Im Wust der neuen Erkenntnisse, die Christian Drosten in seinem Podcast vom 1.9. präsentierte (Warum gibt es mehr "Fälle" in Frankreich? "Ein wahrscheinlich hinreichender Grund ist, dass in Frankreich einfach viel mehr Infektionstätigkeit war") ist ein schöner neuer Begriff aufgetaucht, der in der Wahrnehmung etwas untergegangen ist: Perkolation.
»Das kommt aus der Physik. Und es ist so, dass das aber auf die Infektionsökologie schon längst übertragen worden ist und damit auch auf die Infektionsepidemiologie. Denn die Epidemiologie ist ein medizinischer Spezialfall der Ökologie, so könnte man vielleicht sagen… Jedenfalls in der Infektionsökologie ist es ein akzeptiertes Prinzip, das aber noch wenig übertragen wurde, gerade im deutschsprachigen Sprachraum. Hier muss ich jetzt ein bisschen ausholen, bevor ich dann ein wissenschaftliches Beispiel nenne und auch eine Publikation vorstelle, die ich gestern Abend noch einmal rausgefischt habe…«
Wir haben also ein akzeptiertes Prinzip, das aber noch wenig übertragen wurde, uns nun aber erklärt wird.
Da stelle ma uns mal janz dumm (Lehrer Bömmel in "Die Feuerzangenbowle")
Auf die Frage "Vielleicht definieren wir einmal den Begriff Perkolation. Da geht es eigentlich um Durchsickern, richtig?" antwortet der Starvirologe:
»Genau, "durchsickern" ist ein gutes Wort. Stellen wir uns mal einen Kaffeefilter vor, also jetzt nicht eine hochmoderne Espressomaschine, sondern der gute alte Kaffeefilter, den man auf die Kanne draufstellt. Und jetzt tut man so ein bisschen Wasser rein. Also diejenigen, die das noch klassischerweise kennen, wie man früher Kaffee gekocht hat, da hat man so vorgebrüht. Da hat man erst mal einen kleinen Schuss Wasser auf das Kaffeepulver getan, damit das quillt. Und was man da eigentlich sieht, ist, da kommt unten gar nichts raus. Man kippt oben etwas rein und es kommt nichts raus.
Korinna Hennig: Der Filter wird erst mal voll mit Wasser.
Genau. Das Kaffeepulver wird nass, aber noch nicht durchgehend nass. Jetzt können wir uns vorstellen, normalerweise würde man im Schwall was hinterherkippen, dann kommt der Kaffee unten raus. Wenn man das aber ganz langsam macht, würde man das tropfenweise zugeben und dann würde man merken, es passiert ganz lange Zeit gar nichts. Der Kaffee wird zwar nasser und nasser, aber das können wir gerade nicht beobachten. Wir sehen nur, wir tun oben Wasser rein und es kommt unten nichts raus. Und so geht das minutenlang, Minuten über Minuten. Und irgendwann merken wir: Plötzlich kommt für jeden Tropfen, den ich oben reintue, ein Tropfen unten raus. Wenn ich aufhöre, kommt wieder nichts raus. Das ist das erste Beispiel für Perkolation. Was da passiert, das könnte man mal übersetzen, da ist ein Netzwerk von kleinen Hohlräumen in diesem Kaffeepulver, durch das die Flüssigkeit durchsickert. Und irgendwann ist eine gerade Verbindung durch dieses Netzwerk von Löchern geschlossen. Ab dann sickert das Wasser einfach nach, weil es eine gerade Verbindung gibt, oder eine durchgehende Verbindung. Die ist schief und nicht gerade, es ist ein verschlungener Weg durch dieses Kaffeepulver, von oben nach unten...«
Ok, das Beispiel war nix
»Ein leider nicht sehr gut zu erfassendes Beispiel, wie ich finde. Ich gebe deswegen noch zwei weitere Beispiele.
Ein Beispiel ist, wir kennen das Spiel "Vier gewinnt". Wenn wir uns vorstellen, wir haben gelbe und rote Chips, die wir da reinschmeißen in dieses Plastikgitter, 50/50-Anteil von gelben und roten Chips, da kann es sein, dass wir eigentlich kaum jemals eine durchgehende Verbindung mit roten Chips machen könnten.
Wir haben das Vorhaben, wir wollen immer springen in diesem vollen Gitter, von einem roten Chip zum nächsten Chip. Wir brauchen jetzt nicht eine gerade Verbindung, sondern irgendeine Verbindung, die immer über Nachbarfelder funktioniert. Ungefähr bei 50 Prozent ist es so, dass wir statistisch fast immer bei einem vollen Gitter durch Zufall so eine Verbindung finden werden. Da werden die Cluster von roten Chips und gelben Chips sich so verteilen, dass zwischen den roten Häufungen von Chips immer eine Verbindung besteht. Jetzt kann man sich vorstellen, wenn wir 80 zu 20 nehmen, also 80 Prozent rote, 20 Prozent gelbe, dann wird es immer so eine Verbindung geben.«
Noch plastischer mit Holzkiste und Strom
»Und ich will es noch mal ein bisschen plastischer machen, indem ich dieses Beispiel noch mal spezifiziere. Wir stellen uns statt dieses Gitterrahmens von dem Vier-Gewinnt-Spiel einen Holzrahmen vor, eine Holzkiste. Da sind an der unteren und oberen Ecke jeweils zwei Stromelektroden dran, sodass wir messen können. Und jetzt füllen wir Kugeln in diese Holzkiste, die sich entsprechend eines Gittermusters anordnen werden. Diese Kugeln sind zur Hälfte aus Holz und zur Hälfte aus Metall. Und die Frage, die wir jetzt stellen, ist: Ab welchem Mischverhältnis von Holz und Metallkugeln ist es so, dass wir von der unteren linken Ecke des Kastens – der liegt auf dem Tisch und wir tun bis zur Füllung, also dass eine Lage Kugeln drin ist ohne Lücke, tun wir diese Kugeln rein –, bei welchem Verhältnis, Metall zu Holzkugeln, kriegen wir eine elektrische Durchleitung darüber, dass immer Metallkugeln miteinander in Kontakt sind?
Korinna Hennig: Also ein Weg durch die Kiste.
Ein Weg durch die Kiste, ein Stromweg. Da kann man wieder mathematische Berechnungen darüber anstellen und findet sehr regelmäßige physikalische, mathematische Gesetzmäßigkeiten, ab welchem Mischungsanteil der Strom durchleitet. Und es ist wirklich so: Wir verändern dieses Mischverhältnis und finden, der Strom leitet nicht, der Strom leitet nicht, der Strom leitet nicht – und plötzlich leitet er aber doch. Und wenn wir diese Experimente wiederholen, sind das keine ganz scharfen Phänomene, sondern das sind statistische Zufälle, ob auch mal durch Zufall eine ganze Reihe von Metallkugeln entsteht, obwohl wir ganz wenige Metallkugeln nur haben. Und durch Zufall haben wir in diesem einen Experiment doch mal eine Durchleitung.
Also stellen wir uns den einfachsten Fall vor: Eine saubere Diagonale von Metallkugeln, der ganze Rest sind Holzkugeln. Da sind die Metallkugeln absolut in der Unterzahl und trotzdem kriegen wir in diesem einen Wiederholungsversuch mal eine elektrische Durchleitung. Wenn wir aber im Bereich von 50 Prozent sind, dann kriegen wir fast immer eine elektrische Durchleitung. Und bei über 50 Prozent kann man sich praktisch darauf verlassen: Egal, wie wir die Kugeln mischen, das wird sich fast immer so verteilen, dass wir eine elektrische Durchleitung haben.«
Nach diesem großartigen Spannungsbogen erwartet man die Erklärung, wie man, egal wie man testet, positive Fälle erzeugen kann, auf man sich "praktisch darauf verlassen kann". Doch ist Geduld gefragt. Denn zunächst kommt
Die kasachische Wüstenmaus und die Panmixie beim R‑Wert
»Wüstenrennmaus, genauer gesagt, für die Zoologen hier unter den Hörern Rhombomys opimus, das ist die Unterfamilie der Gerbils in den Nagetieren. Dort ist es eine Gattung Rhombomys und die Spezies Rhombomys opimus. Das wurde da studiert und zwar in Kasachstan, glaube ich. Und was getestet wurde, war ein Infektionsmodell, das real ist, und zwar Yersinia pestis, der Erreger der Pest. Der kommt nicht nur bei normalen Ratten vor, sondern auch bei diesen Nagetieren. Und hier hat man etwas angeschaut, was so ein Perkolationsphänomen in der Realität reflektiert. Und die Autoren fangen an, hier zu argumentieren in der Studie, eigentlich haben wir ja in all diesen Modellen der Infektionsepidemiologie den R‑Wert. Wir wissen alle, wenn R größer eins ist, dann wird die Infektion verbreitet. Aber all diese Modelle zur Populationsmodellierung, die machen eine Grundannahme, die häufig gar nicht zutrifft, nämlich die Grundannahme der Panmixie, also alles durchmischt sich frei. Jeder hat rein theoretisch mit jedem gleich wahrscheinlich Kontakt in einem bestimmten Beobachtungszeitraum. Und das ist eine Grundvoraussetzung, die einfach nicht stimmt. Das ist eine Verallgemeinerung und Vereinfachung in einer Modellannahme zu dem R‑Wert. Moderne Modellierungen nehmen das schon mit in die Rechnung rein. Aber wenn man gerade in der Öffentlichkeit über so was spricht, dann wird grob vereinfacht und daher kommt es, dass in der Öffentlichkeit häufig von solchen Schwelleneffekten keine Vorstellungen bestehen. Also ich hoffe, alle können mir noch folgen.«
Aber sicher. Die Modelle, mit denen uns ein R‑Wert verkauft wird, gehen von falschen Grundannahmen aus.
Faule Großfamilien in lückenhafter Steppenlandschaft aus Satellitenflughöhe betrachtet
»Okay. Jetzt haben wir hier eine Tierart, die die Eigenschaft hat, in Familienverbänden zu leben. Diese Familienverbände leben in Erdhöhlensystemen. Das sind Gänge, die so eine Ausdehnung von zehn bis 30 Metern haben, so weit graben diese Tiere ihre unterirdischen Höhlensysteme. Aber weiter graben sie die auch nicht. Dafür sind sie dann zu faul oder sie brauchen einfach nicht mehr Platz zum Leben. Das sind Großfamilien, die da jeweils leben.«
»Und diese Verbände sind in einer relativ freien, kargen Steppenlandschaft gegraben. Dazwischen sind immer Lücken, fast so wie ein Gitter von einem Vier-Gewinnt-Spiel, wenn man das aus der Satellitenflughöhe betrachtet. Da ist wirklich in diesem "Nature"-Paper, das wir wieder in die Referenzen reinstellen werden, ein Satellitenbild. Und das ist erstaunlich, das sieht fast aus wie ein Vier-Gewinnt-Spiel, also Löcher, die ein bisschen gitterartig angeordnet sind. Und jedes Loch ist aus dem Weltraum betrachtet so ein zehn bis 30 Meter großer Höhlenverband, worin eine Großfamilie von diesen Wüstenrennmäusen lebt.
Und die haben oder haben nicht die Pest.
Die wird über Flöhe übertragen, also da gibt es einen Vektor. Aber die Beobachtung hier ist eine ganz einfache. Man hat Replikate beobachtet, also jeweils Beobachtungskreise gemacht von so drei, vier Kilometern um ein Zentrum herum und man hat geguckt: Im Zentrum, da ist jetzt so ein Familienverband, da hat man Yersinia pestis, den Pesterreger, nachgewiesen. Und jetzt schaut man um diesen Familienverband herum immer weiter in der Entfernung: Kann ich Yersinia pestis nachweisen? Man beobachtet also einen Riesenkreis. Und das macht man nicht nur in einem Replikat, sondern mehrmals parallel. Das ist eine Riesenlandschaft, ich weiß nicht, wie viele Kreise da beobachtet wurden, aber da kann man sehr viele parallel beobachten, also praktisch diese Beobachtung immer wieder parallel anstellen. Jedenfalls hat man diese Beobachtung gemacht. Und jetzt gibt es eine interessante Grundhypothese und die Grundhypothese ist doch einfach: Wenn sich diese Erkrankung strikt nach der Reproduktionsidee weiter fortpflanzt, dann wird doch jede Erhöhung der Populationsdichte in diesem ganzen Beobachtungsareal dazu führen, dass wir mehr Infektionen kriegen. Also je mehr Ratten, oder sagen wir mal beim Menschen, je mehr Leute auf einem Raum sind, desto besser kann sich so ein Virus verbreiten. In diesem Beispiel so ein Bakterium, Yersinia pestis ist ja ein Bakterium.«
Wenn man sich vor Augen führt, wofür der Virologe einen Doktortitel erworben haben soll, kann man sich auch vorstellen, daß er für diese bahnbrechende Entdeckung den Nobelpreis bekommt.
Je mehr Löcher besetzt, desto mehr Infektionen – eigentlich
Frau Hennig behält die Contenance und fährt kongenial fort:
»Korinna Hennig: Also je mehr Menschen in einem Kontaktnetzwerk, um die Brücke zu schlagen?
Ja, also je mehr empfängliche Mitglieder da sind. Das basiert ja alles oft auf Empfänglichkeit, diese R‑0-Modellierungen. Und je mehr empfängliche Mitglieder wir pro Raumeinheit haben, desto besser wird sich der Erreger verbreiten. Das müsste eine lineare oder zumindest regelmäßige Beziehung sein. Wenn man das anguckt, dann ist das nur in der Nähe so, aber nicht in der Entfernung. Also wenn wir bei dem zentralen Punkt, wo wir gesehen haben, hier ist ein Familienverbund mit Infektion, wenn wir da in einer anderen Beobachtungssituation schauen, wo eine höhere Populationsdichte vorliegt – prinzipiell – oder wo mehr von diesen Löchern besetzt sind in diesem Gitter, dann müssten wir eigentlich beobachten: je mehr Tiere, desto mehr Infektionen. Und zwar überall, weil sich die Infektion gleichmäßig verbreitet.
Korinna Hennig: Über das ganze Gebiet.
Über das ganze Beobachtungsgebiet, genau. Was man aber in Wirklichkeit beobachtet, ist, dass das nur in der Nähe gilt. Wenn wir zum Beispiel einen Kilometer um die Initialbeobachtung herum weitere Tierfamilien testen, Großfamilienverbände testen, dann ist das schon so, dass wir sagen können, je mehr Tiere hier hausen, desto mehr Infektionen sehen wir. Wenn man das aber ausdehnt und wenn man die Frage stellt, finden wir hier noch eine Infektion in drei oder vier Kilometern Entfernung von dem zentralen Familienverband, dann macht man eine interessante Beobachtung.«
Sauber designt – "Es kommt zuverlässig zu Infektionen"
»Und zwar, wenn man solche Studiensituationen vergleicht, die immer höhere Tierdichten haben, also man steigert praktisch die Tierdichte, als wäre das ein Experiment – das ist hier kein Experiment, sondern das ist letztendlich beobachtende Ökologie, aber so sauber designt, dass das fast wie ein künstliches Experiment auszuwerten ist. Also: Wir erhöhen die Tierdichte und wir sehen plötzlich, wenn wir in größerer Entfernung von dem initialen Infektionsherd messen, da haben wir einen Schwelleneffekt. Da ist es so, wir können drauflegen und drauflegen und drauflegen und wir finden keine Infektionsübertragungen – und dann plötzlich, schlagartig, kommt es zu einer Infektionsübertragung.
Korinna Hennig: Warum?
Also um das nur noch mal zu beschreiben: Wir haben einen Ausgangspunkt und dann beobachten wir andere Tiere in der Nähe. Da sehen wir relativ regelmäßig, wir tun ein bisschen mehr drauf an Tierdichte, dann finden wir ein bisschen mehr Infektionen in der Nachbarschaft. Tun wir noch mehr Tierdichte drauf in dem gesamten Beobachtungsgebiet, dann finden wir noch mehr Infektionen in der Nachbarschaft. Wenn wir aber diese Nachbarschaft weiter wegtragen, also wenn wir den Beobachtungsposten weiter weg legen und Tiere testen, die weiter entfernt sind in diesem Gitter, dann ist es so, wir können drauflegen und drauflegen und drauflegen und es kommt nicht zu einer Infektion an dem entfernten Beobachtungspunkt. Und dann, irgendwann, legen wir noch ein bisschen mehr drauf und plötzlich ist es infiziert und dann bleibt es auch infiziert. Wir tun mehr drauf und es kommt immer noch weiter zuverlässig zu Infektionen, ein schlagartiger Effekt, ein Schwelleneffekt. Zurück zur Ursprungsüberlegung: Irgendwann ist der Kaffee nass und dann tropft es durch. Also dieser Schwelleneffekt, der da im Kaffeefilter überschritten wurde, der ist hier in der Natur, in der Infektionsökologie, bei den Wüstenrennmäusen überschritten worden…«
Ich spreche bewusst ein bisschen diffus
»Was dahinter liegt, ist Folgendes: Diese Infektion wird in Clusterverbänden übertragen. Diese Familiengruppen sind räumliche Cluster und die haben miteinander nur eingeschränkt Kontakt. Da hüpft mal ein Floh rüber und da geht auch mal ein Tier rüber zu einem Nachbarverband. Aber im Wesentlichen sind diese Tiere für sich. Das sind Cluster, räumliche Cluster. Die haben miteinander eingeschränkten Kontakt. Und damit so eine Infektion jetzt von Cluster zu Cluster zu Cluster springt, gehört schon ein bisschen was dazu. Aber wenn man jetzt mehr Tiere pro Cluster hat, dann wird das schneller passieren. Wenn man jetzt aber nicht nur zwei Sprünge hat, also von Cluster zu Cluster zu Cluster, sondern 30 Sprünge braucht, dann muss da so viel Infektionsmasse dahinter sein, also so viele Tiere müssen da sein oder so viele Flöhe oder woran man es immer auch festmachen will – ich spreche bewusst ein bisschen diffus von dem Begriff Infektionsmasse – da muss viel Masse da sein, bevor das durchschlägt. So wie bei dem Beispiel vom Kaffeefilter. Da muss relativ viel Wasser sein, bevor das durchsickert. Und wenn wir jetzt mal auf SARS‑2 kommen, dann können wir uns sehr gut vorstellen, was wir eigentlich in der Bevölkerung haben. Wir wissen ja: Diese Infektionskrankheit verbreitet sich sehr stark in Clustern, das ist die Überdispersion. Also wir haben schon Einzelübertragungsketten. Aber diese Einzelübertragungsketten verbinden die Cluster. Das ist so, wie wenn eine Wüstenrennmaus von einem Loch zum anderen rüberläuft, von einem Familienverband zum anderen.«
Vielleicht gerade gar keine Flöhe im Pelz
»Korinna Hennig: Aber die Einzelübertragungsketten reißen manchmal auch ab, wogegen das bei den Clustern schwieriger wird, weil da so viel gleichzeitig passiert.
Genau, so ist das ja bei den Wüstenrennmäusen auch. Da rennt immer mal eine Maus rüber oder eine Ratte, von einem infizierten Familienverband zum anderen. Aber die Übertragung findet nicht jedes Mal statt. Vielleicht hat er gerade gar keine Flöhe im Pelz gehabt. Und genau so ist das hier bei einer Viruserkrankung auch zu sehen, a[l]so gerade bei einer, die so eine Überdispersion hat. Wir haben in der Bevölkerung örtliche Cluster. Und man muss fast sogar sagen, zeitlich-örtliche Cluster. Denn die Geburtstagsparty, die war ein Cluster für eine Zeit, und da kocht das Virus jetzt hoch. Und vielleicht treffen sich diese Leute häufiger. Vielleicht ist das eine Studierenden-WG plus deren Freundeskreis. Das ist schon so ein sozialer Verband, so ein Cluster, so eine Häufung von Infektionen. Aber die haben natürlich sporadisch auch Kontakte mit anderen Cluster-Situation, vielleicht eine andere Studierenden-WG, die man nur entfernt kennt. Oder auch eine Kursveranstaltung, im Sport- oder im Freizeitbereich oder die Geburtstagsfeier von den Eltern, 600 Kilometer weit entfernt, die man letzten Sonntag besucht hat und wo man vielleicht die Infektion eingetragen hat [so im Original, AA].
Korinna Hennig: Das ist der Floh, der dann überspringt – von einer Höhle zu anderen.
Der vielleicht überspringt, wenn man gerade dann in diesen paar infektiösen Tagen von seiner Erkrankung ist, zwei oder drei davon vor Symptombeginn und vier, fünf Tage nach Symptombeginn. In diesem kurzen Zeitfenster überträgt man überhaupt nur die Infektionskrankheit und da müssen diese Zufälle dann passieren. Aber insgesamt haben wir eben in der Bevölkerung solche Cluster, solche Häufungen, die miteinander lose und schlecht verbunden sind. Da kann man sich jetzt vorstellen, da können an einem Ort mal Infektionen hochkochen und die detektieren wir auch. Aber das wird von selbst wieder totlaufen, weil die Konnektivität dieser Cluster nicht groß genug ist, um etwas freizugeben, was dann schlagartig eintritt, wo wir auch wieder einen Begriff aus der Ökologie und Populationswissenschaft haben, nämlich der Begriff der Metapopulation.
Also wenn wir sagen, so ein Cluster ist eine Unterpopulation oder eine Population in sich für die Infektion, eine Population von empfänglichen Individuen, dann entsteht durch das Verbinden von Clustern über die Gesamtheit der Gruppe – oder sagen wir ruhig mal über die Gesamtheit des Landes, die gesamte Weite und Geografie des Landes – ein verfügbares Übertragungsnetzwerk, eine Metapopulation, für das Virus verfügbar, weil diese dünnen Verbindungen zwischen den Clustern plötzlich doch alle geschlossen sind, weil so viel Infektionsmasse da ist und jetzt plötzlich der Strom durchleitet, um mal an unsere Holz- und Metallkugeln zurückzudenken.«
Schwellenwert ja. Beziehungsweise nein.
»Korinna Hennig: Ist das der Schwellenwert, von dem Sie sagen würden, da müssen wir von einer zweiten Welle reden?
Ja. Ich will jetzt hier auch nicht von einem Schwellenwert reden, denn ich kann das genauso wie alle anderen Wissenschaftler nicht zahlenmäßig erfassen. Es gäbe welche, die könnten das modellieren, dazu gehöre ich nicht. Ich bin Virologe. Ich bin kein theoretischer Epidemiologe. Theoretische Epidemiologen könnten das modellieren, aber auch die hätten die Grundparameter dafür nicht, das Grundwissen. Wir wissen nicht, wie groß im Durchschnitt ein Cluster in Deutschland ist. Das ist wirklich populationsbezogen. Das kann in Deutschland anders sein als in Indien, ist es mit Sicherheit.
Korinna Hennig: Und auch als in Italien zum Beispiel.
Die Mobilität in der Bevölkerung, die durchschnittliche Reiseweite, die Größe der Haushalte, die Größe der Sozialsituationen – alles das sind die Störgrößen, die da reinspielen oder die Einflussgrößen. Darum kann ich nicht sagen: Hier ist der Schwellenwert. Sondern ich kann als Wissenschaftler nur sagen: Ich erkläre das Prinzip eines Schwelleneffektes. Es gibt sicherlich diesen Schwelleneffekt. Wir sollten davor nicht unsere Augen verschließen. Die Existenz eines solchen Schwelleneffektes ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass wir durchaus erleben können, dass die Welle im Moment an- und abschwillt – oder um mit Hendrik Streeck zu sprechen, eine Dauerwelle ist, das wird mal mehr und mal weniger – während sie dann aber irgendwann außer Kontrolle gerät, und wir wissen nicht, wann. Aber irgendwann könnte es sein. Und ich hoffe, genau wie alle anderen in der Öffentlichkeit auch, dass das in Deutschland nicht stattfindet.
Aber ich will nur sagen, es gibt die Möglichkeit, dass wir uns da auch was vormachen, wenn wir uns sagen: Das läuft ja im Moment ganz gut, dann machen wir mal so weiter wie bisher. Es kann sein, dass, ohne dass wir es merken, darüber, dass Leute auch in der Bevölkerung ihre Infektion verstecken und wir weniger Überblick über die wirklichen Zahlen haben und es dann doch zu immer mehr Clustern kommt, die wir zum Teil gar nicht nachweisen, dass wir doch plötzlich ein Perkolationseffekt haben, also einen Schwelleneffekt, wo wir schlagartig eine Änderung der Grundbedingungen haben. Und schlagartig sehen wir: Jetzt wird es jeden Tag mehr an Meldezahlen. Wir wissen gar nicht, was sich geändert hat, aber es wird einfach immer mehr. «
Zwei Fragen sind unabweislich: Was nimmt der Mann vor seinen Auftritten? Wer zieht ihn endlich aus dem Verkehr?
Update: Die letzte Frage ist an die Verantwortlichen gerichtet und darf nicht als Aufruf zur Selbstjustiz verstanden werden. Leider ist in diesen Zeiten dieser Hinweis nötig.
Wow, ich wollte nach der Hälfte schon aufgeben, habe aber doch durchgehalten. Das ist ein tolles Skript für einen Kabarettabend. Vorgetragen von Piet Klocke.
Die Frage, die sich wirklich stellen, nämlich welche PCR Tests werden in Frankreich und Spanien benutzt und mit wie vielen Zyklen arbeiten die Labore, die werden natürlich nicht beantwortet. Dafür weiß ich jetzt mehr über Wüstenrennmäuse.
Vielen Dank für Ihre Mühe dieses wertvolle, einzigartige Sprachdokument zu transkribieren. Vielleicht ein geeigneter Stoff für eine Deutsch-Abitur Prüfung?
@Andreas: Der Dank gebührt nicht mir. Den Verdienst haben sich die fleißigen Menschen im NDR erworben. Ich kann mir vorstellen, wie die dabei sich kringelnd auf dem Boden lagen.
Köstlich!
das ist doch die Strategie von Drosten: die Sachverhalte so verschwurbeln, dass alle denken: pu, ist das kompliziert, das überlasse ich mal lieber den Fachleuten.
Das macht er von Anfang an so.
Und in Wirklichkeit ist es im wahrsten Sinne des Wortes Kaffeesatzleserei.
Unfassbar und erschütternd!
Darf man sich eigentlich darüber wundern, dass dieser Fachmann die deutsche Bundesregierung berät?
Wenn es nicht so traurig wäre, das dieser Unfug eine Massentraumatisierung auslöste, würde man den ganzen Tag lachen.
@ C. Drosten
Was hätten Sie eigentlich überhaupt sagen, wenn es den Konjunktiv nicht gäbe?
Solche "Drostereien" sind nur aus einem Grund in weiter Verbreitung möglich: weil die Verantwortlichen, weil die Wissenden, weil die "Experten", weil die Ehrlichen (in einflussreichen Positionen) dazu schweigen.
In einem normalen Land wäre dieser Mann schon längst in irgend einer Form von Quarantäne. Hierzulande bekommt man Preise und Sendeplätze.
Der Professor Drosten (ohne Habilitation und und mit zweifelhafter Promotion) muss endlich Vorlesungen halten, damit die Studenten auch mal was zu lachen haben oder in der Psychiatrie landen, wenn sie den Braten nicht riechen.
Perkolation. Toll. Was vernünftige Menschen diesem Unsinnsdoktor sagen können, wurde in den Leserbriefen erwähnt. Ist wohl doch der neue DOKTOR EISENBART, der Dr. Drosten. Eine Schande für seine Zunft.
Als jemand, der etwas von Perkolation versteht, hat mich bei Drostens Erklärungen fast der Schlag getroffen. Der Mann verzapft so einen Unsinn, dass man gar nicht einmal weiß, wo man mit dem Erklären anfangen soll. Das ist eigentlich ein Fall, wo man die Bearbeitung der Prüfungsaufgabe einfach durchstreicht und null Punkte daneben schreibt.
Der Herr ist Kandidat für den Nobelpreis zur Erforschung der Fabulakolation.
Also ich fasse mal zusammen:
1. Drosten redet wild und unüberlegt einen Haufen wirres Zeug.
2. Drosten erklärt die Ausbreitung einer Erkrankung am Beispiel … der Ausbreitung einer Erkrankung.
3. Drosten stellt den heiligen R‑Wert in Frage.
4. Drosten referiert über die clusterhafte Ausbreitung, obwohl wir ja jetzt keine Cluster mehr, sondern sporadische Ausbreitung haben (eine andere Art zu sagen: zufällige Ereignisse durch False-Positive Tests).
Was ist eigentlich mit den Großdemonstrationen, da waren doch auch zigtausend Wüstenrennmäuse unterwegs, sauber designed sozusagen. Und bei erhöhter Tierdichte kommt es dann doch unweigerlich irgendwann zur Perkolation in weiter entfernte Gebiete, weil die alle wieder nach Hause gefahren sind. Und dann steigen ganz plötzlich die Infektionen. Komischerweise ist davon nichts zu bemerken. Hatten die alle keine Flöhe im Pelz?
Witziger Kommentar, Martinez!
Schlimm, dass man in einem Land lebt, wo Millionen diesem Herrn an den Lippen kleben und seine fragwürdigen Verlautbarungen für seriöse Wissenschaft halten.
Das Immunsystem als Kaffefilter.
Wieviel Kaffe trinken die Herrschaften,
dass sie sich zu solchen Analogien versteigen.
Das würde ja für alle Viren und Bakterien gelten. Und ich denke auch unter diesen hat das Corona-Virus natürliche Feinde.
Und man kann dann genauso – und viel logischer – schlussfolgern, dass sich das Virus ohne Distancing & Maskenschutz immer mehr ausdünnt, dass dann immer weniger Cluster messbar würden. Einfach weil die Infektiosität bei Corona dann noch weniger ausreicht, den Schwellenwert zu erreichen.
Puh! Und wenn man dann so eine Perlokation simuliert dann kann man sich die Parameter so justieren , dass genau das rauskommt, was man sehen möchte. Das hat Herr Ferguson in England gemacht und 1 Million Tote prognostiziert, falls kein lockdown gemacht würde. Man hat den Eindruck, dass dieser Laborvirologe mal was gelesen hat und enneu erworbenes Wissen, wie eine Salondame aus plaudert. Ich hsabe an der Uni eine ganze Menge derartiger Schaumschlaeger gesehen. Die schwimmen immer oben, während die Dickbrettbohrer oft untergehen. Armes Deutschland.
Passend dazu wurde am 9.9. der Eintrag zur Perlokationstheorie in Wikipedia angepasst. Auf daß der betreute Denker vorgespielt bekommt, daß alles seine Richtigkeit hat…
Perkolationstheorie ist in der Epidemiologie durchaus in Verwendung.
Hier ein AMS-Referat (Summary) als Beispiel:
076372 Reviewed
Li, Shuping(PRC-NUC); Zhao, Xiaorong(PRC-NUC)
Network percolation of the disease transmission based on bipartite networks. (English summary)
Internat. J. Modern Phys. B 34 (2020), no. 6, 2050029, 17 pp.
92D30
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Summary: "In this paper, considered heterogeneous infectivity and susceptibility, a general stochastic Susceptible-Infectious-Removed (SIR) epidemic model with the cumulative distribution functions (CDFS) of the infectious contact rate and the infectious period based on bipartite networks is discussed. It is isomorphic to a semidirected random network called the bipartite epidemic percolation network. The epidemic threshold corresponds to the phase transition where a giant strongly connected component appears. It is obtained by using the method of the probability generation function. We show that the critical value of the transmissibility predicted by the bond percolation model is larger than that predicted by the epidemic percolation network. We analyze the influences of the network structure and individual heterogeneity on the epidemic threshold by numerical simulations.''
@ Herfort: Kein Einwand. Wer darüber spricht, sollte dann bitte auch verstehen, worum es sich handelt. Mir haben weder die kasachische Wüstenmaus noch die anderen Beispiele weitergeholfen.
Als Physiker kann ich definitiv sagen, dass Drosten es nicht versteht. Er kommt am Ende zielsicher genau zum falschen Schluss, wie fast immer wenn es um mathematische Modelle geht. Das kann man technisch präzise erklären, aber man braucht ein paar Formeln dafür.