Offensichtlich hilft es, eine Korrespondentin vor Ort zu haben und sie auch berichten zu lassen. In der jungen Welt vom 10.6. führt das zu einer erstaunlich differenzierten Betrachtung. Da es hier sehr oft Kritik an der Corona-Haltung dieser Zeitung gab, sei der Bericht hier vollständig gezeigt:
"Kontroverse zu »schwedischer Linie«
Von Gabriel Kuhn, StockholmInternational scheiden sich die Geister am schwedischen Sonderweg im Umgang mit der Coronapandemie. Einen Lockdown gab es im Land nie. Verboten waren lediglich Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen und Besuche in Altersheimen. Ansonsten wurde darauf gesetzt, die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus mit Hilfe von Empfehlungen einzugrenzen: Hände waschen, Abstand halten und bei Symptomen zu Hause bleiben.
Während die »schwedische Linie« im Ausland entweder als verantwortungslos oder aber als mutig angesehen wurde, fand sie im Land selbst lange Unterstützung. Doch langsam ändert sich das. Schuld daran ist die hohe Zahl an Todesfällen: Laut dem Statistikportal Statista liegt die Rate bei 460,96 pro einer Million Einwohner. Damit befindet sich Schweden im internationalen Vergleich weit vorn, nur in Belgien, dem Vereinigten Königreich, Spanien und Italien starben prozentual mehr Menschen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. Bedeutender ist jedoch der Vergleich mit den nordischen Nachbarländern: Laut Berechnungen der Johns-Hopkins-Universität waren in Dänemark, Norwegen und Finnland bis zum Dienstag zusammen 1.155 Todesfälle zu verzeichnen. Schweden hingegen zählte 4.694 Covid-19-Tote.
Angesichts dieser Zahlen gestand der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell in der vergangenen Woche in einem vielbeachteten Radiointerview Fehler in der eingeschlagenen Coronastrategie ein. So erklärte er, dass man nach heutigem Wissensstand eine Linie hätte wählen sollen, die »zwischen dem liegt, was wir taten, und was der Rest der Welt tat«. Die schwedischen Behörden waren früh davon ausgegangen, dass die Verbreitung von SARS-CoV‑2 nicht aufzuhalten sei. Zwei Ziele wurden formuliert: Die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, sowie Risikogruppen zu schützen, insbesondere Menschen über 70 Jahren. Ersteres gelang, letzteres nicht.
Mehr als die Hälfte der in Schweden an Covid-19 verstorbenen Menschen waren Bewohner von Altersheimen. Ob das allein auf den fehlenden Lockdown zurückzuführen ist, ist fraglich. Im Zentrum der Kritik steht das nahezu vollständig privatisierte Pflegesystem. Arbeitskräfte werden oft von Leiharbeitsfirmen vermittelt, was zu einer starken Rotation des Personals und fehlenden Routinen führt. Bezahlten Krankenstand gibt es für die wenigsten. Außerdem mangelt es an Schutzausrüstung. Die Regierung aus Sozialdemokraten (SAP) und Grünen schweigt sich darüber aus. Schließlich war es die SAP, die in den 1990er Jahren die Privatisierungen einleitete.
Ein weiteres Problem ist, dass früh aufgehört wurde, zu testen und Infektionsketten nachzuverfolgen. Bis heute ist es nahezu unmöglich, ohne starke Symptome auf das Coronavirus getestet zu werden. Das gilt sogar für Pflegepersonal. Dabei lagen die Behörden mit ihren Einschätzungen zur Verbreitung des Virus falsch. Im März war noch davon gesprochen worden, dass bald die Hälfte der Bevölkerung immun sein könnte. Die jüngsten Antikörpertests lassen jedoch selbst in Stockholm, das am stärksten von der Epidemie betroffen ist, auf einen Anteil immuner Personen von höchstens 20 Prozent schließen.
Das hat auch Auswirkungen auf die Politik. Am Wochenende forderte Jimmie Åkesson, Vorsitzender der ultrarechten Schwedendemokraten, Tegnell zum Rücktritt auf. In einer TV-Debatte der Parlamentsparteien am Sonntag abend wurde zudem die Regierung hart kritisiert. Zugute halten kann man ihr, dass Schweden weniger mit sozialen und politischen Auswirkungen zu kämpfen hat als die von Lockdowns betroffenen Länder. Polizeistaatliche Maßnahmen, Denunziantentum oder die Folgen mehrwöchiger Schulschließungen sind kein Thema. Auch ökonomisch stellt sich die Lage weniger dramatisch dar als in anderen Ländern. Zwar wurde die auf globale Produktionsketten angewiesene und exportorientierte Industrie hart getroffen, doch die meisten Kleinbetriebe – etwa die oft von Migranten geführten Kioske und Imbisse – konnten sich über Wasser halten. Es wird allerdings noch Monate, vielleicht Jahre, dauern, bis die »schwedische Linie« abschließend bewertet werden kann.«
Ein weiteres, positives Beispiel, das aber in diesem Zusammenhang in den Medien gern weggelassen wird: Japan!
Deren "Maßnahmen" und Erfolge sind vergleichbar mit Schweden.