Das Institut, das nach diesem Mann benannt ist, veröffentlicht auf seiner Internetseite eine Biographie des Forschers. Recht knapp geht es dort auf "das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn" ein.
Unter der Überschrift "Späte Jahre: Robert Koch auf Reisen" ist kurz zu lesen:
"1906 und 1907 wurde eine Kommission unter Kochs Leitung nach Ostafrika entsandt, um Therapiemöglichkeiten gegen die Schlafkrankheit auszuloten. Durch den Einsatz von Atoxyl, einer arsenhaltigen Arznei, konnte Koch anfangs Erfolge bei der Behandlung von Schlafkranken erzielen. Doch der Parasit, der die Infektion verursacht, ließ sich im Blut der Kranken nur für eine kurze Zeit zurückdrängen. Daraufhin verdoppelte Koch die Atoxyl-Dosis – obwohl er um die Risiken des Mittels wusste. Bei vielen Betroffenen kam es zu Schmerzen und Koliken, manche erblindeten sogar. Trotzdem blieb Koch vom prinzipiellen Nutzen des Atoxyls überzeugt. Seine letzte Forschungsreise war das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn."
Wikipedia ist da ausführlicher. Es knüpft an einen Vorfall an, der beim RKI als "Tuberkulin-Flop" beschrieben wird (s.u.):
'Die deutsche Öffentlichkeit reagierte seit dem Tuberkulin-Skandal auf Arzneimittelversuche am Menschen empfindlich… Deswegen wich Koch – wie auch zahlreiche Kollegen in der deutschen, britischen und französischen Tropenmedizin – auf die Kolonien aus, um Arzneimitteltests an Einheimischen ohne deren Einwilligung vorzunehmen. 1902 kamen alarmierende Meldungen aus Deutsch-Ostafrika, das von einer Schlafkrankheits-Epidemie bedroht zu sein schien. Tatsächlich gab es zumindest im deutschen Gebiet nur Einzelfälle, weswegen Koch, als er 1905 eintraf, schließlich auf die Sese-Inseln im Viktoria-See auf britischem Kolonialgebiet auswich. (Koch unterbrach den Aufenthalt, um im Dezember 1905 den Nobelpreis entgegenzunehmen.) Dort war die Krankheit endemisch: Innerhalb weniger Jahre waren 20.000 Menschen – zwei Drittel der Inselbevölkerung – daran gestorben.
Koch experimentierte mit verschiedenen Arsenpräparaten, wobei er sich auf Anregung von Paul Ehrlich besonders auf Atoxyl konzentrierte. Kurzfristig besserten sich die Symptome unter der Therapie, längerfristig gelang es ihm jedoch nicht, die Parasiten aus dem Blut zu beseitigen. Koch steigerte die Dosen bis auf 1 Gramm, gespritzt in Abständen von sieben bis zehn Tagen. Die Behandlung war sehr schmerzhaft und rief Schwindelgefühle, Übelkeit und Koliken hervor. Als schließlich sogar noch irreversible Erblindungen und auch Todesfälle auftraten, ging Koch mit der Dosis wieder zurück. Zahlreiche Patienten – die von den deutschen Ärzten auf britischem Kolonialgebiet nicht zwangsinterniert werden konnten – flohen vor der Behandlung.
In seinen Empfehlungen erwog Koch, ob man nicht die Bevölkerung ganzer verseuchter Bezirke zwangsumsiedeln könne, verwarf aber diese Maßnahme als unpraktikabel. Er schlug vor, in diesen Gegenden die Wälder abzuholzen, um den Überträger der Krankheit, die Tsetsefliege, zu bekämpfen. Weiter empfahl er, in verseuchten Orten Reihenuntersuchungen vorzunehmen, die Infizierten „herauszugreifen“ und in „Konzentrationslagern“ zu versammeln. Obwohl Atoxyl offensichtlich unwirksam und hochtoxisch war, hielt Koch an diesem Mittel fest. Dahinter stand das Konzept, ganze Populationen zu behandeln, obwohl der einzelne Kranke von der „Therapie“ nicht profitierte und schlimmstenfalls erblindete.
Nach der Abreise Kochs wurden drei Schlafkrankenlager mit über 1.200 Patienten eingerichtet. Heilerfolge gab es keine. An den veröffentlichten Statistiken fällt die extrem hohe Zahl in der Kategorie „Abgang“ auf – die Patienten hatten sich durch Flucht entzogen. In diesen Lagern wurden auch noch weitere Präparate wie Arsenophenylglycin und Arsphenamin, die aus dem Labor von Paul Ehrlich geliefert wurden, erprobt. Hierbei kam es zu weiteren Todesfällen. Nach einer Publikation in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift wurden solche Versuche vom Reichskolonialamt untersagt und nach 1911 wurden die meisten Lager und Stationen in Deutsch-Ostafrika aufgelöst. Die brutalen Methoden, mit denen Schlafkranke zur selben Zeit in Togo zwangsbehandelt wurden, gehen nicht auf Robert Koch zurück.'
Nun ist es unzulässig, heutige ethische Maßstäbe, die auch aus erweitertem Wissen herrühren, 1:1 auf die damalige Zeit anzuwenden.
Allerdings ist das Robert-Koch-Institut von heute an ihnen zu messen. Da spielt ebenso eine Rolle, was nicht der Erwähnung wert zu sein scheint wie der Stil der Mitteilung. Das eingestandenermaßen dunkelste Kapitel wird überschrieben mit "Robert Koch auf Reisen", ganz so wie eine Goethesche Kulturreise durch Italien. Er "wurde nach Ostafrika entsandt". Hört sich an wie Entwicklungshilfe, nur daß es sich hier um Deutsch-Ostafrika handelt.
Dies war die größte Kolonie des Kaiserreichs, doppelt so groß wie das Reich selbst. Während Koch sich wegen nicht ausreichenden Forschungsmaterials in das britische Kolonialgebiet bewegte, führte die kaiserliche Armee einen erbarmungslosen Krieg gegen die aufständische Bevölkerung, in dem hunderttausende AfrikanerInnen ermordet wurden. Mit einer Strategie der "verbrannten Erde" wurde eine verheerende Hungerkatastrophe ausgelöst. (s. dazu Wikipedia) Hier geht es wohlgemerkt noch nicht einmal um den Völkermord in Deutsch-Südwestafrika, der inzwischen offiziell als solcher anerkannt wurde.
Von all dem will das RKI heute nichts wissen. Ebenso wenig erfahren wir, was Wikipedia weiß:
"Koch bekleidete den Rang eines preußischen Generals à la suite ["ohne dienstliche Stellung"], die meisten seiner Mitarbeiter kamen aus dem Militärsanitätsdienst, er selbst unterrichtete an der Militärärztlichen Akademie. Dank seiner vorzüglichen Kontakte konnte er das preußische Militär als institutionellen Partner für eine Typhus-Kampagne gewinnen…
Um die Seuchengesetze anzuwenden, wurde ebenfalls 1900 der Reichsgesundheitsrat eingerichtet. Er war mit zahlreichen ehemaligen Koch-Schülern besetzt, die den spezifischen Denkstil der „Koch-Schule“ mitbrachten, wonach gesunde Infizierte als verdächtig galten. An den Mitgliedern des Reichsgesundheitsrats lässt sich am besten ablesen, wie sich ein Netzwerk von Bakteriologen in Hygiene- und Forschungsinstituten, der staatlichen Gesundheitsverwaltung und dem Militärsanitätsdienst ausgebildet hatte. "
Koch selbst hielt sein Vorgehen in Afrika keineswegs für fragwürdig. In einem Brief schreibt er am 12.12.1907:
"Hochgeehrter Herr Professor! [Wilhelm Kolle]Sie und Ihre Frau Gemahlin waren so liebenswürdig mir zur Rückkehr aus Afrika und zu meinem Geburtstage Glückwünsche zu senden. Es war dies für mich eine besondere Freude und ich erlaube mir Ihnen meinen herzlichsten Dank dafür auszusprechen.Der Aufenthalt in Afrika hat mir recht wohl gethan, aber durch das gleichmäßig milde Klima des Viktoria-Nyanza sehr verwöhnt kann ich mich noch nicht recht wieder an das nordische Klima gewöhnen. Wir haben deswegen beschlossen schon in den nächsten Tagen einen der vielgerühmten Winterkurorte der Schweiz zu besuchen und wollen nach Caux am Genfer See gehen."
"Tuberkulin-Skandal
Zu Kochs Zeiten starb etwa jeder siebte Deutsche an Tuberkulose. Die Öffentlichkeit hatte auch deswegen euphorisch auf die Entdeckung des Erregers reagiert, weil sie damit die Hoffnung auf ein Heilmittel verband…
Auf dem „Zehnten Internationalen Medizinischen Kongress“ 1890 in Berlin… stellte Koch plötzlich ein Heilmittel vor, das er Tuberkulin nannte. Die Zusammensetzung hielt er geheim, was nachvollziehbar ist, weil es damals nicht üblich war, Arzneimittel zu patentieren (Antipyrin war die einzige Ausnahme). Die Öffentlichkeit musste auf den großen Namen vertrauen und reagierte enthusiastisch. Koch wurde das Großkreuz des Roten Adlerordens verliehen…
Koch versuchte, aus seiner Entdeckung kommerziellen Gewinn zu schlagen, was ihm übelgenommen wurde, da er mit staatlichen Mitteln an einem staatlichen Institut geforscht hatte. Vom Kultusministerium forderte er ein eigenes Institut ausschließlich zur Produktion von Tuberkulin und veranschlagte den jährlich zu erwartenden Gewinn auf 4,5 Millionen Mark. Auch deutete er an, dass ihm bereits Angebote aus den USA vorlägen.
Regeln für Arzneimittelversuche existierten damals noch nicht. Nach Angaben von Koch hatte er das Medikament an Tieren erprobt; allerdings konnte er später die angeblich geheilten Meerschweinchen nicht vorweisen. Dass Menschen viel empfindlicher mit Fieber, Gelenkschmerzen und Übelkeit auf Tuberkulin reagierten als seine Versuchstiere, beunruhigte ihn nicht…
Nachdem Tuberkulin auf dem Markt war, häuften sich in der Fach- und Publikumspresse zunächst Berichte über Heilerfolge, dann folgten erste Meldungen von Todesfällen. Sie wurden noch nicht allzu ernst genommen, weil die Ärzte immerhin mit schwerkranken Patienten experimentierten. Rudolf Virchow gelang es jedoch, bei der Obduktion von Leichen nachzuweisen, dass Tuberkulin die Bakterien nicht abtötete und latent vorhandene Bakterien sogar aktivierte. Robert Koch sah sich gezwungen, die Zusammensetzung seines Geheimmittels aufzudecken, wobei sich herausstellte, dass er selbst nicht genau wusste, was es enthielt. Es handelte sich um einen Extrakt aus Tuberkelbazillen in Glycerin, auch konnten tote Tuberkelbazillen nachgewiesen werden.
Koch ließ sich vom preußischen Kultusminister beurlauben und fuhr nach Ägypten, was ihm als Flucht vor der deutschen Öffentlichkeit ausgelegt wurde. Im Preußischen Abgeordnetenhaus fand im Mai 1891 eine erregte Debatte statt. Koch blieb weiterhin vom Wert seines Heilmittels überzeugt und präsentierte 1897 ein abgewandeltes Tuberkulin, das als Therapeutikum aber ebenfalls wertlos war. Dies und zahlreiche andere Indizien weisen darauf hin, dass Koch nicht einen „Tuberkulinschwindel“ begehen wollte, wie ihm damals häufig vorgeworfen wurde, sondern er sich selbst getäuscht hatte." (Wikipedia, s. Link oben)
Und wieder ein Beweis dafür, dass sich schlimme Ereignisse in der Geschichte fast identisch wiederholen können, wenn die Menschen nicht in der Lage sind, dramatische Fehler oder Täuschungen aufzudecken, einzugestehen, zu dokumentieren und aus ihnen zu lernen!