Wer auf der Seite des RKI stöbert, findet zunächst nur den kargen Satz
"Zwischen 1933 und 1945 war das Robert Koch-Institut als staatliche Forschungseinrichtung des öffentlichen Gesundheitswesens eng in die nationalsozialistische Gewaltpolitik eingebunden."
Wer sich weiter die Mühe macht, dort angegebenen Links zu folgen, erfährt Näheres:
Wie einige Bundesministerien hatte auch das Robert-Koch-Institut, nachdem alle Täter längst verstorben waren, 2006 den Auftrag erteilt, die Rolle des Instituts im Nationalsozialismus zu untersuchen. Aus diesem Anlaß wurde 66 Jahre nach dem Ende des Krieges ein "Erinnerungszeichen" vor dem Gebäude aufgestellt, das immerhin diesen Text trägt:
"Robert Koch-Institut
mit offenen Augen
man sieht nur, was man weiß
Zwischen 1933 und 1945 war das Robert Koch-Institut, das ehemalige Preußische Institut für Infektionskrankheiten, als staatliche Forschungseinrichtung des öffentlichen Gesundheitswesens eng in die nationalsozialistische Gewaltpolitik eingebunden.
Das Institut unterlag in dieser Zeit einem erheblichen personellen und organisatorischen Wandel. Seine Forschungs- und Beratungstätigkeit stellte es willfährig in den Dienst des NS-Regimes.
Im Frühjahr 1933 wurden sämtliche Mitarbeiter jüdischer Herkunft entlassen. Mindestens zwölf Wissenschaftler mussten ihre Forschungen am Institut einstellen.
Der Verlust des Arbeitsplatzes und die zunehmende Diskriminierung zwangen die meisten Entlassenen zur frühen Emigration. Die in Deutschland Verbliebenen überlebten die nationalsozialistische Verfolgung im Versteck oder im Konzentrationslager.
1935 wurde das Robert Koch-Institut dem Reichsgesundheitsamt unterstellt, 1942 in eine selbständige Reichsanstalt umgewandelt.
Bei der Neu- und Wiederbesetzung von vakanten Stellen fiel die Wahl vor allem auf überzeugte Nationalsozialisten.
Zahlreiche Wissenschaftler unterstützten die nationalsozialistische Eroberungspolitik und nutzten aktiv die Möglichkeiten zur schrankenlosen Forschung, die das NS-Regime ihnen bot.
Sie regten Menschenexperimente mit oftmals tödlichem Ausgang in Heilanstalten und Konzentrationslagern an und führten diese selbst durch. Mehrere hundert Menschen verloren bei diesen Versuchen ihr Leben. Nach Kriegsende wurden nur wenige Forscher für diese Verbrechen verurteilt."
Der damalige Präsident des RKI, fand bei der Einweihung deutliche Worte:
"Die Wahrheit ist zumutbar
Bei einer kritischen Rückschau zur Rolle des Robert Koch-Instituts in der NS-Zeit muss man feststellen: Es gab in der Vergangenheit keine Auseinandersetzung mit den Ereignissen während der NS-Zeit, jedenfalls keine echte kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Die Broschüre „100 Jahre Robert Koch-Institut“ im Jahre 1991 handelt in fünf oder sieben Zeilen die NS-Zeit ab – nicht mehr als eine Randnotiz! In der Festschrift zum 75jährigen Institutsjubiläum wurde Eugen Gildemeister erwähnt, auch Eugen Haagen wurde erwähnt, jedoch nur im Zusammenhang mit Antikörpertitern und der Charakterisierung von Seren oder Virusanzucht. Ihre Rolle in der NS-Zeit wurde übergangen. Wenn man die Wahrheit nicht ausspricht, dann wird ein Institut seiner Verantwortung nicht gerecht. Wir können die Ereignisse der Vergangenheit nicht ändern. Wir können uns ihr aber stellen. Wir haben die Verpflichtung, daraus zu lernen und auch daran zu erinnern…
Die Ergebnisse sind eindeutig. Sie zeigen, dass im RKI verbrecherische Menschenversuche durchgeführt wurden. Sie zeigen, dass viele Mitarbeiter dazu geschwiegen haben. Sie zeigen, dass jüdische Mitarbeiter aus dem Institut vertrieben wurden. Es war nicht das Werk einiger weniger Einzelner, die moralische Grenzen überschritten haben und gegen alle Gebote der Humanität verstießen…
Für das Übertreten humanistischer Grundsätze, für die Verletzung der Würde und der körperlichen Unversehrtheit des Menschen gab es und gibt es zu keiner Zeit der Welt eine Rechtfertigung. Dies gilt auch, wenn die Mehrheit oder politische Führung ein solches Verhalten toleriert oder gar fordert. Die wichtigste Lehre aus dieser Vergangenheit des RKI ist, dass jeder Einzelne Rückgrat beweisen muss. Diskriminierung und emotionale Verrohung, unmenschliches Vorgehen, Schutz von Tätern oder eine Unterscheidung in wertvolle und weniger wertvolle Menschen dürfen wir nie hinnehmen."(Link)
Die Süddeutsche Zeitung hatte damals gehofft:
"In der Festschrift zum 125. Geburtstag des RKI, im Jahr 2016, wird das bisher knappe Kapitel "Nationalsozialismus" wohl länger ausfallen."
Die Festschrift gab's nicht. Das Bundesgesundheitsministerium fand unter dem Titel "125 Jahre im Auftrag des Infektionsschutzes" kein einziges Wort zum Thema.
Da war der von der SZ zitierte Vorsitzende der Historiker-Kommission wohl realistischer:
"Das Institut habe so einer öffentlichen Debatte zuvorkommen wollen, vermutet Volker Hess."
Erfrischend offen wenigstens dies:
'Doch warum entschloss sich das Institut erst vor zwei Jahren dazu, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten? "Es war einfach nicht die Zeit. Nach dem Krieg waren viele Täter noch lange da, und andere Institutionen haben das auch nicht gemacht", sagt Pressesprecherin Susanne Glasmacher.'
Der rbb sah das RKI zum Jahrestag "Auf den Spuren der Mikroben" – auch hier kein Wort zum Thema.
Siehe auch 2013: RKI gibt sich für "nationale Revolution von 1933" her und Robert Koch – Vergessenes und unter den Tisch Gekehrtes.