Das Robert-Koch-Institut führt auf seiner Internetseite seine Präsidenten auf. Dabei kommt Interessantes zum Vorschein.
Die Präsidenten des RKI 1945–1969:
1945 – 1949 Prof. Dr. Otto Lentz
Während Wikipedia vermeldet (ähnlich auch die Charité und die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft):
"1934 wurde er in den Ruhestand versetzt, worauf er zwischen 1935 und 1945 diese [Minister-]Ämter niederlegte und in einem bakteriologischen Institut arbeitete.",
erfahren wir im Biographischen Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945 Folgendes:
"1932–34 im Preußischen Ministerium des Innern bzw. ab 1934–35 im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern; 1935 Ruhestand…
1932 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle/S.
Auszeichnungen: Eisernes Kreuz 2. Klasse; Kronenorden 4. Klasse; Oldenburgischer Hanseaten-Orden."
Die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft, deren Mitgründer Lentz war, verzeichnet in ihrer "Festschrift herausgegeben anlässlich der Jubiläumssitzung am 12. Dezember 2011 im Robert Koch-Institut, 2. Auflage, September 2013" für den 16.10.33 distanzlos einen Vortrag zum Thema:
"Zusammensetzung des Vorstandes nach der durch nationale Revolution notwendig gewordenen Umstellung der Berliner Mikrobiologischen Gesellschaft: 1. Vorsitzender…" (Link s.o.)
1949 – 1952 Prof. Dr. phil. Dr. med. Bruno Harms
"1933 wurde er als Leiter des Gesundheitsamtes Tiergarten abgesetzt, die Gründe sind nicht bekannt. Obgleich kein NSDAP-Mitglied, blieb er jedoch auch nach 1933 Stadtarzt. Im Jahr 1941 wurde er Oberstabsarzt beim Heer. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er von Juli 1946 bis Dezember 1948 Stadtrat für Gesundheitswesen im Magistrat von Berlin.. Von 1949 bis 1953 war er Präsident des Robert Koch-Instituts, trat aber 1953 vorzeitig zurück. 1965 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz." Link zu Wikipedia
Durchaus abweichend davon der Tagesspiegel 1950, bei dem man auch nichts von den Aufgaben eines Hygienikers bei der Reichswehr erfährt.
"Seit dreißig Jahren – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – arbeitet Dr. Harms im öffentlichen Gesundheitsdienst."
Dagegen berichtet der konservative "Verein für die Geschichte Berlins" (S. 125f., zu ihm siehe Anmerkung unten) über sein Mitglied:
"Von den Nationalsozialisten aus dem Amt entlassen, betätigte sich Harms als praktischer Arzt und während des 2. Weltkrieges als Leiter der Sanitäts-Lehranstalt… 1950 war ihm durch Magistratsbeschluß die Amtsbezeichnung Professor verliehen worden."
Im März 1933 gehörte Harms zu den entlassenen jüdischen und liberalen DozentInnen der Alice-Salomon-Schule. Link und Link
Das National Center for Biotechnology Information wiederum informiert, daß er
"…1933 wegen seiner Mitgliedschaft in der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) entlassen wurde. Nach 1933 gründete er eine Privatpraxis und arbeitete in einem Krankenhaus in Berlin-Moabit. Von November 1941 bis Januar 1945 diente er in der Wehrmacht.."
1952 – 1969 Prof. Dr. med. Georg Henneberg
Unter den Nazis blieb ihm wegen jüdischer Vorfahren eine Universitätskarriere verwehrt. Er arbeitete in der bakteriologischen Abteilung der Berliner Firma Schering.
"In den folgenden Jahren stellt er für Schering einen Keuchhusten-Impfstoff, einen Gonokokken-Impfstoff und ein Diphtherie-Antitoxin her und füllt Insulin ab. Während des Zweiten Weltkriegs kommen noch Fleckfieber‑, Typhus- und Cholera-Impfstoffe dazu, um den Bedarf der Wehrmacht zu decken…
Als der Krieg 1945 verloren ist, wird das Schering-Werk in der Weddinger Müllerstraße demontiert. Den Penicillin-Betrieb kann die Firma noch in Sicherheit bringen: Gefäße, Mikroskope, Kulturen und Henneberg selbst werden auf einen Lastwagen geladen und nach Adlershof gefahren. Obwohl Georg Henneberg längst im RKI angestellt ist, produziert er hier bis 1947 weiter Penicillin für Schering. Danach wird die Herstellung eingestellt…
Glücklicherweise hat eine Reihe von Reserve-Bakterienkulturen, unentdeckt von der Roten Armee, im Institutskeller überlebt. Und: die Alliierten beschaffen das Nötigste für die Impfstoffherstellung – darunter Bruteier…"
Ein schöner Beweis dafür, daß man auch als rassistisch Benachteiligter für Kontinuität einer Firma sorgen kann, die an Arisierungen beteiligt war (Link) Die Lobhudelei auf der RKI-Internetseite macht nicht einmal Halt vor solchen peinlichen Phrasen:
' „Er hat damals für die 189 Mitarbeiter seiner Abteilung eine Ernährungszulage durchgesetzt“, sagt [Mitarbeiterin] Gudula von der Osten-Sacken. Es gab dann täglich einen halben Liter Milch und jede Woche 62,5 Gramm Butter und 100 Gramm Fleisch. „Außerdem hat er dafür gesorgt, dass die Zwangsarbeiterinnen wieder Papier auf den Toiletten hatten“. Zeitungspapier war ihnen aus Angst vor Spionage nämlich gestrichen worden.'
1970 wird Henneberg Präsident des Bundesgesundheitsamtes.
Keiner von diesen Dreien, und auch nicht ihre zahlreichen Nachfolger, hat auch nur ein Wort zu den aktiven Unterstützungsleistungen des RKI für das NS-Regime verloren.
Auch der sich honorig gebende Verein für die Geschichte Berlins e.V. findet anläßlich seines 150. Jahrestag nur laue Worte für die Zeit nach 1933:
'Natürlich gingen die historischen Zäsuren weder am Verein noch an seinen Mitteilungen spurlos vorbei: Die kargen Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere nach 1920, die terminologische und thematische Anpassung und zugleich „Nischensuche“ nach 1933, vor allem nach dem – faktisch zwangsweisen – Ausscheiden des verdienten Schriftleiters Ernst Kaeber 1936/37..' Link
"Als sich Kaeber weigerte, sich von seiner jüdischen Ehefrau zu trennen, wurde er ohne Zahlung einer Rente zum 1. Oktober 1937 zwangspensioniert."
informiert Wikipedia.
Da konnte der ehrenwerte Verein ja nun nicht anders, als den verdienten Schriftleiter seines Postens zu entheben. Und was lesen wir (und was nicht) auf der "Berliner Gedenktafel", die an seinem Wohnhaus angebracht ist?
"In diesem Haus wohnte von 1935 bis 1954 der Archivar und Historiker Ernst Kaeber (5.12.1882 – 5.7.1961). Er entwickelte das alte Berliner Stadtarchiv zu einer wissenschaftlichen Institution. In der politisch geteilten Stadt begründete Ernst Kaeber das neue 'Landesarchiv Berlin'. Die Geschichte Berlins war auch das zentrale Anliegen seiner landesgeschichtlichen Forschungen."
Eine Anekdote am Rande aus den Mitteilungen des Vereins, bei der es um die Rettung der Berliner Siegessäule geht:
'Wir freuen uns über die positive Rolle, die unser verstorbener Vorsitzender Prof. Harms in dieser Angelegenheit gespielt hat: „Die französischen Truppen, die 1945 erst einige Monate später als die Anglo-Amerikaner in Berlin eingerückt waren, nahmen ernsten Anstoß an der Siegessäule im Tiergarten, die mit den 1870/71 erbeuteten französischen Kanonen ausgeschmückt ist und die den Bombenkrieg fast wie durch ein Wunder einigermaßen unbeschädigt überstanden hatte. Sie forderten in der Kommandatura eine Sprengung dieses Denkmals deutschen Kriegsgeistes und fanden die Zustimmung sowohl der Sowjetrussen als auch der Engländer. Die Amerikaner zögerten, erklärten sich aber schließlich bereit, zuzustimmen – alle Kommandanturentscheidungen mußten ja einstimmig erfolgen -, wenn die Deutschen durch den Mund des neu zu wählenden demokratischen Magistrats ihrerseits keine Einwendungen erhoben. So kam die delikate Frage zu uns [in den Magistrat, AA]… Auch Ernst Reuter damals Verkehrsstadtrat – meinte, es sei nicht schade um die Siegessäule; sie sei wirklich nicht schön. Ich widersprach mit Heftigkeit; so häßlich sei das Denkmal nun auch wieder nicht, und Berlin sei arm genug an Erinnerungen, die die Stadt mit ihrer stolzen Vergangenheit verbänden. Vor allem hielt ich es für unmoralisch, von uns eine ausdrückliche Zustimmung zu einem Revancheakt der Siegermächte zu verlangen. …Mein Standpunkt wurde energisch von dem liberal-demokratischen Stadtrat Bruno Harms unterstützt… An der Siegessäule freuen sich noch heute die Berliner und zahllose auswärtige Besucher."
(Dieser Beitrag wurde am 18.5. aktualisiert.)
Siehe auch Das RKI im Nationalsozialismus.