Angst fressen Bildung auf – und führt nach rechts

Hier ein Beitrag für Liebhaber lin­ker Selbstverstümmelung.

Das MEZ (Marx Engels Zentrum Berlin) ist eine hoch zu loben­de Bildungsstätte für Menschen, die sich mit aktu­el­len Fragestellungen des Marxismus aus­ein­an­der­set­zen wol­len. Seit 2013 fan­den hier viel­fäl­ti­ge und oft­mals kon­tro­ver­se Veranstaltungen statt. Das hat­te ein jähes Ende mit Corona.

An einer Aussetzung der Veranstaltungen führ­te zunächst natür­lich kein Weg vor­bei. Ab dem 23.3. folg­ten dem nur noch pani­sche Publikationen in Sachen Corona. Bei der ersten konn­te man sehr gut ver­ste­hen, daß den Autor die Sorge um sei­ne fast 90-jäh­ri­ge Mutter umtrieb. Er schil­der­te nach­voll­zieh­bar, wie er sei­ne sozia­len Kontakte unter die­sem Gesichtspunkt bewußt ein­schränk­te. Zu gut ver­ständ­lich ist auch sei­ne Empörung über eine boden­los dum­me "Satire" des alter­na­ti­ven Portals Rubikon, für das der Autor oft Beiträge geschrie­ben hat­te. "Deshalb möch­te ich mor­gen von allen offi­zi­el­len Stellen welt­weit hören: Über 80-jäh­ri­ge mit drei Vorerkrankungen und fri­scher Lungenentzündung behan­deln wir nicht auf Intensivstationen, die schicken wir zum Sterben nach Hause, denn ster­ben müs­sen ja alle." hieß es da.

In einem Beitrag "Geld oder Leben" vom 1.4. setz­te er dann die in einem FAZ-Artikel erkann­te Strategie der Kapitalseite, mit schnel­len Lockerungen die Wirtschaft wie­der pro­fi­ta­bel zu machen, eins mit lin­ker Kritik an den Einschränkungen. Mit Verweis auf den ita­lie­ni­schen Philosophen Domenico Losurdo stell­te er fest, daß

»… Liberalismus und Anarchismus nur zwei Seiten einer Medaille sind. Gemeinsamer Feind ist der Staat. Wehren sich die einen gegen ver­ord­ne­te Einschränkungen ihrer Wirtschaftsfreiheit, d.h. der unge­hemm­ten Möglichkeit Geld zu machen, so stem­men sich anar­chi­sti­sche Libertäre gegen die staat­li­che Einschränkung, jetzt wei­ter unge­hin­dert alles tun oder las­sen zu können…

Die Debatte über die Aufhebung der Restriktionen wird mit Sicherheit bald wie­der auf­le­ben. Viel zu stark ist in die­sem Land das Kapital. Und das ent­schei­det sich bei der Frage „Geld oder Leben“ bekannt­lich für Geld. «

Das ist dünn und vor allem bar jeder Dialektik, ja letzt­lich absurd für einen Marxisten. Da wer­den die staat­li­chen Maßnahmen unein­ge­schränkt ver­tei­digt, weil sie nach Interpretation des Autors offen­bar nicht Klasseninteressen unter­lie­gen. Der Staat als Sachverwalter des Volksganzen ist schon eine sehr abstru­se Vorstellung. Wenn ein Rechts-Links-Schema hier ange­legt wer­den soll­te, dann ist die­se Position eher rechts.

Am 9.4. die übli­che Schelte für die "Hygiene-Demo" am Rosa-Luxemburg-Platz. Noch feh­len die Vorwürfe "alle rechts oder Aluhüte oder min­de­stens Antisemiten". Aber klar ist: "An den erlas­se­nen Kontaktbeschränkungen [führt] kein Weg vor­bei." Denn schließlich

»… berich­ten die Medien, dass im US-Bundesstaat Louisiana beson­ders vie­le Afroamerikaner vom Virus getö­tet wer­den, da sie Vorerkrankungen haben, deren Behandlung sie sich im US-Klassengesundheitssystems nicht lei­sten kön­nen. Und das ist nur der Anfang. Es wer­den welt­weit noch vie­le ster­ben, vor allem Arme.«

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß auch der Autor weiß: Es braucht kein beson­ders per­fi­des Virus, um die Menschen in den Slums ver­recken zu las­sen. Sie fin­den sich in einer aus­weg­lo­sen Situation. Ja, das Virus ver­schärft ihre Situation, noch mehr tut das aber die Empfehlung aus dem beque­men Home Office "Bleibt zu Hause, hal­tet Abstand". Diese Empfehlung ist für sie genau so untaug­lich wie für Millionen indi­scher WanderarbeiterInnen, für die Menschen in bra­si­lia­ni­sches Favelas und die über­gro­ße Mehrheit derer auf dem afri­ka­ni­schen Kontinent. Gewaltige Hungersnöte ent­ste­hen im Süden die­ser Welt, weil der Westen ein noch nicht ein­mal für ihn als sinn­voll bewie­se­nes Prinzip des Lockdowns dem Rest der Welt ver­ord­net. Die Kritik an den Maßnahmen hier­zu­lan­de kann (aber muß nicht) ein soli­da­ri­sches Potential ent­wickeln, wenn sie Verantwortung denkt über die eige­ne per­sön­li­che Gesundheit hin­aus. Ein Schweigen dage­gen, ja ein Mittragen, ist bei wohl­mei­nen­der Betrachtung als kurz­sich­tig und unpo­li­tisch, bei feh­len­dem Wohlwollen als reak­tio­när zu werten.

Am 10.4. folgt das Hohelied "Rückkehr des Staates – China lie­fert die 'Blaupause' für den Kampf gegen die Corona-Pandemie". Hier lesen wir die Hoffnung, daß sich auch das Bundesverfassungsgericht ein Beispiel an China neh­men und Klagen gegen die Beschränkungen zurück­wei­sen wer­de. Erfreulicherweise hat sich der Autor hier geirrt. Es folgt

»Die jetzt in der Bekämpfung der Pandemie sicht­bar wer­den­den Erfolge des Landes wer­fen ihr Licht auch auf ande­re, zuvor errun­ge­ne Siege: Mit der Ein-Kind-Politik gelang es China, eine demo­gra­fi­sche Katastrophe zu ver­hin­dern. Die geplan­te Politik der Armutsbekämpfung erlö­ste min­de­stens 400 Millionen Menschen aus bit­ter­ster Not. Die Lenkung der Ökonomie erlaub­te in der Finanzkrise 2007 bis 2009 die Auflage eines gigan­ti­schen Konjunkturprogramms, durch das erst die welt­wei­te Krise über­wun­den wer­den konn­te. Die rigo­ro­se Unterdrückung jeg­li­chen reli­giö­sen Extremismus, vor allem des Islamismus, ver­hin­der­te das Abgleiten gan­zer Provinzen in den Terrorismus…

Die Chance nutzen!

In der Coronakrise mel­det sich auch in Deutschland der Staat zurück. Er zeigt sich als Ordnungsmacht, der nicht allein nur dem Einzelnen Einschränkungen zum Schutze Aller auf­er­legt, son­dern vor allem tief in das Wirtschaftsleben ein­greift. Die kon­kre­te Anerkennung des Schutzes des Lebens erfor­dert das öffent­li­che Eingreifen und die öffent­li­che Kontrolle. Verlangt wird nicht weni­ger als die Duldung eines Handelns gegen die Logik der kapi­ta­li­sti­schen Ökonomie, denn nur so lässt sich mensch­li­ches Leben ret­ten.«

Auch hier wie­der der Wunderglaube an den über Klasseninteressen schwe­ben­den Staat. Als ob nicht schon damals über TUI- und Lufthansarettung und neue Abwrackprämien debat­tiert, die Notwendigkeit des Abschieds einer akti­ven Klimapolitik betont oder Beschäftigte im Gesundheitssystem mit Notstandsverordnungen drang­sa­liert wur­den. Als ob nicht damals schon Hilfen für "Entwicklungsländer" nicht zustan­de kamen, son­dern Mittel ledig­lich umge­schich­tet wur­den. Als ob in den Beratergremien der Bundesregierung nicht Pharma- und ande­re Konzerne säßen. Ja, der Staat hat "tief in das Wirtschaftsleben ein­ge­grif­fen". Wo er mit Billionen von Hilfen an Unternehmen "gegen die Logik der kapi­ta­li­sti­schen Ökonomie" gehan­delt haben soll, erklärt der Autor nicht.

Abschließend dann "Deutschlands Corona-Politik: „Nicht gut, nur weni­ger schlecht als in ande­ren Ländern." Da geht es gleich los mit "Mit der Forderung nach der Aufhebung des Versammlungsverbots tut sich die Linkspartei der­zeit kei­nen Gefallen." Um dann zur Sache zu kommen:

»Die nahe­zu unge­hin­der­te grenz­über­schrei­ten­de Mobilität ist nun ein­mal das Mantra des Neoliberalismus schlecht­hin. So hat die EU bekannt­lich den Anspruch, ihren Bürgern einen unbe­grenz­ten Binnenmarkt mit völ­li­ger Personenfreizügigkeit zu bie­ten. Diese Politik woll­te man lan­ge Zeit um nichts in der Welt auf­ge­ben. Lieber nahm man die Durchseuchung des Großteils der Bevölkerung in Kauf…

Erst als Virologen und Epidemiologen Alarm schlu­gen und erklär­ten, dass man damit bis zu Hunderttausende Tote in Kauf näh­me, war man zu einer Korrektur bereit. Jetzt wur­den plötz­lich Versammlungen jeg­li­cher Art unter­sagt, Bildungseinrichtungen geschlos­sen und Kontakteinschränkungen ein­ge­führt, die wir heu­te noch haben…

Wenn man aber genau­er hin­sieht, ist die­se Politik der bewuss­ten Durchseuchung der Bevölkerung in Deutschland bis heu­te nicht auf­ge­ge­ben wor­den. Die ergrif­fe­nen Maßnahmen die­nen ja ganz offi­zi­ell nur dazu, die Ansteckungszahlen nied­rig zu hal­ten, um das Gesundheitswesen nicht zu über­for­dern. Die Infektionen und damit auch das Sterben kön­nen daher – wenn auch auf nied­ri­gem Niveau – ruhig wei­ter­ge­hen. An einen Sieg über das Virus, wie er in China errun­gen wur­de, denkt hier nie­mand. Die Frage drängt sich daher auf: Wer ist der Barbar? China oder der Westen?

Demonstrationen und Versammlungen unter­sagt man gegen­wär­tig des­halb, weil es dabei not­wen­di­ger­wei­se zu unzäh­li­gen engen Kontakten zwi­schen Menschen kommt. Und sie begün­sti­gen nun ein­mal Ansteckungen extrem. Diese Gefahr besteht ja eben­so unter Zuschauern bei Sportveranstaltungen, Konzerten, Theateraufführungen, bei den Besuchern von Messen, Gottesdiensten usw. Auch die hat man ja alle des­halb unter­sagt. Das sind Einschränkungen, die aus­ge­spro­chen sinn­voll sind und die das Bundesinfektionsschutzgesetz im vor­lie­gen­den Fall einer Pandemie aus­drück­lich auch vor­sieht. Wer die­se Zusammenhänge nicht ver­steht oder ver­ste­hen will, der muss sich eben von der Polizei beleh­ren las­sen. Und das zu Recht, denn er gefähr­det die Gesundheit und das Leben unzäh­li­ger Menschen! Die Partei DIE LINKE soll­te sich daher nicht mit sol­chen Anarcho-Libertären gemein machen, die Woche um Woche auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz die Staatsgewalt mit soge­nann­ten „Hygiene-Demonstrationen“ her­aus­for­dern wol­len und dabei „Toilettenpapier für alle!“ rufen. Solcher Ulk ist nicht lustig, son­dern hoch­ge­fähr­lich! Und er ist auch alles ande­re als links, denn links ist zunächst und vor allem ein­mal, wer das Recht auf Leben verteidigt…

Es ist zu befürch­ten, dass jetzt aus­ge­rech­net jene von der Krise pro­fi­tie­ren, die – wie beschrie­ben – über Monate hin­weg sträf­lich ver­sagt haben und damit für die heu­ti­ge kata­stro­pha­le Situation ver­ant­wort­lich sind. Dies sind die Parteien der Bundesregierung und hier in erster Linie CDU und CSU. Ihnen wird jetzt ver­traut, da sie gegen­wär­tig eini­ges rich­tig machen, etwa rigi­de Maßnahmen zumin­dest zur Eindämmung der Pandemie ergrei­fen. Die kla­re Mehrheit der Menschen will jetzt in der Not einen star­ken und hand­lungs­fä­hi­gen Staat sehen. Die Partei DIE LINKE hat die­sen Menschen aber wenig anzu­bie­ten. Sie hat sich in wei­ten Teilen in eine Bürgerrechtspartei gewan­delt, die den Grünen nach­ei­fert. Sie ist ver­fan­gen in ihrer Ideologie von „No Border – No Nation“. Damit ist aber jetzt und wahr­schein­lich für lan­ge Zeit – im wahr­sten Sinne des Wortes – kein Staat zu machen. «

Damit ist der abso­lu­te Tiefpunkt erreicht. Der Ruf nach dem star­ken und hand­lungs­fä­hi­gen Staat in Zeiten der Wirren hat in den drei­ßi­ger Jahren den Faschismus her­vor­ge­bracht. Wer heu­te genau­so argu­men­tiert und zudem Antirassismus denun­ziert, spielt mit dem Feuer.

Folgerichtig ist, daß das Marx-Engels-Zentrum nun eine Veranstaltung anbie­tet zum Thema "Noch ein­mal davon­ge­kom­men? Über den Umgang mit der Corona-Krise in der Bundesrepublik Deutschland".

In der Einladung heißt es

»Aufgrund der bestehen­den Hygienebestimmungen kön­nen wir lei­der nicht mehr als 12 Teilnehmer zulassen.

Beachtet bit­te, dass im MEZ die Maskenpflicht gilt.«

Was unter ande­ren Umständen nicht zu bean­stan­den wäre, muß im Zusammenhang mit oben Erwähntem als öffent­li­cher Kotau gele­sen werden.

Es ist kein Zufall, daß das MEZ nicht für die gro­ße Aktion von #unteil­bar wirbt. Schließlich könn­te da gegen gehei­lig­te Regeln ver­sto­ßen werden.

Eine Antwort auf „Angst fressen Bildung auf – und führt nach rechts“

  1. Lese mich gera­de durch Ihren Blog und bin erleich­tert, dass es immer noch dif­fe­ren­zi­rert den­ken­de und schrei­ben­de Menschen gibt.
    Als ehe­ma­li­ge Grünen-Wählerin und ehe­ma­li­ge Kreisgeschäftsführerin eben­die­ser Partei war ich schon früh alar­miert, wie system­kon­form aus­ge­rech­net die "lin­ke" poli­tish­ce Landschaft daher kam.

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