Betriebskrankenkassen-Chef kritisiert Maßnahmen. "Bunkermentalität" im Kanzleramt

Auf rnd​.de ist heu­te ein Inter­view mit Franz Knieps, dem Chef des Ver­ban­des der Betriebs­kran­ken­kas­sen, ver­öf­fent­licht. Nein, Imp­fun­gen lehnt er nicht ab. Ansons­ten läßt er kein gutes Haar an der Regierungspolitik.

»Herr Knieps, Sie haben sich mit einer Rei­he von Wis­sen­schaft­lern und Prak­ti­kern in mitt­ler­wei­le sie­ben The­sen­pa­pie­ren kri­tisch mit der Coro­na-Poli­tik von Bund und Län­dern aus­ein­an­der­ge­setzt. Womit haben Sie die größ­ten Probleme?

Es fängt schon an mit der völ­lig fal­schen Nut­zung von wis­sen­schaft­li­chen Begrif­fen an. Das Wort Inzi­denz beschreibt die Zahl neu auf­ge­tre­te­ner Krank­heits­fäl­le inner­halb einer defi­nier­ten Per­so­nen­grup­pe in einem bestimm­ten Zeit­raum. Die Zahl der posi­tiv getes­te­ten Men­schen ist aber jeden Tag eine neue, zufäl­li­ge Grup­pe. Und wenn man gar nicht mehr tes­ten wür­de, wäre Coro­na ver­schwun­den. Das ist erkenn­bar Unsinn. Des­halb muss man rich­ti­ger­wei­se von einer Mel­de­ra­te sprechen.

Aber den­noch gibt doch die­se Mel­de­ra­te zumin­dest ein Bild von der Infektionslage.

Aber nur ein sehr unge­nau­es. In Wirk­lich­keit wis­sen wir nicht ansatz­wei­se, wie stark das Virus die Bevöl­ke­rung durch­drun­gen hat. Es ist ein schwe­res Ver­säum­nis, dass es ein Jahr nach Beginn der Pan­de­mie noch immer kei­ne Kohor­ten­stu­di­en gibt – also eine Unter­su­chung dar­über, wie stark sich das Virus zu unter­schied­li­chen Zeit­punk­ten in einer bestimm­ten Grup­pe aus­ge­brei­tet hat.

Unab­hän­gig von allen Defi­ni­tio­nen und Unter­su­chun­gen: Wir wis­sen, dass Coro­na in Deutsch­land wütet. Die Kli­ni­ken sind voll, die Todes­zah­len sind hoch. Was ist Ihre Kritik?

Es war nach unse­rer Mei­nung sehr früh klar, dass es sich um eine „Epi­de­mie der Alten“ han­delt. Statt sich aber im Som­mer sehr gezielt mit spe­zi­el­len Prä­ven­ti­ons­pro­gram­men für die Risi­ko­grup­pen auf den Herbst und Win­ter vor­zu­be­rei­ten, wer­den Lock­downs anein­an­der­ge­reiht, die die Älte­ren nicht schüt­zen. Ende 2020 waren 88 Pro­zent der Coro­na-Toten über 70 Jah­re alt. Allein die Pfle­ge­heim­be­woh­ner machen ein knap­pes Drit­tel aller Ster­be­fäl­le in Deutsch­land aus, obwohl sie nur ein Hun­derts­tel der Bevöl­ke­rung stel­len. Das liegt nicht an der Bio­lo­gie des Erre­gers, son­dern ist die Kon­se­quenz gra­vie­ren­der poli­ti­scher Fehlentscheidungen.

Sie hal­ten also auch den der­zei­ti­gen Lock­down für überflüssig?

Nein. Weil mas­si­ve Feh­ler gemacht wur­den, sind wir jetzt gera­de­zu gezwun­gen, mit allen Mit­teln zu ver­su­chen, das Gesund­heits­we­sen zu ent­las­ten. Tat­säch­lich sin­ken auch die Mel­de­ra­ten bei den Jün­ge­ren. Bei den Älte­ren zei­gen sich aller­dings kaum Ände­run­gen. Für sie ist der Lock­down wirkungslos.

Da aber auch Jün­ge­re an den Fol­gen von Covid-19 ster­ben, ist auch eine Sen­kung der Infek­ti­ons­ra­ten in die­ser Alters­grup­pe ein Erfolg, oder nicht?

Sicher. Doch die Fra­ge ist, mit wel­chen Kol­la­te­ral­schä­den das ein­her­geht. Ich erin­ne­re in die­sem Zusam­men­hang an die Wor­te von Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäub­le aus dem Früh­jahr. Er hat­te gesagt, wenn es über­haupt einen abso­lu­ten Wert im Grund­ge­setz gebe, dann sei es die Wür­de des Men­schen. Das schlie­ße das Ster­ben nicht aus. Wenn Kin­der und Jugend­li­che über Wochen dar­an gehin­dert wer­den, in die Schu­le zu gehen, dann wer­den sie ihrer Wür­de beraubt.

Sie wür­den also die Schul­schlie­ßun­gen beenden?

Die Schu­len müs­sen wie­der geöff­net wer­den, je schnel­ler des­to bes­ser. Zwar wis­sen wir inzwi­schen, dass Kin­der beim Infek­ti­ons­ge­sche­hen eine grö­ße­re Rol­le spie­len als bis­her ver­mu­tet. Aber das Risi­ko müs­sen wir ein­ge­hen. Der Staat kann doch nicht hin­neh­men, dass es vom Geld­beu­tel oder dem Impro­vi­sa­ti­ons­ta­lent der Eltern abhängt, ob die Kin­der Zugang zu Bil­dung bekom­men. Ich habe den Ein­druck, die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger kön­nen sich die Situa­ti­on für Kin­der in bil­dungs­fer­nen Haus­hal­ten gar nicht vor­stel­len: Dass es dort Kin­der ohne Com­pu­ter gibt, ohne Unter­stüt­zung beim Ler­nen, ohne war­mes Mit­tag­essen, aber viel­leicht sogar mit häus­li­cher Gewalt.

Wie sieht es mit den ande­ren Beschrän­kun­gen aus?

Die Ein­be­zie­hung von unter 14-Jäh­ri­gen in die rigi­den Kon­takt­be­schrän­kun­gen muss auf­ge­ho­ben wer­den. Da klei­ne Kin­der nir­gends allein hin­ge­hen, bedeu­tet das für sie ein völ­li­ges Kon­takt­ver­bot. Das ist doch krank. Und außer­dem kann ja nun wirk­lich nie­mand erklä­ren, war­um es gefähr­lich sein soll­te, mehr als 15 Kilo­me­ter raus zu fah­ren und dort mit der Fami­lie rodeln zu gehen. Das ist alles nicht mehr zu ver­ste­hen. Das frus­triert die Men­schen, womit am Ende die Bereit­schaft zum Mit­ma­chen sinkt. Damit ist gar nichts gewonnen.

Was ist Ihrer Mei­nung nach zu tun?

Als Ers­tes muss dar­auf ver­zich­tet wer­den, die Mel­de­ra­te, vul­go Inzi­denz, zum Maß aller poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu machen. Die aus­ge­ge­be­ne Ziel­mar­ke von 50 Neu­in­fek­tio­nen pro 100.000 Ein­woh­ner in sie­ben Tagen ist in die­sem Win­ter nicht mehr zu errei­chen. Es gibt der­zeit sogar einen öffent­li­chen Über­bie­tungs­wett­be­werb dar­über, wer das nied­rigs­te Ziel for­mu­liert. Das zeugt von einem völ­li­gen Unver­ständ­nis über den Ver­lauf einer Epi­de­mie. Ein rea­lis­ti­sches Ziel kann allen­falls sein, den jet­zi­gen Wert zu hal­ten. Außer­dem müs­sen wir die Aus­las­tung der Kli­ni­ken im Blick haben und die Sterb­lich­keit in bestimm­ten Altersgruppen.

Wie wer­den sich die Imp­fun­gen auswirken?

In einer Modell­rech­nung, die wir für rea­lis­tisch hal­ten, neh­men wir an, dass die über 80-Jäh­ri­gen bis Ende Febru­ar durch­ge­impft sind. Dann wer­den in der ers­ten März­wo­che 3200 von 4700 Todes­fäl­len ver­hin­dern. Die Mel­de­ra­ten wer­den dage­gen kaum her­un­ter­ge­hen, weil das Virus längst in brei­ten Bevöl­ke­rungs­krei­sen zir­ku­liert. Das zeigt auch, dass die Poli­tik die­se Raten nicht als Grund­la­ge für Ent­schei­dun­gen nut­zen darf.

Den man­geln­den Schutz der Heim­be­woh­ner hat mitt­ler­wei­le auch Kanz­le­rin Mer­kel kri­ti­siert. Was muss hier bes­ser gemacht werden?

Vie­le For­de­run­gen von uns und ande­ren wer­den jetzt end­lich umge­setzt, also zum Bei­spiel mehr Tests oder der Gebrauch von FFP2-Mas­ken. Aber es gibt noch immer Lücken. So wur­de uns berich­tet, dass das Lea­sing­per­so­nal oder exter­ne Dienst­leis­ter in Hei­men oft nicht getes­tet wer­den. Damit wer­den Men­schen in unver­ant­wort­li­cher Wei­se gefähr­det. Völ­lig unter dem Radar ist wei­ter­hin die ambu­lan­te Pfle­ge mit immer­hin vier Mil­lio­nen Men­schen. Hier fehlt es nicht nur an Tests, son­dern nach wie vor auch an Schutz­aus­rüs­tung. Das ist unfassbar.

Es ist zu hören, dass auf die Autoren der The­sen­pa­pie­re aus dem Kanz­ler­amt erheb­li­cher Druck aus­ge­übt wor­den sei, sich nicht mehr zu äuße­ren. War es so?

Ach, Druck wür­de ich das nicht nen­nen. Ja, es gab früh­zei­tig eine Bit­te aus dem Umfeld der Kanz­le­rin, das zu been­den. Ich habe Mer­kel mit­tei­len las­sen, dass wir Bür­ger sei­en, kein Unter­ta­nen. Lei­der ist es nach wie vor so, dass ins­be­son­de­re im Kanz­ler­amt eine Bun­ker­men­ta­li­tät vor­herrscht. Dort wird allein auf Viro­lo­gen gehört, und dann auch immer auf die­sel­ben. Abwei­chen­de Ansich­ten oder Rat­schlä­ge ande­rer wis­sen­schaft­li­cher Dis­zi­pli­nen wer­den bis heu­te igno­riert. Dabei ist gera­de in schwie­ri­gen Zei­ten wie die­sen jede fach­kun­di­ge Stim­me drin­gend notwendig.«

9 Antworten auf „Betriebskrankenkassen-Chef kritisiert Maßnahmen. "Bunkermentalität" im Kanzleramt“

  1. Ent­we­der das BK hat einen lang­fris­ti­gen Plan mit einem zu ver­fol­gen­den Ziel oder man ist dort im Über­le­bens­kampf völ­lig kon­fus und ver­sucht durch Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on (weni­ger Exper­ten­an­hö­run­gen) eini­ger­ma­ßen die Über­sicht zu behal­ten und macht ein­fach wei­ter wie bisher.

    Um mit Maus­feld zu schließen:
    War­um las­sen sich das die Scha­fe bieten?

  2. Ein Hin­weis zu Ber­lin auf die 

    Peti­ti­on der Sozio­lo­gin und Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Dr. Karo­li­na Jankowska 

    https://​www​.karo​li​na​-jan​kows​ka​.eu/​v​i​ta/

    https://www.change.org/search?q=Karolina%20Jankowska

    Öff­net sofort alle Schu­len in Berlin! 

    http://​chng​.it/​K​D​W​S​N​7​5​D8x

    "Öff­net sofort alle Schu­len in Ber­lin (…) Kin­der haben ein Recht auf Bil­dung. Sie haben ein Recht auf sozia­le Kon­tak­te und Inter­ak­tio­nen in der Schu­le. Wer ihnen die­se Rech­te ent­zieht, soll­te die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit nach­voll­zieh­bar und evi­denz­ba­siert begrün­den. Bis­her sind die Poli­tik und die Befür­wor­ter der Schul­schlie­ßun­gen die­se Recht­fer­ti­gung schul­dig geblie­ben. Daher ist die­se Maß­nah­me nicht hin­nehm­bar. Die Schu­len sol­len ab sofort wie­der im vol­len und gewohn­ten Umfang in Betrieb genom­men werden. 

    Die Gesell­schaft als Gan­zes unter­gräbt ihre Ent­wick­lungs­chan­cen mit jedem Tag, an dem der Schul­un­ter­richt nicht statt­fin­det. Denn die Zukunft die­ses Lan­des und die Qua­li­tät unse­res Lebens hän­gen maß­geb­lich davon ab, ob und wie wir gegen­wär­tig in der Lage sind, unse­ren Nach­wuchs zum selbst­stän­di­gen Leben zu befä­hi­gen – ein Arzt oder Inge­nieur zu wer­den, unse­re Pfle­ge­kraft auf der Inten­siv­sta­ti­on oder im Pfle­ge­heim, unse­re intel­lek­tu­el­le Eli­te. Die Bil­dung ist somit ein unver­zicht­ba­res Gut der gan­zen Gesellschaft. 

    Ich for­de­re den Ber­li­ner Senat des­halb auf, zu einer Poli­tik zurück­zu­keh­ren, die das Kin­des- und Jugend­wohl zur höchs­ten Prio­ri­tät hat. (…)" 

    https://www.change.org/p/michael‑m%C3%BCller-%C3%B6ffnet-sofort-alle-schulen-in-berlin-3ba47fbb-9b92-4711–8d7b-215941e456be

    .

  3. Das zuneh­men­de Auf­tre­ten kri­ti­scher und als "serös" kon­no­tier­ter Stim­men fällt in der Tat auf:
    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-politik-die-bestellten-berater-kommentar-a-9edd178d-1843–4522-8bde-f4c8bc0dfa30

    Es sieht ein­mal danach aus, die "coro­na­leug­nen­den Hys­te­ri­ker" zu des­avou­ie­ren – im Ver­ein­nah­men von Kri­tik als "Pro­dukt" war Kapi­ta­lis­mus schon immer sehr begabt! Man kann so vor­gau­keln, dass die Demo­kra­tie und die Medi­en doch funk­tio­nie­ren und alles pri­ma wird.

    Die Zie­le sind ja erst mal gut gelun­gen: die Wirt­schaft so an die Wand zu fah­ren, dass es einen RESET geben MUSS und auch, die gen­tech­ni­schen Men­schen­ver­su­che an den Wehr­lo­sen durch­zu­füh­ren, vor­zugs­wei­se an Schwer­kran­ken, die ohne­hin gestor­ben wären und weg können? 

    Und mir hallt das Zitat von Mer­kel in den Ohren (des­sen Quel­le ich nicht mehr habe), sinn­ge­mäß: beim Umset­zen der neu­en Ord­nung müs­se man die LEITPLANKEN ste­hen las­sen. Sind das nun die Leit­plan­ken, jenes Opi­um fürs Volk aus den Medienkirchen?

  4. Also, wenn der letz­te Teil
    ("Es ist zu hören, dass auf die Autoren der The­sen­pa­pie­re aus dem Kanz­ler­amt erheb­li­cher Druck aus­ge­übt wor­den sei, sich nicht mehr zu äuße­ren. War es so?

    Ach, Druck wür­de ich das nicht nen­nen. Ja, es gab früh­zei­tig eine Bit­te aus dem Umfeld der Kanz­le­rin, das zu beenden.")
    so stimmt, dann ist das echt ein Skan­dal. Bis jetzt hat­te ich ja eher ver­mu­tet, dass sol­che Mei­nun­gen so gut wie gar nicht bis "oben" durch­drin­gen, aber wenn man aktiv ver­sucht, Exper­ten mund­tot zu machen, fin­de ich das höchst bedenk­lich. Sind es ca. 83 Mil­lio­nen Men­schen nicht irgend­wie wert, dass die Poli­tik sich die best­mög­li­che, inter­dis­zi­pli­nä­re Bera­tung holt, die sie in DE bekom­men kön­nen? Statt des­sen bekom­men wir das C‑Team von einer Hand­voll Viro­lo­gen und einer Phy­si­ke­rin, die von Epi­de­mien kei­ne Ahnung hat. Wie kann sowas sein und war­um wehrt sich das Kanz­ler­amt mit Hän­den und Füßen gegen eine umfas­sen­de Bera­tung? Wie­so sagt da kei­ner der MPs was dazu?
    So lang­sam braucht man sich bei sol­chen Vor­gän­gen echt nicht über Ver­schwö­rungs­theo­rien wundern.

  5. "'Bun­ker­men­ta­li­tät' im Kanzeramt"

    Wie soll ich das ver­ste­hen? Hat man im Kanz­ler­amt schon die Ben­zin­ka­nis­ter vor die Tür gestellt?

  6. Es ist unfass­bar wie hier C‑Propaganda betrie­ben wird.
    Wer ver­bie­tet end­lich die unge­nau­en PCR
    Tests? Die trei­ben das Infek­ti­ons­ge­sche­hen künst­lich in Höhe.
    So hat Frau Mer­kel es geschafft aus Deutsch­land eine DDR zu machen.
    Armes Deutschland.

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