Zulassung der Covid-Impfstoffe: Der Kampf um den Begriff der Gentherapie

Unter die­sem Titel wird auf ber​li​ner​-zei​tung​.de am 23.3.23 ein wei­te­rer Diskussionsbeitrag, dies­mal von Paul Cullen, Brigitte Röhrig, Jens Schwachtje und Henrieke Stahl ver­öf­fent­licht. Darin heißt es:

»… Jüngst [hat] Emanuel Wyler in sei­ner Gegenrede zum Artikel der Juristen über das „Zulassungsdesaster“ ein­ge­wen­det, dass der juri­sti­sche Ausschluss von prä­ven­tiv gegen Infektionskrankheiten wir­ken­den mRNA-Präparaten aus der Klasse der Gentherapeutika und ihre Zuordnung zu Impfstoffen „nicht im Widerspruch zu den in der Biomedizin ver­wen­de­ten Definitionen“ stehe.

„Aus Sicht der bio­lo­gi­schen Wissenschaft“, schreibt er, beinhal­te Gentherapie „die Änderung der gene­ti­schen Ausstattung einer Person“. Hierfür beruft sich Wyler auf einen von Patentanwälten geschrie­be­nen Text, in dem eine sol­che Definition (wört­lich: „Veränderung des zel­lu­lä­ren Genoms“) aber ledig­lich vor­ge­schla­gen wird. Belege für sei­ne Aussage, dass die mRNA-Impfstoffe „mehr­heit­lich nicht als Gentherapie betrach­tet“ wür­den (unse­re Kursivierung), bleibt Wyler aller­dings schuldig…

Schauen wir uns zunächst an, was für das Paul-Ehrlich-Institut ein Gentherapeutikum ist. Es hand­le sich um ein „Arzneimittel, des­sen Wirkstoff eine Nukleinsäure […] ent­hält oder dar­aus besteht“. Er wird „ein­ge­setzt, um eine Nukleinsäuresequenz zu regu­lie­ren, zu repa­rie­ren, zu erset­zen, hin­zu­zu­fü­gen oder zu ent­fer­nen“. Seine „Wirkung steht in unmit­tel­ba­rem Zusammenhang mit der rekom­bi­nan­ten Nukleinsäuresequenz, die es ent­hält“, oder mit des­sen „Produkt“.

Das Paul-Ehrlich-Institut listet auf sei­ner Website eini­ge Gentherapeutika, die zwar DNS (Nukleinsäure) mit einem Vektor-Virus in Zellen ein­brin­gen, bei denen aber eine Integration in das Genom expli­zit aus­ge­schlos­sen wird, z.B. bei Zolgensma von Novartis. Somit umfasst die oben genann­te Definition des Paul-Ehrlich-Instituts für Gentherapeutika auch Therapeutika, die nicht die Erbsubstanz verändern.

Impfstoffe gegen Krebs sind rechtlich als Gentherapeutika eingestuft

Etwas ande­res ergibt sich auch nicht aus der Definition der Amerikanischen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie (ASGCT). Sie defi­niert Gentherapie als die „Einbringung, Entfernung oder Veränderung von gene­ti­schem Material eines Menschen“ mit dem Ziel, Krankheiten zu „behan­deln“ oder zu „ver­hin­dern“.

In den FAQs erläu­tert die ASGCT aus­drück­lich, dass das ein­ge­brach­te „gene­ti­sche Material ver­än­dert, wie ein ein­zel­nes Protein oder eine Gruppe von Proteinen durch die Zelle pro­du­ziert wird“. Das ist eine Bestimmung, unter die auch die mRNA-Techniken fallen.

Tatsache ist, dass mRNA-Impfstoffe, die nicht gegen Infektionskrankheiten ein­ge­setzt wer­den, etwa sol­che gegen Krebs, nicht nur medi­zi­nisch, son­dern auch recht­lich als Gentherapeutika ein­ge­stuft sind. Dies ergibt sich bei­spiels­wei­se aus der Stellungnahme des Ausschusses für neu­ar­ti­ge Arzneimittel (CAT = Committee for Advanced Therapies) für das mRNA-Krebstherapeutikum von Biontech.

Ferner gel­ten auch ande­re Medikamente unstrit­tig als Gentherapeutika, obwohl sie das Genom nicht ver­än­dern. Ein Beispiel hier­für ist das sowohl vom Hersteller als auch von der ame­ri­ka­ni­schen Arzneimittelagentur FDA als „Gentherapeutikum“ beschrie­be­ne Produkt Luxturna zur Behandlung von ange­bo­re­ner Blindheit. Luxturna besteht aus einem cDNA-Konstrukt, wel­ches das Genom des Patienten nicht verändert…

Nach gebräuch­li­cher Definition und Verwendung setzt also der Begriff Gentherapie zunächst kei­ne Veränderung des Genoms vor­aus. Vielmehr liegt Gentherapie immer schon dann vor, wenn es zur sta­bi­len Expression eines Genprodukts (RNA oder Protein) auf­grund einer außer­halb des zel­lu­lä­ren Genoms vor­han­de­nen Nukleinsäuresequenz kommt. Bis auf Valneva und Nuvaxovid erfül­len alle in Deutschland ver­füg­ba­ren Corona-Impfstoffe genau die­se Bedingung; sie sind also ohne Zweifel als Gentherapeutika zu bezeich­nen, auch wenn sie das chro­mo­so­ma­le Erbgut im Normalfall nicht verändern.

Wunsch nach Akzeptanz der Impfstoffe 

Der skiz­zier­te Trend, die gen­ba­sier­ten Corona-Impfstoffe nicht nur recht­lich, son­dern auch im wis­sen­schaft­li­chen Diskurs aus der Klasse der Gentherapeutika aus­zu­schlie­ßen bezie­hungs­wei­se die Definition von Gentherapeutika mit­hil­fe des Kriteriums der Genomveränderung ein­zu­gren­zen, hat einen über­ra­schen­den Grund: Die Ablehnung einer Einstufung der gen­ba­sier­ten Impfstoffe als Gentherapeutika erklärt sich durch den Wunsch nach ihrer Akzeptanz; die Bezeichnung der Covid-Impfstoffe als Gentherapeutika galt und gilt heu­te wei­ter­hin als „Anti-Vaxxer“-Argument…

Die Pharmakonzerne sehen es als Gefahr an, dass die wei­te wis­sen­schaft­li­che Definition von Gentherapeutika die recht­li­che Ausnahme im Fall von gen­ba­sier­ten Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten wie­der aus­he­beln könn­te. Denn in die­sem Fall wür­den Prüfungen nach den Standards für Gentherapie erfor­der­lich wer­den, die einen star­ken Anstieg des Zeit- und Kostenfaktors bis zur Zulassung mit sich bräch­ten. Die Rückkehr zur frü­he­ren Definition wäre geschäftsschädigend…

Zulassungsprozess der Covid-Impfstoffe muss unabhängig geprüft werden

Fassen wir zusam­men: Nach wei­ter wis­sen­schaft­li­cher Klassifikation fal­len gene­ti­sche Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten ihrer Funktionsweise nach zunächst in die Kategorie Gentherapeutika. Sie sind nur der aktu­el­len Rechtslage nach von ihr aus­ge­nom­men. Die Notwendigkeit einer sol­chen „juri­sti­schen Fiktion“ an die­ser Stelle belegt bereits, dass die­se Stoffe der Sache nach Gentherapeutika sind.

Die Pharmaindustrie hat jedoch ein Interesse dar­an, dass die­se Impfstoffe nicht als Gentherapeutika wahr­ge­nom­men wer­den, und befürch­tet, dass die recht­li­che Umdefinition mög­li­cher­wei­se wie­der rück­gän­gig gemacht wer­den könnte.

In der Wissenschaft ist aktu­ell eine Tendenz zu beob­ach­ten, die­sem Wunsch der Pharmaindustrie ent­ge­gen­zu­kom­men und die Definition von Gentherapie über das Kriterium der Genomveränderung zu ver­en­gen. In dem Fall wür­den nicht nur die gene­ti­schen Covid-Impfstoffe, son­dern zukünf­tig auch vie­le wei­te­re gene­ti­sche Medikamente in ihrer Zulassung nicht mehr den hohen Sicherheitsstandards von Gentherapeutika unter­lie­gen müssen.

Wir sehen es als drin­gen­des Gebot die­ser Stunde, dass, auch in Anbetracht der wach­sen­den Zweifel an der ver­spro­che­nen Sicherheit der mRNA-Impfstoffe, der Zulassungsprozess der gene­ti­schen Covid-Impfstoffe und die Rolle der Konzerne sowie der zustän­di­gen Behörden in die­sen Verfahren unab­hän­gig geprüft werden.

Zu den Autoren: Prof. Dr. med. Paul Cullen ist Facharzt für Innere Medizin und für Laboratoriumsmedizin sowie kli­ni­scher Chemiker. Dr. Brigitte Röhrig ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt deut­sches und euro­päi­sches Arzneimittelrecht. Dr. Jens Schwachtje ist Molekularbiologe und Ernährungswissenschaftler. Prof. Dr. Henrieke Stahls Spezialgebiet ist die Slawische Literaturwissenschaft.«

5 Antworten auf „Zulassung der Covid-Impfstoffe: Der Kampf um den Begriff der Gentherapie“

  1. Die Pharmaindustrie hat jedoch ein Interesse dar­an, dass die­se Impfstoffe nicht als Gentherapeutika wahr­ge­nom­men werden.

    Quatsch. Wie jemand die­se komi­schen Impfstoffe wahr­nimmt oder über­haupt nimmt ist der Pharmaindustrie scheißegal.

    Im Übrigen ist mRNA eine Verbindung die ein jeder Organismus sel­ber bil­det und zwar nach­dem anhand bestimm­ter Enzymreaktionen fest­steht daß DNA oder RNA kopiert wer­den soll.

  2. EMA gibt grü­nes Licht für Adagrasib

    Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat sich für die Zulassung
    von Adagrasib (Krazati) ausgesprochen. 

    Die Entscheidung folgt einer erneu­ten Bewertung des Medikaments,
    das für die Behandlung von nicht-klein­zel­li­gem Lungenkarzinom mit KRAS-G12C-Mutation vor­ge­se­hen ist.

    Autor: Dr. Isabelle Viktoria Maucher
    Stand:16.11.2023
    Quelle:
    EMA: Krazati, abge­ru­fen am 16.11.20
    https://​www​.ema​.euro​pa​.eu/​e​n​/​m​e​d​i​c​i​n​e​s​/​h​u​m​a​n​/​s​u​m​m​a​r​i​e​s​-​o​p​i​n​i​o​n​/​k​r​a​z​ati

    FDA: Product infor­ma­ti­on Krazati
    https://​www​.access​da​ta​.fda​.gov/​d​r​u​g​s​a​t​f​d​a​_​d​o​c​s​/​l​a​b​e​l​/​2​0​2​2​/​2​1​6​3​4​0​s​0​0​0​l​b​l​.​pdf

    https://​www​.gel​be​-liste​.de/​p​n​e​u​m​o​l​o​g​i​e​/​e​m​a​-​a​d​a​g​r​a​s​i​b​-​k​r​a​z​ati

  3. Fachgesellschaften emp­feh­len RSV-Impfung für Hochrisikogruppen unter 60 Jahren

    Im Sommer die­ses Jahres wur­den die bei­den ersten RSV-Impfstoffe zuge­las­sen, die bei Personen ab 60 Jahren indi­ziert sind. Mehrere Fachgesellschaften haben sich nun dafür aus­ge­spro­chen, die Impfung auch bei jün­ge­ren Erwachsenen mit bestimm­ten Vorerkrankungen oder Immunsuppression einzusetzen.

    Autor: Janina Seiffert
    Stand:17.11.2023
    Quelle:
    Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.,
    Positionspapier
    https://​pneu​mo​lo​gie​.de/​s​t​o​r​a​g​e​/​a​p​p​/​m​e​d​i​a​/​u​p​l​o​a​d​e​d​-​f​i​l​e​s​/​2​0​2​3​_​R​S​V​-​I​m​p​f​u​n​g​_​D​G​P​.​pdf
    zur RSV-Schutzimpfung bei beson­ders gefähr­de­ten Patientinnen und Patienten, 02.11.2023

    https://​www​.gel​be​-liste​.de/​p​n​e​u​m​o​l​o​g​i​e​/​e​m​p​f​e​h​l​u​n​g​-​f​a​c​h​g​e​s​e​l​l​s​c​h​a​f​t​e​n​-​r​s​v​-​i​m​p​f​ung

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