Wären Christian Drosten und Jonas Schmidt-Chanasit nicht in den Medien so präsent, gäbe es wenige Gründe, sich mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin zu beschäftigen. Da Drosten aber seine Karriere dort startete und Schmidt-Chanasit heute Leiter der Virusdiagnostik des Instituts ist, lohnt ein Blick darauf dennoch.
Zu den wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten wird in anderen Beiträgen informiert. Hier soll ein kurzer Blick auf die Geschichte des Instituts und seine Kontinuitäten geworfen werden*. Anders als die Charité oder das RKI sieht die Forschungseinrichtung offenbar keinen Anlaß, sich mit ihrer Rolle in den Zeiten von Kolonialismus und Faschismus zu beschäftigen.
So spärlich sind die Auskünfte für die Jahre 1933–1945:
In dürren Worten wird erklärt, daß "mit dem Inkrafttreten des nationalsozialistischen Beamtengesetzes wertvolle Wissenschaftler das Institut verlassen" mußten. Nicht ein einziger der Vertriebenen wird namentlich erwähnt. Während das RKI (wenn auch ziemlich versteckt, vgl. dazu diesen Beitrag) darauf verweist, daß viele seiner Wissenschaftler das Naziregime unterstützten, fällt hier kein Wort zu diesem Thema.
Lediglich vermeldet wird die Übernahme der Institutsleitung durch Peter Mühlens. Wikipedia kann Entsetzliches zu dieser Figur beisteuern, die 10 Jahre lang das BNITM leitete:
Tödliche Experimente an psychisch Kranken und KZ-Häftlingen
»Auf Initiative Mühlens wurden, da dem Tropeninstitut mit Wegfall der Deutschen Kolonien 1918 wichtige Forschungsmöglichkeiten fehlten, neue synthetische Malariamittel an Hamburger Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus Langenhorn, die an Progressiver Paralyse, einem Spätstadium der Syphilis litten, erprobt. Zuerst wurde so 1926 Plasmochin von Bayer erprobt…, wobei neben Mühlens auch der Leiter der Psychiatrischen Heilanstalt in Düsseldorf-Grafenberg Franz Sioli eingespannt war. Dazu wurden auch ausgewählte Patienten im Rahmen der Malariatherapie mit Malaria infiziert. Man erhoffte sich heilende Wirkung durch das von der Malaria verursachte Fieber. An diesen infizierten Patienten konnten nun Mittel gegen die Malaria erprobt werden. Dieses Verfahren war risikoreich, da die Malaria-induzierten Fieberanfälle teilweise tödlich verliefen. Anfangs wurden Patienten und Angehörige noch informiert und ihr Einverständnis eingeholt, eine Praxis, die nach und nach bis ca. 1925 aufgegeben wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde unter Mühlens diese Praxis fortgeführt und ausgeweitet. So wurden auch andere Patienten aus dem psychiatrischen Krankenhaus Langenhorn mit Malaria infiziert und Versuche vorgenommen. Probleme für die Forscher des Tropeninstituts tauchten erst auf, als 1941 im Rahmen der Aktion T4 die von ihnen als „Versuchskaninchen“ missbrauchten Patienten vorzeitig umgebracht wurden.
Während des Kriegs wurde 1939 am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten [der damalige Name des BNMIT] auch eine Fleckfieberforschungsstation geschaffen. Diese richtete auf Initiative Mühlens eine Dependance im besetzten Warschau ein. Mitarbeiter des Instituts waren dort mitverantwortlich für die Errichtung des Warschauer Ghettos. Im November 1941 brach unter Zwangsarbeitern im Hamburger Hafen Fleckfieber aus. Daraufhin kehrte die Mehrzahl der Warschauer Mitarbeiter nach Hamburg zurück. Mühlens wurde in diesem Rahmen zum „Beauftragten des Reichsstatthalters (Karl Kaufmann) für Seuchenbekämpfung“ mit weitreichenden Vollmachten in Hamburg ernannt. Daraufhin wurde in Hamburg die Fleckfieberforschung intensiviert. Nachdem im Dezember 1941 auch im KZ Neuengamme eine Fleckfieberepidemie ausgebrochen war, beantragte Mühlens im Januar 1942 per Brief bei Heinrich Himmler, für Forschungen an Medikamenten gegen Fleckfieber Menschenversuche an Häftlingen in Neuengamme durchzuführen. Dem Antrag wurde stattgegeben und Mediziner des Tropeninstituts führten Versuche an Häftlingen in Neuengamme und später an Häftlingen, die nach Langenhorn verlegt worden waren, durch…
Die seit 1945 als „Peter-Mühlens-Weg“ in Hamburg-Langenhorn, unweit der ehemaligen „Landesirrenanstalt“ beziehungsweise des heutigen Betriebsteils Ochsenzoll des Klinikums Nord bestehende Straße wurde im Januar 1997 in „Agnes-Gierck-Weg“ umbenannt. «
All das ist dem BNITM keine Erwähnung wert. Wir erfahren dann:
»Die "kriegsrelevante Forschung", u.a. an Fleckfieber, macht einen Großteil der wissenschaftlichen Forschung dieser Jahre aus.«
Was sich menschenfreundlich anhören soll, ist die Verschleierung der jahrelangen Mitwirkung daran, die Reichswehr für ihre Raubzüge fit zu halten und damit Voraussetzungen zu schaffen für die millionenfache Vernichtung von Menschen in den eroberten Ländern und von Juden, wo immer man ihrer habhaft werden konnte.
Überzeugter Nazi Direktor bis 1963
Auch Mühlens Nachfolger Ernst-Georg Nauck wird lediglich erwähnt. Auch zu diesem Nazi findet sich Einiges bei Wikipedia:
»Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten unterzeichnete er im November 1933 das Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler. Nauck war von 1934 bis 1939 Mitglied der SA und schloss sich 1937 der NSDAP an. Zudem gehörte er dem NS-Lehrerbund und dem NS-Dozentenbund an.
Während des Zweiten Weltkriegs übernahm er im Rahmen der deutschen Besatzungspolitik ab 1940 zeitweise die kommissarische Leitung des Staatlichen Instituts für Hygiene in Warschau. Im Rahmen dieser Tätigkeit rechtfertigte er mit seuchenhygienischen Argumenten die zwangsweise Ghettoisierung der polnischen Juden. 1942/43 war Nauck als Beratender Hygieniker der Marine-Sanitätsinspektion in der Ukraine, auf der Krim und im Kaukasus tätig. Im Oktober 1943 wurde Nauck nach dem Tod von Peter Mühlens zum kommissarischen Direktor des Hamburger Tropeninstituts ernannt, 1944 übernahm er vertretungsweise auch die ordentliche Professur für Tropenmedizin an der Universität Hamburg.
Nachdem er im Oktober 1947 im Rahmen der Entnazifizierung als „entlastet“ eingestuft worden war, wurde Nauck im Dezember 1947 endgültig zum Leiter des Hamburger Tropeninstituts und zum Ordinarius für Tropenmedizin an der Hamburger Universität ernannt. 1953/54 war er Dekan der Medizinischen Fakultät Hamburg. 1958/58 wurde er zum Rektor der Hamburger Universität gewählt.«
Im Dezember 1936 referiert Nauck bei der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e.V. (DTG) zum Thema " „Rasse und Gesunderhaltung sowie Siedlungsfragen in den warmen Ländern“. Nach dem Krieg wird die Gesellschaft aufgelöst, Nauck wird 1950 Stellvertretender Schriftführer der Nachfolgeorganisation Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM), 1962 wird er ihr Ehrenmitlglied. Link
Wie Mühlens war auch Nauck Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Bis zu seiner Emeritierung 1963 blieb er Direktor des Instituts.
Konsequent ist es da, wenn 2005, dem Jahr der Verleihung des Bundesverdienstordens an Christian Drosten, Bundeswehr und das Bernhard-Nocht-Institut einen Vertrag über eine Zusammenarbeit in der ambulanten und klinischen Tropenmedizin unterzeichnen. Auch heute müssen deutsche Soldaten wieder fit gehalten werden.
Bernhard Nocht ohne jede Distanz zu Nazis
Der Namensgeber des Instituts wird nicht irgendwelcher Verbrechen verdächtigt. Eine Distanzierung vom NS-Regime gab es aber mitnichten. Neun Jahre nach der Säuberung des Instituts erhielt es von den Nazis 1942 seinen Namen. Vom Kongreß der oben genannten DTG 1940 wird berichtet:
»Bei der Feierstunde zum 40-jährigen Bestehen des Hamburger Tropeninstituts hält Mühlens die Begrüßungsansprache und Nocht die Festrede im Hörsaal des Tropeninstituts in Gegenwart der Prominenz aus der Regierungspartei, dem Heer, der Marine und Luftwaffe, der Wissenschaft und Wirtschaft und des lokalen Konsularkorps.
Unter Hinweis auf die wiederbesetzten ehemaligen deutschen „Schutzgebiete“ weist die Presse auf die überragenden deutschen Beiträge zur Tropenmedizin hin. Mühlens eröffnet den wissenschaftlichen Teil: „Unser erster Gedanke und Gruß zu Beginn … gilt dem Manne, dem heute alle deutschen Herzen in heißer Liebe entgegenschlagen, unserem Führer Adolf Hitler. Wir danken unserem Führer in dieser Stunde und grüßen ihn, den genialen siegreichen Feldherrn, den Wiederhersteller Groß-Deutschlands und den Wiederbringer unserer Kolonien. Unser Führer Adolf Hitler, Sieg Heil!“ Nocht hält ein Referat über Grundsätze der deutschen Eingeborenenhygiene, es folgen die Veteranen des kolonialärztlichen Dienstes in den früheren deutschen Schutzgebieten Weck (aus der Wissmann-Truppe in Deutsch-Ostafrika), Generalarzt Falb und Waldow (Kamerun), Rodenwaldt (Togo) und Werner (Deutsch-Südwest¬afrika). Weitere Kurzreferate halten Eckhart und Frégonneau (Deutsch-Ostafrika), Menk (Kamerun), Gminder und Zschucke (Guinea) und Sonnenschein (Deutsch-Südwestafrika).«
Die Deutsche Biographie vermeldet über Bernhard Nocht:
»Auch nach dem Verlust der deutschen Kolonien infolge des Versailler Vertrages, blieb N. ein Anhänger der Kolonialbewegung. 1922–25 war er Mitglied der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei, die über einen starken kolonialrevisionistischen Flügel verfügte. Im „Dritten Reich“ gehörte er dem Reichskolonialbund an.«
Historische Studie wird ignoriert
Erschwerend für den Umgang des Instituts mit seiner Geschichte ist die Tatsache, daß es seit 1994 eine Studie Das Hamburger Tropeninstitut 1919 bis 1945 gibt. Der Autor Stefan Wulf schreibt in seinem Vorwort:
»Die Leitung der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg beschloß im Jahre 1990, die Geschichte des Tropeninstituts von einem Historiker aufarbeiten zu lassen, nachdem es in der Öffentlichkeit wiederholt zu Vorwürfen gegen frühere Mitarbeiter des Instituts gekommen war, im "Dritten Reich" politisch und insbesondere medizinisch-ethisch unverantwortlich gehandelt zu haben. So ernst man diese Vorwürfe nahm, so sehr war man doch auch an einer ideologiefreien, d.h. vorurteilslosen Analyse der historischen Quellen interessiert. Im Oktober 1990 wurde ich mit dieser Aufgabe betraut, im November nahm ich meine Tätigkeit am Bernhard-Nocht-Institut auf…
Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, daß die Konzentration auf die politische Dimension der Institutsgeschichte während einer besonders problematischen Zeitspanne der deutschen Geschichte Respekt vor den wissenschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen der Hamburger Tropenmediziner keineswegs ausschließt.
Wenn jedoch medizinische Wissenschaft in den Dienst nationalistischer oder gar kriegshygienischer Zielsetzungen gestellt wird, als Prestigeobjekt im internationalen Kampf um (kultur)politische und damit ökonomische Einflußsphären im Ausland fungiert und sich nicht selten die Erfüllung individueller Karrierewünsche und bloßer Konkurrenzneid als Antriebsfedern ärztlichen Handelns erweisen, dann werden gern gebrauchte Termini wie "Dienst an der Menschheit" oder "im Dienste der Menschlichkeit" zur Farce. Dies um so mehr, wenn Mediziner nicht nur mit den Vertretern einer unmenschlichen Politik zusammenarbeiten, sondern selbst zu einem Teil dieser Politik werden. In Jubiläumsschriften, Laudationes und Nachrufen auf einzelne Wissenschaftler klingt diese Problematik in der Regel kaum oder gar nicht an. Mit diesem Schriftgut läßt sich historische Realität nur unzulänglich erfassen. Es ist – genaugenommen – verfälschend.«
Dem BNITM ist diese Untersuchung sehr wohl bekannt. Sie wird in einer Übersicht der "Publikationen über das Institut" aufgeführt*..
Dieser Beitrag und die folgenden, die sich mit der Geschichte des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin beschäftigen, stützen sich im wesentlichen auf diese historischen Ausarbeitungen:
Thomas Werther: Fleckfieberforschung im Deutschen Reich 1914 – 1945. Untersuchungen zur Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der IG Farben (Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg, 2004)
Friedrich Hansen: Geschichte der DTG. Vom Kolonialismus zur Geomedizin, o. J. u. O.
Jürgen Knobloch: Die hundertjährige Geschichte der DTG von 1907 bis 2007, Herausgegeben vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, Berlin, 2007
* Update Den Zeitstrahl gibt es (Stand 26.11.22) nach einem Relaunch nicht mehr. Auch nicht den Hinweis auf die Publikationen. Es heißt dort nunmehr lapidar:
»Im Nationalsozialismus wurden mehrere jüdische Mitarbeiter:innen von den Nazis gezwungen, das Institut zu verlassen. Belegt sind Medikamentenversuche an den Insassen der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn und die Erprobung neuer Heilverfahren an fleckfieberkranken Gefangenen im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg. In den Hamburger Bombennächten trug das Institutsgebäude schwere Schäden davon.
Kurz nach Kriegsende nahmen sich Bernhard Nocht und seine Ehefrau das Leben. In einem Abschiedsbrief an ihre Kinder schrieben sie, dass sie sich dem Wiederaufbau nicht gewachsen fühlten.«
bnitm.de
Zwar werden die Opfer korrekt gegendet, Täter gibt es aber offenbar nicht. Und schließlich wurde das Institut ja selbst schwer getroffen. Opfer sind wohl auch die Nochts.
Siehe auch:
Übelste Gestalten Träger der Bernhard-Nocht-Medaille (Teil 1)
Danke für die Arbeit, lieber Herr Aschmoneit. Ich werde Wochen brauchen, bis ich das verkraftet habe.