Zur Zeit interessieren sich auffallend viele Menschen für Promotionen, bei denen etwas nicht in Ordnung zu sein scheint. Eine bedeutende Frage dabei spielen Doktorväter. Bei Wikipedia ist dazu zu erfahren:
»Da Dissertationen in Deutschland zwingend publiziert werden müssen, findet auch die Tätigkeit als Doktorvater in der Fachöffentlichkeit statt. Das wissenschaftliche Prestige des Doktorvaters ergibt sich (neben seinen eigenen wissenschaftlichen Publikationen) aus Anzahl und Qualität der erfolgreich abgeschlossenen Doktorarbeiten. Dissertationen, die nicht den wissenschaftlichen Standards genügen, schaden hingegen auch dem Ansehen des jeweiligen Betreuers.
In der Regel hat der Doktorvater deshalb ein hohes Interesse, Doktoranden ordentlich zu betreuen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, auch um später neue leistungsbereite Doktoranden zu gewinnen.
Das ausgeprägte Abhängigkeitsverhältnis kann vom Doktorvater missbraucht werden, indem Doktoranden dazu genötigt werden, eigene Forschungsergebnisse unter dem Namen des Doktorvaters oder in Co-Autorenschaft zu publizieren, was das Ansehen des Doktorvaters unzulässig steigern kann und dem eigentlichen Urheber den entsprechenden Reputationsgewinn verwehrt.«
Es kann vorkommen, daß sich die Rollen des letzten Absatzes umkehren. Dann wird das Ansehen des Urhebers unzulässig gesteigert.
Ganz bedenklich wird es, wenn es zu einer Kumpanei zwischen DoktorandIn, Doktorvater (mitunter auch ‑mutter) und Hochschule kommt. Wenn also, aus welchen Gründen auch immer, jemandem ein Titel zugeschanzt wird, der ihm rechtlich und fachlich nicht zusteht. Das war bei manchen Plagiatsfällen so, wovon etwa auch die Charité ein Liedchen singen kann.
Ein fiktiver Fall
Man stelle sich folgenden fiktiven Fall vor: Ein nicht unbegabter, gerade sein Medizinstudium abgeschlossen habender junger Arzt macht eine Entdeckung, die ihn schlagartig in die Medien katapultiert. Weltweit wird davon berichtet. Er hat jede Menge damit zu tun, den Anfragen der globalen Presse nachzukommen, muß sich um Patente und wirtschaftliche Verwertung der Entdeckung kümmern – was man doch auch an befreundete Geschäftsleute delegieren könnte – , wird hofiert von der Politik und bekommt das Angebot, ein eigenes Institut aufzubauen.
Bei dem ganzen Streß vergißt er, seine vor Jahren begonnene Dissertation abzuschließen. Sieht schlecht aus: weltberühmter Entdecker, aber kein Doktortitel. Zum Glück hat er Gönner, die in ihm einen künftigen Propagandisten sehen. Sie verschaffen ihm unter der Hand den Titel, es wird schon niemand nachfragen bei der Popularität. Spätestens, wenn man ihm eine Professur zuteilt, kommt niemand auf die Idee, nach einer Dissertation zu fragen. Macht man schließlich auch nicht mit dem Abitur.
Zu den Gönnern gehört im fiktiven Fall der Doktorvater, aber auch der Chef des Instituts, an dem die Doktorarbeit hätte entstehen können und das vom Glanz des nun populären "Doktoranden" etwas mitnehmen will. Der Doktorvater will sich ohnehin aus dem akademischen Leben verabschieden und in der Wirtschaft Karriere machen, der Institutschef ist auf der Erfolgsleiter schon ganz oben. Warum sollte man da nicht fünfe gerade sein lassen und das junge Talent fördern? Auch die Hochschule kann ein Auge zudrücken, ihr werden Dokumente zugehen, die nicht mehr geprüft werden müssen. Und in jedem Bericht renommierter Magazine wird erwähnt werden, an welcher Exzellenz-Universität der nunmehr bekannte Mediziner studiert hat.
Und wenn was schief geht?
Angenommen, nach vielen Jahren schnüffeln Leute in der Sache herum. Sie möchten aus wahrscheinlich hinterhältigen Gründen die Doktorarbeit sehen. Alle Beteiligten hätten nun ein Problem. Sie könnten es auf unterschiedliche Weise angehen.
Der weltberühmte Forscher könnte sich eine Weile zurückziehen und hoffen, die Fragerei nehme irgendwann ein Ende. Er hätte wahrscheinlich auch "Besseres zu tun", als sich mit solchen Mätzchen zu beschäftigen. Der Doktorvater ist inzwischen jenseits von Gut und Böse und will mit all dem nichts zu tun haben. Der Institutsleiter hält sich bedeckt und denkt, ihm werde schon nichts nachzuweisen sein.
Allein die Hochschule hat ein Problem. Woher eine Dissertation nehmen und nicht stehlen? Man könnte verlautbaren, die Doktorarbeit sei bei einer Feuersbrunst, einem Erdbeben oder einem Wasserschaden derart beschädigt worden, daß sie nicht mehr verwendbar sei. Klingt nicht sehr glaubwürdig, aber einen Versuch ist es wert. Die Nachfragen nehmen kein Ende, deshalb nimmt man irgendwo her eine kleine Schrift, die man in den Bibliothekskatalog aufnimmt und zu Dissertation erklärt. Gleichzeitig organisiert man, daß dieser Titel über Wochen ausgeliehen oder vorgemerkt ist, also niemand wirklich Einsicht nehmen kann. Natürlich kann das nicht ewig gut gehen.
Denn es wird auch gefagt: "Ok, in der Uni ist alles vernichtet worden, plötzlich aber doch irgendwie da, zumindest virtuell. Wie ist es mit den Exemplaren bei der Deutschen Nationalbibliothek, bei der jede Dissertation abgeliefert werden muß?"
Scherereien ohne Ende. Eine neue Version muß her. Blöderweise weiß die linke Hand der Uni nicht, was ihre rechte tut. Während die linke ein Papier pro forma in den Katalog aufnimmt, fabriziert die rechte eine neue Legende: Die Dissertation ist gar kein Einzelwerk, sondern eine Serie von Artikeln in fremdsprachigen Zeitschriften. Eine solche Art der Veröffentlichung war zwar erst viel später möglich, aber wer weiß das schon? Und weil es eben Fremdsprachen sind, in denen die Artikel verfaßt wurden, gehe das die Deutsche Nationalbibliothek nichts an. Schluß der Diskussion!
Diese Argumentation hält auch nicht lange, und derweil hat die linke Hand vermeintlich unbemerkt doch der Nationalbibliothek Exemplare aus der ersten Version zur Verfügung gestellt. Murks, wohin man schaut! Denn diese sehen reichlich anders aus als diejenigen, welche bei der Universität inzwischen doch zur Einsicht zur Verfügung stehen.
Die Hochschule hat sich ohne Not und wohl aus Panik in ein nicht auflösbares Dilemma gebracht. Sie behauptet zwei sich ausschließende Versionen einer Dissertation, die beide nicht stimmen. Alle wissen das, aber man kann den weltberühmten Fachmann, auf den inzwischen die Regierungen der Welt vertrauen, doch nicht bloßstellen!
Wie endet dieser fiktive Fall? Wird der Forscher die Größe aufbringen zu sagen: Den Nobelpreis nehme ich gerne an, aber ich gebe zu, einen Doktortitel besitze ich nicht? Wird ihm das die Politik gestatten? Wird es einen Untersuchungsausschuß einer Opposition geben, die zu ihrer Rolle zurückfindet?
Der fiktive Fall soll ein work in progress bleiben. Er wird fortgeschrieben.
…Applaus.