"Wie Regierungen Einfluss auf die Medien nehmen"

Bei nur einer Gegenstimme hat die grü­ne Bundestagsfraktion dem "Bevölkerungsschutzgesetz" zuge­stimmt. Man mag kaum glau­ben, daß die ihrem Gewissen ver­ant­wort­li­chen Abgeordneten Kenntnis hat­ten von einem Papier der ihnen nahe­ste­hen­den Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2018. Darin ist zu lesen:

»Eine Vereinnahmung der Medien („Media Capture“) ist ein Begriff, der prak­ti­zie­ren­den Journalist/innen (zuneh­mend jenen in den ost­eu­ro­päi­schen EU-Mitgliedstaaten) nur all­zu gut bekannt ist. Gemeint ist eine Situation, in der ein bestimm­tes Medienunternehmen, sei es ein Fernseh- oder Radiosender, ein Printerzeugnis oder Online-Nachrichtenportal, nicht mehr in der Lage ist, wirk­lich unab­hän­gig zu agie­ren. Oder die erfor­der­li­chen Themen, Berichte und Perspektiven nicht mehr abge­deckt wer­den kön­nen, um zu gewähr­lei­sten, dass sich das Publikum anhand umfas­sen­der Informationen sei­ne eige­ne Meinung bil­den kann.

Gleiches trifft zu, wenn ein Medium kei­ne Kontrollfunktion über mäch­ti­ge poli­ti­sche oder wirt­schaft­li­che Gruppierungen mehr wahr­neh­men kann, weil es vom Wohlwollen bestimm­ter Interessengruppen abhän­gig ist. Dieser Fall kann ein­tre­ten, wenn Medien die ideo­lo­gi­schen Ansichten ihrer Inhaber wider­spie­geln müs­sen oder zu Kompromissen gezwun­gen sind, um ihre Inserenten zu halten…

Das hier auf­tre­ten­de Problem des raschen Wechsels von Personen zwi­schen Politik und Privatwirtschaft, der so genann­ten „Drehtür“, wur­de u.a. vom Abgeordneten der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, José Bové, the­ma­ti­siert. MEP Philippe Lamberts ver­trat zudem kürz­lich gegen­über dem Green European Journal die Ansicht, dass ein Grund der Bankenkrise dar­in lag, dass die Aufsichtsbehörden den Banken, die sie kon­trol­lie­ren soll­ten, viel zu nahe standen.

Auf die Inhaberschaft kommt es an
Der Medienwissenschaftler Ben Bagdikian wies in den 1990er Jahren dar­auf hin, dass die Medien in den USA von fünf Konzernen domi­niert wer­den, deren Führungskräfte „mehr Kommunikationsmacht besit­zen als sie jemals von irgend­ei­nem Despoten oder Diktator in der Geschichte aus­ge­übt wur­de.“ Selbst wenn die­se Führungskräfte wohl­wol­lend sind und ihre Kommunikationsmacht nicht zur Manipulation der Leser ein­set­zen wol­len – die Geschäftslogik gebie­tet es, dass sie die Medien in eine Richtung len­ken, bei der die Geschäftsleitung und die Journalist/innen Produkte brin­gen, von denen ein Zuwachs des eige­nen Profits erwar­tet wer­den kann. Das muss dann nicht unbe­dingt im Einklang mit dem öffent­li­chen Interesse ste­hen. Letzteres ist schon gar nicht der Fall, wenn sich in der poli­ti­schen Öffentlichkeit ste­hen­de Personen – wie in den letz­ten Jahren zuneh­mend gesche­hen – in die Medien ein­kau­fen, um die­se zur Förderung ihrer pri­va­ten Agenda einzusetzen…

Vereinnahmung durch die Regierung: Vier Varianten
Wenn eine Regierung die Medien unter­drücken will, bie­ten sich vier finan­zi­el­le Strategien an. Marius Dragomir, Leiter des Zentrums für Medien, Daten und Gesellschaft an der Zentralen Europäischen Universität, nennt die Bereitstellung öffent­li­cher Gelder für staat­lich ver­wal­te­te Medien, staat­li­che bzw. öffent­li­che Werbung, staat­li­che Beihilfen und markt­ver­zer­ren­de Maßnahmen. Beispiele davon fin­den wir an allen Ecken der Welt.

Die öffent­lich-recht­li­chen Medien sind in ganz Europa öffent­lich bzw. durch Gebühren finan­ziert. Allerdings gibt es vor allem in den neu­en Mitgliedstaaten Fälle, in denen sie als ein von den Steuerzahlern unter­stütz­tes Propagandainstrument für die Machthaber betrach­tet wer­den. Deshalb kommt es bei jedem Regierungswechsel auch zu einem Wechsel in den Chefetagen der öffent­li­chen Medien sowie zu einer Anpassung der Botschaften, die in ihren poli­ti­schen Talkshows ver­mit­telt werden…

Staatliche Werbung ist das zwei­te Beispiel von Vereinnahmung. Sie ist in so unter­schied­li­chen Ländern wie Pakistan, Mazedonien, Spanien, Moldawien und ande­ren üblich. Sie erfolgt oft in Form von ver­deck­ten staat­li­chen Beihilfen als staat­li­che oder öffent­li­che Werbekampagnen, deren Wert Dutzende von Millionen Euro betra­gen und dazu füh­ren kann, dass die Regierung zu einem der größ­ten Werbekunden wird.

Medienunternehmen, die dar­auf ver­zich­ten, den Staat zu kri­ti­sie­ren, kön­nen einen enor­men Vorteil erlan­gen. Dragomir nennt sogar Fälle, bei denen EU-Mittel an regie­rungs­freund­lich ein­ge­stell­te Medienorganisationen flos­sen, so zum Beispiel in Bulgarien, wo zwi­schen 2007 und 2012 Ausgaben von 36,6 Millionen Euro für Kampagnen zur Förderung von EU-Arbeitsprogrammen aus­ge­ge­ben wur­den. Allerdings wur­de nicht öffent­lich gemacht, über wel­che Kontakte die­se Mittel aus­ge­zahlt wur­den. Solche Werbemaßnahmen sind in der Medienbranche von Bedeutung, weil Zeitungen in vie­len Teilen der Welt hart unter sin­ken­den Auflagezahlen und Werbeanzeigen lei­den. Unter sol­chen Bedingungen kön­nen kri­ti­sche Medien kaum ein pro­fi­ta­bles Unternehmen auf die Beine stellen.

Staatliche Beihilfen sind das drit­te Instrument, das eine wich­ti­ge Rolle bei der Vereinnahmung der Medien spie­len kann. Bei einer 2014 von den Open Society Foundations durch­ge­führ­ten Umfrage wur­den 35 Länder unter­sucht, und bei 28 wur­de fest­ge­stellt, dass sie „bedeu­ten­de“ Beihilfen an Medienunternehmen gezahlt hat­ten, wobei in min­de­stens der Hälfte die­ser Länder nach­ge­wie­sen wur­de, dass die staat­li­chen Beihilfen zur Manipulation der besag­ten Medien genutzt wurden. (…)

Schließlich gibt es noch Methoden, durch gesetz­li­che Vorgaben den Markt zu ver­zer­ren und so Druck auf die Medien aus­zu­üben. So führ­te die unga­ri­sche Regierung 2013 eine Werbesteuer ein, die gegen den größ­ten öffent­li­chen Fernsehsender, RTL Klub, rich­te­te. Viele Kommentatoren sind der Ansicht, dass die­se Steuer auf einen Vorschlag der Regierung Orbán zurück­geht, in der Erwartung, den Druck auf das Unternehmen zu ver­stär­ken, damit es sei­ne Kanäle in Ungarn ver­kauft. In der Tat stell­te die Europäische Kommission spä­ter fest, dass die unga­ri­sche Werbesteuer gegen EU-Bestimmungen verstößt…

Überflüssig zu sagen, dass all die­se Maßnahmen zu erhöh­ter Selbstzensur und vor­ein­ge­nom­me­ner Berichterstattung füh­ren. Medien sind dann zuse­hends weni­ger geneigt, sich mit einem Fehlverhalten des Staates aus­ein­an­der­zu­set­zen. In Ländern, in denen die Medien stark ver­ein­nahmt sind, ist kri­ti­scher Journalismus auf eine Handvoll rela­tiv klei­ner Unternehmen beschränkt, die haupt­säch­lich im Internet prä­sent sind und viel weni­ger Menschen errei­chen kön­nen als die gut finan­zier­ten Medienapparate der heu­ti­gen Despoten…

Da die Bereitschaft (und teil­wei­se auch die Kaufkraft) der Leser nicht aus­reicht, um die Inhalte zu finan­zie­ren, müs­sen vie­le Nachrichtenseiten auf sen­sa­ti­ons­hei­schen­de Überschriften zurück­grei­fen, um mit den so genann­ten „Klick-Ködern“ ihre Leser/innen zu hal­ten und den Werbeunternehmen die not­wen­di­gen Zugriffszahlen vor­wei­sen zu kön­nen. In einer sol­chen Situation hat ein Nachrichtenportal viel weni­ger Möglichkeiten, län­ge­re Berichte zu erstel­len oder tief­grün­di­ge­re Untersuchungen anzu­stel­len…«

2 Antworten auf „"Wie Regierungen Einfluss auf die Medien nehmen"“

  1. Schöner Fund.
    Beweist ein­mal mehr, wie sehr und wie weit die poli­ti­sche Elite der Grünen sich von dem, was die Partei mal aus­mach­te, ent­fernt hat.

    N.B. Ich has­se das Wort Elite und nut­ze es nor­ma­ler­wei­se nicht, auch nicht für Poliker. Aber hier fin­de ich es unge­mein passend.

  2. Ich habe mal einen Testballon in Form eines Kommentars bei “der Zeit” gestartet
    Direkt unter Ihren vie­len roten Linien und den krea­tiv gestal­te­ten Diagrammen /Tabelle.
    Es sei hier nur des­halb erwähnt weil das Selbstverständnis des “neu­en Journalismus” und die Unfähigkeit zur Selbstreflektion (vier­te Gewalt/ Berufsethik) erschreckend deut­lich wird.
    Die Unterdrückung unan­ge­neh­mer Fragen war zu erwar­ten, aber die Antwort von Burkhard Jung ist sehr auf­schluss­reich. Das kom­plet­te Versagen des Journalismus / der Mainstream-Medien und die Abkehr von ihrer zen­tra­len Aufgabe exem­pla­risch ver­dich­tet in einem ein­zi­gen Satz.
    Ich unter­stel­le Burkhard Jung das er glaubt mit Zensur ver­ant­wor­tungs­voll im Sinn der Gesellschaft zu han­deln – das ist tota­li­tär bis ins Mark.
    Dies war der Kommentar:

    Burkhard Jung: “Die Grundstimmung war staatsfeindlich”

    Ein inter­es­san­ter Brief der Anwältin Jessica Hamed
    (sie hat­te auf­ge­deckt das es in Bayern kei­ne Aufzeichnungen der Regierung zum ersten “Lockdown” gab)
    wirft ein Schlaglicht auf die Sichtweise füh­ren­der Juristen. Herr Prantl hat­te ja in der Tendenz ähn­li­ches bemän­gelt – aller­dings nicht in die­ser Härte!
    https://​www​.ckb​-anwael​te​.de/…
    Eine Verständnisfrage: Wie kann eine Regierung “evei­denz­ba­siert” behaup­ten die Situation in der "Pandemie" war zu irgend­ei­nem Zeitpunkt unter Kontrolle
    Hatte doch u.a. Herr Streeck in der Heinsbergstudie die Existenz einer erheb­li­chen Dunkelziffer nachgewiesen.
    (Experten schät­zen,: je nach Studie, Faktor x 10 – x 50 der ent­deck­ten posi­ti­ven Fälle).
    Ich emp­fin­de es daher als frag­wür­dig eine “Inzidenz” von 50 pro 100000 als Messlatte für Lockerungen oder Verschärfungen zu kommunizieren.
    Sind die Entscheider so dumm, oder unter­stel­len Sie den Richtern die­se Dummheit?
    Das ist nur ein Punkt der offen­sicht­li­chen Widersprüche. Ich bin kein Jurist, aber mei­ner Meinung nach wird die­se Begründung vor Gericht kei­nen Bestand haben.(Die Hoffnung stirbt zuletzt)
    “In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung übri­gens als sel­ten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen in der EU von ihr betrof­fen sind.”
    10×5 und 10×10000 äh ist =x
    Das ist dann natür­lich eine soli­de Basis für Alles.
    Wenn jemand logisch dar­le­gen kann das ich mich irre, gin­ge es mir besser!
    (pro­vo­kant oder zynisch wäre inhalt­lich wohl tref­fen­der gewesen

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