttermilch" war in der Tat irreführend.

12 Antworten auf „WHO: Mehr als die Hälfte der Eltern und schwangeren Frauen sind der aggressiven Vermarktung von Folgemilch ausgesetzt“

  1. Ähm … Überraschung:

    Bill Gates: Milliardär inve­stiert in künst­li­che Labor-Muttermilch – Berliner Morgenpost

    https://​www​.mor​gen​post​.de/​v​e​r​m​i​s​c​h​t​e​s​/​a​r​t​i​c​l​e​2​3​2​4​5​6​9​3​9​/​b​i​l​l​-​g​a​t​e​s​-​m​u​t​t​e​r​m​i​l​c​h​-​l​a​b​o​r​-​i​n​v​e​s​t​i​t​i​o​n​.​h​tml

    „Das ame­ri­ka­ni­sche Start-up Biomilq, in das Gates über sei­ne Stiftung Breakthrough Energy ver­gan­ge­nes Jahr 3,5 Millionen Dollar inve­stier­te, ver­zeich­net einen sen­sa­tio­nel­len Durchbruch. Zum ersten Mal ist es gelun­gen, Muttermilch aus mensch­li­chen Brustzellen außer­halb des mensch­li­chen Körpers zu gewinnen.“

      1. @aa: Naja, außer­dem geht es bei dem Projekt, das Gates unter­stützt, ja um spe­zi­el­le „Labor-Milch“, die mit mensch­li­chen Zellen gezüch­tet wird. Und des­we­gen (im Gegensatz zu den ande­ren Ersatzmilch Produkten) fast so gut wie das Original sein soll.

        „Mit der Labormilch könn­te Müttern, die nicht stil­len kön­nen oder wol­len, ein Teil die­ses Drucks genom­men wer­den. Strickland sel­ber habe gelit­ten, weil sie sich schwer damit tat, ihrem Sohn die Brust zu geben. „Es beein­fluss­te, wie ich über mich als Mutter und Frau dach­te“, sag­te die Biologin zu „Business Insider“. „Unser Produkt hat nun annä­hernd die glei­chen immun­sy­stem­stär­ken­den Wirkungen wie Muttermilch.““

        Insofern wird ihm der Bericht nicht wirk­lich scha­den, son­dern könn­te sei­nem Investment sogar dien­lich sein.

        1. @aa und @ King Nothing: wie­so kommt mir bei die­ser Meldung über die Gates geför­der­te „Labor-Milch“ das Klonschaf Dolly in den Sinn?

  2. @aa
    Ist doch gut, was die WHO und die Bill Gates Stiftung in die­sem Fall mit ihren Studien unter­stützt, näm­lich die Aufdeckung, dass die Konzerne den Müttern das Stillen aus­trei­ben wollen.
    Finde den Artikel inter­es­sant, da mir bis­lang nicht bekannt war, dass es ein Verbot zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten gibt, aber ver­ste­he nicht ganz, was es mit Corona zu tun hat.

    Es ist ein wei­te­res Beispiel dafür, wie den Menschen der Glaube an ihr eige­nes Immunsystem aus­ge­trie­ben wer­den soll und sie in die Abhängigkeit von Großkonzernen gebracht wer­den sollen.
    Dass die WHO und die Stiftung das anpran­gern, fin­de ich gut. Oder hab ich was nicht rich­tig verstanden?

  3. "Stillen ist auch die erste Impfung für Babys und schützt sie vor vie­len häu­fi­gen Kinderkrankheiten."
    Papperlapapp – erst kommt die Spritze und dann die Brust! Es nützt ja nichts, wenn die klei­nen Racker zwar gegen Kinderkrankheiten immu­ni­siert wer­den, aber alle jäm­mer­lich an Covid sterben.

  4. Korruption: Verhältnisse, in denen kor­rup­te Machenschaften das gesell­schaft­li­che Leben bestim­men und damit den mora­li­schen Verfall bewirken
    der mora­li­sche ver­fall wird sozu­sa­gen mit der mut­ter­milch eingesogen.

    1. Es müss­te an eini­gen Stellen „Muttermilchersatzprodukte“ oder „künst­lich her­ge­stell­te Säuglingsnahrung“ hei­ßen. Bin auch drü­ber gestolpert.

  5. Im Titel soll­te es bes­ser "Labormilch" hei­ßen, denn es han­delt sich ja nicht um ech­te Muttermilch. Mich hat das irri­tiert, ich dach­te erst, Frauen wür­den gebe­ten, ihre Muttermilch abpum­pen und ver­mark­ten zu lassen.

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