2013: RKI gibt sich für "nationale Revolution von 1933" her

Das Robert-Koch-Institut führt auf sei­ner Internetseite sei­ne Präsidenten auf. Dabei kommt Interessantes zum Vorschein.

Die Präsidenten des RKI 1945–1969:

1945 – 1949 Prof. Dr. Otto Lentz

Während Wikipedia ver­mel­det (ähn­lich auch die Charité und die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft):

"1934 wur­de er in den Ruhestand ver­setzt, wor­auf er zwi­schen 1935 und 1945 die­se [Minister-]Ämter nie­der­leg­te und in einem bak­te­rio­lo­gi­schen Institut arbeitete.",

erfah­ren wir im Biographischen Lexikon zur Geschichte der deut­schen Sozialpolitik 1871 bis 1945 Folgendes:

"1932–34 im Preußischen Ministerium des Innern bzw. ab 1934–35 im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern; 1935 Ruhestand…
1932 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle/S.
Auszeichnungen: Eisernes Kreuz 2. Klasse; Kronenorden 4. Klasse; Oldenburgischer Hanseaten-Orden."

Die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft, deren Mitgründer Lentz war, ver­zeich­net in ihrer "Festschrift her­aus­ge­ge­ben anläss­lich der Jubiläumssitzung am 12. Dezember 2011 im Robert Koch-Institut, 2. Auflage, September 2013" für den 16.10.33 distanz­los einen Vortrag zum Thema:

"Zusammensetzung des Vorstandes nach der durch natio­na­le Revolution not­wen­dig gewor­de­nen Umstellung der Berliner Mikrobiologischen Gesellschaft: 1. Vorsitzender…" (Link s.o.)


1949 – 1952 Prof. Dr. phil. Dr. med. Bruno Harms

"1933 wur­de er als Leiter des Gesundheitsamtes Tiergarten abge­setzt, die Gründe sind nicht bekannt. Obgleich kein NSDAP-Mitglied, blieb er jedoch auch nach 1933 Stadtarzt. Im Jahr 1941 wur­de er Oberstabsarzt beim Heer. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er von Juli 1946 bis Dezember 1948 Stadtrat für Gesundheitswesen im Magistrat von Berlin.. Von 1949 bis 1953 war er Präsident des Robert Koch-Instituts, trat aber 1953 vor­zei­tig zurück. 1965 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz." Link zu Wikipedia

Durchaus abwei­chend davon der Tagesspiegel 1950, bei dem man auch nichts von den Aufgaben eines Hygienikers bei der Reichswehr erfährt.

"Seit drei­ßig Jahren – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – arbei­tet Dr. Harms im öffent­li­chen Gesundheitsdienst."

Dagegen berich­tet der kon­ser­va­ti­ve "Verein für die Geschichte Berlins" (S. 125f., zu ihm sie­he Anmerkung unten) über sein Mitglied:

"Von den Nationalsozialisten aus dem Amt ent­las­sen, betä­tig­te sich Harms als prak­ti­scher Arzt und wäh­rend des 2. Weltkrieges als Leiter der Sanitäts-Lehranstalt… 1950 war ihm durch Magistratsbeschluß die Amtsbezeichnung Professor ver­lie­hen worden."

Im März 1933 gehör­te Harms zu den ent­las­se­nen jüdi­schen und libe­ra­len DozentInnen der Alice-Salomon-Schule. Link und Link

Das National Center for Biotechnology Information wie­der­um infor­miert, daß er

"…1933 wegen sei­ner Mitgliedschaft in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ent­las­sen wur­de. Nach 1933 grün­de­te er eine Privatpraxis und arbei­te­te in einem Krankenhaus in Berlin-Moabit. Von November 1941 bis Januar 1945 dien­te er in der Wehrmacht.."


1952 – 1969 Prof. Dr. med. Georg Henneberg

Unter den Nazis blieb ihm wegen jüdi­scher Vorfahren eine Universitätskarriere ver­wehrt. Er arbei­te­te in der bak­te­rio­lo­gi­schen Abteilung der Berliner Firma Schering.

"In den fol­gen­den Jahren stellt er für Schering einen Keuchhusten-Impfstoff, einen Gonokokken-Impfstoff und ein Diphtherie-Antitoxin her und füllt Insulin ab. Während des Zweiten Weltkriegs kom­men noch Fleckfieber‑, Typhus- und Cholera-Impfstoffe dazu, um den Bedarf der Wehrmacht zu decken…

Als der Krieg 1945 ver­lo­ren ist, wird das Schering-Werk in der Weddinger Müllerstraße demon­tiert. Den Penicillin-Betrieb kann die Firma noch in Sicherheit brin­gen: Gefäße, Mikroskope, Kulturen und Henneberg selbst wer­den auf einen Lastwagen gela­den und nach Adlershof gefah­ren. Obwohl Georg Henneberg längst im RKI ange­stellt ist, pro­du­ziert er hier bis 1947 wei­ter Penicillin für Schering. Danach wird die Herstellung eingestellt…

Glücklicherweise hat eine Reihe von Reserve-Bakterienkulturen, unent­deckt von der Roten Armee, im Institutskeller über­lebt. Und: die Alliierten beschaf­fen das Nötigste für die Impfstoffherstellung – dar­un­ter Bruteier…"

Ein schö­ner Beweis dafür, daß man auch als ras­si­stisch Benachteiligter für Kontinuität einer Firma sor­gen kann, die an Arisierungen betei­ligt war (Link) Die Lobhudelei auf der RKI-Internetseite macht nicht ein­mal Halt vor sol­chen pein­li­chen Phrasen:

' „Er hat damals für die 189 Mitarbeiter sei­ner Abteilung eine Ernährungszulage durch­ge­setzt“, sagt [Mitarbeiterin] Gudula von der Osten-Sacken. Es gab dann täg­lich einen hal­ben Liter Milch und jede Woche 62,5 Gramm Butter und 100 Gramm Fleisch. „Außerdem hat er dafür gesorgt, dass die Zwangsarbeiterinnen wie­der Papier auf den Toiletten hat­ten“. Zeitungspapier war ihnen aus Angst vor Spionage näm­lich gestri­chen worden.'

1970 wird Henneberg Präsident des Bundesgesundheitsamtes.


Keiner von die­sen Dreien, und auch nicht ihre zahl­rei­chen Nachfolger, hat auch nur ein Wort zu den akti­ven Unterstützungsleistungen des RKI für das NS-Regime verloren.


Auch der sich hono­rig geben­de Verein für die Geschichte Berlins e.V. fin­det anläß­lich sei­nes 150. Jahrestag nur laue Worte für die Zeit nach 1933:

'Natürlich gin­gen die histo­ri­schen Zäsuren weder am Verein noch an sei­nen Mitteilungen spur­los vor­bei: Die kar­gen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, ins­be­son­de­re nach 1920, die ter­mi­no­lo­gi­sche und the­ma­ti­sche Anpassung und zugleich „Nischensuche“ nach 1933, vor allem nach dem – fak­tisch zwangs­wei­sen – Ausscheiden des ver­dien­ten Schriftleiters Ernst Kaeber 1936/37..' Link

"Als sich Kaeber wei­ger­te, sich von sei­ner jüdi­schen Ehefrau zu tren­nen, wur­de er ohne Zahlung einer Rente zum 1. Oktober 1937 zwangspensioniert."

infor­miert Wikipedia.
Da konn­te der ehren­wer­te Verein ja nun nicht anders, als den ver­dien­ten Schriftleiter sei­nes Postens zu ent­he­ben. Und was lesen wir (und was nicht) auf der "Berliner Gedenktafel", die an sei­nem Wohnhaus ange­bracht ist?

"In die­sem Haus wohn­te von 1935 bis 1954 der Archivar und Historiker Ernst Kaeber (5.12.1882 – 5.7.1961). Er ent­wickel­te das alte Berliner Stadtarchiv zu einer wis­sen­schaft­li­chen Institution. In der poli­tisch geteil­ten Stadt begrün­de­te Ernst Kaeber das neue 'Landesarchiv Berlin'. Die Geschichte Berlins war auch das zen­tra­le Anliegen sei­ner lan­des­ge­schicht­li­chen Forschungen."

Eine Anekdote am Rande aus den Mitteilungen des Vereins, bei der es um die Rettung der Berliner Siegessäule geht:

'Wir freu­en uns über die posi­ti­ve Rolle, die unser ver­stor­be­ner Vorsitzender Prof. Harms in die­ser Angelegenheit gespielt hat: „Die fran­zö­si­schen Truppen, die 1945 erst eini­ge Monate spä­ter als die Anglo-Amerikaner in Berlin ein­ge­rückt waren, nah­men ern­sten Anstoß an der Siegessäule im Tiergarten, die mit den 1870/71 erbeu­te­ten fran­zö­si­schen Kanonen aus­ge­schmückt ist und die den Bombenkrieg fast wie durch ein Wunder eini­ger­ma­ßen unbe­schä­digt über­stan­den hat­te. Sie for­der­ten in der Kommandatura eine Sprengung die­ses Denkmals deut­schen Kriegsgeistes und fan­den die Zustimmung sowohl der Sowjetrussen als auch der Engländer. Die Amerikaner zöger­ten, erklär­ten sich aber schließ­lich bereit, zuzu­stim­men – alle Kommandanturentscheidungen muß­ten ja ein­stim­mig erfol­gen -, wenn die Deutschen durch den Mund des neu zu wäh­len­den demo­kra­ti­schen Magistrats ihrer­seits kei­ne Einwendungen erho­ben. So kam die deli­ka­te Frage zu uns [in den Magistrat, AA]… Auch Ernst Reuter damals Verkehrsstadtrat – mein­te, es sei nicht scha­de um die Siegessäule; sie sei wirk­lich nicht schön. Ich wider­sprach mit Heftigkeit; so häß­lich sei das Denkmal nun auch wie­der nicht, und Berlin sei arm genug an Erinnerungen, die die Stadt mit ihrer stol­zen Vergangenheit ver­bän­den. Vor allem hielt ich es für unmo­ra­lisch, von uns eine aus­drück­li­che Zustimmung zu einem Revancheakt der Siegermächte zu ver­lan­gen. …Mein Standpunkt wur­de ener­gisch von dem libe­ral-demo­kra­ti­schen Stadtrat Bruno Harms unter­stützt… An der Siegessäule freu­en sich noch heu­te die Berliner und zahl­lo­se aus­wär­ti­ge Besucher."

(Dieser Beitrag wur­de am 18.5. aktualisiert.)

Siehe auch Das RKI im Nationalsozialismus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert