"Umfrage bei Gesundheitsämtern – Fünf Kontaktpersonen pro Corona-Infiziertem" überschreibt tagesschau.de einen Beitrag am 23.9., der passenderweise so verlinkt ist: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/gesundheitsaemter-kontaktpersonen-101.html.
Entgegen der präzise klingenden Aussage wimmelt es in dem Text von Widersprüchen und Fehlern.
»Der August war für die Gesundheitsämter wieder ein anstrengender Monat. Rund 34.000 Menschen wurden auf das neue Coronavirus getestet, mehr als doppelt so viele wie im Juli.«
Das ist falsch. Gemeint sind die positiv Getesteten, die Zahl der Tests lag bei fast 400.000.
»Wie viele [solche] Kontaktpersonen jeder Infizierte in Deutschland im Durchschnitt hat, ist bisher nicht offiziell bekannt, ebenso wenig, wie gut es den Gesundheitsämtern gelingt, diese Kontaktpersonen überhaupt ausfindig zu machen. Das RKI teilt auf Anfrage mit, dass es zu diesen Fragen keine Erkenntnisse habe und auch keine Daten vorlägen.«
Das wundert kaum angesichts dieser Definition:
Grob gesagt "Kontaktpersonen Kategorie 1"
»Enge Kontaktpersonen sind nach den Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI) grob gesagt alle, die einem Infizierten, in den Tagen, in denen er ansteckend ist, 15 Minuten lang näher als 1,5 Meter gekommen sind. Diese so genannten "Kontaktpersonen Kategorie 1" werden von den Gesundheitsämtern vorsorglich in Quarantäne geschickt, weil sie bereits infiziert sein könnten, auch ohne Anzeichen einer Erkrankung.«
Wenn das RKI keine Ahnung hat, müssen die Investigativ-JournalistInnen ran.
»WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) haben deshalb alle 380 Gesundheitsämter in Deutschland gefragt und von 152 Ämtern detaillierte Angaben erhalten. Demnach hatte im August ein Corona-Infizierter im Durchschnitt 4,9 enge Kontaktpersonen. Allerdings unterscheiden sich die Zahlen von Bundesland zu Bundesland erheblich: Während Sachsen im Schnitt 9,8 Kontaktpersonen pro Infiziertem ermittelt hat, liegt der Wert in Baden-Württemberg bei 3,6, in Bayern gar bei 1,7.«
Es liegen für die kühne Behauptung in der Überschrift damit von weniger als der Hälfte der Gesundheitsämter Daten vor. Überraschenderweise liegen die Bundesländer mit den meisten Fällen bei den Kontaktpersonen auf den letzten Plätzen.
Nicht nur Zahlen immer wirrer – Ausländer sind keine Personen
»Noch größere Unterschiede findet man auf Landkreisebene: So hat das Gesundheitsamt des Landkreises Leipzig im August bei jedem Infizierten 25 enge Kontaktpersonen ermittelt und in Quarantäne geschickt, das Gesundheitsamt in Berlin-Charlottenburg bei jedem Infizierten zwischen 10 und 80 Kontaktpersonen, in Tübingen waren es hingegen nur 1,7 Kontaktpersonen pro Infiziertem.
Eine Erklärung für die niedrige Zahl hat der Vize-Chef des Gesundheitsamtes in Tübingen, Oliver Piehl, nicht. Ihm komme die Zahl auch niedrig vor, sagt Piehl auf Anfrage, vielleicht liege es an den Urlaubsrückkehrern im August. Denn wenn Menschen frisch infiziert aus dem Ausland kommen, kontaktieren die Gesundheitsämter in der Regel nur Kontaktpersonen in Deutschland.«
Das ist zwar ungesetzlich, aber für die gute Sache kann man schon mal fünfe gerade sein lassen:
»Begegnungen im Ausland, sagt Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, müssten Behörden zwar an das RKI melden. Doch wie oft dies tatsächlich geschehen ist und wie häufig das RKI dann Behörden im Ausland kontaktiert hat, dazu erhebe man keine Daten, teilt das Institut auf Anfrage mit.«
Angela Merkel und Superman nicht auffindbar – trotzdem 99% Erfolg
»Teichert sagt, ähnlich wie bei den Gästelisten der Bars und Restaurants komme es auch bei den Aussteigerkarten der Flugzeuge immer wieder vor, dass die Leute statt ihres Namens "Angela Merkel" oder "Superman" vermerken: "Vor allem bei Flugreisenden ist das frustrierend", sagt Teichert. Schließlich führen falsche Angaben dazu, dass die Gesundheitsämter viel Zeit verlieren bei der Recherche der echten Kontaktadressen.«
Diese Missetaten müssen sämtlich in den 228 Gesundheitsämtern vorgekommen sein, die nicht geantwortet hatten. Denn:
»84,5 Prozent der Gesundheitsämter gaben in ihren Antworten an, dass es ihnen gelungen sei, zu allen Kontaktpersonen Kontakt aufzunehmen. Weitere 14,9 Prozent gaben an, zu "fast allen" Kontakt aufgenommen zu haben. Demnach haben die Gesundheitsämter fast 99 Prozent der Kontaktpersonen ganz oder fast ganz nachverfolgen können. Das ist, verglichen mit anderen Ländern, ein extrem hoher Wert.«
Von den teilnehmenden Ämtern wird damit der Zollernalbkreis der Schuldige sein. Er geht pragmatisch vor:
»Im Zollernalbkreis im Schwarzwald hat das Gesundheitsamt unter den 95 Infizierten im August bei 68 überhaupt keine engen Kontaktpersonen registriert. Amtsleiter Günter Gießler sagt, dass das auch daran liegen könne, "dass wir in der Provinz mehr Flächen und weniger Verdichtungsräume haben als in der Großstadt". Es gebe viele ältere Menschen, die allein leben, oder Familien, die sich gegenseitig infizieren und dann auch keine weiteren Kontaktpersonen haben. "Wir fragen die Menschen entsprechend den Kriterien des RKI, aber wenn die sagen, wir haben keine Kontaktpersonen, dann müssen wir das am Ende auch glauben."«
Bayern mauert
Dort hatten "nur 2,5 Prozent, das heißt, nur zwei Gesundheitsämter" auf die Anfrage geantwortet.
»Mehrere bayerische Ämter hatten dagegen mitgeteilt, die Anfrage würde zentral vom Gesundheitsministerium in München beantwortet. Doch das weigerte sich auch auf Nachfrage, entsprechende Daten zur Verfügung zu stellen. Dabei ist Bayern das Bundesland, das derzeit wieder am meisten von den Corona-Neuinfektionen betroffen ist. Von den zehn Kreisen, die deutschlandweit die meisten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner verzeichnen, liegen vier in Bayern.
Bayern: "Kein Maulkorberlass"
Doch das dortige Gesundheitsministerium mauert schon seit Monaten mit Auskünften zu den Gesundheitsämtern. So ging bereits am 30. März nach Informationen von WDR, NDR und SZ ein Maulkorberlass an die dortigen Gesundheitsämter. In einem Schreiben aus dem Ministerium wies das Referat 53 die Ämter an, auf Presseanfragen nicht zu antworten, "da diese Umfragen nicht mit uns abgestimmt sind".
Auf Anfrage teilte Ministeriumssprecher Thomas Körbel nun mit: "Einen Maulkorberlass gibt und gab es nicht. Selbstverständlich können die Gesundheitsämter Presseanfragen in eigener Zuständigkeit beantworten." Das Ministerium bemühe sich "jedoch wo immer möglich um Entlastung"…
Bis auf Weiteres bleibt Bayern, was die Arbeit der dortigen Gesundheitsämter angeht, jedoch eine Black Box. So ist weder klar, wie viele Kontaktpersonen die Ämter dort pro Infiziertem ermitteln, noch, wie gut sie es schaffen, diese Personen auch tatsächlich zu kontaktieren und in Quarantäne zu schicken. Die beiden Ämter, die aus Bayern geantwortet hatten, Neu-Ulm und Berchtesgadener Land, haben mit durchschnittlich 1,6 jedenfalls eine erstaunlich niedrige Anzahl von Kontaktpersonen pro Infiziertem.«
(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)