»Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart übt deutliche Kritik an den neuen strengen Demonstrationsregeln in Sachsen. Pauschale Begrenzungen der Teilnehmerzahl seien schwer in Einklang zu bringen mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit.«
Und zwar heute auf welt.de (Bezahlschranke).
»Nach der „Querdenken“-Demo in Leipzig hat Sachsen die Regeln für Kundgebungen verschärft: Künftig dürfen nur noch maximal 1000 Menschen gemeinsam demonstrieren. Ausnahmen sind nur im Einzelfall möglich. Der Leipziger Jurist Christoph Degenhart erklärt die Rechts- und Problemlage. Er war lange Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig, Richter am Sächsischen Verfassungsgerichtshof und mehrmals Prozessvertreter in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof.
WELT: Halten Sie den Eingriff in die Versammlungsfreiheit für rechtmäßig, Herr Degenhart?
Christoph Degenhart: Ich denke, das funktioniert so nicht. Die 1000er-Regel soll offensichtlich, so jedenfalls die Vorstellung des Verordnungsgebers, gewissermaßen die Beweislast umkehren. An sich muss die Behörde begründen, warum sie eine bestimmte Demo mit Auflagen versieht. Künftig soll es an den Teilnehmern liegen, darzulegen, warum sie auch mit mehr als 1000 Personen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Dabei besteht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Versammlungen können nur dann untersagt oder mit Auflagen versehen werden, wenn konkrete Tatsachen die Annahme zulassen, dass es zu Störungen kommen könnte.
WELT: Diese pauschale Umkehr der Beweislast halten Sie also für bedenklich?
Degenhart: Ja. Es muss immer im Einzelfall zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und den zu erwartenden Störungen abgewogen werden. Wenn Erfahrungen zeigen, dass bestimmte Gruppen sich nicht an Auflagen halten, kann man Demos dieser Gruppen auch präventiv begrenzen. Aber pauschal geht das nicht…
WELT: Sind Begrenzungen der Demos auch erforderlich, um das Ziel der Infektionseindämmung zu erreichen?
Degenhart: Es gibt natürlich mildere Mittel als ein Demoverbot. Erst muss mit Hygieneauflagen gearbeitet werden. Wenn diese nicht eingehalten werden, kann es Teilnehmerbegrenzungen geben. Und erst wenn das auch nicht funktioniert, ist ein Verbot gerechtfertigt.
WELT: Und was ist mit dem Gebot der Angemessenheit?
Degenhart: Das zu erfüllen, ist am schwersten. Es muss immer abgewogen werden, ob der Schutz der Bevölkerung die Begrenzung des Versammlungsrechts rechtfertigt. Hierbei müssen überall dieselben Maßstäbe angewendet werden. Ich stelle die Tendenz fest, die „Querdenker“ nicht nur als Chaoten darzustellen, sondern ihnen auch das Recht zur Meinungsäußerung abzusprechen. Das ist problematisch. Denn inhaltlich darf das nicht bewertet werden. Es darf nicht gesagt werden: Eine Kundgebung der Fridays-for-Future- Schüler lassen wir zu, weil das eine gute Sache ist. Aber die Kundgebung der „Querdenker“ lassen wir nicht zu, weil die eine unsinnige Auffassung vertreten. Das tun sie zwar, aber das zu bewerten, ist nicht Sache des Staates.
WELT: Wo sehen Sie die Tendenz?
Degenhart: In der politischen Diskussion. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will die „Querdenker“ vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Auch in den Reaktionen auf die Ereignisse in Leipzig kommt die Ablehnung zu Ausdruck. Davor muss man sich aber hüten: bei der Einschätzung der Demos eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen.
WELT: Muss bei der Einschätzung der Demos berücksichtigt werden, dass es derzeit eine Reihe von grundrechtseinschränkenden Maßnahmen gibt? Muss das Versammlungsrecht besonders hochgehalten werden?
Degenhart: Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat in der aktuellen Situation eine besonders hohe Bedeutung. Weil die staatliche Exekutive derzeit ungeheure Machtbefugnisse in Anspruch nimmt, ist es umso wichtiger, einen Gegenpol zuzulassen…
WELT: Da gibt es aus Mecklenburg-Vorpommern einen schönen Fall. Das Verwaltungsgericht Greifswald hat die Einreise von Demonstranten aus anderen Bundesländern untersagt. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat die Teilnahme erlaubt. Muss die Gesellschaft diese Widersprüchlichkeit einfach aushalten?
Degenhart: Die Entscheidung aus Greifswald halte ich offen gesagt für falsch. Bei der Bewertung der Frage, ob eine Demonstration als Virenbeschleuniger gilt, ist es völlig egal, ob da nun ein Sachse oder ein Schwabe daran teilnimmt. Die Grundrechte gelten für alle. Die Tendenzen, Ländergrenzen zu errichten, halte ich ohnehin für problematisch.
WELT: In den vergangenen Wochen haben Politiker die Gerichte mehrmals kritisiert, weil Maßnahmen kassiert wurden. Ist es in einem Rechtsstaat in Ordnung, wenn die Exekutive die Judikative derart attackiert?
Degenhart: In einer Demokratie müssen sich auch Gerichte der Kritik stellen. Auch die anderen Staatsorgane haben das Recht, sich mit gerichtlichen Entscheidungen auseinanderzusetzen. Problematisch ist es in der Tat, wenn ein Ministerpräsident oder auch ein Innenminister die Entscheidung zu einem ganz konkreten Fall kritisiert. Hier sollte sich die Exekutive zurückhalten.«
(Hervorhebungen nicht imOriginal.)
„Es darf nicht gesagt werden: Eine Kundgebung der Fridays-for-Future- Schüler lassen wir zu, weil das eine gute Sache ist. Aber die Kundgebung der „Querdenker“ lassen wir nicht zu, weil die eine unsinnige Auffassung vertreten. Das tun sie zwar, aber das zu bewerten, ist nicht Sache des Staates."
Was soll dieser letzte Satz?? Das zu bewerten ist auch nicht Sache eines Staatsrechtlers. Besonders nicht ohne diese Aussage zu begründen und somit die eigene Kritik wieder abzuschwächen und im Grunde doch nur wieder Meinungsmache "Querdenker" zu betreiben…
die Kundgebung der „Querdenker“ lassen wir nicht zu, weil die eine unsinnige Auffassung vertreten. Das tun sie zwar
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Und diesem Mann muß man auch noch dankbar sein, daß er hier was verteidigt?
Böse Zeiten…