Mit Blaulicht und unter Polizeischutz wird ein Staatsgast, der keiner ist, aber so behandelt wird, in die Charité gebracht und dort mustergültig versorgt. Ein wirksameres Bild zum Aufhübschen des skandalgeschüttelten Unikrankenhauses ist kaum vorstellbar. In allen Medien war das über mehrere Tage die Spitzenmeldung.
Keine Zeile wert hingegen war fast allen, daß Beschäftigte der Charité Facility Management (CFM) sich gezwungen sahen, in den Streik zu treten.
Eine seltene Ausnahme ist die Tageszeitung "junge Welt", die heute ein Interview mit Mitgliedern der Tarifkommission von ver.di führt. Dort ist zu lesen:
»Die Beschäftigten des Charité Facility Management, CFM, sind ein weiteres Mal in den Streik getreten. Aus welchem Grund?
Daniel Turek: Im Jahr 2006 wurden nichtmedizinische Leistungen der Berliner Charité in die Billiglohntochter CFM ausgegliedert, bei der wir unter Vertrag sind. Das bedeutet bis heute für 2.400 Beschäftigte 700 Euro netto pro Monat weniger Lohn, als das Stammpersonal der Charité verdient. Dort wird nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, TVöD, bezahlt. Seit 2011 fordern wir gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit per Anwendung des TVöD für alle CFM-Beschäftigten.
Sascha Kraft: Im März wurden durch die Coronapandemie die Verhandlungen unterbrochen, und der Arbeitskampf konnte aufgrund des Infektionsschutzes nicht fortgeführt werden. Da war aber bereits absehbar, dass sich ohne den Arbeitskampf nichts am Verhandlungstisch bewegen wird. Als dann die ersten Lockerungen kamen, waren wir ständig mit Verdi im Gespräch, um den Kampf fortzusetzen.
Wie erschwert die Pandemie den Arbeitskampf?
D. T.: Größere Kundgebungen sind eine Herausforderung. Wir wollen keinesfalls für eine zweite Coronawelle verantwortlich sein, werden aber auch nicht auf diese Aktionsformen verzichten. Da es sich beim Krankenhausbetrieb um öffentliche Daseinsvorsorge handelt, muss die Öffentlichkeit mitgenommen werden.
Jetzt eskaliert der Konflikt wegen weiterer Ausgliederungen. Was hat es damit auf sich?
D. T.: Nach einem Warnstreik im Juli hat die Geschäftsführung der CFM begonnen, am Betriebsrat vorbei Logistik-Tätigkeiten an Unternehmen wie »GO Express & Logistics« auszulagern. Die Kollegen im Wirtschaftstransport des Virchow-Klinikums erfuhren zu Schichtbeginn, dass sie bestimmte Touren ab sofort nicht mehr machen. Unter dem Deckmantel der Wirtschaftlichkeit werden nun ausgerechnet Tätigkeiten der gewerkschaftlich sehr gut organisierten Bereiche ausgelagert.
S. K.: Viele Kollegen aus den Bereichen Reinigung und Catering berichten, dass sie mit Verweis auf die neu outgesourcten Bereiche von Vorgesetzten bedroht werden, dass mit ihnen dasselbe passiere, wenn sie sich weiterhin am Arbeitskampf beteiligen. Es wurde die Unternehmensberatung CSCP AG aus Hamburg damit beauftragt, Streikende zu Personalgesprächen zu zitieren. Berichten zufolge begann das Gespräch mit der Frage: "Wieviel müssen wir Ihnen zahlen, damit Sie den Betrieb sofort verlassen?"
Was sagen die Verantwortlichen des Berliner Senats dazu?
S. K.: Einige zeigen sich zusehends empört über den Stand der Tarifverhandlungen und die Praktiken, die diese begleiten. Es gibt eine klare Regelung im Koalitionsvertrag, die Beschäftigten zurück in den TVöD zu führen.
D. T.: Der Senat müsste als Eigentümer stärker eingreifen sowie den Koalitionsvertrag umsetzen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, SPD, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Charité und damit klar in der Pflicht. So ist die Vollmitgliedschaft der CFM im kommunalen Arbeitgeberverband längst überfällig.
Was bedeutet Ihr Streik für den Krankenhausbetrieb?
D. T.: Nach ersten Rückmeldungen sind derzeit die Bereiche Essens‑, Getränke- und Materialversorgung, der gesamte Krankentransport und einige OP-Reinigungsbereiche erheblich betroffen. Die Verantwortlichen an der Charité weigern sich trotzdem beharrlich, eine Notdienstvereinbarung mit uns abzuschließen.
Wie ist die Stimmung bei den Streikenden?
S. K.: Sie sind sauer und kampfbereit. In einem Mitgliedervotum am Freitag entschieden sie sich, den Streik bis diesen Mittwoch fortzusetzen. Am Anfang der Coronapandemie wurden sie noch beklatscht und als Helden gefeiert. Doch jetzt ist das alles wieder vergessen.
D. T.: Beschäftigte müssen vor Gericht gegen Kündigungen von Nebenabreden vorgehen, die eine Prämie von 100 Euro zusichern. Bei Abwesenheit wie Krankheit oder Streik gibt es jedoch 20 Euro pro Tag Abzug. Die Beschäftigten können auf die Prämie nicht verzichten, sie stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Gleich mehrere öffentliche Verhandlungen finden deshalb kommenden Freitag vor dem Berliner Arbeitsgericht statt.«
Siehe auch Kommerzielle Interessen von Charité und Labor Berlin und Der Charité-Konzern und der Einfluß der Privatwirtschaft.