Antikapitalistische Kritik oder Trojanisches Pferd?

zeit​.de

Wenn das bür­ger­li­che Feuil­le­ton lin­ke Aktio­nen toll fin­det, soll­ten sich die Akteu­rIn­nen fra­gen, ob das was schief läuft.

Der Ansatz klingt ver­nünf­tig. War­um soll­ten Phar­ma­kon­zer­ne dicke Gewin­ne machen mit For­schung und Pro­duk­ti­on, die weit­ge­hend aus öffent­li­chen Gel­dern finan­ziert wur­den? Der hier ins Spiel gebrach­te Soli­da­ri­täts­be­griff hat aber einen Pfer­de­fuß. Wor­um geht es? zeit​.de schreibt am 10.2.:

»Die For­sche­rin­nen, Labor­as­sis­ten­ten oder Buch­hal­te­rin­nen von BioNtech [sol­len] die Her­stel­lungs­an­lei­tung für den mRNA-Impf­stoff des Unter­neh­mens mit der Welt tei­len. Die Akti­on trifft mit­ten in die Debat­te über den lang­sa­men Impf­fort­schritt in Deutsch­land – und die unglei­che Ver­tei­lung von Vak­zi­nen weltweit…

"2021 wer­den 9 von 10 Men­schen auf der Welt kei­ne Imp­fung bekom­men, fast alle davon im glo­ba­len Süden, wäh­rend in den rei­chen Län­dern fast alle Men­schen geimpft sein wer­den." Die größ­te Hür­de dabei sei die schlep­pen­de Pro­duk­ti­on. Her­stel­ler in Ent­wick­lungs­län­dern, die eigent­lich über die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen ver­füg­ten, schnell und güns­tig Impf­stof­fe gegen Covid-19 zu pro­du­zie­ren, wür­den vom herr­schen­den Patent­schutz aus­ge­bremst. Die Regie­run­gen von Indi­en und Süd­afri­ka – bei­des Län­der, die über erfolg­rei­che Phar­ma­in­dus­trien ver­fü­gen und auf die Pro­duk­ti­on von Gene­ri­ka spe­zia­li­siert sind – haben bei der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on einen Antrag ein­ge­reicht, den Patent­schutz für die Zeit der Pan­de­mie aus­zu­set­zen, soge­nann­te Wai­vers zu erwir­ken. Der Vor­stoß wird jedoch von den USA und der EU, und damit auch Deutsch­land, blockiert. 

Wie BioNTech zu Wai­vers und Patent­schutz steht, wäre nun inter­es­sant. Lei­der war das Unter­neh­men weder in der Woche vor der Peng!-Kampagne, noch am Akti­ons­tag selbst zu einer Stel­lung­nah­me gegen­über ZEIT ONLINE bereit…

Die Akti­on grei­fe das herr­schen­de Nar­ra­tiv über Phar­ma­fir­men an. "Wenn über BioNtech berich­tet wird, ist das oft eine Geschich­te von Held*innen, die uns aus der Not hel­fen." Dabei pro­fi­tie­re die Fir­ma von der Kri­se. Sie stel­le mit dem Fest­hal­ten am Wis­sens­mo­no­pol Pro­fit über Men­schen­le­ben. Es gehe dar­um, die Selbst­dar­stel­lung des Unter­neh­mens zu hin­ter­fra­gen. "Wäre der eigent­lich hel­den­haf­te Schritt nicht jetzt, die Rezep­te frei­zu­ge­ben und damit allen Men­schen welt­weit Zugang zum Impf­stoff zu geben?", fragt [Akti­vist] Barnabas…

Pro­gno­sen zufol­ge sol­len nun bis zum Ende des Jah­res ledig­lich 3,3 Pro­zent der Bevöl­ke­rung in den 44 ärms­ten Län­dern der Welt geimpft wer­den. Dort wird das Virus also noch jah­re­lang zir­ku­lie­ren. "Das Pro­fit­in­ter­es­se ein­zel­ner Fir­men muss ange­sichts einer Pan­de­mie gegen­über dem glo­ba­len Gesund­heits­in­ter­es­se abge­wo­gen wer­den", sagt Massute.

Sowohl Robin Bar­na­bas von Peng!, wie auch Eli­sa­beth Mass­ute von Ärz­te ohne Gren­zen beto­nen, dass BioNTech wenig eige­ne Mit­tel zur Ent­wick­lung sei­nes Vak­zins ein­ge­setzt hat. 375 Mil­lio­nen Euro hat BioNtech 2020 von der Bun­des­re­gie­rung bekom­men, einen Kre­dit von 100 Mil­lio­nen hat die EU bewil­ligt. Das deck­te die Ent­wick­lungs­kos­ten von 500 Mil­lio­nen fast voll­stän­dig. Eli­sa­beth Mass­ute weist dar­auf hin, dass auch jen­seits die­ser kon­kre­ten Hil­fen auf staat­lich finan­zier­te Grund­la­gen­for­schung zurück­ge­grif­fen wur­de. Das Vak­zin von Astra­Ze­ne­ca sei sogar an einer öffent­li­chen Uni­ver­si­tät, also mit Steu­er­gel­dern, ent­wi­ckelt worden.«

Pferdefüße

Der Pfer­de­fü­ße sind gleich meh­re­re. Ers­tens wird die Kri­tik an der hyper­schnel­len Geneh­mi­gung in Not­ver­fah­ren, an feh­len­den Lang­zeit­stu­di­en, an bereits jetzt zu beob­ach­ten­den Neben­wir­kun­gen der Impf­stof­fe kom­plett aus­ge­blen­det. Damit wird die Regie­rungs­er­zäh­lung vom guten, wirk­sa­men und drin­gend erfor­der­li­chen Vak­zin bedient.

Zwei­tens wird das Erfor­der­nis der Mas­sen­imp­fung ange­sichts einer nicht vor­han­de­nen rela­ti­ven Über­sterb­lich­keit eben­so wenig the­ma­ti­siert wie die frag­wür­di­ge Priorisierung.

Drit­tens wird außer Acht gelas­sen, daß wegen sei­ner Trans­port- und Anwen­dungs­um­stän­de der Biontech-Impf­stoff aus­ge­rech­net der­je­ni­ge ist, der für die Anwen­dung im "glo­ba­len Süden" völ­lig unge­eig­net ist. Damit han­delt es sich letz­ten Endes um PR für die deut­sche Fir­ma auf einem eli­tä­ren Markt.

Vier­tens spielt kei­ner­lei Rol­le, daß die "Ent­wick­lungs­län­der" weit mehr unter den Aus­wir­kun­gen des Lock­downs der Indus­trie­staa­ten zu lei­den haben als unter dem Virus. Eine Akti­on, die das igno­riert, fällt den Men­schen dort in den Rücken und ist das Gegen­teil von solidarisch.

Vier Pfer­de­fü­ße spre­chen sehr für das Bild eines Tro­ja­ni­schen Pferdes.

9 Antworten auf „Antikapitalistische Kritik oder Trojanisches Pferd?“

  1. Wenn ich Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker wäre, so wür­de ich die Küh­ler­for­der­nis­se der Biontech­sup­pe auch als vol­le Absicht bewerten.
    Immer­hin wäre dies ein Hin­weis, dass die Erfin­der von ihrem Markt­er­folg selbst über­zeugt sind.
    Neben­wir­kun­gen scha­den da nur.

    Ob's auch eine gro­ße ‑unab­hän­gi­ge, dop­pel­blin­de- Stu­die geben wird, die belegt, dass der Erfolg über den Pla­ce­bo-Effekt hinausgeht?

    Es ist eher zu befürch­ten, dass Pfizer/Biontech die "Stu­die" selbst machen

  2. Peng! scheint wirk­lich zu glau­ben und unter­stützt die Mär von der über­wie­gen­den Nütz­lich­keit die­ser Intervention.
    Allen frei­wil­lig Teil­neh­men­den an einer (für den Lai­en unde­kla­rier­ten) Pha­se-3-Stu­die alles Gute!

  3. Der Unter­ti­tel spricht Bän­de. Patent­schutz ist das abso­lu­te Gegen­teil von Geheim­nis. Wenn ein Patent exis­tiert, kann jeder nach­le­sen. Das Patent­recht ist in sei­ner Moti­va­ti­on äußerst sinn­voll, da es die Unter­neh­men bei der wirt­schaft­li­chen Aus­beu­tung ihrer Erfin­dung für eine gewis­se Zeit­span­ne schützt, aber der Mensch­heit die Funk­ti­ons­wei­se zu offen darlegt.

  4. Ich hat­te bereits berich­tet, dass eine erfolg­lo­se Stu­die zu einer "Anti Krebs Imp­fung" in den Jah­ren 2008/09 von BioNtech in Zusam­men­ar­beit mit Uni­ver­si­täts Kli­nik Pro­fes­so­ren durch­ge­führt wor­den sein muss. Ich glau­be, dass die Wahr­schein­lich eine wir­kungs­vol­le sehr sehr siche­re Imp­fung zu ent­wi­ckeln sehr sehr lan­ge braucht und mal schnell schnell nur Mist raus­kom­men kann. Gibt es eine Imp­fung gegen HIV? Wur­de mei­ne Anfra­ge von der Pres­se­stel­le zu Anti­krebs­imp­fungs­stu­di­en beant­wor­tet? NeiN, NeiN. Gott spie­len war schon immer etwas auf­wän­di­ger. Es geht defi­ni­tiv nicht um Barmherzigkeit.

  5. Ich weiß es zu schät­zen, dass Sie den Ball aufnehmen.

    Den­noch ent­steht der Ein­druck, dass Links­sein sich ganz über­wie­gend dar­auf beschrän­ken könn­te, genau das, was "das Kapi­tal hat, haben und selbst, idea­ler­wei­se im "Kol­lek­tiv", ver­wal­ten und selbst­ver­ständ­lich "gerecht ver­tei­len" zu wol­len, ohne es in Fra­ge zu stellen.

    Die Fra­ge, ob das, was "das Kapi­tal" hat und her­stellt, über­haupt wün­schens­wert ist oder ob man es bes­ser ersatz­los ver­hin­dern soll­te, hat sich wohl nie (zuvor) gestellt.

    Nun ist es eben "das Kapi­tal", das nach­ge­ra­de fei­xend sagt: "Ihr könn­te euch das spa­ren, die gerech­te Ver­tei­lung, die wer­den wir nun selbst über­neh­men" – und schon hat sie die Lin­ke erobert, die nur noch fall­wei­se – sie­he Leak – meint, nach­bes­sern zu kön­nen oder müs­sen, und "man" lässt sie ja ger­ne, es gehört ja zum Spiel.

    Es ist bedau­er­lich, die­se Irre­füh­rung, aber man muss kon­sta­tie­ren, dass sie funk­tio­niert. Armut / Abhän­gig­keit, für alle glei­cher­ma­ßen. wich­tig nur, dass die Bild­schir­me mit den neu­es­ten Anwei­sun­gen leuchten.

    1. In einer ortho­do­xen Dik­ti­on könn­te man auch sagen: "Wer von der Pro­duk­ti­on nicht reden will, soll­te über die Zir­ku­la­ti­on schwei­gen". Die­se Ver­wei­ge­rung / Unfä­hig­keit der neo­li­be­ral gewa­sche­nen Lin­ken ent­spricht auch ihrer Abkehr von den Inter­es­sen der arbei­ten­den Men­schen. Es geht gar­nicht mehr dar­um die gesell­schaft­li­che Ursa­chen von sozi­al-öko­no­mi­scher und sym­bo­li­scher Ungleich­heit zu kri­ti­sie­ren, son­dern viel­mehr nur­noch um deren iden­ti­täts­po­li­ti­sche Nutz­bar­ma­chung. Ob Peng!, Grü­ne oder Links­par­tei ist dabei schnurzpiepegal.

  6. 9.2.21, "Ver­fas­sungs­rich­ter dringt auf Betei­li­gung der Parlamente
    Der Prä­si­dent des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, Ste­phan Har­barth, hat die Rol­le der Par­la­men­te bei den Ent­schei­dun­gen zur Bekämp­fung der Coro­na-Pan­de­mie her­vor­ge­ho­ben. „Je wich­ti­ger die betrof­fe­nen Rechts­gü­ter sind, des­to stär­ker ist der Gesetz­ge­ber zur Ent­schei­dung beru­fen“, sag­te Har­barth der Düs­sel­dor­fer „Rhei­ni­schen Post“. „Die wesent­li­chen Ent­schei­dun­gen müs­sen vom Par­la­ment getrof­fen werden.“
    Im frü­hen Sta­di­um sei­en Kri­sen zwar die Stun­de der Exe­ku­ti­ve – also der Regie­run­gen in Bund und Län­dern, sag­te Har­barth. Doch ab einem bestimm­ten Zeit­punkt habe „der Gesetz­ge­ber der Exe­ku­ti­ve genaue­re Hand­lungs­an­wei­sun­gen zu geben“.
    Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­zeich­net nach Har­baths Wor­ten inzwi­schen mehr als 880 Ver­fah­ren mit Bezug zur Coro­na-Pan­de­mie, wei­te­re sei­en zu erwar­ten – etwa zur Fra­ge der Impf­rei­hen­fol­ge. Vie­le bis­lang ergan­ge­ne Urtei­le sei­en ledig­lich Eil­ent­schei­dun­gen auf vor­läu­fi­ger Basis. „Die Jus­tiz in Deutsch­land funk­tio­niert auch in der Pan­de­mie“, beton­te der obers­te Ver­fas­sungs­rich­ter. Die Gerich­te sei­en mit einer zusätz­li­chen Ver­fah­rens­flut kon­fron­tiert und erfüll­ten ihre Auf­ga­ben unter erschwer­ten Bedin­gun­gen sehr gut."
    https://​www​.welt​.de/​v​e​r​m​i​s​c​h​t​e​s​/​l​i​v​e​2​2​1​0​9​5​6​0​6​/​C​o​r​o​n​a​-​l​i​v​e​-​S​t​u​d​i​e​-​V​i​r​u​s​-​z​i​r​k​u​l​i​e​r​t​e​-​w​o​h​l​-​b​e​r​e​i​t​s​-​i​m​-​N​o​v​e​m​b​e​r​-​2​0​1​9​-​i​n​-​F​r​a​n​k​r​e​i​c​h​.​h​t​m​l​#​l​i​v​e​-​t​i​c​k​e​r​-​e​n​t​r​y​-​7​2​911

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.