In den letzten Tagen wird uns der Verfassungsschutz als Hüter der Demokratie in Abwehr der Corona-Demonstrierenden präsentiert. Da in diesen verrückten Tagen auch Linke sich auf dessen Einschätzungen berufen, sei kurz an seinen Werdegang erinnert.
2020 gab das BfV eine Jubiläumsschrift "70 Jahre Bundesamt für Verfassungsschutz" heraus. Darin kommen zwei sorgfältig ausgewählte Historiker zu Wort, die auftragsgemäß eine Untersuchung vorlegten mit dem Titel „Keine neue Gestapo – Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit“. In der genannten Broschüre äußern sie sich zunächst abfällig über den ersten Präsidenten des Amtes:
»Bei der Auswahl des ersten Präsidenten zeigten sich die Schwierigkeiten überdeutlich: Otto John war ja nicht die erste Wahl. Aber als Widerstandskämpfer, weltgewandt und ohne eigene politische Ambitionen, war er der kleinste gemeinsame Nenner. Niemand konnte ahnen, dass er 1954 doch versuchte, in die große Politik einzugreifen. Er fuhr nach Ost-Berlin, um dort mit sowjetischen Diplomaten über die Möglichkeiten der Wiedervereinigung Deutschlands zu sprechen. Dass das schiefgehen musste, war aber abzusehen.
Wir haben aber auch herausgefunden, dass John sein damals noch kleines Amt mit ein paar Hundert Mitarbeitern nicht im Griff hatte. So konnten, an den Alliierten und der Amtsleitung vorbei, zahlreiche ehemalige Mitglieder von Gestapo und SS als ‚freie Mitarbeiter‘ dem Amt zuarbeiten. Nach 1955 sind 16 von diesen ganz offiziell eingestellt worden. Einige von ihnen haben versucht, alte Gestapo-Methoden wieder aufleben zu lassen: Sie haben Beschuldigten vermeintliches Beweismaterial untergeschoben oder sich zuweilen kaum um die Grenzen rechtsstaatlichen Handelns geschert. Nur sehr vereinzelt haben sie jedoch hohe Positionen eingenommen, bevor sie alle bis Ende der 1960er-Jahre aus dem Amt gedrängt wurden. Das Bundesamt war wegen dieser Leute nicht unbedingt auf dem ‚rechten Auge‘ blind, vielleicht kann man eher von einem Anflug von ‚grauem Star‘ sprechen.«
Das ist alles, was sie an dieser Stelle zur Infiltration alter Nazis zu sagen haben.
Wikipedia ist etwas ausführlicher:
»Bereits vorher [vor der Gründung] betrieb die United States Army in Deutschland eine Tarneinrichtung namens „Amt für Verfassungsschutz“, deren Agenten unter anderem die Aufgabe hatten, Informationen über die 1945 wieder zugelassene KPD zu sammeln…
Es [gab] starke personelle Kontinuitäten; bis zum Ende der alliierten Aufsicht 1955 waren viele ehemalige Mitarbeiter der Gestapo als freie Mitarbeiter oder in Tarnfirmen beschäftigt, danach auch regulär im Amt… 1963 wurden noch 16 Mitarbeiter als ehemalige Mitglieder von Gestapo, SS oder SD ermittelt. Den Alliierten war dies bekannt, es war ihnen im antikommunistischen Kampf des Kalten Krieges aber nicht mehr wichtig. Sie wurden in andere Ämter versetzt.«
Von 1955 bis 1972 war Hubert Schrübbers Präsident des Amtes.
»Schrübbers studierte Rechtswissenschaft und wurde während seines Studiums Mitglied der AV Guestfalia Tübingen im CV. Später trat er dem SA-Sturm Münster bei. Er war von 1938 bis 1941 als Staatsanwalt in Bochum, Dortmund, Arnsberg, dann als Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Hamm Ankläger in diversen Verfahren gegen rassisch und politisch Verfolgte des NS-Regimes: Die Jüdin Anna Neubeck wurde beispielsweise am 31. März 1941 entsprechend dem Antrag Schrübbers’ zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie im belgischen Exil unter anderem Geld für andere Flüchtlinge gesammelt hatte. Neubeck kam nie mehr in Freiheit und starb am 1. Januar 1943 im KZ Auschwitz. 1941 musste Schrübbers seine Tätigkeit unterbrechen und wurde Soldat.
Er diente als Unterwachtmeister in einer Polizeieinheit der SS…
1948 wurde Schrübbers Oberstaatsanwalt beim Obersten Gerichtshof für die britische Zone, 1950 Bundesanwalt am Bundesgerichtshof, 1953 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Düsseldorf. Am 1. August 1955 erfolgte seine Ernennung zum Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. In seine Amtszeit fiel die von Werner Pätsch aufgedeckte „Telefonabhöraffäre“ von 1963, die ihm den Vorwurf des Verfassungsbruchs einbrachte und schließlich 1968 zum Erlass des Gesetzes zu Artikel 10 des Grundgesetzes führte. Ihm wurde vorgeworfen, ehemalige SS-Mitglieder beim BfV eingestellt zu haben. Am 30. April 1972 wurde Schrübbers nach Vorwürfen wegen seiner Verwicklung in die NS-Justiz in den Ruhestand versetzt, die reguläre Pensionierung wäre ohnehin im gleichen Jahr erfolgt.«
Zu diesem Zeitpunkt war im übrigen Willy Brandt bereits mehr als 2 Jahre lang Bundeskanzler.
Nachfolger Schrübbers wurde 1972 Günther Nollau.
»1942 trat Nollau in die NSDAP ein… Seine berufliche Karriere begann der promovierte Jurist 1942 zunächst als Rechtsanwalt im deutsch besetzten Generalgouvernement in Krakau.
Nach Kriegsende… schloss sich Nollau dem Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen an.«
Noch 1974 sah Nollau seinen NSDAP-Beitritt laut Spiegel so:
»Das war kerne Heldentat, aber ich wollte nicht ewig Hilfsarbeiter bleiben. Vielleicht ist das menschlich verständlich.«
Der erwähnte Untersuchungsausschuß war eine im Oktober 1949 in West-Berlin gegründete und von der CIA finanzierte und gesteuerte deutsche Organisation,
»…die sich der Aufdeckung rechtsstaatswidriger Verhältnisse in der DDR widmete…
Der UFJ interessierte sich auch für Großbaustellen, Flug- und Truppenübungsplätze und damit verbundene Einzelheiten, wie Art und Qualität der verwendeten Baustoffe, Lage und Länge von Landebahnen. Interesse bestand auch an den Produktionsergebnissen von Industriebetrieben und Angaben zu namhaften Personen. Viele Besucher konnten auch zur regelmäßigen Mitarbeit angeworben werden…
Das DDR-Ministerium für Staatssicherheit betrachtete den UFJ als Diversions- und Spionageorganisation, und versuchte ihn zum Teil mit Erfolg zu infiltrieren..
Der UFJ strebte es an, Einfluss auf behördliche Entscheidungen zu nehmen. Obwohl er eine private Organisation war und seine Informationen teils auf Denunziationen beruhten, gingen Behörden dazu über, Personalgutachten über DDR-Flüchtlinge beim UFJ anzufragen. Auch einige Firmen fragten vor der Einstellung von Flüchtlingen Personalgutachten beim UFJ an…
Leiter war ab 1949 der als Rechtsanwalt arbeitende Hochstapler Horst Erdmann, der den Decknamen „Dr. Theo Friedenau“ führte. Er musste im Juli 1958 wegen unberechtigter Titelführung und verschwiegener HJ-Verstrickungen zurücktreten.«
1975 mußte Nollau wegen der Affäre um den DDR-Spion Guillaume zurücktreten. Doch auch danach noch widmete er sich weiter dem Kampf gegen Links. 1976 berichtete die Zeit:
»Er grüßt aus dem Ruhestand mit einer apokalyptischen Vision: "Ob zum Beispiel die sogenannte ‚Entfremdung‘ bei einer Fortdauer des Wohlstandes zu Revolutionen der Arbeiter führt, wissen wir noch nicht… Greift derart entstandene revolutionäre Mentalität auf die Arbeiterschaft über, so können die Innere Sicherheit und sogar der Fortbestand unseres Systems akut gefährdet sein."«
Neben Schrübbers und Nollau mußten auch diese VS-Präsidenten wegen Skandalen und/oder krimineller Machenschaften zurücktreten:
Richard Meier (1975 – 1983), Eckart Werthebach (1991 – 1995), Heinz Fromm (2000 – 2012), Hans-Georg Maaßen (2012 – 2018).
Vizepräsidenten des Amtes waren u.a.
von 1964 bis 1967 Ernst Brückner.
»Der promovierte Jurist trat nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 als Sturmmann in den SA-Nachrichtensturm 212 in Itzehoe ein. 1936 wurde er Mitglied im NS-Rechtswahrerbund, im folgenden Jahr wurde er Mitglied der NSDAP und der NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt]. Ab 1937 war er bei diversen Staatsanwaltschaften tätig bis er 1939 in Itzehoe Staatsanwalt wurde. Der Generalstaatsanwalt in Kiel sah in einer Beurteilung vom 8. August 1939 bei Brückner „unbedingt die Gewähr, dass er sich stets für den nationalsozialistischen Staat einsetzen wird.“ Von September 1939 bis Frühjahr 1945 war Brückner als Flakoffizier im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Zudem war er von 1941 bis 1942 Außenstellenleiter der Sicherheitspolizei in Tschenstochau im Generalgouvernement.
… Nach seiner Entlassung und Entnazifizierung nahm er wieder seine Tätigkeit als Staatsanwalt in Itzehoe auf. In der Bundesrepublik Deutschland leitete er im Bundeskriminalamt von 1952 bis 1964 die Sicherungsgruppe in Bad Godesberg. Von 1964 bis 1967 war er Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.«
von September 1970 bis April 1972 Werner Smoydzin.
Trotz der "Gnade der späten Geburt" trat er 1943 in die NSDAP ein. Wie viele Altnazis wurde er nach dem Krieg Mitglied der FDP.
Für sein Amt hatte er sich u.a. so qualifiziert, wie aus einem Spiegel-Bericht von 1966 hervorgeht:
»Er veröffentlichte eine Untersuchung über "die Tätigkeit und Zielsetzung internationaler faschistischer Organisationen":
Gemeinsames Kennzeichen dieser braunen Gruppen laut Smoydzin: Sie erkennen Hitler "als ihr Vorbild und einen der größten Führer aller Zeiten" an, bekennen sich zur "Vorherrschaft der weißen Rasse" und fordern nach wie vor die "Ausweisung und Entrechtung der Juden und anderer völkischer oder Rassengruppen".
Sie leben von den alten Losungen, vollbringen allerdings kaum neue Taten. Die Berichte über NS-Geheimorganisationen sind – so Smoydzin – mehr Dichtung als Wahrheit..
Die neofaschistischen Gruppen bilden "keine gegenwärtige Gefahr für irgendeinen Staat der freien Welt". Hitlerwahn, Rassendünkel und Antisemitismus sind überall Sache "kleinster Minderheiten"…
Kontakte zwischen "Nation Europa" oder ausländischen NS-Gruppen und der rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands vermochte Verfassungshüter Smoydzin nicht festzustellen: "Die NPD hält sich davon ziemlich klar. Die sind da sehr vorsichtig."«
(Hervorhebungen jeweils nicht im Original.)