"Welt"-Kommentar bedankt sich bei Nena

"Nena – und der wah­re Skan­dal" ist am 26.3. (Bezahl­schran­ke) ein Kom­men­tar des Feuil­le­ton-Chefs der "Welt" über­schrie­ben. Zu lesen ist:

»Halb Deutsch­land redet über zwei Wor­te, mit denen Nena ihre Sym­pa­thie für Coro­na-Pro­tes­te bekun­de­te: „Dan­ke Kas­sel“. Die Auf­re­gung ver­deckt den eigent­li­chen Skan­dal: die Gering­schät­zung der Demons­tra­ti­ons­frei­heit. Dabei spie­len Poli­tik und Medi­en eine unrühm­li­che Rolle.

In Deutsch­land hat sich ein neu­es Ritu­al her­aus­ge­bil­det. Immer dann, wenn irgend­wo eine Demons­tra­ti­on gegen die Coro­na-Poli­tik statt­fin­det, tei­len Jour­na­lis­ten und Poli­ti­ker in den sozia­len Netz­wer­ken Video­schnip­sel, auf denen tan­zen­de, trom­meln­de oder in Grup­pen durch­ein­an­der­lau­fen­de Men­schen zu sehen sind – ver­se­hen mit Kom­men­ta­ren des Abscheus und des Entsetzens.

Der Abscheu zielt meis­tens dar­auf, dass es über­haupt noch Unbe­lehr­ba­re gibt, die gegen jene Maß­nah­men pro­tes­tie­ren, an die sich doch alle ande­ren hal­ten – zumin­dest offi­zi­ell. Das Ent­set­zen hin­ge­gen ent­zün­det sich dar­an, dass die Demons­tran­ten kei­ne Mas­ken tra­gen – oder, wie es ger­ne im unper­sön­li­chen Stil eines Poli­zei­be­richts heißt, Abstän­de nicht ein­ge­hal­ten werden…

Nena hat Sym­pa­thie mit einer Demons­tra­ti­on bekun­det. In einer Demo­kra­tie ist das kein Skan­dal: Das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ist in Arti­kel 5 GG fest­ge­schrie­ben, das auf Ver­samm­lungs­frei­heit in Arti­kel 8.

Den­noch fraß sich die Nach­richt sofort ein­mal quer durch die deut­schen Online-Medi­en. „Nena soli­da­ri­siert sich mit Quer­den­kern“, titelt der „Spie­gel“. „Hat Nena ein Herz für Coro­na-Leug­ner?“, fragt die „FAZ“. Uni­so­no heißt es über­all, aus der Agen­tur­mel­dung über­nom­men, Nena habe schon „im ver­gan­ge­nen Okto­ber mit einem rät­sel­haf­ten Post auf Insta­gram kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen über mög­li­che Ver­schwö­rungs­theo­rien ausgelöst“.

Man­che Arti­kel machen sich immer­hin die Mühe, die­sen „rät­sel­haf­ten“ Post aus dem Okto­ber 2020 zu zitie­ren. Er lau­tet so: „Ich habe mei­nen gesun­den Men­schen­ver­stand, der die Infor­ma­tio­nen und die Panik­ma­che, die von außen auf uns ein­strö­men, in alle Ein­zel­tei­le zer­legt. So ist es mir mög­lich, mich nicht hyp­no­ti­siert von Angst in die Dun­kel­heit zie­hen zu lassen.“…

Nena aber, das steht zwi­schen den Zei­len der sug­ges­ti­ven Medi­en­be­rich­te, hat sich mit ihrem „Dan­ke Kas­sel“ end­gül­tig ins Abseits des Dis­kur­ses bege­ben. Sie hat eine „Demar­ka­ti­ons­li­nie über­schrit­ten“, wie es bei n‑tv heißt…

Nun gibt es viel Kri­tik­wür­di­ges an jener schil­lern­den Bewe­gung, die seit einem Jahr den Pro­test gegen die Coro­na-Poli­tik auf die Stra­ßen trägt: zum einen ihre flie­ßen­den Über­gän­ge in rechts­ra­di­ka­le und anti­auf­klä­re­ri­sche Milieus, zum ande­ren ihr gestör­tes Ver­hält­nis zur Zivil­ge­sell­schaft und deren Insti­tu­tio­nen. Dass Nena ihr Kas­sel-Soli­da­ri­täts­vi­deo mit einem Song von Xavier Naidoo unter­legt hat, der sich schon vor Jah­ren in eine durch­ge­knall­te Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik ver­ab­schie­det hat, lässt in die­ser Hin­sicht wenig Gutes ahnen.

Doch auch die Zivil­ge­sell­schaft selbst ist gestört. Dass sich heu­te gan­ze Milieus aus der auf­ge­klär­ten Öffent­lich­keit abmel­den, liegt auch an der Unfä­hig­keit, mit abwei­chen­den Posi­tio­nen umzu­ge­hen. Bevor sich die deut­sche Coro­na-Poli­tik mit dem Impf­de­sas­ter selbst ent­zau­ber­te, wur­de jede Fun­da­men­tal­kri­tik an ihr in den Bereich des Patho­lo­gi­schen oder Ideo­lo­gi­schen abge­drängt. Das Ergeb­nis ist eine ver­wüs­te­te Debattenlandschaft.

Zu einer offe­nen Gesell­schaft gehört aber eine gewis­se Gelas­sen­heit im Umgang mit abwei­chen­den Ansich­ten und ins­be­son­de­re mit Min­der­hei­ten­po­si­tio­nen – zumin­dest dann, wenn die­se sich nicht, wie bei Neo­na­zi-Auf­mär­schen, offen gegen die Grund­fes­ten unse­rer Ver­fas­sung richten.

Das aber ist bei den meis­ten Men­schen, die gegen die Coro­na-Poli­tik auf die Stra­ße gehen, nun gera­de nicht der Fall. Im Gegen­teil kla­gen sie, auch wenn es oft unbe­hol­fen und unre­flek­tiert wirkt, ele­men­ta­re Frei­heits­rech­te ein, die ihnen das Grund­ge­setz als Abwehr­rech­te gegen den Staat zubilligt…

In Kas­sel waren am ver­gan­ge­nen Sams­tag rund 20.000 Men­schen unter­wegs. Vie­le von ihnen igno­rier­ten die Abstands- und Mas­ken­pflicht, ande­re bil­de­ten ver­bo­te­ne Züge, es kam auch zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Demons­tran­ten, Gegen­de­mons­tran­ten und der Polizei.

So weit, so unschön. Aber auch: so wenig unge­wöhn­lich, wenn sich poli­ti­scher Pro­test Bahn bricht – zumal die ursprüng­lich geplan­te Kund­ge­bung im Staats­park Karl­saue, wo 17.500 Men­schen Platz gefun­den hät­ten, von der Stadt unter Ver­weis auf die stei­gen­den Infek­ti­ons­zah­len ver­bo­ten wur­de. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Kas­sel bestä­tig­te die­ses Ver­bot und geneh­mig­te ledig­lich zwei klei­ne­re Ver­an­stal­tun­gen mit ins­ge­samt 6000 Teilnehmern.

Was soll­ten die „über­schüs­si­gen“ Demons­tran­ten tun? Zu Hau­se demonstrieren? …

Die media­len und poli­ti­schen Kom­men­ta­re zu Kas­sel aller­dings dreh­ten die Per­spek­ti­ve um – und erweck­ten den Ein­druck, die Demons­tran­ten hät­ten einen Anschlag auf die Demo­kra­tie ver­übt. „Es ent­setzt mich“, so for­mu­lier­te es Kas­sels Ober­bür­ger­meis­ter Chris­ti­an Gesel­le (SPD) in einem sehr unan­ge­neh­men Sound, „dass Infek­ti­ons­schutz, demo­kra­ti­sche Aus­übung der Ver­samm­lungs­frei­heit und auch mensch­li­cher Anstand in gro­ßen Tei­len schlicht nicht vor­han­den waren.“

Die­se pau­scha­le Ver­ächt­lich­ma­chung von Demons­tra­tio­nen gehört sich in einem Rechts­staat nicht. Die Öffent­lich­keit ist näm­lich kein Exer­zier­platz für hygie­ne­po­li­ti­sche Manö­ver, son­dern die manch­mal etwas wil­de Büh­ne der Demo­kra­tie. Es ist grund­sätz­lich eher gut als schlecht, wenn sie in Anspruch genom­men wird.

Nenas „Dan­ke Kas­sel“ ist eine klei­ne Erin­ne­rung an die­sen Umstand. Dafür könn­te man ihr – selbst wenn man die Zie­le der Demons­tran­ten nicht teilt und ihr Ver­hal­ten miss­bil­ligt – ein klei­nes biss­chen dank­bar sein.«

14 Antworten auf „"Welt"-Kommentar bedankt sich bei Nena“

  1. Erstaun­li­ches tut sich! End­lich ein Plä­doy­er für die Grundrechte!

    Nur die Auf­tei­lung in einer­seits die "auf­ge­klär­te" Öffent­lich­keit ver­sus ande­rer­seits die "Min­der­hei­ten" aus "antiaufklärerische(n) Milieus" mit "gestör­tem Ver­hält­nis zur Zivil­ge­sell­schaft und deren Insti­tu­tio­nen", die aller­dings tole­riert wer­den müssten,
    klingt doch sehr über­heb­lich und bedient wie­der­um das all­seits gepfleg­te Vor­ur­teil, indem (aus eben den "Video-Schnip­seln" des Main­streams) von "unre­flek­tier­ten" Äuße­run­gen und Ansich­ten Ein­zel­ner auf die Mehr­zahl der Teil­neh­mer geschlos­sen wird.

  2. Zum Glück lässt Andre­as Rosen­feld kei­ne Gering­schät­zung der Demons­tra­ti­ons­frei­heit (in Form von Wer­tun­gen) erkennen:
    "schil­lern­de Bewe­gung"… "flie­ßen­de Über­gän­ge in rechts­ra­di­ka­le und anti­auf­klä­re­ri­sche Milieus"… "gestör­tes Ver­hält­nis zur Zivil­ge­sell­schaft und deren Insti­tu­tio­nen"… [sie klagen]"auch wenn es oft unbe­hol­fen und unre­flek­tiert wirkt" … "igno­rier­ten" … "bil­de­ten ver­bo­te­ne Züge" … "Aus­ein­an­der­set­zun­gen" … "So weit, so unschön" … "die „über­schüs­si­gen“ Demonstranten" …
    So geht ten­den­ziö­se Berichterstattung.

      1. Stimmt, Sie haben recht. Und bei einem Kom­men­tar darf der Jour­na­list sogar sei­ne Mei­nung schrei­ben… Den­noch fehlt mir die Aus­ge­wo­gen­heit. Aber das ist ja bei Mei­nun­gen auch schwierig…
        Jeden­falls kommt die ver­meint­li­che Zustim­mung zu Nenas Twit­ter- Nach­richt und zu der Demo bei mir an, wie ein ver­gif­te­ter Pfeil…

    1. Habe den Arti­kel jetzt noch­mal gele­sen und fin­de ihn erstaun­lich wenig ten­den­zi­ös ehr­lich gesagt, aber viel­leicht bin ich mitt­ler­wei­le schon mit ein paar Bro­sa­men zufrie­den, ich weiß es manch­mal nicht mehr…

  3. Was für ein klu­ger Artikel!
    Das sind Wor­te, die mir ein wenig Mut machen, zum ers­ten Mal nach lan­ger Zeit…vielleicht ist doch noch nicht alles verloren.
    Dan­ke dafür!

  4. Wer als "Jour­na­list"
    – den Sinn und die Berech­ti­gung der Coro­na-Maß­nah­men NICHT selbst hinterfragt
    – nega­ti­ve Beschrei­bun­gen umfas­send wiedergibt
    und damit bestärkt
    – das Ver­ständ­nis für die Demons­tran­ten mit deren Ver­ächt­lich­ma­chung und Unfä­hig­keit für "pro­fes­sio­nel­les Ver­hal­ten" kombiniert,
    ver­stärkt sub­til die Kri­tik an den Demonstranten!

  5. Zum Ende des Kom­men­tars war mir, man ver­zei­he mir die­sen Ver­gleich, als wenn er aus der Wen­de­zeit DDR in der Ber­li­ner Zei­tung oder dem ND gestan­den hät­te (unter sons­ti­ges). Schnell noch die Kur­ve krie­gen um nur nicht zu sys­tem­kri­tisch zu erscheinen.
    Den­noch bemer­kens­wert, dass Naidu her­vor­ge­zau­bert wer­den muss um sicher­zu­ge­hen, dass die hohen Her­ren in den Chef­ses­seln der Redak­ti­on zufrie­den nicken und den Kom­men­tar genehmigen.

  6. Ein wirk­lich guter Arti­kel, der ver­ständ­li­cher­wei­se auch ein paar "Schwä­chen" hat, aber den­noch ein kla­res State­ment pro Nena und Kas­sel darstellt!
    Nach­dem inzwi­schen immer mehr Bei­trä­ge auf­tau­chen, die sich zumin­dest teil­wei­se gegen den Haupt­strom stel­len, bin ich guter Hoff­nung, dass sich die Poli­tik bald ver­dammt warm anzie­hen muss!

    Wobei uns die Poli­ti­ker inzwi­schen ja sogar aktiv unterstützen:
    1. Auf­ge­flo­ge­ne kor­rup­te Coro­na- Gewinnler
    2. Füh­ren­de Grü­nen-Poli­ti­ker, die für Indi­me­dia Bil­der, Namen und Adres­sen von AfD-lern beschaf­fen (sie­he Reitschuster)

    Wenn das so wei­ter geht, wird die Pseu­do-Regie­rung die­ses Lan­des froh sein, wenn sie mit einem blau­en Auge statt […Zen­sur!!! hier gibt es kei­ne Gewalt­auf­ru­fe, AA], davon kommt!

    1. @aa:
      Dass mei­ne Befürch­tung als Auf­ruf miss­ver­stan­den wur­de, ist auf Grund der aktu­el­len Situa­ti­on ver­ständ­lich. Inso­fern akzep­tie­re ich Ihre Entscheidung!
      Aber bit­te benut­zen Sie zukünf­tig nicht mehr den Begriff "Zen­sur"! Sie sind kein Ober­haupt einer Dik­ta­tur son­dern der Eigen­tü­mer eines pri­va­ten Blogs. Machen Sie sich durch Nut­zung die­ses Kampf­be­grif­fes nicht klei­ner, als Sie sind! Sie sind eine wert­vol­le Institution!

      Mei­ne bes­ten Grüße

  7. Statt dreis­ter direk­ter Lügen und FakeN­ews ist doch schwäch­li­ches Framen ein Fort­schritt, aus unse­rer Sicht, nicht wahr? – Man darf nicht ver­ges­sen dass die "Welt" ein Publi­kum hat , in wel­chem rechtslkon­ser­va­ti­ve (Wer­te-Uni­on) Posi­tio­nen, die z.B. Reit­schus­ter schät­zen, eine gro­ße Rol­le spie­len. Die kann nie­mand für Mut­ti begeis­tern. Auf die muss man immer ein Stück zugehen.
    Dass dies locker die unan­sehn­li­chen die Trüm­mer der ehe­ma­li­gen Lin­ken über­trifft ist kein Wunder.

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