Wider die Rohrstock- und Angstpädagogik aus vergangenen Zeiten

Gerd Bosbach ist eme­ri­tier­ter Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz und Autor, mit Jens Jürgen Korff, von “Das Märchen von den aus­ster­ben­den Deutschen und ande­re Statistiklüge“, von „Lügen mit Zahlen“ und von „Die Zahlentrickser“.

Unter obi­gem Titel hat er auf nor​bert​haer​ing​.de am 8.11. einen Gastbeitrag ver­öf­fent­licht. Dort ist zu lesen:

»Auch ich habe Angst, wenn mich die Drohkulisse stei­gen­der Corona-Zahlen zum x‑ten Mal erreicht. Es gibt Corona und wir müs­sen etwas dage­gen tun. Aber ich habe auch Angst vor Politikern, die mit Zahlen unter­legt immer genau wis­sen, was zu tun ist. Das erin­nert mich an das Frühjahr, wo Verdopplungszeit unter zehn Tagen, dann unter 14 Tagen, dann der R‑Wert unter eins, gefolgt vom kor­ri­gier­ten R‑Wert unter eins jeweils genau die ein­zig rich­ti­gen Ziele waren.

Ein Irrtum jag­te den näch­sten, wie heu­te zuge­ge­ben wird. 

Man wuss­te so vie­les nicht, aber die Maßnahmen wur­den als alter­na­tiv­los dar­ge­stellt. Wenn dann noch die Begriffe infi­ziert mit krank gleich gesetzt wer­den, die Anzahl der posi­tiv Getesteten als Maß für die Pandemie genom­men wird, Dunkelziffer und ver­än­der­te Teststrategie über­se­hend, dann steigt mei­ne Angst.

Wer zusätz­lich die deut­sche März-Entwicklung mit der des Oktobers gleich­setzt, Altersstruktur der Infizierten und die ande­re Wetterlage über­se­hend, der hat sich in mei­nen Augen als Entscheider dis­qua­li­fi­ziert. Die Zahl der Auftritte in Talkshows zeigt eben nur den Unterhaltungswert.

Ja, die Politiker beru­fen sich auf Wissenschaftler. Aber anstatt klar zu for­mu­lie­ren, was sie eigent­lich wis­sen müs­sen, wer­den Studien aus­ge­sucht, die das geplan­te Vorgehen stützen…

Maßnahmen wer­den ver­ord­net, Stärke damit vor­ge­täuscht. Untersuchungen zur Wirksamkeit die­ser Aktionen sind aber Mangelware. Dabei bie­ten die ver­schie­de­nen Verordnungen in den euro­päi­schen Ländern, in den ver­schie­de­nen Bundesländern, zum Teil sogar kom­mu­nal unter­schied­lich bestes Datenmaterial.

Mein Vorschlag vom Juni, das bun­des­wei­te Maßnahmen-Durcheinander als geplan­tes Experiment zu nut­zen wur­de ver­spot­tet. Wir wüss­ten heu­te mehr. Warum haben die schar­fen lan­gen Lockdowns in Frankreich und Spanien lang­fri­stig so wenig genutzt? Wir kön­nen nur raten.

Jetzt heißt es, die zwei­te Welle bre­chen. Sehr nebu­lös und Ende November viel­sei­tig inter­pre­tier­bar. 75% der Kontakte sol­len redu­ziert wer­den, wie­der so eine schein­ge­naue Zielgröße. Die Entscheidungen wer­den weit­ge­hend redu­ziert dar­auf, die­se oder jene Aktivität zu ver­bie­ten oder nicht zu ver­bie­ten. Aber war­um fal­len den Entscheidern nicht pro­ak­ti­ve Vorschläge ein, wie die Anfangszeit von Arbeit und Schule zu ent­zer­ren und Reisebusse mit Fahrern anzu­mie­ten, damit die Schüler und Pendler nicht dicht gedrängt im Nahverkehr ste­hen und sit­zen müs­sen. Stattdessen wird die alte Rohrstock- und Angstpädagogik aus ver­gan­ge­nen Zeiten aus­ge­packt. Aber wir leben nicht mehr unter Kaiser Wilhelm. Es braucht auch klu­ge und ein­fühl­sa­me Entscheider um die not­wen­di­ge Eindämmung des Virus hin­be­kom­men.«

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